Читать книгу 3000 Plattenkritiken - Matthias Wagner - Страница 11
Tracy Chapman „Crossroads” (1989)
ОглавлениеSie hatte eines der sensationellsten Plattendebüts der Popgeschichte: Rund zehn Millionen Exemplare ihrer schlicht „Tracy Chapman“ betitelten Scheibe wurden seit letzten Sommer verkauft – eine schier unerträgliche Hypothek für jedes Nachfolgewerk. Die junge Sängerin, die bis dahin in intimen Folkclubs die Saiten gezupft hatte, stand über Nacht im Rampenlicht, wurde herumgereicht, bestaunt, bewundert und beneidet. Plötzlich wollten sie alle, und wer Chapmans introvertierten Auftritt beim Mandela-Konzert in London gesehen hat, ahnt, wie fremd und unwirklich ihr dies vorkommen musste. Auf ihrer zweiten Platte „Crossroads“ tut sie darum das einzig Richtige: Sie thematisiert das Wunder ihres Erfolges, vor allem seine Schattenseiten. „Demons are on my Trail“ hat sie erkannt und meint all die Freundschaft nur heuchelnden Trittbrettfahrer des Ruhms. „Crossroads“ handelt von äußerer Bedrohung, von Verletztheit und von Verbitterung. Auf keinem der Coverfotos schaut Tracy Chapman uns an – als wolle sie so augenfällig machen, was sie im Song „Be careful of my Heart“ resigniert und trotzig zugleich bekundet: sich mehr Liebe für sich selber aufsparen zu wollen, statt sie an andere zu vergeuden. Natürlich fehlen auch die sozialkritischen Lieder im aufbegehrenden Duktus der 60er nicht: aggressionsgeladene Bestandsaufnahmen vom Leben in den Slums („Subcity“), Solidaritätsbekundungen für Nelson Mandela („Freedom now“) oder Attacken gegen Religion und weiße Dominanz („Material World“). Frappierend, wie sie zu zeitlos einfachen Melodien ganz schlicht nach „Gerechtigkeit“ verlangen kann, ohne sich je (wie etwa Sting, Simple Minds oder Bruce Springsteen) dem Verdacht eines modischen Betroffenheitsgestus auszusetzen. Wie auf der ersten Platte ist ihren mal persönlichen, mal politischen Balladen eine getragene Schwermut eigen, die, harmonisch und überwiegend akustisch instrumentlert, oft der Engagiertheit der Texte scheinbar zuwiderläuft. Doch genau diese Aura ist es, die sie bei aller Glätte der Produktion nicht scheitern lässt an der Erblast des genialen Erstlings. Tracy Chapman tat eben das einzig Richtige: zu reflektieren über das Jahr, das alles in ihrem Leben veränderte. Eine erneut meisterliche Platte also, die Rückzug und Isolation als Ausweg begreift, als letztes Mittel künstlerischen Überlebens. Eine konsequente Platte.