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auscultare: abhorchen, zuhören

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Die Verbfamilie des ‚Wahrnehmens‘ in GS 44 wird durch das Wort des ‚Hörens‘ gut repräsentiert. Die Aufforderung lautet, auf die verschiedenen Sprachen der gegebenen Zeit und der gegebenen Leute zu hören. Der Originaltext verwendet hier das Verb ‚auscultari‘. Es steht für ein sehr intensives Zuhören, ein angestrengtes, eifriges Hinhören, ja: ein Ab- und Aushorchen. Jeder, der mit seinem Kind schon einmal bei der Ärztin war, kennt die ‚Auskultation‘: Das ist medizinisch der Vorgang, in dem sie das Stethoskop an Brust oder Rücken legt, um die Herz- oder Lungenaktivitäten abzuhören. Der Sinn ist ein diagnostischer: Die Ärztin will Störgeräusche von Normalgeräuschen unterscheiden können.

Ein faszinierendes Bild: Das Volk Gottes, besonders die Seelsorger und Theologen, legen ihr Stethoskop an Herz und Lunge ihrer Zeit und strengen sich an, jedes noch so kleine Geräusch auszukultieren. Wie eine intensiv abhorchende Hausärztin sollen auch sie ihre Zeit, ihre Kultur, ihre Umgebung ‚aushorchen‘ – dies aber nicht in spionierendem, entlarvendem, überführendem Interesse, sondern diagnostisch. Es geht um ein ‚gehorchen‘ auf das, was im sonoren Rauschen des Alltages auffällt, stört, zur Reaktion ruft. Die pastoralen Fragen lauten: Was ist hier gerade der Fall? Was klingt normal, wo sind Störgeräusche? Wer signalisiert was und zu welchem Zweck? Übrigens kennt Gaudium et spes noch eine zweite Metapher, die an medizinische Diagnostik erinnert. In der bekannten Nummer 1 geht es um die Freude, Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen, die immer auch die der Jünger Christi sind. Denn: „Es findet sich nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihrem Herzen widerhallte [resonat].“ Hier steht das lateinische Wort: resonare und dieses kann unschwer in der medizinischen Sonografie (populär: Ultraschall) wiedererkannt werden. Ein Schallimpuls wird ausgesendet, damit er abstrahlt, ein Echo findet und somit eine Antwort, die auf ihn wieder zurückkommt. Auch wenn dies passiver ist als das aktive auscultare in GS 44, so ist auch GS 1 von dieser typisch kontextsensiblen Haltung der Jünger Christi geprägt. Und wiederum gibt es einen Konnex dieser Haltung auf die Offenbarungskonstitution ‚Dei Verbum‘. In deren Nummer 8 ist vom Heiligen Geist die Rede, „durch den die lebendige Stimme des Evangeliums in der Kirche und durch sie in der Welt widerhallt [resonat].“ Die Kirche soll sozusagen das Echo des Geistes in der Welt sein, sein Widerhall, sein Schallraum, seine akustische Sonde.51 Es gibt eine „Resonanzpflicht“ der Kirche, schreibt der Pastoraltheologe Erich Garhammer.52 ‚Auscultare‘ und ‚resonare‘ – zwei Umschreibungen derselben Haltung, die das bekannte Begehren des jungen Salomo – „Verleih Deinem Knecht ein hörendes Herz“ (1 Kön 3,9) – von der vertikalen in die horizontale Ebene wendet. Nach GS 44 hat eine Kirche, die wieder jung werden will, ein hörendes Herz für den Kontext, dessen Teil sie selber bildet.53

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