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8. Annäherungen an plausible Gottesvorstellungen
ОглавлениеWenn man die Suche des Menschlichen nach dem Absoluten, seine Suche nach dem Unerklärlichen, seine Sehnsucht nach Bleibendem, seine Sehnsucht nach Liebe und Angenommensein und seine Sehnsucht nach Unzerstörbarem über den Tod hinaus zusammendenkt, kann man versuchen, sich heranzudenken an Gottesvorstellungen, die für ihn einigermaßen plausibel sind. Mancher Mensch setzt einfach voraus, dass es einen Gott „gibt“. Aber woher weiß er das? Schafft er sich nicht seinen Gott nach seinem Bild? Erfindet er nicht einen Gott nach den Kriterien, die seiner Sehnsucht entsprechen? Vielleicht sind diese Vorstellungen auch Ausdruck davon, dass er mit dem Leben nicht zurechtkommt und Angst hat vor dem Leben oder dem Tod? Möglicherweise will er auch jemanden verantwortlich machen für das Chaos und das Leid in der Welt?
Wie kommt der Mensch von seinem erfundenen und gedachten Gott zum „wahren“ Gott? Wie kommt er von dem Gott, den er selber projiziert hat, (Feuerbach) zu jenem Gott, der „wirklich“ da ist, der „existiert“,12 und der das Sein im Innersten zusammenhält? Wie schafft er den Überstieg aus seiner menschlichen Perspektive hinein in jenen Raum, der wirklich der Raum Gottes selbst ist? Kann der Mensch überhaupt in jene andere Dimension Gottes hineinkommen, so dass er tatsächlich von Gott her auf die Welt schaut? Anders gefragt: Wie kann „Gott“ den Menschen hinüberziehen auf seine Seite, sodass der Mensch von dort her die Welt und die eigene Existenz betrachtet?
Die erste Frage nach Gott geht – so hatten wir schon gesagt – vom Menschen aus. Es ist die philosophische Frage nach dem Absoluten. Die zweite Frage ist, ob es dieses Absolute gibt und wie dieses Absolute in dieser Welt „da“ ist. Die dritte Frage ist, wie man es findet. Die vierte, ob das Absolute indirekt da ist oder direkt, ob es personal ist, apersonal oder sächlich. Diese Fragen wurden bisher schon teilweise beantwortet. Die zentrale Frage aber ist, ob es denkbar ist, dass dieses Absolute über das indirekte und implizite Dasein in den Dingen auch explizit selbst in Erscheinung treten und mit dem Menschen Kontakt aufnehmen kann.
Kontakt aufnehmen mit dem Menschen kann nur ein Wesen, das mindestens die „Ausstattung“ des Menschen hat: Es muss Geist, Vernunft, Verstand und möglichst auch Gefühl und Gespür haben. Es müsste ein personales Gegenüber sein, das von sich selbst sagen kann, welche Eigenschaften es besitzt. Es müsste sich in einem ersten Schritt dem Menschen zeigen und bekannt geben, dass es da ist und als personales Gegenüber in Erscheinung tritt. Zweitens müsste es über das Bekenntnis seines Daseins hinaus auch etwas über sein So-sein aussagen, nämlich wie es ist, ob es gut oder böse, barmherzig oder unbarmherzig, liebend oder strafend ist. Es müsste schrittweise sein Innerstes preisgeben. Es müsste sich offenbaren. Sonst wären es wieder nur menschliche Projektionen.
Wenn man die Frage stellt, ob dieses Absolute abstrakt oder konkret, implizit oder explizit ist, ob es sächlich ist wie ein Schicksal, personal mit bestimmten Eigenschaften oder apersonal, dann kann man zunächst auf die Sprache rekurrieren, denn diese stellt nur eine gewisse Auswahl zur Verfügung: Ich, du, er, sie, wir, ihr, sie sind personale Pronomina, die für Personen stehen, „es“ ist ein sächliches Pronomen wie zum Beispiel „das Schicksal“. Das Apersonale als dritte Möglichkeit könnte man als die Öffnung auf das nichtthematisierte Personale bezeichnen. Wenn man in den Meditationen des Zen-Buddhismus leer werden soll und sich gerade nicht einem Du zuwendet wie in einem Gebet (das auch sehr still und ohne Worte sein kann), dann kann dieses Leer-Werden Raum schaffen für das Sein und eine unthematisierte Öffnung darstellen auf ein nicht thematisiertes „Du“.
An dieser Stelle kann der Mensch sich offensichtlich entscheiden, was ihm plausibel erscheint. Er kann an eine Schicksalsmacht glauben, die er nicht beeinflussen kann und die alles Mögliche bewirken kann in dieser Welt, Gutes und Böses, Krankheit und Gesundheit, Glück und Unglück, Heil oder Unheil. Er kann sich auch durch das Leer-Werden einem apersonalen Sein öffnen, das da anwesend ist und alles durchwirkt. Er kann dieses Sein und den Grund allen Seins aber auch mit einer personalen Macht verbinden, die gut ist. Ob es diese Macht gibt, ob sie gut ist und ob sie die Wahrheit ist, kann man indirekt erschließen, letztlich wissen kann man es erst, wenn diese „Macht“ sich selbst dem Menschen zeigt. Das Gute müsste sich als der Gute in der Welt zeigen.
So entwickelt sich hier ein Dialog: Der Mensch kann seine Plausibilitäten durchgehen: ob es plausibler ist, an irgendein höheres unberechenbares Wesen zu glauben, das hinter allem steht, an ein Du, das denkt und einen Willen hat – oder an etwas Apersonales oder an ein Nichts. Und wenn er sich entschließt, zum Beispiel an ein personales Du zu glauben, das es gut mit dem Menschen meint, das seiner Sehnsucht nach Liebe, Geborgenheit, Sinnfindung und Ewigkeit entgegenkommt, dann kommt es offensichtlich nur noch darauf an, dass dieses Du, das der Mensch sich erhofft, ihm auch tatsächlich aus der göttlichen Welt entgegenkommt. Dieses letzte Gute müsste alles innerweltlich Gute übersteigen und Urheber all des Guten sein.
Selbst wenn der Mensch an nichts glaubt, wird er sich doch schwertun, zu leugnen, dass – wie schon ausgeführt – man sich am Positiven orientieren muss, um das Negative als negativ zu erkennen, und am Absoluten, um das Relative als relativ zu verstehen. So zeigen sich schon aus einer innerweltlichen Logik bestimmte Asymmetrien und legen bestimmte Attitüden des Absoluten nahe. Es gibt schon in dieser Welt Hinweise, dass nicht alles gleich gültig ist, dass es Unterschiede und Orientierungsmöglichkeiten für eine Ausrichtung in der Welt gibt. Wenn der Mensch auf der Suche nach dem Absoluten ist, legen sich Werte wie Wahrheit und Güte, Lebensbejahung und Sinnfindung, Logik des Geistes sowie Personalität mit Vernunft und Willen für dieses Absolute nahe. Inwieweit ein apersonales Denken das personale überragen kann, soll hier nicht diskutiert werden. So verhält sich der Mensch in allem, was er tut, irgendwie zu diesem absoluten Horizont des Seins unabhängig davon, ob dieser Horizont sich seinerseits zeigt.
Dieser unthematische Horizont, der immer da ist, muss eigens thematisiert werden. Damit tut der Mensch sich schwer, denn seine Weltinterpretation ist heutzutage weithin eine naturwissenschaftliche. Aus dieser „Welterklärungsformel“ versucht er sein Leben zu verstehen. Und zu dieser Welterklärung gehört manchmal auch die Frage nach Gott. Aber hier wird es schon schief. Denn hier wird Gott zu etwas Zusätzlichem zur Welt gemacht statt ihn zu sehen als denjenigen, der in allem anwesend ist. Er ist in allem anwesend „da“ und gleichzeitig jenseits von allem, er ist der Grund von allem. So muss der Mensch vor allem an seinen Gottesbildern arbeiten. Denn den Gott, den es in der Vorstellung des Menschen „gibt“, den gibt es womöglich gar nicht. Wenn es Gott als Gott gibt, dann ist dieser anders als die Vorstellung des Menschen von ihm. Die Projektion des Menschen aus seiner Perspektive in Gott hinein kann immer nur zu einem „Übermenschen“ führen, niemals aber zu dem Gott als Schöpfer, Grund und innerste Mitte dieses unglaublichen Universums vorstoßen.
So wie sich Gottesbilder in der Geschichte immer wieder ändern, so ändern sich auch die Gottesvorstellungen in der Biografie des Einzelnen. Man müsste herausarbeiten, in welchen Lebensphasen welche Gottesbilder auftauchen. Vielleicht sind es zunächst ganz kindliche und naive Gottesbilder, dann kritische Hinterfragungen, dann unbewusste und unreflektierte Übernahmen von Gottesvorstellungen der Eltern, aus der Tradition, schließlich vielleicht durchreflektierte und für sinnvoll erachtete, aufgeklärte Gottesvorstellungen, oder auch totale Ablehnungen. Bei Letzterem muss man fragen, welcher Gott oder welche Gottesvorstellungen eigentlich abgelehnt werden. Meistens wird ein Gott abgelehnt, den der Mensch sich selbst gemacht hat und den es gar nicht gibt. Oft gibt es auch die Haltung des „Ich weiß nicht“ (Agnostiker) oder des „Es-ist-mir-egal“ bis hin zu der Äußerung, dass Menschen sagen: „Wir glauben nicht an Gott, wir sind auch keine Atheisten, wir sind einfach ganz normal.“