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Weidmannsheil – ein Wüstenwaran

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Bagdad und allerlei Versuchungen • Radikale Verjüngungskur •

Versteckenspiel unter dem Auto • Er ist erlegt • In einem Wadi festgefahren •

Die rettende Karawane • Schwierige Verständigung

Ja, mir ist es nichts Neues mehr, dass Bagdad zunächst eine Enttäuschung bedeutet, wenn man mit Träumen von Orientzauber und Kalifenpracht hierherkommt. Ich weiß, dass nicht die Silhouetten von kuppelgekrönten Moscheen und schlanken Minaretten am Horizont auftauchen, wenn man gespannt über die Weite der Wüste blickt, sondern ein hoher Mast mit einer Windfahne, Hangars und ein moderner Betonturm – die Wahrzeichen einer Welt, in der man von Bagdad aus in zwei Tagen in London und in drei Tagen in Kalkutta sein kann. Ist es nicht lächerlich, in dieser Welt noch mit dem Auto herumzufahren? Aber was hätten wir in drei Tagen schon von dem Land gesehen, das jetzt weit und verlockend vor uns liegt?

Auch Helmuth hat den Schock über die unromantische Einfahrt nach Bagdad schon überwunden, freut sich über die üppigen Palmengärten, die all die modernen Villen umgeben, an denen wir vorbeirollen, hält sich aber dann die Ohren zu, als wir in die New Street einbiegen. Limonadenverkäufer schreien, Autos hupen, die vielen Pferdedroschken vollführen ein wahres Klingelkonzert und eine ganz besondere Note erhält das bewegliche Leben in der »Neuen Straße« durch die Bagdader Omnibusse. Es sind Personenwagen mit einer Art großer Badewanne als Karosserie, in der knapp sieben Leute Platz finden. Für ein paar Groschen kann man in diesen Klapperkästen länger fahren, als ein Europäer auf den winzigen Holzbänken überhaupt zu sitzen vermag.

Rücksichtslos haben die Türken diese große, moderne Geschäftsstraße mitten durch das alte, winklige Bagdad gesprengt, aber auch als ihre Absicht längst bekannt war, wurden, so erzählt man, die Häuser, die der Aktion zum Opfer fallen sollten, noch in großen Mengen aufgekauft. Die Käufer spekulierten mit der altbekannten Tatsache, dass die Leute im Orient nicht selten Geld und Kostbarkeiten in den Wänden, Zimmerdecken und Böden ihrer Häuser verstecken und in ihrem üblichen Misstrauen erst in allerletzter Minute ihren Angehörigen davon Mitteilung machen. Kommt jene allerletzte Minute unerwartet, dann ruhen eben die Schätze weiter in ihrem sicheren Versteck und es bleibt einem findigen Spekulanten überlassen, beim Abbruch des Hauses vorsichtig zu Werke zu gehen. Solche Mühe soll sich schon häufig gelohnt haben.

Wie überall in Bagdad schläft man auch im Tigris Palace Hotel, sobald die heiße Jahreszeit angebrochen ist, auf einfachen eisernen Bettgestellen draußen im Freien. Nach europäischen Begriffen gleicht das Hotel in diesen Nächten mehr einer Heil- als einer Gaststätte. Eins neben dem anderen stehen die Betten auf den großen Terrassen, nur hin und wieder durch eine »Mauer« aus Topfpflanzen getrennt, und man kann seine Zimmernachbarn ungehindert in ihren Pyjamas bewundern. »Nachbarinnen« gibt es keine – europäische Frauen vertragen die Hitze in Bagdad sehr schlecht und fliehen aus der Stadt, sobald der Sommer beginnt.

Gern lassen wir uns so oft wie möglich in das kühlste Haus Bagdads einladen: das deutsche Konsulat. Schon der Anblick eines gewaltigen Gemäldes der eisbedeckten Zugspitze in der Eingangshalle wirkt erfrischend, mehr noch das deutsche Tropenbier, das aus Hamburg hierhergeschickt wird. Wenn eine frische Ladung eintrifft, erfährt das gesellige Leben auf dem Konsulat jedes Mal eine beachtliche Steigerung und wenn dort auch nicht so rauschende Feste gefeiert werden wie bei der I.P.C. in der Wüste, so doch zumindest stimmungsvolle.

Unsere Post haben wir in Bagdad ebenfalls an das Konsulat beordert. Darunter war auch jene sagenhafte Sattelfeder, an die sich der Leser von »Indien, lockende Ferne« noch erinnert: Auf der Motorradfahrt nach Indien war Herbert Tichys Sattelfeder gebrochen und von Poststation zu Poststation warteten wir vergeblich auf den bestellten Ersatz. Jetzt, nach zwei Jahren, war die Sattelfeder endlich da – und war auch wertlos. Ich versenkte sie andachtsvoll in den Tigris. Helmuth meinte allerdings, ich hätte besser getan, sie im Basar zu verkaufen, wo alles und jedes Verwendung finde. Vielleicht nicht gerade eine technische – aber wären die vernickelten Dinger nicht ein origineller Halsschmuck für eine Beduinenschönheit gewesen? Und sah man nicht allerorten, wie man sich im Basar alter Zahnräder bediente oder einer Getriebewelle statt geeichter Gewichte, die einen kleinen Schwindel unnötig erschwerten? Ganz war der Orient natürlich doch nicht aus Bagdad verschwunden und wer von der New Street in die kleinen Seitengassen abbog, der konnte noch allerhand orientalische Romantik erhaschen. Allerdings nie ungemischt, denn in das Gekreisch arabischer Frauen mengt sich amerikanische Grammophonmusik und die »Briefschreiber«, die für Analphabeten Briefe und Schriftstücke aufsetzen, verwenden eine Schreibmaschine mit arabischen Lettern, deren Wagen höchst ungewohnt von links nach rechts läuft.

Der Versuchungen, in den Basaren sich das oder jenes zu kaufen, sind viele. Wir dürfen ihnen nicht erliegen, denn wo würde es enden, wenn wir auch noch Gebetsteppiche, Wasserpfeifen und Burnusse mitschleppen wollten! Im Gegenteil, der Aufenthalt in Bagdad soll dazu benützt werden, um das Gewicht des Wagens ganz radikal zu reduzieren. Im großen Hof der Arab Bus Company ging die Operation vor sich. Einstmals lagerten hier die Karawanen, heute starten von diesem »Autobahnhof« die Busse nach allen Richtungen. In den großen Gewölben, die den Hof umsäumen, sind Werkstätten untergebracht. Kühlerklempner, Motormonteure, Elektriker, Vulkaniseure, Karosseriebauer flicken die gebrechlichen Klapperkästen hier wieder zusammen. Wir leihen uns das nötige Werkzeug und nach einem Plan, den wir oft durchbesprochen haben, machen wir uns ans Werk. Die Blechplatten werden vom Holzgerippe der Karosserie gelöst und der Wagenkasten mit Säge und Stemmeisen so lang zurechtgestutzt, bis er uns klein genug erscheint. Dann werden auch die Platten der neuen Form angepasst, angeschraubt und alles, was an Holz und Blech übrig geblieben ist, an die herumstehenden Araberjungen verteilt. Ein Schneider im Basar schnitt uns dann die Plane auf das neue Maß zusammen und nach dieser Verjüngungskur war aus unserem plumpen »Lieferwagen« ein schnittiges Fahrzeug geworden, das gute achtzig Kilogramm Gewicht verloren hatte. Wichtiger aber war, dass wir nach dieser Operation die Erkenntnis gewonnen hatten: Unser Gepäcksraum ist nun um die Hälfte kleiner. Was wir darin nicht unterbringen, muss zurückgelassen werden! Ein Zwang, wie man ihn sich nicht heilsamer denken kann.

Das überflüssige Gepäck verschickten wir in zwei Richtungen: Unnötiger Luxus ging in die Heimat. Darunter auch das Grammophon und die Smokings. Eine Kiste mit Ersatzteilen und Konserven trat den Seeweg über Basra nach Hanoi in Indochina an. Dort und in Kalkutta würden wir also ein Depot vorfinden. Was waren wir doch für Optimisten!

Immerhin war uns jetzt leichter. Uns und dem Wagen. Das merkten wir bereits auf dem kleinen Abstecher, den wir in den nächsten Tagen von Bagdad aus unternahmen. Einmal schon, auf meiner Indienfahrt, hatte ich als »Ungläubiger« es gewagt, eine Stätte zu besuchen, die für die schiitische Welt des Islams ein ganz besonderes Heiligtum bedeutet: die Stadt Kerbela. Diesmal wollen wir über Kerbela zu einer noch heiligeren Stätte vordringen, denn glücklich, wer in der Erde von Kerbela begraben liegt, glücklicher, wer seine letzte Ruhestätte in En Nedschef findet. Dort birgt die Moschee die Gebeine des Kalifen Ali, eines nahen Verwandten des großen Propheten, und wer ihren Mauern am nächsten bestattet wird, hat am meisten Aussicht, beim Jüngsten Gericht der Fürbitte Alis teilhaftig zu werden. So sagen wenigstens die Mollahs und lassen sich für ein Grab am Fuß der Moschee entsprechend viel bezahlen. Reiche schiitische Kaufleute sind auch gerne bereit, für einen bevorzugten Platz große Summen zu opfern, und Religion und Geschäft gehen die alte, bewährte Verbindung ein.

Die hundertzwanzig Kilometer zwischen Kerbela und En Nedschef fahren wir fortwährend durch tiefen Sand. Nur im ersten und zweiten Gang kommen wir vorwärts. Plötzlich springt vor uns etwas auf: echsenartige Tiere, ähnlich kleinen Krokodilen, aber mit einem viel dickeren, kürzeren, gepanzerten Schwanz. Vier oder fünf Stück sind es.

»Wüstenwarane!«, schreit Helmuth, »so ein Biest müssen wir haben!« Es sind zum Teil ganz respektable Tiere, etwa eineinhalb Meter misst wohl das größte. Schon Herodot gab diesen Waranen den Namen »Landkrokodile«. Ein paar verschwinden in Sandmulden und Löchern, aber einer findet keinen Unterschlupf und saust mit erstaunlicher Geschwindigkeit vor uns her. Wir fahren ihm nach und stellen schadenfroh fest, dass es kein Hase ist, der die Kunst versteht, plötzlich Haken zu schlagen. Der Waran eilt in Schlangenlinien durch die Wüste und wir haben Mühe, ihm zu folgen. Schließlich geht ihm die Puste aus und plötzlich bleibt er stehen. Es ist eine komische Situation. Etwa zwanzig Meter vor uns steht wie angewurzelt die Bestie und glotzt das Auto an. Deutlich sieht man die fliegenden Flanken des keuchenden Tieres.

Helmuth hat einen Revolver. Jetzt ist er in der Eile natürlich nicht greifbar.

Da geschieht etwas Unerwartetes: Der Waran saust mit letzter Kraft wieder los, direkt auf uns zu. Mir wird etwas flau zumute. Regungslos vor Schreck sitzen wir im offenen Wagen, der noch dazu türlos ist, die nackten Schenkel jedem mutigen Angriff preisgegeben. Jetzt ist das Biest da und – saust unter das Auto! Wir drehen uns um, blicken nach allen Seiten, kein Waran ist zu sehen. Er liegt unter dem Wagen und rührt sich nicht.

Wir beide schauen uns verdutzt an. Wir wollen diese Jagdbeute haben, sitzen sozusagen auf ihr und haben sie doch nicht. Unter uns das pfeifende Atmen der Bestie. Helmuth kramt nach seinem Revolver. Dann muss er ihn erst laden. Jetzt ist es so weit.

»Kitzel ihn mit einem Staberl.«

»Ich habe keines.«

»Nimm den Spaten.«

Vorsichtig schnalle ich ihn von der Seite los, beuge mich hinaus und stochere unter dem Auto herum. Der Waran flitzt auf der anderen Seite heraus. Bum! und noch einmal bum! und dann ist der Waran tot. Helmuth ist etwas erstaunt über diesen verblüffenden Erfolg. Jetzt wird der Wüstenwaran in Ruhe besichtigt. Kopf, Rücken und Schwanz sind mit starken Hornschuppen gepanzert. Ich glaube nicht, dass die Wüstenwarane dem Menschen gefährlich werden, aber ihre Größe ist imponierend. Wir schnallen das Tier über die Reserveräder. In Nedschef soll das ein guter Braten werden und der Panzer muss als »Jagdtrophäe« nach Hause. Wo sind die guten Vorsätze? Das kann ja heiter werden, wenn wir jetzt schon wieder beginnen, den Wagen zu überlasten!

Weiter nach En Nedschef, das die Araber auch Nedschef-Mesched nennen, die Stadt des Grabmals.

Aber wie geht es weiter?

Durch die Jagd auf den Waran haben wir Spuren und Orientierung verloren. Wo ist die Autopiste? Rechts oder links von uns? Abseits der großen Verkehrsstraße Bagdad - Damaskus hat sich schon manche Tragödie verirrter Autofahrer ereignet. Einmal verdurstete die Besatzung eines Wagens ganze acht Meilen von der Piste entfernt. So etwas passiert nur Europäern. Die Araber haben einen geradezu unheimlichen Orientierungssinn. Versucht man aber mit Karte und Kompass eine Oase anzusteuern, so ist unbedingte Voraussetzung, dass man genau den Ausgangspunkt der Berechnung kennt. Hat man sich erst einmal verfahren, dann wird jede weitere Orientierung ein Spiel mit dem Glück. Man weiß wohl: Hier an dieser Stelle der Karte muss ich mich beiläufig befinden. In diesem »beiläufig« aber liegt die Gefahr, denn eine Oase ist nur ein winziger Punkt in dem Sandmeer der Wüste. In den Annalen der modernen Wüstenerschließung sind Fälle verzeichnet, wo Expeditionen eine Oase anpeilten und sie nie erreichten. Sie waren nur einige Dutzend Kilometer links oder rechts daran vorbeigefahren, in die verderbenbringende Leere der Wüste hinaus.

Auf der Fahrt nach En Nedschef ist das zum Glück nicht so tragisch. Es herrscht Autoverkehr, Karawanen ziehen nach der heiligen Stadt und irgendwie werden wir schon wieder auf die richtige Spur stoßen. Durch ein tiefes, sandiges Wadi wollen wir versuchen, den Wagen mit Schwung hindurchzutreiben, aber es ist erstaunlich, wie sehr eine auch nur dreißig Zentimeter tiefe Sandschicht zu bremsen vermag. Der Motor schnauft ein paar Mal heftig, man kann gerade noch auskuppeln, um ihn nicht abzuwürgen, und schon sitzen wir fest. Noch dazu an einer besonders bösartigen Stelle. Zwar ist der Wagen nicht »bis über die Achsen eingesunken«, wie es in der Kraftfahrersprache so schön heißt, aber der Motor hat einfach nicht die Kraft, den großen Widerstand des Sandes zu überwinden. Da gibt’s nur eins: abladen! In einer Hitze, die unsere Hundstagetemperaturen bei weitem übertrifft, wird das Gepäck mühsam nach vorn bis an den Rand des Wadis geschleppt. Sogar die Reserveräder rollen wir hin und schleppen den toten Waran hinüber.

Wird es jetzt gehen? Der Motor springt an, aha, die Räder drehen sich – aber am Fleck! Keinen Zentimeter rührt sich der Wagen von der Stelle. Wir versuchen, Gummimatten unter die Hinterräder zu legen, aber es nützt nichts. Fast senkrecht brennt die Sonne auf uns herunter, zwei Stunden sind schon verloren und En Nedschef ist noch weit.

Unbemerkt hat sich der Führer einer Karawane genähert. Wir schauen erst auf, als er knapp vor uns steht, und begreifen nicht, was er sagen und uns bedeuten will. Immer wieder weist er heftig gestikulierend abwechselnd auf das Auto und dann längs des Wadis in östlicher Richtung. Nun probieren wir es unsererseits mit der Zeichensprache. »Helft uns doch!«, bitten wir mit der ganzen Beredsamkeit unserer Hände und Mimik und schon graben kräftige braune Arme im Sand und legen den Wagen frei. Zum ungeschriebenen Gesetz der Wüste gehört eine unbedingte Kameradschaftlichkeit und Hilfsbereitschaft, die sich auch hier wieder einmal bewährt. Binnen kurzem werden wir flott und stehen bald auf festem Boden. Wieder deutet der Anführer in die gleiche Richtung wie vorhin und dann auf das Auto. Sollten wir uns ganz verfahren haben?

»En Nedschef?«, fragte ich und zeigte ebenfalls in die angegebene Richtung.

Der Araber nickte eifrig mit dem Kopf, was so viel wie »Nein« bedeutet. Ein Glück, dass wir mit diesem orientalischen Brauch vertraut sind. Sonst wären wir sicher am Wadi entlanggefahren, um mit leeren Benzintanks irgendwo stecken zu bleiben. Vielleicht hätte man uns nach Tagen gefunden, vielleicht auch nicht – was kann doch alles von einem missverstandenen Kopfnicken abhängen!

Im Auto um die Erde

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