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a) Förmliche Verfassungsänderungen

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Die einzige Erschwerung, die Art. 79 Abs. 2 GG für Verfassungsänderungen vorsieht, besteht im Erfordernis der Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat.[169] Diese Hürde erscheint nur auf den ersten Blick hoch. Denn da weitere Erschwernisse (besonderes Procedere, Referendum, Zeitintervalle etc.), wie sie die meisten anderen Verfassungsstaaten kennen, nicht vorgesehen sind, ist die Verfassungsänderung in Deutschland faktisch in die Hände der großen politischen Parteien gelegt. Sind sich diese einig, steht einer Verfassungsänderung nichts im Wege, da andere Sicherungen oder Korrekturmöglichkeiten fehlen.

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Nicht nur, aber auch aus diesem Grund hat sich das Grundgesetz als eine sehr änderungsintensive Verfassung erwiesen.[170] Wir zählen mittlerweile mehr als 50 Novellen von zum Teil außerordentlichem Umfang und mit weitreichendem Änderungsgehalt. Die statistisch gerundete Frequenz von einem Änderungsgesetz (mit häufig zahlreichen Bestimmungen) pro Jahr ist auch und gerade im internationalen Vergleich sehr hoch.[171] Man hat errechnet, dass das Grundgesetz nicht weniger als 200 Änderungen, Aufhebungen und Einfügungen erfahren hat und sein Textumfang um 50% gewachsen ist;[172] mehr als die Hälfte aller GG-Artikel war bislang Gegenstand eines grundgesetzändernden Gesetzes.

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Bevor man angesichts dessen jedoch allzu rasch vom Verfassungsrecht im „Loseblatt-System“[173] spricht, sollte man sich zunächst ganz generell in Erinnerung rufen, dass die Veränderungsintensität auch als Zeichen von Vitalität und effektiver Verfassungsbindung gelesen werden kann.[174] So bestätigen die Änderungen, dass die Verfassung „ihren Geltungsanspruch gegenüber der Politik nicht nur erhebt, sondern auch einlöst.“[175]

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Hinzu treten weitere Umstände, die den Eindruck eines permanenten Umbaus des Grundgesetzes, wie ihn der bloße Blick auf die Zahlen suggerieren mag, deutlich relativieren. So können zwei besonders umfängliche und einschneidende Änderungen, die Einführung der Wehrverfassung 1956 und der Notstandsverfassung 1968 (vgl. unten, Rn. 50ff.), als „nachgeholte Verfassunggebung“ begriffen werden. Hier wurden Bausteine in das Grundgesetz eingefügt, die Deutschland in Ermangelung voller staatlicher Souveränität 1949 noch nicht zur Disposition standen. Eine weitere große Reform, die Finanz- und Haushaltsreform von 1969 (vgl. unten, Rn. 55ff.), bildete die notwendige Korrektur der nicht zuletzt wegen alliierter Interventionen missglückten Regelung der Finanzverfassung. Schließlich muss man sich vor Augen halten, dass der Löwenanteil aller Änderungen auf das Verhältnis von Bund und Ländern, ihrer Kompetenzen im Bereich von Gesetzgebung und Verwaltung, der Zustimmungs- und Einspruchsgesetze etc. entfällt.[176] Föderale Reform ist eine Art Dauerbrenner: foedus semper reformandum. Oder anders gesagt: die Gestaltung der Beziehungen zwischen Bundesstaat und Gliedstaaten gleicht einer „Dauerbaustelle“[177].

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