Читать книгу Smart Capitalism - Matthias Horx - Страница 11

OFFENE MÄRKTE

Оглавление

Wer hat Marktzugang? In der agrarischen Welt waren es diejenigen, die den Marktobulus an den Lehnsherren bezahlen konnten. In der Epoche der Massenproduktion wurde der Eintrittskanal in den Markt immer enger – was sich unter anderem am Rückgang selbstständiger Arbeitsformen zeigte. Wer in der Ära der Massenprodukte etwas vermarkten wollte, brauchte Fabriken, Grund und Boden, Rohstoffe, Handelswege und Kapital.

Das Internet schafft auch hier eine gloriose Befreiung: Der Flaschenhals des Marktzugangs wird deutlich geweitet. Zwar kostet es auch ein wenig Geld plus Kulturtechniken (oder gute Beziehungen zu pickeligen Computerfreaks), eine Website zu basteln und in Gang zu halten. Aber in der Netzwerkökonomie gilt das Hebelgesetz auch für die Kleinen, die Hässlichen, die Abgelegenen – und diejenigen, die in Nöten sind:

 Darin Hayes, ein ehemaliger Werbemann aus Idaho, hat die Website uglies.com gegründet und ist tatsächlich Millionär geworden. Eine abgrundtiefe Website, auf der grauenhafte Unterhosen angeboten werden. Genauer: Boxer-Shorts. In unsäglichen Schnitten und schrillen Farben. Motto: Sie sind so hässlich, dass Ihre Freundin Sie auf Knien bitten wird, sie auszuziehen. Hayes sagt ernsthaft: Wir streben in den nächsten Jahren die Dominanz des Weltmarkts an.

 Sally Robinson ist eine Bäuerin in Wales, die mit ihrem Mann viele Jahre von der Schafzucht lebte, auf einem Hof in vierter Generation. Eine starke, robuste Frau. 1998, die Schafpreise waren gerade wieder einmal tief gefallen, entschloss sich Sally zu einem Nebengeschäft. Sie gründete nach einem Kurs in einer Volkshochschule in der nächsten Kleinstadt die Dot.com-Firma amplebosom.com. Eine Website, die sich mit dem Vertrieb – und der qualifizierten Beratung – von Büstenhaltern für »starke Frauen« – jenseits Oberweite 80 – beschäftigt. Um dieses Geschäft zu verstehen, muss man begreifen, wie schwierig es für Frauen mit extraordinärem Brustumfang ist, an ein so banales Produkt wie einen Büstenhalter zu kommen. Der Weg in die Stadt ist oft weit, Spezialgeschäfte mit Beratungskompetenz sind rar, das Ganze ist oft mit Peinlichkeit und mit Scham besetzt. Deshalb ist es kein Wunder, dass Sally, die nach drei Jahren auf 3,5 Millionen Pfund Umsatz kam, gerade ihre Website professionell ausbaut. Sie will ihre Schafsfarm keineswegs aufgeben, dort empfängt sie Kundinnen und fühlt sich zu Hause. Ihr knorriger Mann sagt grinsend: »Ich muss kein Millionär sein. Aber es ist gut, mit einer zu schlafen.«

 Die beiden Kinder von Sharon Terry aus Boston leiden unter der seltenen Erbkrankheit Pseudoxanthema, ein Leiden, bei dem Kalzium in Herz, Arterien und Netzhaut eingelagert wird. Als Folge können die Augen degenerieren und Durchblutungsstörungen auftreten, die zu Siechtum führen. Da die Krankheit selten ist – einige Tausend Patienten weltweit –, hat die Forschung wenig Interesse an der Entwicklung von Gegenmitteln. Das brachte Sharon Terry dazu, mit ihrem Mann die internationale Selbsthilfegruppe PXE zu gründen. Im Lauf der Zeit entwickelte sich diese Initiative mithilfe des WWW zu einer Art eigener Forschungsplattform. Mit Erfolgen: Das Ehepaar baute eine Blutbank von PXE-Kranken auf. Aufgrund dieses Materials konnten zwei Labors im Sommer 2000 das PXE-Gen isolieren und identifizieren – erster Schritt zu einer Therapie.4

 Norwegen, am Polarkreis. In dem 300-Seelenort Bugoynes, einem Ort aus hübschen Holzhäuschen zwischen kahlen Felsen hat sich in zwei Jahren eine Menge verändert. Wenn es dunkel ist, und das ist es fünf Monate lang Tag und Nacht, glühen in den Holzhäusern nun die blauen Lichter des großen Netzes. Die Einwohnerzahl hat sich seit 1999 erhöht – um 30 neu zugezogene Familien. Es gibt inzwischen zwei florierende Cafés, ein Fitnessstudio – und jede Menge Hoffnung. Der Grund? Im Jahr 2000 griffen die Einwohner von Bugoynes zu einer seltsamen Maßnahme. Sie schalteten im Osloer »Dagbladet«, der größten Tageszeitung Norwegens, eine ganze Anzeigenseite, in der sie ihre gesamte Ortschaft zum Verkauf anboten. WILL UNS JEMAND HABEN? Wer will schon ein Fischerdorf ohne Zukunft am Nordmeer? Es wollten welche. Der Medienrummel, der nun einsetzte, katapultierte den Weiler auf die Titelseiten der skandinavischen Zeitungen. Die Fischfabrik wurde von einem amerikanischen Investor saniert. Ein großes Internetcafé dominiert heute die sozialen Funktionen des Ortes. Aus Oslo rollte plötzlich Geld für Existenzgründungen. Eine Seeigelzucht ist heute eine der lukrativen Startups in Bugoynes. Deren Rogen wird an die Japaner verkauft, denn Japaner lieben Rogen. Und natürlich: Der Ort wurde komplett ans Internet angeschlossen!5

Diese eher zufällig ausgewählten Geschichten über den Alltag der Neuen Ökonomie zeigen, wie das Internet auch den kleinen Spielern einen neuen Zugang zum Markt gibt. Es geht um access: Netztechnologien verwandeln die Inhaber von prägnanten Ideen in globale market player. Vor allem klar definierte Nischen sind es, die durch das elektronische Netz an den großen, globalen Marktplatz angeschlossen sind. Nicht das Allgemeine, Massenhafte, Akzeptierte profitiert vom Netz, sondern das Besondere, Eigenwillige, Spezielle und Spezifische findet nun seinen Weg ins Licht der Märkte.

Smart Capitalism

Подняться наверх