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1. Spätrömische Voraussetzungen: Die Franken und das Imperium
ОглавлениеDie Franken werden in römischen Quellen erstmals kurz nach der Mitte des 3. Jahrhunderts genannt. Sie bildeten sich vermutlich aus älteren germanischen Völkern wie Chamaven, Brukterern, Chattuariern und Amsivariern, ohne sich zunächst zu einem Volk mit einheitlicher politischer Führung zu entwickeln. Der Name der Franken bedeutet wohl so viel wie ‚mutig, kühn, ungestüm, frech‘. Dagegen ist die Gleichsetzung von Franke mit Freier vermutlich sekundär. Die Franken siedelten am Nieder- und Mittelrhein und bildeten keine geschlossene politische Einheit, sondern bestanden aus mehreren Gruppen unter eigenen Anführern, die von den römischen Autoren duces, regales, aber auch reguli und reges genannt wurden. Einige fränkische Gruppen gingen seit der Mitte des 3. Jahrhunderts offensiv gegen das Imperium vor. Sie machten im Jahr 275 das Maasgebiet unsicher und nahmen Trier ein. Andere Franken betätigten sich gleichzeitig als Piraten und bedrohten vom Ärmelkanal und von der Nordsee her Nordgallien und Britannien. Um 290 profitierten Franken von innerrömischen Auseinandersetzungen und drangen entlang des Rheins auf römischen Reichsboden vor – etwa in das Gebiet der Bataver an der unteren Maas. Aber bald erstarkte das Imperium wieder und setzte den Eindringlingen wirksamen militärischen Widerstand entgegen. Gleichzeitig bahnte sich eine besondere Form der Zusammenarbeit an: Der römische Kaiser Constantius I. Chlorus siedelte 294/95 gefangene Franken als Laeten, halbfreie Wehrbauern, in Nordgallien an, anderen Franken wurden um diese Zeit Wohnsitze bei Trier zugewiesen.
Bis zur Mitte des 4. Jahrhunderts bedrohten die Franken die Rheingrenze nicht mehr ernsthaft – wohl ein Erfolg der Integrationspolitik Kaiser Konstantins des Großen, der sie systematisch für das römische Heer anwarb. Ein Aufstand gegen dessen Sohn Constantius II. führte ab 350 zum Zusammenbruch der nördlichen Rheinlinie. Erst der Caesar Julian Apostata konnte zwischen 355 und 358 die Lage stabilisieren, beließ aber anscheinend einigen Franken ihre Wohnsitze links des Rheins. Dies gilt auch für eine fränkische Gruppe, die von der Forschung mehrheitlich als Salier angesprochen wird. Sie waren von der Bataverinsel aus nach Toxandrien – die Gegend des heutigen Antwerpen – in der Provinz Germania secunda vorgedrungen und wurden von Julian besiegt, der ihnen dieses Gebiet dennoch zur Ansiedlung überließ. Die Integration ging so weit, dass Franken auch Karriere im kaiserlichen Heer machten, wie der rex Francorum Mallobaudes, der als comes domesticorum unter Kaiser Gratian römische Truppen gegen die Alemannen führte, oder Merobaudes, der sogar bis zum Heermeister aufstieg.
Auf der anderen Seite kam es seit ca. 390 wieder zu größeren militärischen Unternehmen von Franken gegen das Imperium. Die fränkischen duces Gennobaudes, Markomer und Sunno überschritten den Rhein und verwüsteten das Umland von Köln. Die Eindringlinge wurden von den Römern besiegt und zu Bündnisverträgen gedrängt. Auch am Main siedelten Franken, die 406/07 ihre Verpflichtungen gegenüber Rom erfüllten und sich Vandalen, Alanen und Sueben entgegenstellten – allerdings vergeblich: Die Eindringlinge konnten bei Mainz den Rhein überschreiten und nach Gallien eindringen. Damit brach die römische Grenzverteidigung bis zur Rheinmündung zusammen. Wenigstens blieben Teile der Franken ein Rekrutierungsreservoir für die Römer. Erst der Heermeister Aëtius konnte um die Mitte der 430er Jahre die Lage wieder stabilisieren, indem er u.a. die niederrheinischen Franken auf seine Seite zog. Die in Toxandrien siedelnden Franken (‚Salier‘) stießen um 445 unter ihrem König Chlodio/Chlojo in den Norden der Belgica secunda vor, wurden aber 448 von Aëtius besiegt und in dieser Provinz rund um Arras als Föderaten angesiedelt. Unter dessen Befehl kämpften sie 451 auf den Katalaunischen Feldern nahe Troyes erfolgreich gegen die nach Gallien vorgedrungenen Hunnen unter König Attila.
Mit der Ermordung des Aëtius 454 und Kaiser Valentinians III. 455 brach die römische Ordnung in Gallien endgültig zusammen. Verschiedene Kaiser und ihre gallischen Repräsentanten kämpften gegeneinander und stützten sich auf die verschiedenen germanischen Völker und Gruppen im Land. Die Franken konnten daher im Bund mit der einen oder anderen römischen Partei, aber auch ganz unabhängig von Rom ihre Gebiete vergleichsweise ungehindert ausdehnen. Die Franken aus dem Mittel- und Oberrheingebiet nahmen kurz vor 460 Mainz ein und bedrohten Trier, wo in den 460er und 470er Jahren der comes Arbogast, ein romanisierter Franke, eine römisch geprägte Herrschaft mit stark fränkischen Akzenten errichten konnte. Nördlich davon eroberten die niederrheinischen Franken endgültig Köln und errichteten ein faktisch eigenständiges Reich. Dessen König ging 469 ein Bündnis mit dem Burgunderkönig Gundowech ein, der als gallischer Heermeister zugleich Repräsentant römischer Autorität war. Diese Allianz ermöglichte es dem Kölner Herrscher, in der Folgezeit die mittelrheinischen Franken zu unterwerfen und die Herrschaft des Arbogast über Trier zu beenden. Sein Machtbereich – vom Geographen von Ravenna als Francia Rinensis bezeichnet – reichte seit ca. 485 bis nach Mainz und vielleicht sogar darüber hinaus.
Die Franken von Arras (‚Salier‘) besetzten spätestens in den Wirren nach 455 das Land bis zur Somme mit Cambrai. Die Chronologie ihrer Könige lässt sich kaum mehr rekonstruieren. Laut Gregor von Tours wurden sie von Chlodio/Chlojo und danach von dessen Sohn Merowech beherrscht, der sich in anderen zeitnahen Quellen allerdings nicht nachweisen lässt. Auf ihn folgte sein Sohn Childerich, über den Gregor von Tours berichtet, die Franken hätten ihn vertrieben, weil er sich an ihren Töchtern vergangen habe. Statt seiner hätten sie dann den römischen Heermeister Aegidius als neuen König akzeptiert, während Childerich Zuflucht bei den Thüringern suchen musste und angeblich erst nach acht Jahren zurückkehren konnte. Dennoch kämpfte er 463 auf Seiten des Aegidius gegen die Westgoten. Dessen Nachfolge trat 465 der comes Paulus an, der 469 wiederum mit Hilfe der Franken unter Childerich die Westgoten zurückschlagen konnte. Childerichs Aktionsradius war also beachtlich, und bereits er kann als eine ernstzunehmende Größe in Gallien gelten.
Grab des Königs Childerich
481 oder 482 starb Childerich und wurde in Tournai bestattet. Sein Grab wurde im Jahr 1653 gefunden und erregte schon damals großes Aufsehen. In seinen Grabbeigaben spiegelt sich Childerichs Stellung als Frankenkönig und gleichzeitig als römischer Offizier wider. „Der König war mit seinem Pferd, in voller Tracht mit Waffen, Insignien und einem Schatz von Gold- und Silbermünzen bestattet worden. Die prunkvolle Art der Bestattung, die Form der Waffen und der goldene Handgelenkring kennzeichnen den fränkischen König, der Siegelring, die goldene Zwiebelknopffibel und das paludamentum (der von der Fibel gehaltene Mantel) den hohen römischen Offizier“ (EWIG, Merowinger, S. 17). Bei den gefundenen Goldmünzen handelt es sich um mehr als 100 Solidi, die unter den oströmischen Kaisern Leon I. und Zeno geprägt worden waren, also unter Zeitgenossen Childerichs. Besondere Bedeutung kommt dem Siegelring mit der Aufschrift CHILDERICI REGIS zu, denn er zeigt, dass der König mit lateinischem Verwaltungsschriftgut zu tun hatte. Die Titulatur macht weiter deutlich, dass er mehr war als ein ‚warlord‘ und Anspruch auf eine legitime Herrschergewalt erhob, ein Anspruch, den auch Bischof Remigius von Reims in einem Brief an Childerichs Sohn Chlodwig anerkannte.