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UNTERSCHEIDEN SIE PROPHETEN, VISIONÄRE, PROGNOSTIKER – UND ZUKUNFTSAGENTEN
ОглавлениеZukunft ist wie eine schwere Krankheit: Wir holen immer mehrere Urteile über sie ein. Das ist richtig und verständlich. (Ich kann gut damit leben!) Aber wichtig ist zu wissen, bei wem wir die Expertise einholen:
Propheten kommen in der Menschheitsgeschichte in regelmäßigen Abständen immer wieder vor – sie sind Begleiter eines historischen Bruchs, eines Übergangs – einer Revolution. Propheten bündeln die Wünsche und Sehnsüchte von großen Menschengruppen, schaffen ein Bild für diese Sehnsüchte – und dienen dann oft als Führer in einem Transformationsprozess.
Abraham war der erste bekannte Prophet. Auf ihn berufen sich gleich drei Weltreligionen (die derzeit im Nahen Osten über genau dieses Erbe in schweren Konflikt geraten sind). Abraham sah die Zukunft des Volkes Israel jenseits der Versklavung, und er machte diesen Traum wahr.
Propheten haben einen funktionalen Bezug zur Zukunft. Sie fragen nicht, was kommen könnte, sie definieren Zukunft – und machen sie auf dem Resonanzboden einer historisch reifen Situation. Sie machen ihrer Anhängerschaft Stress: Sie arbeiten mit starken Zeichen, mit Erlösungshoffnungen. Sie sind prinzipiell gefährlich. Ghandi war Prophet. Aber auch Hitler. Martin Luther. Martin Luther King. Arafat. Und Bin Laden.
Visionäre verfügen meist nicht über die Fähigkeit, Menschen zu führen oder zu organisieren. Sie stellen das Mögliche in Worten, Bildern oder Metaphern dar – sie tun dies begeisternd und talentiert. Aber sie betreiben es eher als eine Art emphatisches Hobby, weniger als Weltveränderungsjob.
Jules Verne war spekulativer Romanautor mit einer kindlichen Lust am Abenteuer, an Weltreise, Seebären und zu rettenden Frauen. Kein Mensch kann seine Visionen vom Kanonenschuss auf den Mond oder der Reise zum Erdmittelpunkt als Prognosen missverstehen. Und doch stammen aus seiner Feder mindestens zwanzig Volltreffer über die Zukunft – er sah in seinem Traktat Paris im Jahr 2000 Erfindungen voraus, die im 20. Jahrhundert allesamt Wirklichkeit wurden.11
Stanislaw Lern, das grummelnde Multigenie, hat in seinen theoretischen Traktaten so ziemlich alles präzise vorausgesehen, was uns heute umtreibt – von der virtual reality (»Phantomatik«)12 bis zur Debatte um Gentechnik.
Arthur C. Clarke, der grand old man der Zukunftsvisionen, beglückte uns nicht nur mit mystischer Science-Fiction – 2001 – Odyssee im Weltraum geht auf sein Konto – sondern auch mit einer Vielzahl von scharfsinnigen, allerdings stets auch technizistisch verspielten Visionen über das bunte Leben im Jahr 2100.
Auch Karl Marx war Visionär. Er beschrieb bereits im 19. Jahrhundert emphatisch die weltumspannende Ökonomie der Globalisierung und die gewaltigen Kräfte, die sie entfachen sollte. (Das Prophetentum, das »Machen«, überließ er dann allerdings seinen Apologeten, den Kommunisten.)
Prognostiker sind die fleißigen Lieschen unter den Zukunftssehern. Die Handwerker der Möglichkeiten, die Bastler der Wahrscheinlichkeiten. Das Angenehme an ihnen ist, dass sie ihre Prämissen reflektieren. Sie erstellen Statistiken und mühen sich redlich, Zukunft objektiv zu erfassen.
Oft allerdings fehlt ihnen ein Quentchen Inspiration. Mal ganz unter uns gefragt: Warum sollen wir uns mit einer Zukunft beschäftigen, die ziemlich »vielleicht« ist?
Zukunftsagenten sind eine Spezies, die keiner der drei geschilderten Typen wirklich zuzuordnen ist. Es sind dies Menschen – oder Gruppen, Netzwerke, Denkbrüder und -schwestern – die ihren Job nicht so sehr in der Entwicklung spektakulärer Zukunftsbilder sehen, sondern in der Initiierung von (mentalen und realen) Prozessen, die zu einer besseren Zukunft führen können. Oft sind diese Menschen innerhalb größerer Organisationen (Firmen, Behörden) beschäftigt. Oft sind sie Berater, Selbständige, die den Geist des Neuen von außen in Unternehmen hineinzubringen versuchen. Sie fühlen sich nicht den einfachen Lösungen verpflichtet, sondern den Abenteuern und Verführungen der steigenden Komplexität.
Zukunftsagenten sind keine Wahrsager. Aber Wahr-Sager! Sie interessieren sich fanatisch für die »drei Ps«:
THE POSSIBLE – DAS MÖGLICHE
THE PROBABLE – DAS WAHRSCHEINLICHE
THE PREFERABLE – DAS, WAS VORZUZIEHEN IST
In ihrem legendären Bestseller Megatrends markierten John Naisbitt und Patricia Aburdene im Jahre 1984 unter anderem folgende vier Zukunftsparameter für die Zeit bis zur Jahrtausendwende:13
Die Frauen werden in die Zukunftsetagen einziehen
Die Biologie wird die zentrale Wissenschaft werden
Die Religionen werden wieder auferstehen
Das Individuum wird Triumphe feiern
Keine dieser Aussagen ist aus heutiger Sicht besonders spektakulär oder »prophetisch«. Aber im Jahre 1984 – wir erinnern uns: Kalter Krieg, Nachrüstung, Öko-Bewegung –, war dies alles klarsichtig und »auf den Punkt gebracht«.
Dies ist eine treffende Beschreibung des Jobs, den Zukunftsagenten zu verrichten haben: auf den Punkt bringen, worauf es in Zukunft mehr und mehr ankommt.