Читать книгу Ein tödliches Komplott - Matthias Boden - Страница 10

6. Kapitel Vereinigte Staaten, Portland (OR)

Оглавление

Schon seit Stun­den ob­ser­vier­te Vi­vi­an Bur­ge­ss nun schon das Hoch­haus im Her­zen von Port­land. Das Pa­ket soll­te erst im Lau­fe des Ta­ges ge­lie­fert wer­den, hat­te sie von ih­rer Freun­din Tia­na er­fah­ren. So­eben saß sie im Au­ßen­be­reich ei­nes klei­nen Re­stau­rants und ge­noss Tag­lia­tel­le in ei­ner herr­li­chen Weiß­wein­sau­ce. Sie kann­te das Lo­kal noch nicht, fühl­te sich von der Spei­se­kar­te auch nicht be­son­ders an­ge­lockt, aber es war der ein­zi­ge Stand­ort, von dem aus sie un­ge­fähr­det den Ein­gang des ge­gen­über­lie­gen­den Hoch­hau­ses über­wa­chen konn­te. Im­mer, wenn sie dach­te, ihr Päck­chen wür­de end­lich ge­lie­fert wer­den, stell­te sich der po­ten­zi­el­le Agent als Ge­schäfts­mann her­aus, der einen Ter­min wahr­nahm.

Den letz­ten Bis­sen ih­rer Mahl­zeit spül­te sie mit ei­nem Glas fri­sches Quell­was­sers hin­un­ter. Gera­de in die­sem Mo­ment sah sie einen Mann in zer­schlis­se­nen Kla­mot­ten das Hoch­haus be­tre­ten. Sein An­zug schi­en schon vie­le Jah­re in ei­nem Schrank ge­la­gert wor­den zu sein. Die Mot­ten hat­ten ei­ni­ge Lö­cher in dem Stoff hin­ter­las­sen, die not­dürf­tig mit ei­ni­gen Fli­cken ka­schiert wur­den. Der Trä­ger war ein äl­te­rer Mann, der sei­ne bes­ten Zei­ten schon lan­ge hin­ter sich ha­ben muss­te. Sei­ne Be­we­gun­gen zeug­ten von schmer­zen­den Bei­nen und er ging et­was ge­beugt. Vi­vi­an hat­te das Ge­fühl die­sen Mann be­reits schon ein­mal ge­se­hen zu ha­ben. Sie konn­te sich al­ler­dings nicht er­in­nern, wo das ge­we­sen sein könn­te.

Der et­was äl­te­re be­trat das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de, hielt sich aber nicht am Empfang auf, son­dern steu­er­te di­rekt auf den Auf­zug zu. Ent­we­der kann­te sich der al­te Mann hier aus, oder es war ihr Ku­ri­er, dach­te sich Vi­vi­an. Sie muss­te ihm fol­gen, um ih­re ei­ge­nen Er­mitt­lun­gen am Le­ben zu er­hal­ten. Al­ler­dings zwei­fel­te sie ernst­haft dar­an, dass die­ser Mann im Dienst von SNB stand. Sei­ne Tar­nung mit dem al­ten schlech­ten An­zug und so un­vor­sich­tig wie er zu Wer­ke ging konn­te er ei­gent­lich kein Agent sein. Trotz­dem lag es jetzt an ihr, die­sem Ge­heim­dienst auf die Spur zu kom­men. Vi­vi­an be­zahl­te ihr Es­sen beim Kell­ner und war­te­te an der nächs­ten Stra­ßen­e­cke auf den Be­su­cher.

Kurz dar­auf kam der Mann mit dem zer­schlis­se­nen An­zug wie­der aus dem Ver­wal­tungs­ge­bäu­de und trat in die Früh­lings­son­ne in Port­land. Vi­vi­an be­ob­ach­te­te ihn aus si­che­rer Ent­fer­nung. Als er sei­nen Weg an­trat, blieb sie hin­ter ihm und folg­te ihm ver­steckt durch die be­leb­te Groß­stadt. Sein Weg führ­te durch die en­gen Stra­ßen­schluch­ten bis zu ei­ner Bus­hal­te­stel­le. Vi­vi­an hat­te nicht da­mit ge­rech­net, dass ein Agent mit dem Bus fah­ren wür­de. Sie brauch­te auf die schnel­le ei­ne Idee, wie sie mög­lichst un­er­kannt an ihm dran­blei­ben konn­te. Sie ent­schied sich in die Of­fen­si­ve zu ge­hen und et­was ab­seits von ihm auf den Bus zu war­ten. Wäh­rend er völ­lig ru­hig und ge­las­sen vor dem Häu­schen der Hal­te­stel­le stand, pirsch­te sie sich et­was ab­seits von hin­ten an das Häu­schen her­an und war­te­te. Sie ließ den al­ten Mann nicht aus den Au­gen.

Sein Pro­fil glit­zer­te in der noch schwa­chen Son­ne. Das Ge­sicht war mit tie­fen Fal­ten durch­zo­gen und die grau­en Haa­re hat­ten sich wie zu ei­nem Hei­li­gen­schein um sei­nen an­sons­ten un­be­haar­ten Kopf zu­rück­ge­zo­gen. Er trug ei­ne di­cke Horn­bril­le auf der Na­se. Vi­vi­an konn­te er­ken­nen, dass er oh­ne sein Na­sen­fahr­rad so gut wie nichts mehr er­ken­nen konn­te. Das mach­te ihr Hoff­nung un­er­kannt zu blei­ben, wenn sie ihm folg­te. Als der Bus an­kam, zog er sein Ticket aus der Ta­sche und war­te­te dar­auf, dass der Fah­rer die Tü­ren öff­ne­te. Ne­ben ihm stan­den noch ei­ni­ge wei­te­re Fahr­gäs­te. Vi­vi­an be­weg­te sich eben­falls in die War­te­schlan­ge zum Ein­stei­gen, blieb aber au­ßer­halb sei­nes Sicht­felds. In den Fil­men sah das im­mer leich­ter aus, je­man­dem un­er­kannt zu fol­gen.

Mit ei­ni­ger An­stren­gung und ei­nem lei­sen Stöh­nen er­klomm der Mann die Ein­stiegs­stu­fe des Bus­ses. Un­be­darft zeig­te er dem Chauf­feur sein Ticket und warf einen Blick in den Fahr­gas­traum. Nur ei­ni­ge Fahr­gäs­te sa­ßen auf den dun­kel­grau­en plas­ti­k­über­zo­ge­nen Sit­zen. Im hin­te­ren Be­reich sa­ßen ei­ni­ge Schü­ler, die sich vor ei­nem jun­gen Mäd­chen be­tont cool ga­ben. Der ganz nor­ma­le Wahn­sinn wie in je­dem Bus. Als Vi­vi­an an der Rei­he war, zog sie ihr Por­te­mon­naie aus ih­rer klei­nen Hand­ta­sche und kauf­te sich ei­ne Fahr­kar­te bis zur End­sta­ti­on. Da sie nicht wuss­te, wann ih­re Ziel­per­son den Bus wie­der ver­ließ, woll­te sie auf der si­che­ren Sei­te sein.

Sie durch­quer­te den Mit­tel­gang und be­weg­te sich selbst­be­wusst an ih­rer Ziel­per­son vor­bei wei­ter nach hin­ten. Sei­nen Sitz hat­te er im vor­de­ren Teil des Fahr­zeugs ge­fun­den. Sie setz­te sich et­was wei­ter hin­ten in das Fahr­zeug auf einen frei­en Sitz auf der glei­chen Sei­te. Um sie zu ent­de­cken, müss­te er schon den Kopf um hun­dert­acht­zig Grad dre­hen. Vi­vi­an ver­such­te sich ih­re Ner­vo­si­tät nicht an­mer­ken zu las­sen, aber das Ad­rena­lin pump­te in großen Men­gen durch ih­re Blut­bahn. Wenn der al­te Mann sie ent­de­cken wür­de, müss­te sie wie­der ei­ni­ges er­klä­ren. Al­ler­dings schi­en der po­ten­zi­el­le Agent nicht wei­ter auf sei­ne Mit­fah­rer zu ach­ten. Vi­vi­an er­fuhr wäh­rend­des­sen ei­ni­ge Be­ach­tung durch die jün­ge­ren Fahr­gäs­te im hin­te­ren Teil. Das jun­ge Mäd­chen hat­te sich Kopf­hö­rer auf­ge­setzt und ach­te­te nicht wei­ter auf die Sprü­che der Gleich­alt­ri­gen. Die­se hat­ten sich jetzt Vi­vi­an aus­ge­sucht, um ih­re Ver­su­che an­zu­brin­gen.

Es dau­er­te nur ei­ni­ge Se­kun­den bis ei­ner der Te­stos­te­ron­ge­steu­er­ten Jüng­lin­gen mit tau­sen­den Pi­ckeln an­fing sie zu be­zir­zen. Vi­vi­an woll­te ihn, oh­ne großes Auf­se­hen, wie­der los­wer­den, um ih­re Ziel­per­son nicht auf sie auf­merk­sam zu ma­chen. Sie ent­schied sich für einen be­son­de­ren Auf­tritt dem jun­gen Ge­gen­über. Sie be­dach­te ihn mit ei­nem ab­schät­zi­gen Blick und ließ ihn auf sei­ner Kör­per­mit­te ei­ni­ge Se­kun­den ver­wei­len. Dann setz­te sie ein klei­nes Lä­cheln auf, beug­te sich zu sei­nem Ohr und flüs­ter­te ihm zu, »Nächs­tes Jahr, wenn du voll­jäh­rig wirst, darfst du mich ger­ne noch­mal an­spre­chen. Ich ha­be im­mer Be­darf an neu­en Skla­ven, die mein Le­ben fi­nan­zie­ren und sich für ein Le­ben ent­schei­den, dass ih­nen das Ab­sprit­zen ver­bie­tet. Wann wirst du denn voll­jäh­rig?«

Der Jun­ge mach­te ein er­schro­cke­nes Ge­sicht und ver­zog sich so­fort wie­der zu­rück zu sei­nen Kol­le­gen. Vi­vi­an lä­chel­te, denn kurz dar­auf be­gann das Ge­tu­schel un­ter den Ju­gend­li­chen auf den hin­te­ren Sitz­plät­zen. Die­se kur­ze An­sa­ge hat­te aus­ge­reicht, um dem Ju­gend­li­chen klarzu­ma­chen, dass er nicht das ge­rings­te bei ihr zu su­chen hat­te. Das hat­te sie in ei­ni­gen Jah­ren be­reits ge­lernt. Den jun­gen ging es nur dar­um ei­ne hüb­sche Frau ins Bett zu be­kom­men. Wenn man ih­nen aber di­rekt klar­mach­te, was sie mit ihr er­war­ten wür­de, ver­zo­gen sie sich. Wenn es hieß, nicht mehr eja­ku­lie­ren zu dür­fen, zog sich ih­re ver­grö­ßer­te Li­bi­do so­fort zu­rück und ver­steck­te sich. Der Funk un­ter den Ju­gend­li­chen er­le­dig­te dann den Rest, denn kei­ner hat­te dar­an ernst­haf­tes In­ter­es­se. Selbst, wenn konn­te er sich im Krei­se sei­ner Freun­de nicht leis­ten dar­auf an­zu­sprin­gen.

Die Li­nie des Bus­ses führ­te im­mer wei­ter aus der In­nen­stadt von Port­land hin­aus. Die Häu­ser an der Stra­ße wur­den deut­lich klei­ner und die Men­schen we­ni­ger. Ih­re Ziel­per­son ei­ni­ge Rei­hen vor ihr schau­te ver­träumt aus dem Fens­ter. Im­mer mehr Grün tauch­te an der Stra­ße auf und die großen Bü­rotür­me der In­nen­stadt ver­schwan­den hin­ter ih­nen im Ab­gas­ne­bel. Auch die Ab­stän­de zwi­schen den Hal­te­stel­len wur­den im­mer grö­ßer. Vi­vi­an warf einen Blick auf den Stre­cken­ver­lauf, der als Dia­gramm über ihr hing. Die An­zei­ge auf dem Mo­ni­tor im vor­de­ren Teil hin­ter dem Fah­rer zeig­te ihr, dass sie nur noch ei­ni­ge Hal­te­stel­len bis zur End­sta­ti­on hat­ten.

Erst als die vor­letz­te Hal­te­stel­le auf der Rou­te an­ge­sagt wur­de, mach­te sich ih­re Ziel­per­son be­reit aus­zu­stei­gen. Sie wa­ren in ei­ner ziem­lich spär­lich be­sie­del­ten Vor­stadt an­ge­kom­men. Die klei­nen Häu­ser am Stra­ßen­rand wa­ren al­le­samt in ei­nem eher er­bärm­li­chen Zu­stand. Die Far­be der Fassa­den war ver­blasst oder hing schon in lan­gen Fet­zen an den Be­hau­sun­gen her­un­ter. Vi­vi­an konn­te sich noch gut an die­se Art zu le­ben er­in­nern. Auch sie war erst seit ih­rer Aus­bil­dung lang­sam aus so ei­ner Ge­gend in die Stadt ge­flüch­tet. Ih­re Woh­nung war zwar auch nicht ge­ra­de ei­ne Man­sar­de in ei­nem an­ge­sag­ten Vier­tel der Stadt, aber zu­min­dest war sie ru­hig und doch zen­tral ge­le­gen. Sie hat­te so­gar den Vor­teil ei­ne U-Bahn-Sta­ti­on in ih­rer Stra­ße zu ha­ben. So brauch­te sie bis in die In­nen­stadt nur ei­ni­ge Mi­nu­ten.

Als der Bus an­hielt und ih­re Ziel­per­son mit ei­nem un­si­che­ren Schritt auf den schmut­zi­gen As­phalt das Fahr­zeug ver­ließ, schick­te sie sich auch an das Ve­hi­kel zu ver­las­sen. Der al­te Mann be­ach­te­te sie nicht, als er sich in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung des Bus­ses auf den Weg mach­te. Vi­vi­an blieb ei­ni­ge Se­kun­den ver­wirrt an der Bus­hal­te­stel­le ste­hen und sah ihm un­si­cher hin­ter­her. Das konn­te beim bes­ten Wil­len kein Agent des SNB sein. Trotz­dem muss­te sie an ihm dran­blei­ben. Der Weg soll­te nicht um­sonst sein und sie woll­te zu­min­dest in Er­fah­rung brin­gen, wer das war und was er da­mit zu tun hat­te.

Sie folg­te ihm noch ei­ne gan­ze Wei­le in si­che­rem Ab­stand zu ei­nem ver­wil­dert aus­se­hen­den Haus in ei­ner schreck­lich aus­se­hen­den Stra­ße. Im­mer wie­der muss­te der Al­te vor ihr ei­ne kur­ze Pau­se ein­le­gen, um den Weg zu über­ste­hen. Er war nicht mehr wirk­lich so fit auf den Bei­nen und brauch­te die Pau­sen wohl um Luft zu ho­len. Das Haus, auf das er zu­steu­er­te, war von ei­nem al­ten ver­ros­te­ten Zaun um­ge­ben und die Bü­sche im Vor­gar­ten schie­nen seit Jahr­zehn­ten nicht mehr zu­rück­ge­schnit­ten wor­den zu sein. Sie rag­ten me­ter­hoch vor der bei­gen Fassa­de auf, die ein­mal in Weiß ge­stri­chen wur­de. Der al­te Mann zog sei­nen Schlüs­sel aus der Ta­sche sei­nes An­zugs und be­trat das Haus. Vi­vi­an sah ihm von wei­tem zu. Das Si­de­board, was sie im Flur ste­hen sah, war ge­nau­so ab­ge­ta­kelt wie der An­zug, den ih­re Ziel­per­son trug.

Vi­vi­an ent­schied sich nach we­ni­gen Mi­nu­ten ih­rer Ziel­per­son zu fol­gen und lief an sei­nem Brief­kas­ten vor­bei. Ein Na­me war nicht dar­auf ver­merkt, aber es la­gen ei­ni­ge Brie­fe dar­in. Vor­sich­tig sah sie sich um und als nie­mand zu se­hen war griff sie sich einen der Brie­fe auf dem die Adres­se an­ge­ge­ben war. Auf dem Weg zu­rück zur Bus­hal­te­stel­le sah sie sich den Na­men des Emp­fän­gers an. Das Schrei­ben war an einen Cur­tis Cha­se adres­siert. Das war al­so der Na­me des Agen­ten, den sie ver­folgt hat­te. Wäh­rend sie auf ih­re Fahr­ge­le­gen­heit in die Stadt war­te­te, nahm sie ihr Mo­bil­te­le­fon aus der klei­nen Hand­ta­sche und schrieb ei­ne Nach­richt an ih­re Freun­din Tia­na Niel­sen, für die sie die­sen Auf­trag über­nahm. Ih­re Freun­din soll­te am Abend den Na­men über­prü­fen und al­les her­aus­fin­den, was in­ter­essant sein könn­te.

Die Bus­fahrt zu­rück nach Port­land mach­te sich Vi­vi­an ei­ni­ge Ge­dan­ken zu dem al­ten Mann, den sie bis in die graue Vor­stadt ver­folgt hat­te. Das konn­te de­fi­ni­tiv kein Agent des SNB sein, es sei denn er hat­te die fast per­fek­te Tar­nung. Die gan­ze Fahrt über mach­te sie sich die ver­schie­dens­ten Ge­dan­ken und ent­warf in ih­rem Kopf ein paar mög­li­che Sze­na­ri­en. Trotz­dem muss­te sie da­von aus­ge­hen wie­der je­man­den ver­folgt zu ha­ben, der nur einen klei­nen Auf­trag er­le­dig­te. Die ers­te Ver­fol­gung führ­te sie auch nur zu Tia­na die, wie sie selbst ei­ni­ge Auf­trä­ge für das SNB er­le­di­gen durf­te. An die Or­ga­ni­sa­ti­on war schein­bar kein her­an­kom­men.

In der In­nen­stadt wisch­te sie die ne­ga­ti­ven Ge­dan­ken bei­sei­te und kon­zen­trier­te sich auf ih­ren Auf­trag. Sie be­trat das Ver­wal­tungs­ge­bäu­de und nahm den Fahr­stuhl bis in die 14. Eta­ge. Dort wand­te sie sich nach links und folg­te dem Gang bis zur Feu­er­trep­pe an der Au­ßen­sei­te. Dort war der Kas­ten des Was­ser­schlauchs, des­sen Ver­schluss be­reits ge­öff­net war. Noch ein­mal blick­te sie sich um, ob sie nie­mand be­ob­ach­te­te, aber nie­mand be­ach­te­te die jun­ge Frau. Vi­vi­an öff­ne­te den Kas­ten und sah das in hell­blau­en Plas­tik ein­ge­schla­ge­ne Pa­ket dar­in lie­gen. Sie nahm es in die Hand und ließ es un­ter ih­rer dün­nen Ja­cke ver­schwin­den. Mit dem Obe­r­arm press­te sie es un­ter ih­re Ach­sel und ging zu­rück zum Auf­zug. Erst dort ver­stau­te sie das Päck­chen in ih­rem hin­te­ren Ho­sen­bund. So ver­ließ sie das Bü­ro­ge­bäu­de und ging hin­über zu dem Re­stau­rant, in dem sie schon den hal­b­en Tag auf der Lau­er lag. Die­ses Mal nahm sie sich einen Tisch im In­nen­raum. Den Kell­ner ließ sie nur ein Er­fri­schungs­ge­tränk brin­gen.

Als es vor ihr auf dem Tisch stand, nahm sie einen tie­fen Schluck aus dem Glas. Dann stand sie auf und ver­schwand auf der Toi­let­te. Vi­vi­an schloss sich in ei­ner Ka­bi­ne ein und be­frei­te das Pa­ket. Sie setz­te sich auf den Thron und be­trach­te­te das Päck­chen in ih­rer Hand. Es war nicht be­son­ders groß und wog auch nur ei­ni­ge hun­dert Gramm. Sie woll­te end­lich wis­sen, was sie da trans­por­tier­ten, wenn sie schon nicht her­aus­fin­den konn­ten, wer hin­ter der Or­ga­ni­sa­ti­on steck­te. Mit feuch­ten Hän­den zog sie die di­cke Plas­tik­fo­lie auf die Sei­te. Heraus kam ein wei­ßer Block in der Grö­ße ei­ner Han­dypa­ckung, der er­neut mit ei­ner durch­sich­ti­gen Zel­lo­phan­hül­le um­hüllt war. Das in­ne­re sah aus wie gro­bes Meer­salz, was man zu ei­nem Block zu­sam­men­ge­presst hat­te. So­fort schoss ihr ein un­an­ge­neh­mer Ge­dan­ke in den Kopf. Sie und ih­re Freun­din trans­por­tier­ten Dro­gen für ei­ne an­geb­li­che Bun­des­be­hör­de durch die Stadt.

Sie konn­te die­ses Päck­chen nicht ein­fach blind­lings ab­lie­fern, als ob sie nichts ge­se­hen hät­te. Aber wür­de man sie aus den Au­gen ge­las­sen ha­ben? Wer im­mer auch da­hin­ter­steck­te, muss­te ein In­ter­es­se dar­an ha­ben, die­ses Pa­ket an sei­nen Be­stim­mungs­ort zu brin­gen und den Ku­ri­er wahr­schein­lich über­wa­chen. Vi­vi­an brauch­te auf der Stel­le einen Aus­weich­plan. Sie ent­schied sich da­für, das Päck­chen im Spül­kas­ten des Re­stau­rants zu­rück­zu­las­sen und ein Kauf­haus in der In­nen­stadt auf­zu­su­chen, um dort einen Er­satz zu er­wer­ben, den sie dann ab­lie­fern konn­te. Oh­ne das Pa­ket wei­ter mit sich her­um­zu­tra­gen setz­te sie sich wie­der an ih­ren Tisch. Aus den Au­gen­win­keln ach­te­te sie auf die Per­so­nen um sie her­um.

Nach ei­ni­ger Zeit, ihr Ge­tränk war be­reits leer war sie sie si­cher nicht be­ob­ach­tet zu wer­den. Vi­vi­an be­zahl­te und ver­ließ das Re­stau­rant. Sie nahm Kurs auf einen großen Su­per­markt, im­mer dar­auf ach­tend, dass nie­mand ihr folg­te. Mehr­fach sah sie sich un­si­cher um. Aber je mehr Men­schen sie auch be­ach­te­te, konn­te sie nie­man­den aus­ma­chen, der ihr folg­te. In dem Ver­kaufs­haus an­ge­kom­men steu­er­te sie die Ab­tei­lung mit den Ge­wür­zen an. Sie brauch­te et­was Ver­gleich­ba­res zu dem Pul­ver in der Pa­ckung. Gro­bes Meer­salz war ihr deut­lich zu teu­er, denn die Men­ge, die sie be­nö­tig­te, wür­den ih­re fi­nan­zi­el­len Mög­lich­kei­ten deut­lich über­schrei­ten. Nach ei­ni­gem Um­se­hen fand sie ein Sü­ßungs­mit­tel mit der glei­chen Tex­tur. Zu ih­rem Glück war die­ses Pul­ver auch noch im An­ge­bot. Für klei­nes Geld kauf­te sie sich zwei Pa­ckun­gen da­von. Das nächs­te Ziel war die Zu­be­hör­ab­tei­lung um Plas­tik­beu­tel zu er­ste­hen. Al­les, was sie dann noch brauch­te, war bläu­li­che Plas­tik­fo­lie. Die gab es zum Glück über­all zu kau­fen.

Mit den aus­ge­such­ten Sa­chen steu­er­te sie die Kas­se an und be­zahl­te sie ord­nungs­ge­mäß. Zu­sätz­lich steck­te sie al­les zu­sam­men in ei­ne Tra­ge­tü­te und mach­te sich auf den Weg zu ih­rer Woh­nung. Im­mer wie­der blick­te sie sich deut­lich ner­vös um, aber es war nie­mand zu se­hen, der ihr folg­te. Erst als ih­re Woh­nungs­tür hin­ter ins Schloss fiel und sie die Ket­te vor­leg­te, fühl­te sie sich si­cher. Oh­ne Um­schwei­fe setz­te sie sich an ih­ren Kü­chen­tisch und prä­pa­rier­te das ab­zu­lie­fern­de Päck­chen, wie sie es im Re­stau­rant zu­rück­ge­las­sen hat­te. Als sie da­mit fer­tig war, steck­te sie es wie­der in den hin­te­ren Ho­sen­bund und ver­ließ ih­re Woh­nung zum vor­ge­schrie­be­nen Lie­fer­ort.

Ein tödliches Komplott

Подняться наверх