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EINLEITUNG DER KURZE FRÜHLING DER @NARCHIE

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Wir leben anders! Wir arbeiten mehr als je zuvor, schaffen bis zu 14 Stunden am Tag, und die Arbeit macht uns bei weitem nicht so kaputt wie die »nur« acht Stunden vorher im Betrieb. Das liegt ganz eindeutig daran, dass uns der Sinn der Arbeit klar ist, dass die weit weniger entfremdet ist.

Aus der Selbstdarstellungs-Broschüre des Alternativprojektes ASH (Arbeiterselbsthilfe), Frankfurt am Main, 1976

Man kann nie sagen, was man später machen will, weiß aber ganz genau, was man nicht will: Jeden Tag frisch rasiert zur Arbeit kommen müssen. Einen Chef haben, der in einer anderen Welt lebt. Die Tage bis zum Wochenende zählen. Am meisten Angst haben wir vor dem Moment, in dem wir das, was wir lieben, »Hobby« nennen …

Aus »Jetzt«, der Jugendbeilage der »Süddeutschen Zeitung«, im Sommer 2000

Am Anfang war ein Versprechen.

Das Versprechen beginnt im Jahr 2000 auf diesem Parkplatz am Rand einer Metropole im Herzen Europas. Bis zur Autobahn erstreckt sich ein lichter Wald aus Hochspannungsmasten, dazwischen Ensembles aus Wellblech und alten Autoreifen. Auf dem Parkplatz stehen etwa 30 alte, inspektionsmüde Autos, keines weniger als acht Jahre alt. Daewoo, Golf, Panda, ein ruinöser 180er Benz Diesel aus den frühen achtziger Jahren. Und tatsächlich, eine überlebende Ente. Hintendrauf ein grellroter Sticker: ICH KÜNDIGE FÜR IMMER!

Hinter dem Parkplatz erhebt sich ein Fabrikgebäude aus dem 19. Jahrhundert, mit melancholischer Düsternis und ebensolchen Ausmaßen. Zwei Etagen hell erleuchteter Lofts bilden einen scharfen Kontrast zu den Maschinenhallen, die als Industriemuseum fungieren. Dort wuselt eine unbestimmte Zahl von Pionieren der Neuen Ökonomie am Aufbau der Neuen Welt. Es riecht nach Schweiß und heißem Metall. Computerkabel winden sich durch die Gänge wie Spaghettibündel, Löcher werden lautstark durch Wände geschlagen, an anderer Stelle werden Trennwände aufgestellt. Drei Jungs mit Baseballkappen und schwarzen T-Shirts mit dem Aufdruck »Working class hero« schleppen 15 riesige Ficus benjamini hinein. »Keine Zeit, Bilder aufzuhängen, aber wenigstens ein paar geleaste Zimmerpflanzen.« Am Ende eines Ganges, in einem der unrenovierten Nebenräume, schlafen Leute auf Matratzen, andere starren in die Monitore und treten dabei auf Fahrradtrainern.

»Die sitzen schon 18 Stunden hier«, sagt einer der beiden Vorstände. Wir sind in einem kühlen Konferenzsaal, durch dessen halbtransparente, runde Wand man den Wald der Kabelbäume und Terminals übersehen kann. An die Wand hat ein Witzbold eine Kurve gemalt, die nach oben, in die Decke hineinführt. Dort, wo sie an die Deckenkante stößt, ist ein stilisiertes Mauseloch gezeichnet. »Wenn die sich nicht bewegen, schlafen sie ein.« Seine überdimensionierte Krawatte fliegt rot aus dem zerknitterten Hemd, er grinst durch eine Brille, die dem jungen Bill Gates alle Ehre gemacht hätte. Höchstens 26 Jahre ist er alt, auf seinen Backen glüht es.

»Wir wachsen mit 150 Prozent pro Monat. Wir müssen in spätestens zwei Monaten Marktführer sein. Und das Problem ist: Wann kommt man dazu, sich zu duschen? Deshalb bauen wir hinten Duschen ein. Das gehört zum Businessplan und zur Firmenkultur.« Der Mann ist ernsthaft, er hat eine Mission. Draußen auf dem Gang irren Leute zwischen 18 und 32 herum, die aussehen wie aus einem Kaurismäki-Film entsprungen: Ziegenbärtchen, Ohrringe, Baggy Shorts. Gepiercte junge Frauen wie aus einem Punkfilm.

»Ist nicht so leicht, neue Leute zu finden«, sagt der Vorstand entschuldigend. Er verdient wenig mehr als doppelt so viel wie seine »Mitunternehmer«, die ungefähr 3000 DM im Monat nach Hause tragen – wenn sie überhaupt nach Hause kommen. Vorerst. Arbeitsverträge? »Gehen wir nächste Woche an. War bisher keine Zeit dazu.«

Am Anfang war ein Versprechen. Und das Versprechen hieß NEUE ÖKONOMIE.

Die hinterste Ecke des Lofts fungiert als Küche. Die Mitarbeiter haben sie selbst eingerichtet, mit Großmuttermöbeln im Gelsenkirchener Barock. In der Mitte ein Tischfußballgerät, an dem eine stumme Vierergruppe lärmt. Im Kühlschrank, einem pinkfarbenen Designschrank von Bosch, finden sich Batterien von Red Bull, Essiggurken und riesige Schinkenbrötchen.

Anna H. sitzt in einem der Plüschsofas. Anna H. ist mit 34 eine der Seniors in diesem Startup-Unternehmen und einer der fünf Content Manager des Unternehmens. Sie hebt sich ab von den anderen, trägt ein schlicht-schrilles Prada-Kostüm und eine große Gucci-Sonnenbrille und raucht nicht. Sie hat ihr Medizinstudium vor fünf Jahren abgebrochen. Hat als Fahrrad-Kurier, PR-Frau und Animateurin in einem Reiseclub gearbeitet. Dann ist sie »der kreativen Hölle beigetreten«. Anna hat eine raue, meetinggestählte Stimme und versteht etwas von sanftem Zynismus. Sie wird nächstes Jahr drei Monate in die Karibik fahren. Garantiert. Schlafen. Nur Schlafen. »Nach zwei Jahren Kreativitätslager habe ich mir das verdient. Und es gehört zum Deal.«

»Die hier«, sagt sie, rollt mit den Augen und wedelt mit einer Reihe Computerausdrucke, »sind alle verrückt. Die brennen lichterloh. Und anders ginge das gar nicht. Denn das ist die zweite Revolution. Das, was die Achtundsechziger damals nicht geschafft haben.«

Und der Unterschied zu »damals«?

»Damals wollte meines Wissens keiner Millionär werden. Die hier wollen es alle. Und spätestens nächstes Jahr werden sie es sein. Reich. Reich und glücklich. Ist das etwa nichts?«

An der rau verputzten Designerwand steht auf wohngemeinschaftsmäßig hingekritzelten Zetteln:

Bitte räumt das Geschirr auf!

Und:

Macht was ihr wollt, aber macht es profitabel!

Und:

Work hard

Have Fun

Make History!

Smart Capitalism

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