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Kapitel 6

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New York City

Nachdem Hanky das Gelesene zumindest vordergründig verdaut hatte, beschloss er zu handeln. Richard und Walt waren gemeinsam zu dem Entschluss gekommen, Hanky in jeder nur erdenklichen Weise zur Seite zu stehen. Auch Richards Frau Rita war informiert und trotz großer Bedenken einverstanden, dass ihr Ehemann sich an diesen Ermittlungen beteiligte. Allerdings machte sie zur Bedingung, dass sie mit von der Partie war. Nach einigem Hin und Her einigten sie sich, und Rita bekam die Aufgabe, alle organisatorischen Fragen zu regeln. Ihre provisorische Einsatzzentrale war Hankys Büro. Sie war einverstanden, und so saßen schließlich alle zusammen, um das eigentliche Problem zu besprechen.

Hanky räusperte sich. »Liebe Freunde«, begann er und schaute jeden eindringlich an, um dann fortzufahren: »Zuerst muss ich mich bei euch bedanken, dass ihr ohne Vorbehalt bereit seid, mir bei dieser scheußlichen Geschichte zur Seite zu stehen. Wir haben eine Aufgabe vor uns, die sich von allem unterscheidet, was wir bisher zusammen erlebt haben. Schon die Jagd nach dem Ding, dem Alien, hat uns die Grenzen unserer Belastbarkeit vor Augen geführt. Ich bin heute noch sehr froh darüber, dass uns das Schicksal davor bewahrt hat, ernsthaft Schaden zu nehmen.« Um seine Worte wirken zu lassen, machte er eine kurze Pause. Er sah in entschlossene Gesichter und verspürte Stolz und Dankbarkeit, solche Freunde zu haben.

Bevor er weitersprach, schaute er noch einmal auf seine eilig angefertigten Notizen. »Zuerst zu den Fakten. Was wissen wir? Es gibt eine Gruppe von Leuten, eine Organisation, die über Verbindungen zu höchsten Regierungsstellen verfügt. Diese Leute nennen sich selbst Gruppe Phönix, ihr militärischer Arm ist die Odin Force. Mittels der Odin Force entführt Phönix Menschen im großen Stil. Das sind die Fakten, die wir von dem FBI-Agenten Roger Thorn wissen. Es ist im Moment nicht klar, was aus dem Mann geworden ist, ich kann nur hoffen, dass er sich in Sicherheit befindet. Nun ist die Frage, wie wir diese Gruppe stoppen und die Entführten retten - oder, besser noch, befreien können. Wie wir das zu viert bewerkstelligen wollen, weiß ich auch noch nicht. Ich werde Paul fragen, ob er uns hilft, und falls es uns gelingt, Roger Thorn aufzutreiben, hätten wir einen Partner mit viel Erfahrung und Hintergrundwissen.«

Richards Frau Rita klappte wie eine engagierte Sekretärin entschlossen einen Block auf und zückte einen Stift. »Okay, meine Herren, besprechen wir die nächsten Schritte. Wer soll sich um was kümmern?«

Sie beratschlagten einige Zeit, bis Hanky sich entfernte, um von seinem Schlafzimmer aus Paul noch einmal anzurufen. Nach dem dritten Klingeln meldete sich Paul ungeduldig: »So, nun berichte mir, was eigentlich geschehen ist. Du hast ja bei unserem letzten Gespräch nicht viel von dir gegeben. Also, was ist los?«

»Du hast wie immer recht, Paul, aber das sollten wir nicht am Telefon besprechen.«

Ohne noch etwas zu sagen, hängte Paul ein. Im gleichen Moment hörte Hanky in seinem Kopf ein geistiges “Anklopfen”. Er setzte sich auf sein Bett und konzentrierte sich. Sofort war er auf geistiger Ebene mit Paul verbunden.

Paul war ein indianischer Traumseher. Unter bestimmten Bedingungen konnte er mit Hanky telepathisch Verbindung aufnehmen. Zudem war er in der Lage, seinen Geist auf die

Reise zu schicken und wie bei einer Fernsehübertragung weit entfernte Orte zu sehen. Bei dem Abenteuer mit dem Tausendschläfer hatte Paul eine entscheidende Rolle gespielt, indem er das “Ding” beobachtet hatte. Während ihrer gemeinsamen Jagd waren Hanky und er in der Lage gewesen, ihre außergewöhnlichen Begabungen zu kombinieren. So war es Hanky möglich gewesen, den Gejagten durch Pauls geistige Augen zu sehen und zugleich die Gedanken des Verfolgten zu lesen.

Hanky berichtete, was er bisher wusste, und las anschließend den Bericht des FBI-Agenten vor. Paul war erschüttert und konnte kaum glauben, was er da hörte. Er sicherte Hanky noch einmal seine volle Unterstützung zu.

»Danke, Paul«, sagte Hanky halblaut. Die telepathische Verbindung zu halten fiel ihm immer noch leichter, wenn er seine Gedanken aussprach, statt sie nur zu denken.

»Bitte fang mit der Suche an. Finde den Platz, das Gelände dieser Odin Force. Es ist wichtig, dass wir erfahren, was diese Leute treiben und wohin sie die Entführten bringen. Alles Weitere wird sich danach finden. Rich und Rita versuchen, Hintergrundinformationen zu sammeln, während Walt und ich schon mal unsere Sachen packen. Ich glaube, dass wir bald verreisen müssen. Melde dich, sobald du etwas weißt oder ich mich bei dir einklinken kann, um mit eigenen, Verzeihung, deinen Augen zu sehen, was geschieht.«

»Okay, Hanky. Ich fange sofort an, aber es kann schon eine Weile dauern, bis ich diese Gangster und ihr Lager gefunden habe. Also, nicht ungeduldig werden. Bis bald!«

Damit war Paul aus Hankys Gedanken verschwunden, was bei Hanky immer ein Gefühl der Einsamkeit hinterließ. Er schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken zu vertreiben, und kehrte zu den anderen zurück.

***

Lager der Odin Force (früher Nachmittag)

Kommandant Rudgar Kruger lief unruhig in seinem Büro hin und her. Er war nervös, und das war ein Zustand, den er hasste. Er wollte immer alles unter Kontrolle haben. Dieser Drang beruhte auf seiner angeborenen Unsicherheit im Umgang mit Menschen - insbesondere bei Vorgesetzten -, die er sorgfältig verbarg. Sein ganzes Leben lang hatte er den forschen Draufgänger ohne Angst und Skrupel gemimt. Das hatte ihm den Posten des Lagerkommandanten eingebracht und den Aufstieg in der Hierarchie. Trotzdem war seine geheime Lebensangst geblieben. In letzter Zeit fragte er sich immer öfter, wie alles weitergehen würde. Wann würde ihr Treiben auffallen, und was geschah dann? Er wusste keine Antwort. Er kannte noch nicht einmal die wirklichen Drahtzieher seiner Organisation. Wer hatte die Gruppe Phönix gegründet und zu welchem Zweck? Wer stand dahinter? Einmal hatte er bei einem Treffen von Odin- und Phönixmitgliedern Gesprächsfetzen belauscht. Von >dem Doktor< hatte man gesprochen. Wer war dieser Doktor, und wie konnte er eine solche Organisation gründen und aufbauen, ohne dass davon etwas öffentlich bekannt wurde? Er musste mächtige Freunde haben, dieser >Doktor<.

Der Kommandant war dieser Frage nie ernsthaft nachgegangen. Dennoch hatte er immer aufmerksam zugehört und so herausgefunden, dass die Organisation über eine ganze Anzahl von Lagern verfügte. Dazu kamen die Gebäude, in denen die Spender untergebracht wurden. Er wusste von mindestens sieben Häusern mit insgesamt annähernd viertausend Spendern. Die Zahl schwankte natürlich ständig, das war nicht zu vermeiden. Was wirklich mit den Spendern geschah - den Begriff Menschen verwendete niemand - und was sie eigentlich spendeten, wusste er auch nicht.

Normalerweise wurden die Häuser nicht bewacht, da außer den dort arbeitenden Technikern alle, die sich dort aufhielten, unter Drogen standen und damit ruhiggestellt waren. Herumlaufende Wachen hätten nur das Interesse möglicher Nachbarn geweckt. Nur bei einer neuen Lieferung oder der Entsorgung kamen seine Leute ins Spiel. Eine Ausnahme bildeten einzig Notfälle oder Unregelmäßigkeiten jeder Art. Dann musste er seine Männer schicken, um die Situation zu klären, was oft genug mit Blutvergießen verbunden war. Für solche Einsätze hatte er die richtigen Leute, die nur darauf warteten, anderen wehzutun oder sie gar abzuschlachten. Früher hätte er sich nicht vorstellen können, wie viele Menschen bereit waren, auf Befehl zu töten. Nicht, dass es ihm etwas ausmachte, jemanden zu erschießen oder auf andere Weise umzubringen, aber sich selbst sah man dennoch differenzierter. Ausreden, mit denen man seine Taten vor sich selbst rechtfertigen konnte, waren dem Kommandanten nicht fremd.

Immer noch ärgerte ihn, dass dieser Spitzel seinen Leuten entkommen war. Natürlich hatte er den Vorfall nicht an seine Vorgesetzten gemeldet. Er hatte angenommen, die Angelegenheit selbst regeln zu können. Auf den Odin-Soldaten, der bei der Verfolgung sein Leben hatte lassen müssen, verschwendete er keinen Gedanken. Wer sich von einem Flüchtling überwältigen ließ, war selbst schuld und ohnehin nicht zu gebrauchen. Der Spitzel hatte sich bestimmt irgendwo verkrochen, und Odin würde ihn über kurz oder lang aufgreifen und kurzen Prozess mit ihm machen.

Doch was war mit Haus Nummer zwei geschehen? Weshalb war die Kommunikation für mindestens eine Stunde unterbrochen gewesen? Er glaubte dem Techniker kein Wort, als dieser behauptete, es sei alles in Ordnung. Blödsinn!

Mit einem Mal hatte er das Gefühl, nicht mehr allein im Raum zu sein. Unsicher blickte er sich um, aber es war nichts zu sehen. Und doch ... Wurde er überwacht? Gab es verborgene Kameras? Nein, das konnte nicht sein. Täglich überprüfte er den ganzen Raum, und noch nie hatte er auch nur den kleinsten Hinweis auf eine Überwachungsanlage gefunden.

Sein Magen verkrampfte sich und wurde kalt. Seine natürliche Unsicherheit, gepaart mit Angst, kroch aus ihrem Versteck und drohte ihn in Panik zu versetzen. Gehetzt lief er zur Tür und durch einen kurzen Gang hinaus ins Freie. Unsicher blieb er stehen und schaute sich um. Das Lager lag völlig ruhig da, und er konnte keinen seiner Untergebenen entdecken. Mit drei, vier tiefen Atemzügen pumpte er seine Lungen voll Sauerstoff, was ihn sofort beruhigte. Verdammt, seine Nerven gingen mit ihm durch. Wo blieb im Übrigen der Bericht von Odin? Seine Leute mussten doch längst bei Haus zwei angekommen sein. Mit festen Schritten ging Rudgar Kruger zur Funkzentrale, froh, eine Aufgabe gefunden zu haben, um sich abzulenken.

Unsichtbare Augen folgten dem Kommandanten.

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