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Kapitel 10

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Carefree, Arizona (später Nachmittag)

Der Doktor hob den Hörer ab. »Ja?«

Am anderen Ende der Verbindung meldete sich eine neutrale, emotionslose Stimme: »Sektion Nordost meldet Verlust von Haus zwei. Erbitten weitere Anweisungen.«

Diese verdammten Idioten, dachte der Doktor, wie können die nur so eine Meldung über das Telefon schicken ?

Laut sagte er: »Verstanden. Erwarten Sie neue Order.« Verstimmt legte er auf. Dann eilte er die Kellertreppe hinab, schloss den Weinkeller auf und schaltete das Licht ein. Er ging durch den erstaunlich großen Raum, bis er schließlich vor einem Weinregal an der rechten Wand stehen blieb. Aus einem verborgenen Fach zog er eine kleine Fernbedienung und tippte eine Tastenkombination in das Gerät. Sogleich erwachte summend ein kleiner Elektromotor und zog das Weinregal einen guten Meter nach hinten. Ein schmaler Gang wurde sichtbar, und an der Decke des verborgenen Korridors schalteten sich Leuchtstofflampen ein.

Der Doktor eilte den Gang entlang, bis er nach zwanzig Metern vor einer massiven Stahltür stand. Die Tür war vollkommen glatt, ohne einen erkennbaren Öffnungsmechanismus. Auf eine weitere Signalfolge, die er in die Fernbedienung eingab, fuhr die Tür zur Seite. Auch im dahinterliegenden Raum schaltete sich das Licht automatisch ein. Der Doktor betrat den Raum, der sich in nichts von großen Forschungslabors der Pharmaindus-

trie zu unterscheiden schien. Allein die Abwesenheit jeglichen Personals und eine unbestimmte Aura vergangener, unmenschlicher Experimente verliehen dem Raum die kalte Präsenz einer modernen Folterkammer. Jedes Instrument, jeder Arbeitsplatz und noch mehr der an der linken Seite aufgestellte OP-Tisch mit mannigfachen Gerätschaften hätte einem unbedarften Besucher eine Ganzkörpergänsehaut verschafft.

Unberührt von alldem durchquerte er den Raum und öffnete eine weitere Tür. Durch einen gekühlten Lagerraum, in dem sich in langen Reihen Glasbehälter, Kisten und Metallcontainer befanden, gelangte er schließlich durch eine weitere Tür in eine Art Befehlszentrale. Auch hier war er allein. An den Wänden verteilte Bildschirme tauchten den Raum in diffuses, mehrfarbiges Licht. Im Zentrum der Zentrale befand sich ein hufeisenförmiger Arbeitsplatz, der mit vielen Schaltelementen und Computertastaturen ausgestattet war. Der Doktor setzte sich und drückte mehrere Schalter. Leises Rauschen breitete sich in der Zentrale aus und endete schließlich in einem kaum noch vernehmbaren tiefen Basston. Über das extra für die Odin Force kreierte digitale Medianetz loggte der Doktor sich in den Datenstrom ein. Nun war er in der Lage, alle Außenstellen der Odin Force und der Gruppe Phönix abhörsicher anzusprechen oder nach seinem eigenen Belieben unbemerkt über Video und Audio zu überwachen. Genau dies hatte er im Moment im Sinn. Er musste sich erst einmal ein Bild von der Situation machen, ehe er weitere Maßnahmen ergriff.

Aus einer Computerliste wählte er Haus 2 an und schaute fast im gleichen Moment aus unterschiedlichen Kamerapositionen auf das Geschehen. Hektik und Chaos, zerbeulte Fahrzeuge, Verletzte und Tote. Sanitäter und Polizisten, selbst hilflos und dennoch bemüht, Hilfe zu leisten, wo es möglich war. Unglaubliche Szenen im >Spenderraum<. Schreiende, tobende, nackte, blutüberströmte, schmutzige Menschen. Dazwischen Sanitäter, Ärzte und Polizisten, mit blassen Gesichtern und weit aufgerissenen Augen, in denen sich die Unerbittlichkeit dieser Tragödie spiegelte.

Das alles berührte den Doktor nur wenig. Ärgerlich dachte er an das Versagen seiner Untergebenen und den Verlust der Produktion von Haus zwei. Er schaute noch einen Moment auf die Bildschirme, während er schon über die Konsequenzen dieses Zwischenfalls nachdachte. Der Zeitplan musste umgestellt, die Spender ersetzt werden, neues Personal war anzuheuern. Das alles war zwar ärgerlich, aber noch keine Katastrophe. Vor allem musste verhindert werden, dass Polizei und Presse die richtigen Schlüsse zogen. Von den Spendern drohte keine Gefahr, denn sie wussten nichts über den Grund ihrer Gefangenschaft. Anders sah es mit den Männern der Odin Force aus, die vor Ort stationiert waren. Ein Exempel musste statuiert werden, um allen klarzumachen, dass absoluter Gehorsam unabdingbar war. Der Doktor wusste schon, wen er opfern würde. Der einzig sinnvolle Kandidat war der Lagerkommandant Rudgar Kruger. Er schaltete die Bildschirme von Haus zwei ab und aktivierte die geschützte Telefonleitung. Sogleich meldete sich der Operator. Ohne sich zu identifizieren, sagte der Doktor nur: »Verbinden Sie mich mit Kleinfeld.«

***

Sand Lake New York State (später Nachmittag)

Roger lief vor dem Restaurant auf und ab und telefonierte mit Walts Handy. Aufgeregt fuchtelte er dabei mit den Armen, als ob sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung es sehen könnte. Nach einer weiteren langen Minute, die Hanky und Walt bereits in ihrem Wagen warteten, beendete er schließlich das Gespräch mit einem halbwegs zufriedenen, halbwegs besorgten Gesicht. Er ging zu den anderen hinüber.

Hanky kurbelte die Scheibe der Beifahrertür herunter, beugte sich aus dem Fenster und hörte Roger sagen: »Ich müsste selbst fliegen. Das kann doch nicht gut gehen. Wenigstens konnte ich einen Flug buchen.«

Walt notierte sich die Einzelheiten und startete den Motor.

Hanky verstand, was Roger bewegte: Er kannte Richard nicht und wollte keinen Unschuldigen in eine Situation bringen, von der er selbst nicht wusste, wie er sie einzuschätzen hatte. Beruhigend sagte Hanky: »Im Moment haben wir keine andere Möglichkeit. Außerdem ist Richard ein gewitzter Reporter. Sein größtes Problem wird erst einmal Rita sein. Sie wird nicht sehr erfreut darüber sein, dass wir ihren Mann allein nach Brasilien schicken. Ich muss Richard anrufen und Bescheid sagen, dass du einen Flug für ihn organisiert hast. Also lass uns endlich losfahren, wir haben keine Zeit!« Zur Fahrerseite gewandt fragte er: »Walt, hast du dir notiert, wie wir fahren müssen?«

»Hab ich. Die Serviererin hat mir genau beschrieben, wo das alte Fabrikgelände liegt.«

Sie fuhren mit beiden Wagen los, durch eine scheinbar friedliche, grüne Waldlandschaft, und wussten doch, dass sie bald großes Elend vorfinden würden. Hanky war froh, dass er mit Richard telefonieren musste, sodass er für eine Weile die Gedanken an das Kommende verdrängen konnte.

Gerade hatte Hanky die Telefonnummer fertig eingetippt und den grünen Sendeknopf gedrückt, als am anderen Ende schon abgenommen wurde. Rita war am Telefon, und sie war alles andere als ärgerlich. Hanky hatte gerade erst seinen Namen genannt, als Rita ihn unterbrach: »Ich habe in den Nachrichten gesehen, was vorgefallen ist. Wir verfolgen hier schon seit einer Stunde die Sondersendungen. Du meine Güte. Wir müssen alles tun, um diesen Verbrechern das Handwerk zu legen. Die armen Leute, was ist nur mit ihnen geschehen? Im Moment bringen die Sanitäter . Moment, bin gleich wieder bei dir .«

Hanky hörte ihren schweres Atmen und gleich darauf einen Reporter im Hintergrund.

»Hanky, die Offiziellen rechnen mit zwei- bis dreihundert Opfern.«

Hanky wurde ungeduldig und rief mit erhobener Stimme ins Telefon: »Rita, so hör mir doch erst mal zu. Ist Richard zu sprechen?«

»Nein«, antwortete Rita nur halb konzentriert, da sie gleichzeitig mit Hanky zu sprechen und der Reportage zu folgen versuchte. »Er ist in die Redaktion gefahren, um seinem Boss zu erklären, dass er nach Brasilien fliegt. Der wird sich freuen. Sein neuer Mitarbeiter hat noch keinen Tag gearbeitet und fährt schon sonst wohin.«

»Okay, Rita. Richard kann schon heute Abend fliegen, genau genommen in dreieinhalb Stunden. Wir haben für ihn ein Ticket reserviert. Nimm dir was zu schreiben. Ich gebe dir gleich die Flugnummer durch. Versuch Richard zu erreichen, die Zeit wird knapp. Aber vorher gehst du in mein Schlafzimmer. In der unteren Nachttischschublade liegt ein Umschlag. In dem Umschlag sind dreitausend Dollar. Die gibst du Richard für die Reise.«

So ging es noch eine Weile hin und her. Die Reportage hatte Rita davon überzeugt, dass schnelles Handeln angesagt war. Ihr Ehemann war der Einzige in ihrem kleinen Team, der verfügbar war und sich noch dazu in der Nähe eines internationalen Airports befand. Hanky versprach ihr, Richard nach Manaus zu folgen, sobald sich die Gelegenheit ergeben würde.

Während er noch telefonierte, sah er in vielleicht zwei Kilometern Entfernung die blitzenden Lichter der Rettungsfahrzeuge.

»Rita, wir sprechen uns später. Ich muss auflegen. Wir sind gleich da.« Damit beendete er das Gespräch, ohne Ritas Erwiderung abzuwarten, und schaltete sein Handy aus.

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