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2.4 Akkomodation als Anpassung?!

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Sicher kann man heute sagen, dass die Sorge vor vorgeblich zu starker kirchlicher Anpassung an die ‚Welt‘, den ‚Zeitgeist‘ oder die ‚Bedürfnisse der Leute‘ den allgemeinen Ton beherrscht. Wenn sich auch gegenteilig nicht mehr viele Kreise in dem Wunsch treffen, aus der Kirche eine kontrastgesellschaftliche, hochunangepasste sozialrevolutionäre pressure group zu formen, so ist es doch weiter guter katholischer Ton, sich irgendwie ‚der Gesellschaft‘ gegenüber in mentaler Distanz zu bewegen. Gerade im Zusammenhang einer beherzten Nutzung der soziologischen Milieuforschung ist diese mentale Reserve unverkennbar. Man warnt vor Marketing, Selbstauslieferung oder sogar dem vorgeblich allgemein grassierenden Turbokapitalismus. Die Forderung nach ‚Entweltlichung‘ durch Benedikt XVI. bei seinem letzten Deutschlandbesuch – so genau man hier theologisch sondieren muss, was gemeint war40 – steht in auffallendem Kontrast zu der Drift, die offenbar das Konzil geprägt hat. Es ist schon bemerkenswert, dass das lateinische Wortfeld von ‚Anpassung‘, also akkomodatio, adaptio, assimilatio u. a. in den Dokumenten über 60-mal auftaucht. Und dies keineswegs nur an Randstellen.41

Der in GS 44 gebrauchte Begriff der ‚accommodatio‘ bzw. das Adjektiv ‚accomodatus‘ bedeuten so viel wie: Anpassung, Entgegenkommen, Rücksichtnahme, passende Einrichtung, schicklich, entsprechend, geeignet. Das Wortfeld ist schon weit vor dem Konzil im missionswissenschaftlichen Sprachgebrauch durchaus üblich, wird hier aber in die neue Akzentuierung gebracht. Gemeint ist eben keine Übernahme kultureller Güter von einem feststehenden Rahmen in einen anderen, sondern ein wechselseitig geschichtlich-hermeneutischer Vorgang. Heute spricht man wohl missverständnisfreier von ‚Inkulturation‘.42 Wichtig ist aber, was beide Begriffe verbindet: die Risikodimension, die GS 44 klar darlegt. Beide Partner in der Akkomodation bzw. der Inkulturation wollen und werden sich durch ihre kulturelle Begegnung verändern. Bei beiden geht es nicht um eine Konversion in die Logik des anderen hinein. Vielmehr finden sich gerade durch ihre Begegnung beide vor einem gemeinsamen Dritten wieder, über das man die Querschnittsfläche, aber auch die weiter bestehende Abgrenzung zum Anderen erfährt. Es ist nicht leicht, dieses gemeinsame Dritte genauer zu bestimmen. Letztlich geht es wohl um die grundlegenden Errungenschaften humaner Daseinsgestaltung, um das, was man dem ‚Leben‘ an Sinn und Gewinn abschöpft, um Techniken und Einsichten der Lebensbewältigung, um Grundwerte, um Welt- und Existenzmodelle. Es geht, um alte Worte neu zu sagen, um ‚Weisheit‘ und ‚Heil‘. Hierfür ist eine akkomodierende Pastoral engagiert: Was verstehen andere kulturelle Akteure unter ‚Lebensgelingen‘, unter ‚Glück‘, unter ‚humaner Qualität‘? Woher beziehen sie diese Begriffe? Welche Wege haben sie zu ihrer Erfahrbarkeit erkannt? Welche Symbole, Metaphern und Rituale haben sie sich als sinn- und heilvoll erarbeitet? Und welche Fragen bleiben offen?

In einem hellsichtigen Beitrag hat der französische Theologe Christoph Theobald die hier aufgerufene Haltung einer pastoralen Relationalität auf den Kontext hin als „Bewunderung“43 gefasst. Er wünscht sich eine Kirche, die vor ihrer Kultur steht wie Jesus selbst, der den römischen Hauptmann kennenlernt – einen kultisch Unreinen, einen Heiden, einen Besetzer, einen Feind! – und ausruft: „Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden“ (Mk 8,10). Dabei ist damit keine oberflächliche ‚Heiligsprecherei‘ von Kontexten gemeint, die etwas nur deswegen schon prima fände, weil es anders und säkular ist. Es geht gar nicht um Werturteile, sondern um eine Haltung. Wer bewundert, respektiert. Wer bewundert, zeigt seine Fähigkeit, von sich abzusehen. Wer bewundert, richtet auf. Wer bewundert, will lernen. Theobald sieht nicht, dass das Konzil in seiner Gesamtheit diese Haltung dokumentiert. Das wäre überzogen. Wohl aber gibt es die Durchbrüche in sie hinein, etwa in der emotionalen Passage von GS 3: „Deshalb bietet die Heilige Synode, indem sie die überaus hohe Berufung des Menschen bekennt und erklärt, dass gewissermaßen ein göttlicher Same in ihn eingesenkt ist, dem Menschengeschlecht die aufrichtige Mitarbeit der Kirche an, um jene Brüderlichkeit aller herbeizuführen, die dieser Berufung entspricht.“

Und eben in GS 44. Theobald nimmt diese Nummer heran, um die große Aufgabe zu markieren, die aufgeworfen wird: die Offenbarung in prozessualer und kontextueller Relationalität neu zu verstehen. Oder einfacher: die Selbstmitteilung Gottes von Zeitpunkten und Ortskoordinaten her neu zu verorten.

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