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Bob Dylan „Oh Mercy” (1989)

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Bob Dylan war immer eine schillernde Figur. Bei den Fans hat er auf der langen Skala der Gefühle zwischen Entzücken und Empörung kaum eine Position ausgelassen. „Don’t follow leaders“ hieß die prägnante Essenz seiner Jahre als Kultfigur der Bürgerrechtsbewegung der 60er. Die, die ihn verehrten, haben sich in seinem Fall nie daran gehalten. Klar, das er sie vor den Kopf stoßen musste. 1965 griff er auf dem Wellenkamm der Folkprotestbewegung zur E·Gitarre, ließ surrealistische Wortgebilde von schwerem Rock umwogen und hatte ein Genre geschaffen: den Folkrock. Er hängte sich nie an Zeitgeistströmungen an – er schuf sie. Bis in die späten 70er hat uns der Poet aus Minnesota mit Alben beglückt, die in der Mehrzahl zum Grundstock der Populärmusik gehören, darunter Klangunikate wie „Desire“ oder das brillante Album „Blood on the Tracks“. Legendär auch seine Zusammenarbeit mit The Band oder die berühmte Konzertkarawane „Rolling Thunder Revue“ mit Größen wie Mick Ronson oder Roger McGuinn. In diesem Jahrzehnt aber ging es bergab mit dem einstigen Superstar. Der früher als „größter Dichter Amerikas“ Gefeierte verfiel missionarischem Eifer, ließ seinen Sound auf Mainstream trimmen. Flache Keyboards, süßliche Engelschöre und der einstmals originelle, inzwischen aber zur universal einsetzbaren Unverbindlichkeit verkommene Stil eines Mark Knopfler vergraulten die Fans. Man grämte sich nicht mehr über Dylans avantgardistischen Schritt voraus, sondern beklagte nun seine widerstandslose Vereinnahmung durch einen gehobenen Einheitssound. Zwar hat Dylan seinen Mut zur Veränderung oft genug bewiesen, doch warfen die letzten Platten ernste Zweifel auf. „Oh Mercy“ aber wischt sie beiseite – dank Daniel Lanois. Der Produzent aus New Orleans hat Dylans Musik zu den Wurzeln zurückgeführt, hat die introvertierten Songs in eine wohltuend erdige, sehr gitarrenlastige Instrumentierung gepackt, die „Oh Mercy“ zu einem unverwechselbaren Sound verhilft. Dylan selbst ist zwar noch immer vom Gauben beseelt, doch kehrt er ihn nur noch selten so plakativ heraus wie in „Ring them bells“. Ob Gospel oder Blues, ob schwelgerisch-elegisch („Most of the Time“) oder schwerblütig-rhythmisch („What was it you wanted?“): Die Musik des Teams Dylan/Lanois bleibt kraftvoll und erdverbunden. Die Platte präsentiert schnörkellos und direkt alle Qualitäten des Robert Allen Zinmermann: den hechelnden Gesang, die pointiert „falschen“ Betonungen, die spröde Schönheit seiner klagenden Mundharmonika. Und sie wartet auf mit einem der besten Dylan-Songs überhaupt: „Man in the long black Coat“, einer düsteren Geschichte um Liebe und Tod, beinah nekrophil und an Ambrose Bierce erinnernd. Lanois zaubert mit Grillengezirpe, hallenden Gitarreneffekten und Harmonika ein Wunder an Atmosphäre. „Courage is a thing of the past“, klagt Dylan im ersten Song dieser Platte, „Political World“. Ihn selbst muss man nach „Oh Mercy“ ausdrücklich davon ausnehmen. Ein erstaunliches Comeback eines ausgeruhten Künstlers, der anscheinend in jedem Jahrzehnt seinen Platz zu finden vermag.

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