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‚vive commercium‘: austauschen, deuten, empfangen, unterscheiden

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Auch die Benennung des zweiten Vollzuges der Akkomodation überrascht: Zweimal ist im Text vom commercium die Rede, dem Austausch. Gerade durch die Kontextanpassung wird der lebendige Austausch zwischen Kirche und Kulturen gefördert. Und zur Steigerung des Austausches bedarf die Kirche der Hilfe jener Welt-Experten, die die Verhältnisse, Fachgebiete und Mentalitäten ihrer Kultur gut kennen, seien sie gläubig oder ungläubig.

Gute Pastoral ist also kommerziell, könnte man sagen. Dies gilt ganz sicher nicht im Sinne der Produktion benachteiligter Opfer in einem ungebändigten Kapitalismus. Wohl aber gilt es in der Tauschgesinnung, die echten Kommerz auszeichnet. Immerhin kommt das Wort ja von diesem Sinn her. Es lohnt sich, hierüber kurz zu reflektieren. Denn wiederum, wie schon beim auscultare, wird beim commercium, dem Austausch, eine pluralitätskompatible Sprache erreicht – entschieden stärker übrigens als bei dem Begriff ‚urteilen‘ der bekannten Trias. Austauschen hat ja als Vorgang zur Voraussetzung, dass sich erstens Partner auf Augenhöhe treffen und beide zweitens Waren anzubieten haben, die zueinander wertparitätisch sind. Drittens kommt hinzu, dass niemand zum Tausch gezwungen ist, sondern entweder auf das Geschäft verzichtet oder andere Tauschpartner aufsucht. Der Austausch ist damit – natürlich hier idealtypisch gesehen – ein Akt und ein Ort der Freiheit.

Diese Einsichten wandeln die latent einseitige Assoziation des ‚Urteilens‘ in ein neues, nämlich wechselseitiges Verständnis: Man kann sagen, dass im Austausch gerade die Interaktion eine neue Qualität erst schafft, die jenseits des Tausches gar nicht existent war. Der Tausch aktualisiert nicht nur die Werthaftigkeit der einzelnen zu tauschenden Dinge, er aktualisiert auch die Werthaftigkeit der tauschenden Subjekte. Jeder, der schon einmal in einem Land wie Kamerun dachte, er sollte als Europäer aus Höflichkeit, Gerechtigkeit oder einfach Eile auf zeitaufwändige Bazarverhandlungen verzichten und einfach in den vom Verkäufer erstgenannten Preis einwilligen, weiß, wovon hier die Rede ist. Man beschämt den Anderen, weil man ihn offenbar der Verkaufsinteraktion für unwürdig befindet. Verhandelt wird der Subjektstatus der Tauschpartner und als Symbol dafür dient die Ware.

Was bedeutet dies im Übertrag für die Pastoral einer akkomodierenden Kirche? Wieder sind die Konsequenzen beträchtlich. Denn auch in der Begegnung von Kirche und Kontext soll Wertparität herrschen – und zwar real, nicht simuliert. Im Klartext: Die umgebende Kultur hat der kirchlichen Selbstverständigung Inhalte und Stile anzubieten, die diese erstens real benötigt und zweitens nicht aus sich heraus erbringen kann. Natürlich hat die Kirche eine große Botschaft, in deren Dienst sie steht. Dass Liebe möglich sein soll, dass man gewaltfrei leben kann, dass da ein Gott ist, dessen Verehrung friedlich und kreativ macht – all das ist äußerst sagenswert. Aber auch die Anderen haben Themen, Weisheiten, Botschaften. Auch sie haben Ideen über gelingendes Leben, Glück und Heil. Pastorales commercium heißt: Tauschen wir uns aus über das, was wir dem ‚Leben‘ an Sinn, Logik, Rationalität oder Rätselhaftigkeit abringen können. Trauen wir dem post-, nicht- oder anonymchristlichen Gesprächspartner zu, dass er nicht nur irgendeine, sondern eine wichtige Botschaft für uns hat. Suchen wir weniger zu verändern, als selbst verändert zu werden. Wechseln wir aus dem Pädagogik- oder Didaktikmodus in den der realen Wechselseitigkeit der einander bedürftigen Existenz.

Denn der Clou dessen, was Christen zu verkünden haben, ist die riskante Beziehung mit dem Anderen, in die man vom Inhalt der Christusbotschaft her getrieben wird. Man kann das Wesentliche des Christentums sozusagen gar nicht lexikalisch korrekt oder rein inhaltlich vermitteln: Christsein erschließt sich über das Risiko des ‚innovatorischen Selbsteinsatzes‘, wie Thomas Pröpper das nennt.54 Das Evangelium als wirksame Botschaft ist kein Bestand von Sätzen oder eine Ethik oder eine Anleitung zum richtigen Kirchesein, sondern ein heutiges, mehrstufiges, biografisches und intersubjektives Ereignis: Ich lese einen Teil des Evangeliums oder höre einen Teil der Jesusgeschichte. Die Geschichten und Motive drängen mich dazu, in die Welt des Anderen hineinzugehen und seine Fragen, Freuden und Rätsel so weitestmöglich in mich aufzunehmen. Vielleicht gelingt es mir, und der Andere erwidert diesen Schritt auf mich hin. Dann kann es geschehen, dass eine dritte Kraft – der durch das Evangelium für solche Aktionen versprochene Geist Gottes – in die Mitte unserer Begegnung tritt. Er kann uns paradoxerweise gerade deswegen (und vielleicht sogar: nur deswegen) beide erreichen, weil wir beide von uns weggegangen sind. Und er bringt uns in einen gemeinsamen Verstehensraum, der drei Qualitäten hat: Er ist für uns beide faszinierend neu; er verändert uns beide; und er verschmelzt uns nicht, sondern arbeitet unser beider Unterschiedenheit sogar noch stärker heraus. Diese Logik, die theologisch als Pascha-Logik oder als trinitarische Lebensdynamik oder wie auch immer angesprochen und hier nur als Skizze aufs Blatt geworfen werden kann,55 ist das Schöne am Christsein: das Innovative, das Politische, das Erlösende, aber auch das Brisante, weil Riskante an ihm. So ‚funktioniert‘ das, was christlich Ehe heißt oder Gemeinde, Ordensleben, Priestersein, Liturgie, interreligiöser Dialog, theologische Erkenntnisfindung. Der kenotische Weg zum Anderen ist der Weg sowohl zum unverfügbar bleibenden Gott wie zu mir selbst, und dies seltsamerweise dann, wenn er gerade nicht wegen dieser Effekte, sondern real um des Anderen willen eingeschlagen wird.

Einen solchen Lebensstil kann man nicht predigen, man muss ihn ausprobieren. Wer schwimmen will, der schwimme – und bleibe nicht am Rand stehen. GS 44 will eine ganze Kirche dazu motivieren, in dieser Weise kontextsensibel zu werden und ‚commercium‘ im obigen Sinne zu betreiben. Hierfür braucht man Beispiele und Modelle. Ich erinnere mich, dass wir einmal den so früh verstorbenen Aachener Bischof Klaus Hemmerle fragten, wie er als sehr belesener Philosoph und Fundamentaltheologe in Diskurse mit Nicht- und Andersglaubenden hineingeht. „Mein Tipp und meine Erfahrung lautet“, so Hemmerle: „Geh davon aus, dass sie recht haben.“ Das ist die Haltung des commercium. Sie hat nichts mit softer Gesprächsführung, fehlender Identifikation oder nur schwach ausgeprägtem Wahrheitssinn zu tun, aber viel mit risikofreudigem Glauben und Lust auf Dialoge. Je fremder die Kontexte sind, aus denen heraus die Kirche die Offenbarung tiefer erfassen möchte, desto authentischer erschließt sich die paradoxe Logik der Christus-Botschaft: Als Jünger nimmt man keine Vorratstasche mit. Der wird gewinnen, der verliert. Der Letzte ist der Erste. Der Menschensohn ist in dem, den wir gerade nicht als den Menschensohn wiedererkennen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott (Bonhoeffer). GS 44 legt uns die paradoxe Logik nah, die wir jedes Jahr zu Weihnachten als den ‚wunderbaren Tausch‘ [admirabile commercium] im Dritten Hochgebet bestaunen: „Denn einen wunderbaren Tausch hast du vollzogen: dein göttliches Wort wurde ein sterblicher Mensch, und wir sterbliche Menschen empfangen in Christus dein göttliches Leben. Darum preisen wir dich mit allen Chören der Engel und singen vereint mit ihnen das Lob deiner Herrlichkeit. Heilig, heilig, heilig.“

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