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1.4 Lineare und nichtlineare Berechnungen

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Lineare Berechnungen (Theorie I. Ordnung) bilden in der Regel gedanklich und rechnerisch den Ausgangspunkt. Grundlage sind dabei folgende Annahmen:

 • Der Werkstoff verhält sich im gesamten Tragwerk linearelastisch, d. h., es gilt uneingeschränkt das Hookesche Gesetz.

 • Der Einfluss von Tragwerksverformungen ist so gering, dass sie vernachlässigt werden können und die Gleichgewichtsbeziehungen am unverformten System formuliert werden dürfen.

 • Strukturelle und geometrische Imperfektionen, d. h. Eigenspannungen, Vorkrümmungen und Vorverdrehungen, können vernachlässigt werden.

Nichtlineare Berechnungen erfordern in der Regel einen höheren Aufwand als lineare. Man unterscheidet physikalische und geometrische Nichtlinearitäten. Bei der physikalischen Nichtlinearität wird die Annahme „linearelastisches Werkstoffverhalten“ aufgegeben und das Plastizieren von Tragwerksteilen berücksichtigt, weil dann wirtschaftlichere, d. h. leichtere Konstruktionen ausgeführt werden können. Sofern das Plastizieren nur bei der Tragfähigkeit der Querschnitte ausgenutzt wird, ist diese Vorgehensweise der Nachweismethode 2 in Tabelle 1.1 zuzuordnen. Die Schnittgrößen werden nach der Elastizitätstheorie berechnet („elastische“ Tragwerksberechnung) und maximal ein Lastzustand zugelassen, bei dem sich ein Fließgelenk bildet. Im Gegensatz dazu werden bei der Nachweismethode 3 plastische Tragfähigkeiten der Querschnitte und des Systems ausgenutzt, d. h. es wird die Ausbreitung von Fließzonen oder die Ausbildung mehrerer Fließgelenke zugelassen.

Während das physikalisch nichtlineare Werkstoffverhalten überwiegend aus wirtschaftlichen Gründen berücksichtigt wird, muss die geometrische Nichtlinearität bei stabilitätsgefährdeten Stahlkonstruktionen unter Sicherheitsaspekten unabdingbar erfasst werden. Relativ große Verformungen führen dabei zu größeren Schnittgrößen und höheren Beanspruchungen im Vergleich zu linearen Berechnungen, so dass entsprechende Nachweise zum Biegeknicken, Biegedrillknicken oder Plattenbeulen geführt werden müssen.

Tabelle 1.3 Unterschiede zwischen Theorie I. und II. Ordnung sowie der geometrisch nichtlinearen Theorie nach [31]

Theorie I. Ordnung (geometrisch lineare Theorie) Theorie II. Ordnung Geometrisch nichtlineare Theorie
Gleichgewicht am unverformten System am schwach verformten System am stark verformten System
Stab unter Druckbelastung
Stab unter Druck- und Querbelastung
Wirkliche Verzerrungen Lineare kinematische Beziehungen Nichtlineare kinematische Beziehungen
Virtuelle Verzerrungen Aus linearen kinematischen Beziehungen Aus nichtlinearen kinematischen Beziehungen - linearisiert - - nichtlinear -

Die Unterschiede zwischen der geometrisch linearen und nichtlinearen Theorie werden mithilfe von Tabelle 1.3 erläutert. Bei der geometrisch nichtlinearen Theorie wird das Gleichgewicht am verformten System formuliert und es werden dabei große Verformungen berücksichtigt. Mit dieser Theorie erhält man genaue Lösungen, die aber auch einen hohen Rechenaufwand erfordern. Mit der geometrisch nichtlinearen Theorie können sehr große Verformungen zutreffend berechnet und beschrieben werden, die jedoch im Zusammenhang mit Baukonstruktionen schon aus Gründen der Gebrauchstauglichkeit i. A. nicht auftreten und daher in der Regel ohne Bedeutung sind. Im Stahlbau wird daher eine „Theorie II. Ordnung“ eingesetzt, die eine Näherung der geometrisch nichtlinearen Theorie darstellt. Dabei werden das Gleichgewicht am verformten System formuliert und aufgrund von Linearisierungen näherungsweise nur mäßige Verformungen berücksichtigt. Die Skizzen in Tabelle 1.3 vermitteln anschaulich die Unterschiede bei den Verformungen. Darüber hinaus werden mit den letzten Zeilen Hinweise für theoretische Grundlagen gegeben. Sie beschreiben, wie die Verzerrungen bestimmt werden, wobei Spannungen mit den „wirklichen Verzerrungen“ ermittelt werden und die „virtuellen Verzerrungen“ zur Formulierung der virtuellen Arbeit in den Abschnitten 2.4.2 und 4.3 dienen. Die Zusammenhänge zwischen linearen, linearisierten und nichtlinearen Beziehungen werden in Abschnitt 1.7 veranschaulicht.

Im Zusammenhang mit geometrisch nichtlinearen Berechnungen ist zu erwähnen, dass die Nachweise in den geltenden Vorschriften, wie z. B. DIN EN 1993-1-1, auf einer Linearisierung nach Theorie II. Ordnung basieren. Diese Näherung ist daher die Grundlage für die vorschriftengerechte Ermittlung von Verformungen, Schnittgrößen und Verzweigungslasten (Eigenwerten). In der Regel sind Berechnungen nach Theorie II. Ordnung im Hinblick auf baupraktische Anwendungsfälle ausreichend genau, da die Verformungen bei Tragwerken aus Stahl normalerweise relativ klein sind. In seltenen Ausnahmefällen können jedoch auch geometrisch nichtlineare Berechnungen erforderlich sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn große oder sogar sehr große Verformungen auftreten. Beispiele dazu sind Kunstwerke, die sich im Wind bewegen und bei denen sich die Einzelteile stark verformen.

Zusammenfassend soll hier Folgendes festgehalten werden:

 • Nach wie vor wird die Nachweismethode 1 gemäß Tabelle 1.1 am häufigsten verwendet. Für die Systemberechnungen wird dabei linearelastisches Werkstoffverhalten angenommen, auf dieser Grundlage Schnittgrößen und Spannungen ermittelt und dann Spannungsnachweise geführt.

 • Vermehrt kommt auch Nachweismethode 2 zum Einsatz, bei der die Tragfähigkeit bis zum Erreichen des ersten Fließgelenkes gesteigert werden kann.

 • Bei stabilitätsgefährdeten Stahlkonstruktionen werden das geometrisch nichtlineare Problem linearisiert und die Schnittgrößen nach Theorie II. Ordnung berechnet. Diese Linearisierung wird auch bei der Ermittlung von Verzweigungslasten (Eigenwerten) verwendet.

Finite-Elemente-Methoden im Stahlbau

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