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GLAUBEN SIE KEINEM PROPHETEN
ОглавлениеIm Jahre 546 vor Christus plante Krösus, der unglaublich reiche König des sagenumwobenen Goldreichs Lydien, einen Feldzug, um seinen Reichtum weiter zu vermehren. Wie bei wichtigen Entscheidungen damals üblich, suchte er bei Institutionen Rat, die einen direkten Draht zu den oberen Instanzen, den Göttern, hatten. Zunächst unterwarf er die sieben renommiertesten Orakel, die im hellenischen Raum um Kunden warben, einem »pitch«. Er schickte Boten los und ließ fragen, was er, Krösus, am hundertsten Tag nach deren Abreise tue …
Das Orakel von Delphi schickte wenige Tage später einen Boten zurück, mit der in Ton geritzten Antwort: »Ich höre den Stummen und den Schweigenden – und zu mir dringt der Geruch des Lammes und der Schildkröte, und Kupfer ist darüber und darunter.«
Da Krösus am Stichtag von einem wortlosen Koch in einem Kupferkessel Lamm- und Schildkrötenfleisch kochen ließ, war die Wahl klar: Krösus befragte – unter Zurücklassung einer großzügigen Spende – das Apollo-Orakel von Delphi, ob und wann er einen Krieg gegen die Perser anfangen solle. Die Antwort haben viele von uns in der Schule auswendig gelernt:1
»Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören!«
Krösus sammelte also seine Heere und zog über diesen Fluss, der heute Kizil Irmak heißt und in der Türkei liegt, nach Osten. Und handelte sich eine Niederlage ein, die ihn einen großen Teil seiner Ländereien kostete, einschließlich seines Ansehens als unbesiegbarer Kriegsherr. Nachdem er sich aus der Gefangenschaft bitter über die »Irreführung« beschwert hatte, antwortete das Orakel – so berichtet es jedenfalls Herodot:
»Apollon weissagte ihm nur, er werde ein großes Reich zerstören. Er aber verstand nicht das Wort und fragte auch nicht, ob sein eigenes Reich gemeint war.«
Gemein. Perfide. Ein Fall für die Staranwälte der Gegenseite! Haben Orakel eine Geld-zurück-Garantie? Begründet sich hier eine Orakel-Tradition, die bis heute anhält – Scharlatane, die viel Dampf aufsteigen lassen und ihre Kunden nach Strich und Faden ausnehmen, mit imponierenden Power-Point-Präsentationen und wachsweichen Weissagungen?
Wer von Ihnen ist dafür, dass Krösus seine Opfergaben und Goldstücke zurückerhalten soll?
Andererseits: Wie erklärt sich dann der anhaltende Erfolg des Orakels von Delphi? Mehr als 500 Jahre lang, von 600 bis ca. 100 vor Christi, blieb Delphi eine mächtige und florierende Institution, die weit über alle Meere einen guten Ruf hatte: Herrscher, Staatsmänner, Philosophen, aber auch einfache Bürger, Kaufleute der hellenischen Stadtstaaten, suchten hier Rat. Und viele von ihnen kamen immer wieder! Auf den Tonscherben, auf denen die Prophezeiungen aufgezeichnet worden waren, fanden sich erstaunlich konkrete Ratschläge und Hinweise (Heiratsempfehlungen, Geschäftsvorschläge etc.), die, wenn sie allesamt falsch gewesen wären, ziemlich schnell den Ruf ruiniert hätten.
Delphi ist aber weniger wegen seines Consulting berühmt geworden als wegen seiner Inszenierung. In einer Felsspalte hockte auf einem Schemel die legendäre Pythia. Heute wissen wir, dass aus dem Travertinstein Methan- und Ethan-Dämpfe aufstiegen, so dass der Rauschzustand der Pythia wahrscheinlich nicht nur gespielt war. Ihr mystisches Gebrabbel, das Augenzeugen zufolge »manchmal einem Heulen und Schreien glich«, wurde dann von den Priestern des Ordens in Verse gebracht. Die Kunden nahmen, um an einen Orakel-Ratschlag zu kommen, eine Menge Entbehrungen in Kauf. Sie kamen mit ihrem gesamten Hofstaat – Sklaven, Frauen, Tiere – und mussten bei Wasser und Wein teilweise tagelang in fensterlosen Kammern warten, bis das Orakel sich bequemte zu sprechen.
Aber diese Inszenierungen waren nur der »Showroom« des Visions-Erlebnislandes Delphi. Im Hintergrund arbeitete ein Priesterorden (über lange Zeit von Frauen dominiert), der das verfügbare Wissen der damaligen Zeit sammelte und kartografierte. Man wusste genau Bescheid, wer in Athen gerade gegen wen intrigierte und wie die Olivenpreise standen. Der Aufstieg von Sokrates (und damit die Ära von Aristoteles und Plato) wurde von Delphi vorausgesagt, wenn nicht gar politisch befördert. Die Priester konnten schreiben – damals eine Seltenheit. Und verfügten über das damalig schnellste Kommunikationsmittel: laufschnelle junge Männer.
Delphi war eine Art Spionagezentrum der Antike, ein Geheimdienst. Ein »think tank«. Der Krösus-Schiedsspruch basierte auf einer genauen Einschätzung der militärischen Kräfteverhältnisse. Der Delphi-Orden war gleichzeitig – und das war der eigentliche Kern seiner Dienstleistung – Katalysator der ersten demokratischen Evolution der Menschheitsgeschichte. Die Pythia insistierte auf Mäßigung bei Konflikten, beharrte auf zivilen Formen des Konflikt-Managements. Das Orakel riet, auf Blutrache und Brunnenvergiftung, damals ein übliches Mittel, zu verzichten.2 Sokrates sollte später sagen: »Delphi brachte viel Gutes über die öffentlichen Angelegenheiten unserer Städte.«
Krösus hätte wissen können, auf welchen Prozess er sich einließ. Das Orakel testete seine Hybris – und Krösus fiel durch. Wer Augen zu lesen hat, der lese. Über dem Tor des Orakels stehen heute noch deutlich zwei Sätze: