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2. Die Fragen des Menschen
ОглавлениеSchon das kleine Kind hat Fragen. Es schaut neugierig in die Welt. Es will die Welt erkunden. Es tastet sich voran. Es fasst die Gegenstände an, be-greift sie. Später will es die Welt geistig begreifen. Es will die Welt und sich selbst verstehen lernen. Ein heranwachsendes Kind sucht nach etwas und weiß vielleicht noch gar nicht wonach. Es hat ein Problem, das es nicht lösen kann. Es stößt auf ein Wort, das es aufhorchen lässt, oder auf ein Ereignis, das sein Leben verändert. Es wird herausgefordert, auf das Geschehene zu reagieren. Es wird von etwas bewegt, über das es nachdenken möchte.
Vielleicht nimmt es später ein Buch zur Hand, um Antworten zu finden. Es ist neugierig geworden. Es schlägt das Buch auf und liest: Wort für Wort, Kapitel für Kapitel, das ganze Buch. Womöglich findet es Antworten. Vielleicht wendet es sich auch gelangweilt ab. Das Buch ist nichts für mich. Es findet darin nicht, was es sucht. Was sucht es eigentlich? Oft weiß es das nicht genau. Irgendetwas bewegt sein Herz. Aber was ist das? Was bewegt den (jungen) Menschen im Innersten, was bringt in ihm eine Saite zum Klingen? Welche Fragen sollen ihm beantwortet werden? Immerhin: Irgendetwas löst in ihm eine innere Bewegung aus. „Movere“ heißt bewegen, so entsteht ein Motiv.
Ein anderer Mensch hört gerne Musik. Er merkt, dass ihn das innerlich anspricht. Manchen bewegt ein schöner Sonnenuntergang, ein Bild, ein Gespräch, ein Wort. Und dann ist da die erste Liebe, welch ein wunderbares Gefühl. Die Welt steht einem offen, es gibt keine Grenzen mehr. Mancher ist aber auch durch nichts zu bewegen. Er ist tot und abgestorben. Null Bock auf nichts. Da ist nur der trübe Alltag, Schule, Arbeit, Pflichterfüllung. Da bewegt sich nichts, da ist alles grau. Wie kommt man da heraus? Wie kann das Leben bunt werden? Wie kann das Leben lebendig, farbig und spannend werden? Wer gibt Antwort auf diese Fragen? Die Eltern, die Schule, der Staat? Mit jedem Tag tauchen neue Fragen auf, vielleicht wird alles immer grauer, vielleicht geht aber auch jemandem ein Licht auf, etwas leuchtet ihm ein, ein erstes inneres Verstehen, es wird heller. So kommen neue Herausforderungen, neue Probleme, neue Fragen. Irgendwie muss man damit fertigwerden. Das Leben geht weiter. Das Leben lässt einen nicht in Ruhe. Die Zeit kann niemand anhalten.
Es kann auch sein, dass ein Kind mit seinen Eltern durch die Stadt geht und fragt, was diese eigenartigen Gebäude mit den hohen Türmen sind. Es bemerkt womöglich, dass sie anders aussehen als normale Häuser. Vielleicht fragt es, wer da wohnt. Manchmal lernt es etwas davon in der Schule. Das könnte im Geschichtsunterricht sein, in Religion oder in einem anderen Fach. Vielleicht sagt ihm jemand, dass dies eine Kirche ist, vielleicht auch eine Synagoge, eine Moschee. Was aber ist eine Kirche, eine Synagoge, eine Moschee? Haben diese Gebäude etwas mit Religion zu tun? Was ist überhaupt Religion? Religion interessiert mich nicht, sagen viele. Sind es nicht Gebäude aus alter Zeit ohne Bedeutung für die Gegenwart? Sie gehören zur Kultur des Landes. Braucht man sie oder soll man sie nicht besser abreißen?
Wahrscheinlich sind die Fragen, die sich den Menschen stellen, überall auf der Welt ähnlich: Wie finde ich mein Glück, wie gelingt mein Leben, warum ist die Welt so ungerecht, wieso gibt es Krankheit und Leid, warum gibt es so viele Tränen, wie steht es mit dem Tod, warum zerbricht meine Liebe, wieso gibt es nichts Bleibendes? Wie steht es mit der Beziehung zum Mitmenschen, zu den Eltern, zur ersten Liebe. Wie verdiene ich viel Geld, wie finde ich einen guten Beruf, wie einen guten Lebenspartner. Neben all diesen Fragen gibt es aber auch das Staunen über die Welt. Das Staunen über die Größe des Kosmos und des Weltalls, das seit 13 Milliarden Jahren existiert und sich nach wie vor ausdehnt. Es gibt auch das Staunen über einen Organismus, über einen Grashalm, der mittels Photosynthese Sonnenlicht, Wasser und CO2 in Stärke (Zucker) verwandeln kann. Grüne Pflanzen sind eine der Grundlagen des Lebens und gewaltige chemische „Fabriken“.
Alles Philosophieren beginnt mit dem Fragen, dem Staunen über die Welt oder mit dem Verzweifeln am eigenen Leben. In früheren Zeiten war es wohl eher das Staunen über die Schönheit und Größe der Natur. „Ho anthropos“ ist der griechische Begriff für Mensch. „Anthropos“ heißt frei übersetzt: das Wesen, das schaut und staunt über die Großartigkeit der Welt. Heute ist es vielleicht eher der Zweifel, die Leere oder gar die Verzweiflung, die den Menschen nachdenken und philosophieren lässt.
So versucht der Mensch, sein Leben schrittweise zu bewältigen. Eines scheint deutlich zu sein: Es gibt eine Vielfalt der Zugänge zum Leben, jeder ist dort in seine Umgebung hineingeworfen und muss nun damit zurechtkommen. Aber sowohl das Schöne als auch die Grenzerfahrungen, die der Mensch macht, führen ihn über seine kleine Welt hinaus. In dem Maße er die Grenze als Grenze und das Endliche als endlich erkennt, ist er mit seinem Geist implizit schon darüber hinaus. Er steht schon in einem anderen, einem „absoluten Raum“, sonst könnte er die Grenze gar nicht als Grenze und das Endliche gar nicht als endlich erkennen. (Hegel)
Der Mensch denkt über das Leben nach. Er fragt, warum die Dinge so sind. Dies ist eine Art zu philosophieren. Insofern ist jeder Mensch ein Philosoph. Der eine ist es mehr, der andere weniger. Der eine fragt nach dem Unerklärlichen, der andere nimmt es als gegeben hin. Der eine „muss“ nachdenken und will die Dinge verstehen, der andere versteht gar nicht, warum man sich so viele Gedanken macht. Er will das Leben einfach leben und genießen. Antworten auf die Fragen geben die Eltern, die Schule, die Universität, die Philosophie, die Wissenschaften, die Religionen, vielleicht auch die Theologie.