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4. Die Sehnsucht nach Liebe

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Ein Phänomen, das immer wieder die Fassungskraft des Menschen übersteigt, ist jenes der Liebe. Liebe ist zunächst Antwort auf das zuerst Geliebtwerden. Das Kind wird von der Mutter und den Eltern geliebt und lernt so ganz langsam, was Liebe ist. Es wird angesprochen und spricht zurück, es wird angeblickt und blickt zurück, es wird angenommen und kann langsam lernen, sich auch selbst anzunehmen. Es ist zunächst ganz passiv und kann zum Geliebtwerden nichts beitragen. Geliebtwerden meint hier idealerweise ein Angenommensein, ein zur Entfaltung-gebracht-Werden und nicht durch den Egoismus der Eltern in der Selbstwerdung Blockiertwerden. Mit zunehmendem Alter muss sich das Kind zu diesem Angenommensein und Geliebtwerden verhalten. Es kann sich positiv oder negativ dazu stellen, es kann die Liebe annehmen oder sie ablehnen. Wenn es geliebt wird, ist das positive Antwortengeben auf das Geliebtwerden das „Normale“. Es ist einfach ein Zulassen ohne Widerstand. Die Ablehnung des Geliebtwerdens erfordert eher einen Kraftaufwand. Der Mensch muss sich aktiv dagegen auflehnen. Er stemmt sich gegen etwas, was da ist, er weist aktiv etwas zurück was ihm „gratis“ entgegenkommt.

Ist er nicht geliebt worden, kennt er das Gefühl des grundsätzlichen Angenommenseins nicht und es fällt ihm schwer, später eine neue Liebe zuzulassen, die er nicht kennengelernt hat. Angesichts des Nicht-geliebt-worden-Seins spürt er implizit, dass es eigentlich anders sein sollte. Also auch der Entzug von Geliebtwerden und Angenommensein weist darauf hin, dass es eigentlich so etwas wie Liebe geben sollte. Jeder Mensch kann im Laufe seines Lebens solche Erfahrungen des Nicht-geliebt-Werdens machen, aber er kann die Erfahrungen des Geliebtwerdens auch noch nachholen und so nachträglich etwas empfangen, was ihm nicht von Anfang an entgegengebracht worden ist.

Das Kind lebt vom Du und vom Angenommensein durch den anderen. Jeder Mensch ist daher in seiner Biografie zunächst der Angesprochene, der Angeblickte, der Geliebte. Er wird angesprochen, bevor er selbst sprechen kann, er wird angeblickt, bevor er zurückblicken kann, er ist der Geliebte, bevor er lieben kann. Allerdings ist dieses Geschehen ein ständiger Dialog, und dieser Dialog verläuft nicht so sehr in einer zeitlichen Abfolge des zunächst Geliebtwerdens und des späteren Zurückliebens, sondern in einer ständigen Wechselwirkung mit unterschiedlichen Rollen.

So stellt sich die Frage, ob man vom innerweltlichen Geliebtwerden und Angenommensein zurückschließen kann auf ein letztes Geliebtwerden und Angenommensein. Dieses Angenommensein sollte im Raum des Absoluten vollkommener und bleibender sein als das innerweltliche. Es sollte die reine Liebe sein ohne Mängel, ohne Fehler, ohne Zurückweisung und Enttäuschung, ohne Zerbrechen und ohne Ende. Denn innerweltliche Liebeserfahrungen haben immer auch mit den schmerzlichen Erfahrungen des Abnehmens der Liebe, des Zerbrechens der Liebe und dem Scheitern von Beziehungen zu tun. Diese schmerzlichen Erfahrungen bringen den Menschen zur Reife, sie zeigen ihm die Endlichkeit der Welt sowie die eigene Fehlerhaftigkeit. Aber implizit wünscht sich doch jeder Mensch, dass es nicht so sein sollte, dass es einen Zustand geben sollte, in dem eine tiefe Liebe nicht mehr zerbricht, dass Beziehungen gelingen und aller Streit ein Ende hat. Er sucht den Raum des Geborgenseins und Angenommenseins, des Nicht-mehr-Zerbrechens und des Nicht-mehr-enden-Könnens. Es ist die Sehnsucht nach einer Liebe, die bleibt und nicht mehr untergeht.

Ob es diese letzte absolute Liebe gibt, kann der Mensch von sich aus nicht wissen. Er kann sie sich wünschen, er kann sie in den Himmel und in „Gott“ hineinprojizieren, aber er kann nicht wissen, ob es diese letzte Liebe „wirklich“ gibt. Ob es sie gibt, kann dem Menschen nur von ihr selbst her gezeigt werden. Sie selbst muss sich zeigen und offenbaren. Sie muss aus der Verborgenheit in die Ent-borgenheit heraustreten. Sie muss da sein und sich ent-decken lassen. Das heißt, dass die Decke der Verdeckung und Verborgenheit weggezogen werden muss hinein in die Ent-deckung und Unverborgenheit. Diese letzte Liebe muss sich zeigen und entdeckt werden. Das griechische Wort für Unverborgenheit heißt „aletheia“. Dies wird im Deutschen übersetzt mit „Wahrheit“. Liebe hat etwas mit Entdeckung, mit Unverborgenheit und mit Wahrheit zu tun. Liebe ist ein Geschehen zwischen Personen. Auch die letzte Liebe muss daher personalen Charakter haben. Gott ist die Liebe, heißt es im ersten Johannesbrief (1 Joh 4, 16b).

Die Wahrheit ist in einem bestimmten Sinn ebenfalls ein dialogisches und personales Geschehen. Wahrheit hat man nicht, sondern Wahrheit ereignet sich und tritt im Vollzug des Lebens aus der Verborgenheit ans Licht. Dieses Sich-Zeigen ist ein Prozess, ein Weg. Dieser Prozess ereignet sich im persönlichen Leben und auch in der Weltgeschichte. Die Wahrheit zeigt sich aus der Sache und aus dem Vollzug heraus. Wahrheit bewahrheitet sich im Vollzug. Die Wahrheit hat also auch einen personalen Aspekt und einen Aspekt des Prozesses und des in Erscheinung-Tretens. „Ich bin die Wahrheit“ heißt es im Johannesevangelium (Joh 14, 6). Aus christlicher Sicht ist die Wahrheit personal und lebendig, sie zeigt sich im Vollzug.

Glauben - Wie geht das?

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