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9. „Falsche“ und „richtige“ Gottesvorstellungen

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So kann man zusammenfassend noch einmal nach richtigen und falschen Gottesbildern Ausschau halten. Es war von den Projektionen des Menschen die Rede, dass er sich einen Gott nach seinem Bild entwirft. Dasselbe Phänomen gibt es auch zwischen Menschen. Der Mensch macht sich ein Bild vom anderen. Wenn er sich aber ein Bild vom anderen macht, kann er diesen anderen nie als den wirklich anderen erfassen. Er wird ihn immer nur so sehen, wie er ihn sich durch seine eigene Brille vorstellt. So findet keine wirkliche Begegnung statt. Begegnung heißt, sich immer wieder vorgefertigte Bilder korrigieren zu lassen, dadurch seine Vorstellungen vom anderen abzubauen und den anderen langsam als den wirklich anderen zu erkennen.

Diese Projektionen geschehen auch im Verhältnis des Menschen zu Gott. Mit den vorgefertigten Gottesbildern wird man aber Gott nie als Gott erkennen lernen. Ein gute religiöse Erziehung sollte darauf abzielen, beide Projektionen im Laufe des Lebens langsam abzubauen: die Projektion des eigenen Bildes in den anderen Menschen hinein, das dem anderen als dem anderen niemals gerecht werden kann, und die Projektion in Gott hinein, die nie Gott als Gott erreicht und oft nur einen Götzen hinterlässt. Daher heißt es schon im Alten Testament: „Du sollst dir kein Bild von Gott machen.“ (Ex 20, 4) Und an anderer Stelle: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege“ (Jes 55, 8), und: „So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken.“ (Jes 55, 9)

Ohne Bilder kommt der Mensch aber nicht aus, er lebt in Bildern und Vorstellungen. Es ist daher eine lebenslange Aufgabe, sich immer wieder von diesen Bildern zu verabschieden: Man muss sich die Bilder vom Mitmenschen, aber auch von Gott immer wieder korrigieren lassen. Max Frisch hat herausgearbeitet, dass es das Ende der Liebe ist, wenn der Mensch sich ein Bild vom anderen Menschen macht und ihn in dem Sinne „feststellt“. Die Feststellung: „So bist du eben“, ist das Ende der Liebe.13 Es ist – meint Frisch –, gerade so, dass wir von dem Menschen, den wir lieben, am wenigsten sagen können, wer er ist. Wir lieben ihn einfach. Das Ende der Liebe ist dann gekommen, wenn wir meinen, sagen zu können, wer der andere ist: So bist du eben. Ich bin mit dir fertig.

Liebe hat also etwas mit der Schwebe des Lebendigen zu tun, mit dem Nicht-ganz-fassen-Können des anderen Menschen, dem Nicht-ganz-erfassen-Können von sich selbst und letztlich auch mit dem nicht Erfassen-Können des Göttlichen. Diese Schwebe des Lebendigen muss man aushalten lernen. Es ist geradezu wie das Gehen oder Schweben über das Wasser ohne feste Haltestricke. Diese Schwebe hat etwas zu tun mit der Dynamik des Lebens, mit dem Sich-Entwickeln, dem Weiter-Streben, dem Sich-Übersteigen, dem je neu Entdecken und Entdeckt-Werden. Diese etwas verunsichernde Entdeckungsreise gelingt wiederum nur mit einer festen inneren Anbindung an den Grund allen Seins und in einer festen Verankerung im Absoluten, in dem, den die Christen Gott nennen, der innerlich Halt und Stand bietet trotz aller Veränderungen.

Gerade die Liebe soll versuchen, die Veränderungen mitzugehen und die selbstgemachten Bilder vom anderen langsam abzubauen. Sie soll sich bemühen, den anderen Menschen, der diese Veränderung durchmacht, aber auch den Unbekannten, mehr und mehr zu entdecken und zu „verstehen“. Auch sich selbst soll der Mensch durch all die Veränderungen hindurch besser verstehen lernen. Das Eigenartige ist: Wenn man zum Beispiel ein fröhlicher Mensch ist, dann wird man auf Dauer dieser fröhliche Mensch nur bleiben, wenn man sich innerlich immer wieder verändert und weiterentwickelt. Menschen sagen: Bleib, wie du bist. Daran ist etwas richtig: Man soll so fröhlich bleiben, wie man ist, aber das geht nur, wenn man sich innerlich verändert, weiterwächst und mit dem Lauf des Lebens mitgeht.

Was für Menschen gilt, gilt auch in ganz anderer (analoger) Weise für den letzten Grund des Seins. Der Mensch soll sich kein Bild von Gott machen, da Gott sonst immer in die kleine Welt des Menschen gepresst wird. Ein solches Gottesbild kann Gott nicht Gott sein lassen, sondern macht eine Karikatur aus ihm. Aus falschen Gottesbildern kommen viele „Atheismen“. Viele Atheisten kämpfen gegen selbstgemachte, verzerrte und falsche Gottesbilder. Sie lehnen einen Gott ab, den es nicht gibt. Sie wenden sich von einem Gott ab, den sie sich selbst zusammengebaut haben. Dieser „Gott“ hat mit dem „wahren“ Gott nichts zu tun. Denn den Gott, den es gibt, gibt es nicht, so ähnlich hat es Dietrich Bonhoeffer formuliert. Dieser Gott, den es gibt, ist jener Gott, von dem wir uns ein Bild gemacht haben, der so in der Welt vorkommen soll wie ein Baum oder ein Mensch, und den es so geben soll, wie wir ihn gerne hätten. Er soll verdinglicht werden, damit man ihn gebrauchen kann. Er soll dem menschlichen Willen gehorchen. Gerade so aber kommt Gott in der Welt nicht vor.

Er ist zunächst der Namenlose, der Jahwe des Judentums, dessen Namen man nicht aussprechen und von dem man sich kein Bild machen soll. Er ist das verschwebende Schweigen, das sich langsam beginnt zu zeigen, sich zu äußern und in die Öffentlichkeit tritt. Vielleicht kann man im Schweigen des Zen-Buddhismus eine Ahnung von diesem schweigenden Gott bekommen. Später wird er sich in der Gestalt eines Menschen zeigen.

Glauben - Wie geht das?

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