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Kapitel 28: IMMERZEIT

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»Warum hast du das getan?«

»Ich tue, was ich tun muss. So ist mir geheißen.«

»Nein, Raphael, die Zeit ist nicht reif und du weißt das.«

»Hör auf zu jammern, Michail. Ich sollte dich auf der Stelle vernichten, du Abtrünniger.«

»Vernichten! So wie du Tausende Unschuldige richtest?«

»Es ist der Wille – die Siegel sind gebrochen.«

»Wäre der Messias jetzt hier, er würde dir sagen, was gebrochen ist und was nicht. Wir werden uns stellen, hörst du!«

Raphael lachte laut auf, während er mit Michail in der New Yorker U-Bahn-Station stand, dabei unbemerkt Hunderte Helfer betrachtete, die sich um Tote und Verletzte kümmerten.

»Willst du damit sagen, Michail, das hier sei nicht passiert? Es ist passiert und weder du noch dein angeblicher Prophet können es rückgängig machen. Wo war er denn, dein verheißungsvoller Heiland? Wo ist seine Macht? Verkrochen hat er sich und weißt du warum? Ich sage es dir. Weil er kein Prophet ist. Nicht gesandt von Thron, neiiiin, ein selbsternannter Messias ist er, ein Scharlatan, wie schon so viele vor ihm. Du solltest umkehren, Michail, und dich deiner vorgesehenen Prophezeiung stellen. Schulter an Schulter, an meiner Seite der Aufgabe gerecht werden, die Thron uns zugeteilt hat. Die Menschen verdienen es! Glaubst du ernsthaft, ich habe das alles veranlasst? Ich sei derjenige, der darauf aus ist, die Menschheit zu strafen? Das erledigen jene dummen Geschöpfe schon ganz von allein. Vertrau mir.« Mit Daumen und Zeigefinger schnippte Raphael an die ausgestopfte Pfote eines kleinen Teddybärs, der vor ihm auf dem kalten Fliesenboden lag. Dass sich das Ärmchen tatsächlich bewegte, nahm niemand wahr.

»Auch wenn die Siegel gebrochen sind und du wie auch deine Schergen das Unheil vorantreiben, so haben wir eine Chance verdient.« Michail blitzte Raphael wütend an.

Dieser wurde jetzt ungehalten. »Wir, du sprichst von wir? Du stellst dich auf eine Stufe mit diesen, diesen …«

»Mit den Menschen, ja!«, fauchte Michail ebenso erzürnt zurück. »Und solltest du es vergessen haben: Wir waren ihresgleichen.«

»Ihresgleichen, in der Tat, bis wir gerufen wurden. Gerufen, das Wort Throns zu befolgen. Und du, du wagst es, dich zu versündigen.«

»Zu versündigen?«, spie Michail zurück. »Wer versündigt sich von uns? Bist es nicht eher du, der voller Ungeduld nur darauf gewartet hat, das Volk zu richten?«

Raphael kehrte Michail den Rücken, ging ein paar Schritte. Dann drehte er sich mit ausgestrecktem Zeigefinger zu ihm um: »Wahrlich, du redest von Ungeduld. Das grenzt an Blasphemie und du weißt das.«

»Wäre es Blasphemie, wie du behauptest, warum schickt uns Thron den Erlöser?«

»Welchen Erlöser?«, fragte Raphael grinsend, während er mit ausgebreiteten Armen um sich blickte. »Ich kann niemanden sehen. Ach«, er hob seinen Zeigefinger, »du sprichst abermals vom selbst ernannten Propheten, jenem, der angeblich von Thron gesandt wurde. Ach, dein Gewinsel ist jämmerlich!«

An diesem Punkt breitete Raphael nochmals die Arme aus, drehte sich tanzend zu einer nicht vorhandenen Melodie und lachte laut auf. Augenblicklich hielt er inne. Seine kalten blauen Augen starrten auf Michail.

»Wie viele Propheten hast du schon gesehen? Hier wie auch auf Erden? Alle, aber wirklich alle nutzen Throns Worte ausschließlich zu ihren Gunsten. So ist es und so wird es immer sein. Ich sage dir jetzt zum letzten Mal: Dein Messias existiert nicht! Vielleicht erbarmt sich Thron tatsächlich, ihn zu senden. Doch jetzt – jetzt, mein Freund, ist meine Zeitrechnung angebrochen und niemand, auch du nicht, wird mich aufhalten. Wage keinen Versuch. Es wird dir sonst leidtun.«

Michail war bemüht, sich seine Angst vor der Drohung Raphaels nicht anmerken zu lassen, und froh, als dieser im selben Moment verschwand. Langsam schloss er die Lider, sackte auf die Knie. Hatte er die richtige Entscheidung getroffen? Wurde er geblendet? Wäre doch Chris noch hier, bei ihm. Aber die Seele des Erlösers hatte Immerzeit verlassen, war in Menschengestalt zurück auf Erden gekehrt.

Als Michail die Augen wieder öffnete, kniete er nicht mehr in der Station Fulton Center. Nein, er befand sich im Wohnzimmer jenes Hauses, welches zu betreten Chris strengstens untersagt hatte. Und da sah er ihn. Der Neugeborene hatte den hellblonden Kopf nach hinten gestreckt, um die Bilder der Katastrophe im Fernseher zu betrachten.

»Lässt du dich so schnell irritieren?«, fragte der Säugling durch seine Gedanken und drehte sich musternd zu Michail. Ein sanftes Lächeln umspielte Chris’ Lippen – tapsig hob er einen Arm in Richtung Michail.

Aus dem Augenwinkel heraus sah Sandra die Bewegung und ihre tränennassen Augen erfassten den leuchtenden Blick des Sohnes, der in die Ferne zu schweifen schien.

Chris Owen - Die Wiedergeburt

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