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Vorwort

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Liebe Leser,

beim Schreiben dieser Geschichte und im Übrigen ebenfalls bei der nächsten - Sie müssen wissen, dass ich stets gleichzeitig an mehreren Storys arbeite -, wie auch in meinem ersten Buch “Hanky und der Tausendschläfer”, startet das Geschehen im Wald. Ich habe mich gefragt, warum das so ist.

In meiner Kindheit war der Wald für mich und meine Freunde der schönste Spielplatz, der sich denken lässt. Hier erlebten wir jeden Tag unterschiedlichste Abenteuer. Gewöhnlich verabredeten wir uns nach der Schule, und schon bald nach dem Mittagessen standen meine Mitstreiter vor der Tür. Am Ende der Straße begann der Wald, und wir tauchten ab ins Abenteuerland. Mit Stöcken bewaffnet, die sich in unserer Fantasie in heilige Schwerter oder Kriegswaffen verwandelten, schritten wir, zu allen Seiten nach potenziellen Feinden Ausschau haltend, durch das flache Bett des Waldbachs. Mit kindlicher Vorstellungskraft kämpften wir uns unter größten Mühen durch das Amazonasgebiet, von gefährlichen Eingeborenen verfolgt, durch das Mekong-Delta, um unsere Soldaten aus den Fängen der Vietcong zu befreien, oder wir stellten Sarazenen im Niltal. Natürlich waren wir immer die “Guten”, und wenn die Dämmerung durch die Äste herabkroch, machten wir uns mit schlammigen, nassen Hosen auf den Weg nach Hause, glücklich darüber, wieder einmal die Welt gerettet zu haben.

Noch heute, wenn ich wieder einmal in Deutschland bin und meine Familie und die alte Heimat besuche, nehme ich mir oft die Zeit, “meine Wege durch den Abenteuerwald” wiederzufinden. Erstaunlicherweise hat sich der Wald fast nicht verändert, selbst die “geheimen Trampelpfade” sind noch so, wie ich sie vor mehr als vierzig Jahren verlassen habe.

Bei diesen Exkursionen in die Vergangenheit glaube ich fast, die Stimmen, das Lachen und Flüstern meiner Kindheitskameraden zu hören, und wäre nicht überrascht, sie hinter einem Busch hervorspringen zu sehen.

Fast magisch ist, dass der Wald immer noch der geheimnisvolle Ort ist, den ich in meinen Gedanken an meine Jugend sicher in meinem Herzen verwahre.

Das war der nette Teil meines Vorworts, doch die Geschichte Hanky und der Mächtige ist nicht nett und voller schöner Erinnerungen, sondern voller schrecklicher Ereignisse und Gefühle: der Panik des Ausgeliefertseins, Wehrlosigkeit und vielfachen Grausamkeiten, die manche Menschen ohne Skrupel anderen antun.

Um Ihnen, verehrter Leser, einmal bewusst zu machen, wie es zu einer dramatischen Wendung in Ihrem bisher so beschützten Leben kommen kann, folgende Bitte:

Stellen Sie sich einfach einmal vor, ich würde Sie auswählen und in einer meiner Geschichten als Held oder tragische Figur agieren lassen. Damit wären Sie natürlich meiner Willkür ausgeliefert, da ich die Handlungen in meinen Geschichten kontrolliere (das rede ich mir zumindest immer ein).

Ich lasse Sie, um zum Thema Wald zurückzukehren, durch eben einen solchen irren. Dazu gebe ich Ihnen noch einen angeknacksten Knöchel und eine ausreichende Portion Unsicherheit und Angst mit auf den Weg. Natürlich ist es Nacht, und Sie haben keine Vorstellung, wo Sie sich befinden oder wie Sie in den Wald gelangt sind. Nun wird es unheimlich. Der Mond erhellt die Szenerie nur so spärlich, dass Sie gerade genug sehen, um sich in Ihrer unmittelbaren Umgebung zurechtzufinden. Aber was liegt direkt hinter ihrem Wahrnehmungsbereich? War da nicht das Knacken eines brechenden Asts? Hat sich da etwas bewegt? Sind Sie allein, oder beobachten gierige Augen, wie Sie hilflos durch die Nacht humpeln? War da ein Wispern, eine leise geführte Unterhaltung, oder haben Ihnen nur Ihre vom angestrengten Lauschen überreizten Ohren einen Streich gespielt? Ist es wirklich nur die nächtliche Kälte, die Ihnen eine Gänsehaut über den Rücken jagt?

Nach einer Weile wird Ihnen Ihr Instinkt den Weg durch die Nacht weisen, Ihre Fantasie aber bringt Sie an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.

All die Geschichten, die Sie zeitlebens mit einem müden Lächeln abgetan haben - wer glaubt schon an Geister, Gnome, Zombies, Werwölfe oder Vampire -, rücken auf einmal in den Bereich des Möglichen. Was, wenn wirklich etwas dran ist an all den Horrorgeschichten? Weiß es der Wald? Hat er das Böse, so es dies wirklich auf unserer Welt gibt, gesehen oder gar bereits beherbergt? Oder lauert das Böse im Alltäglichen, im freundlichen Nachbarn? Dem netten Mitbürger, der ein Wanderfreund ist, Sie hier allein im Wald entdeckt, hilflos und verletzt, und die einmalige Gelegenheit nutzt, um unbeobachtet einen Mord zu begehen - einfach nur, weil sich die Gelegenheit bietet?

Natürlich werden Sie als Erstes fragen, wie es denn sein kann, dass es Sie in einen Wald verschlägt und Sie nicht wissen, wo Sie sind. Aber ist es wirklich unvorstellbar? Reicht nicht schon ein Autounfall bei einer nächtlichen Fahrt, Sie schlagen sich den Kopf an, klettern benommen aus Ihrem Wagen und taumeln fort, immer noch vom Schock betäubt und nicht realisierend, wo Sie eigentlich hinwollen - laufen in den Wald hinein, statt bei Ihrem Auto oder wenigstens auf der Straße zu bleiben? Schon ist es um Sie geschehen. Nun werden Sie sagen, na ja, so oft fahre ich ja nicht durch den Wald. Nicht? Ja, wo leben Sie denn? Ist Ihnen klar, dass mehr als dreißig Prozent der Landmasse unserer Welt von Wald bedeckt ist? Das ist eine beachtliche Zahl, und die Wahrscheinlichkeit, gerade dort, im Wald, einen Unfall zu haben, ist wirklich nicht gering. Wildwechsel, feuchtes Laub, rutschige Straßenverhältnisse durch abgeschwemmte Erde, ständig wechselnde Lichtverhältnisse bilden permanente Gefahrenquellen.

Zum Glück für Sie befinden Sie sich zurzeit nicht in dieser Situation, sondern halten ein Buch in Ihren Händen, sind entspannt und sicher.

Wirklich?

Herzlichst Ihr

Marvin Roth

Lebens Spender

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