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Hystorien – der innere Code der Hysterie

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Doomsday-Storys, also Geschichten vom Nieder- und Untergang, funktionieren auch deshalb so hervorragend im öffentlichen Diskurs, weil wir die Welt innerlich ordnen müssen – in Gut und Böse, in Oben und Unten, in »Sie und Wir«. Robert Karen, ein amerikanischer Frühkind-Psychologe,16 hat den Begriff des »binären Babys« geprägt. Ausgangspunkt dieses inneren Kleinkinds in uns allen ist unsere frühkindliche Erfahrung, die wir bis ins Erwachsenendasein mit uns herumschleppen: Aus der uneingeschränkt guten Mutter unserer Anfangsphase wird irgendwann eine ambivalente Mutter, die auch Nein sagt. Das finden wir, bis ins Erwachsenenalter, empörend. Und wir erheben unser Schwarz-Weiß-Denken zum Weltprinzip.

Die Apokalyptiker, die Propheten, die Medien, die Globalisierungsgegner – sie alle spielen mit diesem »binären Baby« in uns. Sie fahren mit unseren Ängsten und Verwöhnungssehnsüchten gleichzeitig Schlitten. Sie schockieren uns, um uns letztlich süchtig zu machen nach dem süßen Gift des Untergangs. Alles wird Zeichen! Ein schwerer Winter, eine Flutkatastrophe? Es liegt etwas am Horizont. Ein kriegerischer Konflikt? Seht, so ist die Menschheit. Ein jugendlicher Amokläufer? Terrorismus? Es geht zu Ende mit unserer verderbten Kultur.

Future Fitness heißt nun, dass wir dieses »binäre Baby« – oder Kind – überwinden. Dass wir die Schattierungen der Welt anerkennen, ihren Variantenreichtum, ihre Zukunftsgewandtheit – auch ihre Ungewissheit und Paradoxie! So, wie das Kleinkind irgendwann lernt, mit beiden Seiten der Erwachsenen umzugehen und nicht gleich in ohnmächtige Verzweiflung zu verfallen, wenn die Mutter nicht mit ständiger Verwöhnung aufwartet.

NÜTZLICHE ZUKUNFTSFORMEL

Der Weltuntergang ist der Größenwahn der Depressiven

Die amerikanische Psychologin Elaine Showalter hat in ihrem Buch Hystorien (zusammengesetzt aus Hysterie + Story) eine Kulturgeschichte der großen und kleinen Hysterien geschrieben. Da Frauen im wilhelminischen Zeitalter ihre Gefühle nicht öffentlich zeigen durften, wurde das öffentliche In-Ohnmacht-Fallen (»weibliche Hysterie«) zur Massenepidemie. Da chinesische Männer in der rigiden chinesischen Gesellschaft kaum ihre Sexualität leben können, ist Koro heute in China eine Massenkrankheit. Jedes Jahr verfallen zigtausende von Männern dem Wahn, ihr Penis schrumpfe. Begleitet ist dieses Ereignis von Herzrasen, Bluthochdruck, Ziehen und Reißen am Geschlechtsteil, das zu ernsthaften Verstümmelungen führen kann.

»Diese besonders aufregenden Fälle zeigen, wie sich individuelle Hysterien mit gesellschaftlichen Strömungen verbinden können […] Von solchen apokalyptischen Gefühlen werden vor allem solche Menschen angezogen, die eine Rechtfertigung für seelische Bedürfnisse suchen, die aus eigenen unbewussten Konflikten stammen. Es ist, als würden sich in der Bevölkerung bis dahin verstreute paranoische Einheiten plötzlich neu formieren und verbinden: zu einem kollektiven paranoiden Fanatismus.«17

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