Читать книгу Weiberroman - Matthias Politycki - Страница 143
Der Herr Beinhofer, der erst vor wenigen Wochen,
Оглавлениеdirekt nach dem Abitur, hierhergekommen war,[102] weil er sein Verfahren als Kriegsdienstverweigerer verloren hatte, weil er dem drohenden Einberufungsbescheid entgehen wollte[103] und sich, in Ermanglung eines präzisen Berufswunsches oder gar einer echten Leidenschaft – wie der Herr Schattschneider vor drei Jahren –[104] in Germanistik inskribiert hatte,[105] Ecki erklärte Gregor bereits beim ersten Viertel, daß er jetzt Eckart zu heißen wünsche.
Was Gregor »glatterdings« ablehnte: Ein Spitzname, und sei’s auch kein besonders origineller, müsse als Kompliment verstanden werden, als Vertrauens-, ja Liebesbeweis; »Eckart« dagegen, du liebe Güte, das klinge fast schon so spießig wie »der getreue Ekkehard«[106], mit dem wolle er nichts zu tun haben.
Wieso dann er, Schattschneider, keinen Spitznamen habe?
»Das verstehst du nicht«, hörte sich Gregor von ferne sagen, »dafür bist du noch zu jung.«
Indem er seine Stimme vernahm, als wär’s die eines Fremden und als stünde er selber, ein zufälliger Beobachter, irgendwo daneben, kam ihm die ganze Szene plötzlich so bekannt vor; nicht etwa nur seine letzte Replik, auch Eckis Gesichtsausdruck, die muffige Luft, das Rauschen einer Wasserleitung in der Wand – als hätte er das alles schon mal erlebt. Als Beobachter, als bloßer Beobachter; woraufhin Ecki – ja: Ecki![107] – kommentarlos seine »Herrenomeletts« servierte mit reichlich reingeschmollten Erdnüssen, Salamistücken, Dill, Kümmel, Pfeffer, Paprika, gehackten Zwiebeln, Käsewürfeln; im Anschluß daran, als lebensrettende Sofortmaßnahme, ein doppeltes Nannerl[108] und, bei zweitem bis viertem Viertel und sich hebender Stimmung, einige Fragen an Gregor, ob’s denn »normal« sei: daß (1) es an der Uni gar keine Rote Zellen gebe, wie z.B. in Marburg, wo Max studierte, sondern gerade mal eine Art AStA;[109] daß (2) sich hier – soweit er’s mitgekriegt habe bei seinem fragmentarischen Vorlesungsbesuch – niemand auf die Frankfurter Schule berufe, daß (3) niemals und nirgends ein Happening anstehe oder ein Sit-in, daß (4) die schönen Wienerinnen weder Latzhosen[110] trügen noch Clogs noch Birkenstöcke, sondern, was solle man davon nur halten, Schuhe mit hohen Absätzen?
Nichts. Selbstredend nichts solle man davon halten, so Gregor: überhaupt nichts.
Und daß (5) Angie, mit der er ja seit zwei Wochen erst zusammen sei, schon mal vorgeschlagen habe, ihn zu ihren Eltern mitzunehmen.
Sieh an, dachte Gregor, so schnell sind die hier. Aber er sagte:
»Paß bloß auf.« »Wer mit seinen Alten keinen Stunk hat, der will selber bald Kinder.«
Und daß (6) ihm sein Vermieter, war Ecki, dem’s mehr um die eignen Fragen als um Gregors Antworten ging, bereits beim nächsten Punkt: daß ihm sein Hauptmieter einen »Kasten« aufzuschwätzen versucht für dieses kleine möblierte Zimmer und sich gewundert habe, wieso er, Ecki, der Untermieter, keinerlei Begeisterung dafür aufbringen wolle: Was ein Kasten hier denn solle? Erst als er seinerseits um einen Schrank gebeten – er, Ecki, der Untermieter –, habe sich das Mißverständnis aufgelöst: in großem Gelächter;[111] und es sei doch wirklich nicht die schlechteste Aussicht, daß der Wiener Dialekt derart für Heiterkeit sorgen würde in den nächsten Jahren.
Etwa an jener Stelle des Abends faßten die beiden einen Entschluß, der sie binnen weniger Wochen von erträglichen zu unerträglichen Maulhelden mutieren ließ: den Entschluß, einen zweiten Doppler zu entkorken.
Und dazu dann: eine Liste anzulegen.
Eine Liste der lachfreudigsten Wörter, ausgehend von den allfälligen deutsch-österreichischen Fehlverständnissen, eine Liste aus lauter leichten bis mittelschweren Verdrehungen, deren eigentlicher Sinn jedem und, vorzugsweise, jeder Außenstehenden verborgen bliebe, eine Art »Überösterreichisches Geheimlexikon der Sprache«:
1 Versuchen, so oft wie möglichPreziositäten wie »Paradeiser«, »Polster«, »Fleischhauer« einzustreuen, vor allem »oja« statt »doch«, »ba-ba« statt »tschüs«; »weiches B und hartes B«.
2 Wörter, die bereits als bloße Wörter für Gelächter sorgen:Lallbär, Lallaffe: Großmeister der Sprache, also im Grunde nur wir beide (Achtung: Lalläffchen = weibliches Unwesen)Lauser: Kellerschelm (à la Weißfuchs[112] und was wir eben sonst so trinken)rascheln, reisen, schnüren: jede Art von FortbewegungSchlaps: SchlipsSchnatz, Schnartzel: Schnitzel(muß fortgesetzt werden)[113]
3 Unaussprechbarkeiten:Pseudolocker-Verklemmtes: Liebe machen, GV haben, mit jemand in die Kiste springen usw. – und am allerschlimmsten ■■■■ etc. pp. (Aber was dann? Am unverfänglichsten vielleicht »erkennen«?)Altertümelnd-Gespreiztes: Laube, plaudern, speisen, Frucht, Obst, hurtig, flugs(muß fortgesetzt werden)[114]
4 Gratis-Sätze (der Leerbiß in der Pizza):»Ich leide an Monadologie/Priapismus.«»Die Redundanz deiner Sentenz potenziert sich zur Irrelevanz.«»Modernes Existieren ist schwierig geworden.«(muß fortgesetzt werden)[115]