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VORWORT STARTEN SIE IHREN ZUKUNFTSSATELLITEN !
ОглавлениеVor einigen Jahren nahm ich am Arbeitsworkshop eines großen Lebensmittelkonzerns teil. Es ging um neue Snacks und Convenience-Food-Produkte, anwesend waren neben den Lebensmittelchemikern und dem Markenmanagement auch die Vertreter der Werbeagentur und der Verpackungsdesigner.
Der Markenmanager forderte mich auf, mit meinem Impulsreferat zu beginnen:
»Herr Horx wird jetzt über die wichtigsten kommenden Megatrends im Verpackungsdesign von Snackfood-Produkten berichten!«
Schrecksekunde. Nicht nur Megatrends! Auch noch im Verpackungsdesign! Und die allerwichtigsten! Und kommenden!
Ich machte eine gewichtige, seherische Einleitungspause. Dann sagte ich:
»Grün. Und metallic. Mit Laschen!«
Irgendwie gelang es mir auch mit Humor nicht, das Verfahrene aus der Situation herauszubekommen. Ich hatte mich auf eine Präsentation über das sich wandelnde Mobilitätsverhalten der Bevölkerung vorbereitet, daraus sollten sich Ideen für die veränderten Bedürfnisse der Kunden und daraus Inspirationen für neue, marktfähige Produkte ableiten lassen! Doch der Kunde wollte innerhalb seines Subsystems, seiner vorgefertigten Schubladen Fachwissen abfragen. Hard facts über die Zukunft! Er wollte eine Art billige Marktforschung mit Zukunftseffekt!
Hier handelt es sich um ein fundamentales Missverständnis, dem der Trend- und Zukunftsforscher immer wieder begegnet. Es ist das, was ich als »Tunnelproblem« bezeichnen möchte. Der Blick in die Zukunft wird auf ein Teilproblem verengt, und von den Trendforschern wird nun erwartet, dieses Teilproblem durch eine möglichst »angenehme« Prognose zu lösen.
Seriöse, mit Geist und Verstand betriebene Trendforschung verfolgt jedoch eine andere Absicht. Sie möchte zunächst den Winkel, mit dem wir Märkte, Produktstrategien, Warenevolutionen betrachten, um eine gesellschaftliche, systemische, soziale Komponente erweitern. Sie möchte die vielen kleinen Wandlungsphänomene, die uns umgeben, in einen größeren Kontext einordnen. Unternehmen (und natürlich bisweilen auch wir als Individuen) möchten es sich aber gerne einfach machen. Sie möchten gerne Produkte »vertrenden«, die vielleicht hoffnungslos veraltet sind. Sie neigen dazu, aus Substanzproblemen reine Marketingprobleme zu machen. Sie suchen nach schnellen (und billigen) Antworten gerade da, wo es darauf ankäme, neue und ungewohnte, bisweilen unangenehme Fragen zu stellen. Dabei werden – hoppla hopp – die Betrachtungsebenen wild durcheinandergemischt. Stilistische Details werden mit Megatrends verwechselt. Soziale Veränderungen mit Werbesprache vermengt. Heraus kommt eine Art Gonzo-Trendmacherei, die eher auf wilden Behauptungen, anglizistischen Wortgetümen und verengtem Wunschdenken beruht – und natürlich zu Frustration führen muss.
Dieses »Eintopfrühren« ist auch im Reich des Journalismus weit verbreitet. Zum Beispiel ist in den Zeitschriften folgende Titelzeilen-Formulierung sehr beliebt:
Die Trends von morgen!
Ich habe keine Ahnung von den »Trends von morgen«. Und ich möchte behaupten, dass niemand diese haben kann – denn dafür gibt es kein kognitives Fundament! Trends sind nichts anderes als Veränderungsprozesse, die in der Gegenwart stattfinden. Man kann sie frühzeitig diagnostizieren und kartographieren, wenn sie erst »schwache Signale« aussenden. Man kann mit ihnen arbeiten. Man kann auf ihrer Grundlage Zukunftsszenarien entwickeln, in denen man ihre möglichen Konsequenzen schildert. Aber man kann nicht wissen, welche Trends morgen entstehen werden. (Das wäre nun reine Propheterie!)
Wenn mich Fotografen besuchen, um mich für eine Zeitschrift zu fotografieren, zaubern sie, nachdem sie Licht, Pappwand und Stative aufgebaut haben, meist ein kleines Accessoire aus dem Koffer, das ich dann standesgemäß beim Posieren in die Kamera halten soll. Ein Fernrohr. Meistens ein Piratenfernrohr. Wenn man da hindurchguckt, sieht man, meistens unscharf, eine Detailvergrößerung – eine Taube auf dem Dach oder die Geranien der Nachbarin. Nein, Fernrohre eignen sich, allen gegenteiligen Gerüchten zum Trotz, nicht als Handwerkszeug, denn sie verkleinern den Betrachtungsradius.
Wenn es ein angemessenes Instrument für die Zukunftsschau gibt, dann ist es – ein Satellit! Aus der Satellitenperspektive haben wir eine Übersicht über den blauen Planeten. Den Blick auf die langfristigen Wetterfronten, die seine Oberfläche überziehen. Auf seine Strukturen und Texturen. Wir können sehen, wie alles zusammenhängt und sich in ein Ganzes fügt, in eine Hoffnung, eine Struktur und eine Perspektive. Wie die Astronauten über eine komplexe, wunderschöne Welt ohne Grenzen staunten, so können wir erst aus der Distanz das ganze Bild erfassen.
Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, sich symbolisch in den Orbit zu versetzen – um sich dann wieder, systematisch und mit veränderter Sichtweise, auf den Erdboden Ihres Geschäfts, Ihrer Branche oder Ihres Produkts zu begeben.
Im ersten Teil – FUTURE MIND – geht es um die mentalen Aspekte der Zukunftsschau. Um Bilder, die wir uns von der Zukunft machen. Um Vorurteile und Klischees. Das ist deshalb wichtig, weil die Sicht auf die Zukunft von kollektiven Übereinkünften geprägt, von Ängsten und Erwartungen verzerrt ist. Wir müssen deshalb zuerst nach unserem »Zukunftshintergrund« fragen: Wie entsteht Zukunft in unseren Köpfen? Welche Versuche gab es, Zukunft zu erfassen, vorherzusagen? Welche davon waren erfolgreich? In welche Richtung sollten wir unsere inneren Haltungen korrigieren, um eine möglichst realistische Sichtweise auf die Zukunft zu bekommen?
Im zweiten Teil – FUTURE TOOLS – erzähle ich Ihnen alles über den Werkzeugkasten der heutigen Trend- und Zukunftsforschung. Wie hängen die verschiedenen Trend-Ebenen zusammen? Wie grenzt man sie sinnvoll voneinander ab, so dass Unsinn wie »Megatrends im Verpackungswesen« nicht entsteht? Hier finden Sie auch eine Übersicht über die wichtigsten derzeit aktiven Megatrends und Konsumententrends. Über die »driving forces«, die Märkte, Konsum, aber auch die Lebenswelten der Menschen verändern.
Der dritte Teil – FUTURE BUSINESS – handelt von Umsetzungen und Anwendungen im Bereich der Waren, Dienstleistungen, Firmenkonzepte, Innovationen. Es geht um Kunden, Marketing, Strategien, um Beispiele und Evolutionsmodelle in bestimmten Branchen.
Und im letzten Teil – FUTURE FITNESS – setzen wir das Bild zusammen. Hier geht es um uns selbst als »Ich AGs« und »Selbst GmbHs«. Um Techniken, die uns als Individuen »zukunftsgewandter« machen können. Aber auch um strategische Grundvoraussetzungen von »zukunftsfitten« Unternehmen in den unruhigen und komplexen Marktumfeldern der Zukunft.
Sehen Sie das Ganze bitte wie ein Haus. Um unser Gebäude »future fit« zu machen, müssen wir zunächst den Keller aufräumen. Dort wohnen die Dämonen und Geister, die unerlösten Zukunftsängste und -visionen. Im Parterre findet sich das Forschungslaboratorium, wo es um Erkenntnisse, Methoden und das Grundhandwerk geht. Im ersten Stock kann man die »Küche« besichtigen, in der aus Erkenntnissen Realitäten werden. Und oben, im Dachgeschoss, hat man schließlich freien Blick auf den Horizont.
Wien/Frankfurt, im Winter 2002/2003