Читать книгу Im Auto um die Erde - Max Reisch - Страница 17

Ungarische und bayrische Afghanen

Оглавление

Getreideschnitt – einmal anders • Windmühlen und sechsfüßige Mensch-Esel •

Ein Ungar wird Afghane • Salami leider verboten • Das Bürgermeisteramt in

der Laubhütte • Mit dem »Seelenboot« über den Hilmend • Bayrische Laute in

Kandahar

»Was ist denn das?« Zweimal in kurzer Folge rief mir Helmuth diese Frage zu und jedes Mal hielt ich den Wagen an, damit wir uns genauer die noch nie gesehenen Merkwürdigkeiten afghanischer Arbeitsweise betrachten konnten. Das erste Mal waren es Bauern beim Getreideschnitt auf ihren dürftigen, steinigen Feldern. Sogar unverschleierte Frauen waren darunter, schöne, rassige Geschöpfe. Aber vorerst hatten wir gar keine Augen für sie, sondern nur für die Hände der Bauern. Über ihre Linke war nämlich eine Art Handschuh gezogen, dessen Daumen und Zeigefinger durch krumme Holzstäbe riesenhaft verlängert waren. Mit dieser Art Zange umfassten sie gleich ganze Garben und schnitten sie mit einer Sichel ab. Büschelweise fielen die Halme mit unglaublicher Schnelligkeit.

Helmuth lässt die Filmkamera anlaufen. Alle Arbeit stockt und – wie so oft schon – wilde, böse Worte werden uns und der Teufelsmaschine entgegengeschleudert.

Ruhiger hielten die Windmühlen, deren eigentümliche Anlage wir aus sicherer Entfernung von Mensch und Tier photographierten. Um eine vertikale Achse drehen sich aus Stroh geflochtene Windflügel, die aber den Wind nur von einer Seite auffangen sollen. Darum war um die andere eine ringförmige Lehmmauer in der Höhe eines zweistöckigen Hauses gebaut, die wie ein halber Turm aussah. Ein merkwürdiger Anblick! Und mindestens ebenso seltsam die Art, wie die Getreidesäcke auf kleinen Eselchen herangebracht wurden. Welche Lasten diesen Tieren zugemutet werden, hat uns immer wieder in Erstaunen versetzt. Man sieht kaum etwas anderes von ihnen als den Kopf und die zaundürren Beine. Aus einem Berg von Säcken scheinen sie herauszuragen und trippeln geschäftig dahin, wie von einem unermüdlichen Motor betrieben. Vorn auf dem Hals aber, vor den Lasten, sitzt stolz noch ein baumlanger Mann und lässt seine Füße tief herunterhängen. Wenn das Eselchen nicht mehr weiterwill oder im Sand zu versinken droht, streckt der Reiter seine Füße einfach etwas tiefer aus und marschiert kräftig mit. Urkomisch wirkt so ein sechsfüßiger Mensch-Esel.

Hinter einer hübschen kleinen Ortschaft mit blendend weißen, flachen Häusern bekommen wir aber doch noch menschliche Objekte vor die Kamera, die wohl oder übel stillhalten mussten. Wir durchfuhren auf schmaler Furt einen Fluss und fanden am jenseitigen Ufer rund um ein Lagerfeuer die übliche Gruppe wüst aussehender, schwer bewaffneter Afghanen. Hier aber verriet uns das afghanische Wappen auf ihrem Turban, dass wir es mit wohlbestallten Polizisten zu tun hatten, und als wir, trotz allem, etwas zögernd nähertraten, winkten sie uns schon zu, schwatzten, lachten und zeigten auf ein Kellergewölbe in einem verfallenen Haus. Neugierig sahen wir hinein und fuhren mit einem Aufschrei zurück. Den Polizisten war der Fang von einem halben Dutzend Räubern geglückt, die sie nun zur nächsten Polizeistation führen wollten. Mit schweren Ketten aneinandergefesselt, hockten sie da unten und stierten uns aus so fratzenhaften Teufelsgesichtern an, dass uns bei dem Gedanken angst und bange wurde, ihresgleichen in Freiheit anzutreffen. Auf unsere Bitte wurden einige der wilden Gesellen ins Licht gezerrt und wir konnten Räuberbilder machen, soviel wir wollten.

Verstohlen schauen wir uns aus den Augenwinkeln an. Beginnen wir etwa schon eine Ähnlichkeit mit ihnen aufzuweisen? Wir haben uns wegen eines Sonnenbrandes nicht rasieren können und schließlich beschlossen, die Bärte ruhig wachsen zu lassen, wie sie wollten. Immerhin, an den Seiten hatten wir sie uns gegenseitig zurechtgestutzt – unser Landsmann in Farrah würde nicht erschrecken, wenn wir so unvermutet vor ihm stünden. Das hatten wir nämlich zu unserem großen Erstaunen in Herat erfahren: In Farrah, dem meistgefürchteten und meistgehassten Ort Afghanistans, soll ein Österreicher leben! Infolge des entsetzlichen Klimas, tagsüber glühend heiß, nachts sehr kalt, gilt dieser Ort mit seiner Malaria und seinem Typhus so ziemlich als das Sibirien Afghanistans. Politische Sträflinge leben dort und dürfen sich zwar frei bewegen, nicht aber einen gewissen Umkreis rings um die Stadt überschreiten.

Einem der wenigen, die sich freiwillig hier aufhalten, gilt unsere Suche. Er soll beim Bau einer Brücke als Ingenieur beschäftigt sein. Auf der Straße kommt uns ein Trupp halb europäisch gekleideter Männer mit Lammfellmützen entgegen. Ein Polizist hat uns im Wagen begleitet und deutet jetzt hin. Ich muss gestehen, ich hätte den Mann nicht mehr als Europäer erkannt. Wir sprechen ihn deutsch an. Er ist so überrascht, dass er zunächst kaum ein paar Worte herausbringt. Dann aber überstürzen sie sich und gleich in drei Sprachen, Deutsch, Afghanisch und Ungarisch.

»Aus Budapest bin ich«, sagt er.

Aus Budapest! Und seine Freude, seit Jahren wieder einmal Deutsch zu sprechen, ist groß. Er kann sich kaum fassen und es dauert lange, bis er fähig ist, zusammenhängend von seinem Schicksal zu erzählen. Das ist abenteuerlich genug!

Im Ersten Weltkrieg versuchten zwei deutsche Expeditionen, Afghanistan als Verbündeten gegen England zu gewinnen. Eine stand unter der Führung Oberleutnant Niedermayers, des bekannten Gegenspielers von Oberst Lawrence. Unter größten Schwierigkeiten schlug er sich von Palästina über Persien bis Kabul durch. Unser Ungar gehörte mit sechs Österreichern dieser Partie an. Die Sache endete mit einem Misserfolg und die meisten Teilnehmer trachteten, über Turkestan und die Mongolei Ostasien zu erreichen, von wo sie schließlich im Jahre 1918 wieder nach Europa zurückkehrten. Der Ungar aber blieb in Afghanistan und verpflichtete sich, dort Straßen und Brücken zu bauen. Ja, er lebte sich so sehr ein, dass er zum Islam übertrat, Afghane wurde, eine Afghanin heiratete und wir ihn jetzt sogar als Beamten der afghanischen Regierung vor uns sahen. Er zeigte uns die Baustelle, die Brücke über den Farrah-Rud.

»Es wird eine schöne Brücke!«, sagen wir.

»Ja«, gibt er zu, »aber niemand weiß, wann sie fertig wird … Immer fehlt irgendetwas, das zum Bauen gerade dringend nötig wäre: Holz für die Verschalungen, Zement, Nägel, Klammern und vor allem gelernte Arbeitskräfte.«

Abends teilen wir mit dem Ingenieur sein bescheidenes Mahl, seit Jahren ein ewig gleichbleibendes Einerlei: Pilaw, den afghanischen Reis, Tee, Brot, Schaffleisch, Früchte. Dabei schildert er die ganze Trostlosigkeit seines einsamen Daseins fern von Europa und immer wieder übermannt ihn die Rührung. Zu plötzlich sind wir als lebendiger Gruß der fast vergessenen Heimat in sein Dasein eingebrochen, haben alte Wunden aufgerissen, sehnsüchtige Gedanken angeregt.

Budapest, die Donau, Wein, Csardas, ungarische Frauen – alles sieht er lebendig vor sich, die Tränen laufen ihm die Wangen herab, er beginnt zu jammern wie ein Kind: »Budapest, mein liebes Budapest!« Wir versuchen, ihn von seinen Erinnerungen abzubringen, aber es hilft nichts – er macht den Eindruck, unendlich traurig und zugleich selig zu sein, und erst lange nach Mitternacht gehen wir alle in seiner Baubaracke zur Ruhe.

Am nächsten Morgen hat Helmuth einen guten Gedanken: »Wir schenken ihm die Salami!« In unserem Vorrat tropensicher verpackter Fleischwaren, der immer nur in Zeiten der Not oder in festlicher Stimmung angegriffen wird, befindet sich noch eine schöne Stange Salami. Die packen wir jetzt aus und mit einer gewissen Feierlichkeit überreichen wir sie dem ungarischen Freund mit den Worten: »Ein Gruß aus der fernen Heimat!«

Große Aufregung bemächtigt sich seiner, mühsam kämpft er wieder mit Tränen, die Wurst aber ist immer noch in Helmuths Hand. Die Afghanen um uns schauen der Szene erwartungsvoll zu. Der Ungar nimmt die Salami nicht! Einigermaßen erstaunt sehen wir uns an. Da sagt er endlich mit erstickter Stimme:

»Um Gottes willen, nehmen Sie die Wurst wieder weg, ich darf sie nicht essen! Der Koran verbietet es, es könnte mich hier als Ingenieur mein ganzes Ansehen kosten!«

Wir tragen die Salami zum Wagen zurück. Nie werde ich den traurigen Blick des Ungarn vergessen, als die Wurst wieder im Vorratskasten verschwindet.

»Leben Sie wohl und grüßen Sie mir die Heimat«, sagt er leise, als wir uns verabschieden. Wie gern würde er uns begleiten, aber er ist an seinen Dienst gebunden. Ob er noch einmal nach Hause reisen wird? Ich glaube es nicht. Er ist verloren für die Heimat, trotz aller Sehnsucht.

Zwei Empfehlungen hat er uns mitgegeben: die erste an den Bürgermeister von Girischk. Girischk liegt am Ufer des Hilmend und Gott weiß, wie wir ohne »behördliche Hilfe« über den Fluss gekommen wären, der jetzt zur Zeit der Schneeschmelze im Hindukusch hoch angeschwollen ist. Wir finden die Honoratioren des Ortes in einer Laubhütte, in die sie der großen Hitze halber ihren Regierungssitz verlegt haben. Einige Soldaten sind ständig beschäftigt, die Wände von außen mit Wasser zu begießen. Zwei andere halten vor dem etwas komischen Amtsgebäude Wache. Sie deuten auf unsere Schuhe, was unschwer als Aufforderung erkennbar ist, sie abzulegen, und bald stehen unsere Stiefel in einer Reihe mit den kunstvollen und reich verzierten afghanischen Pantoffeln und Sandalen. Wir treten ein und sind erstaunt über die erfrischende Kühle in dem kleinen Raum, obwohl er voll von Menschen ist.

Der würdigste der bärtigen Männer lädt uns ein, auf dem Teppich Platz zu nehmen. Heißer grüner Tee wird in Gläser geschenkt und unsere Unterhaltung mit den Stadtvätern von Girischk beginnt. Sie ist sehr einfach: Wir deuten auf den Empfehlungsbrief. Sie reden auf uns ein, worauf wir freundlich und auffordernd nicken. Dieses Spiel wird lange fortgesetzt. Dass man im Orient nicht ungeduldig werden darf, haben wir inzwischen gelernt. Schließlich wird aber doch Kaffee aufgetragen, ein untrügliches Zeichen, dass die »Unterredung« beendet ist. Man gibt uns einen Soldaten mit. Wir nehmen an, dass er beauftragt ist, uns bei der Flussüberquerung behilflich zu sein, wie es im Brief erbeten wurde.

Grau und schlammig, ein Gemisch von Schneewasser und Erde, wälzt sich der Hilmend durch das Tal. Die Strömung ist wild und es scheint mir sehr fraglich, ob wir das Auto werden übersetzen können. Wie ich dazu das morsche, schwankende Boot sehe, das unruhig auf den Wellen tanzt, wende ich mich zu Helmuth: »Wie einfach wäre das mit dem Motorrad!«

Mit diesem Kahn, der an das Seelenboot der griechischen Unterwelt erinnert, soll der schwere Wagen über den reißenden Fluss? Dazu keine geeignete Auffahrt, kein Hilfsmittel zur Hand! Es sieht verzweifelt aus und nie würde man einen solchen Versuch wagen, wenn man nicht müsste. Wenn das Boot von den Strudeln erfasst wird und kippt, dann ist es zu Ende. Die Fährleute aber bewahren eine orientalische Ruhe. Mit weihevollem Ernst überblicken sie die Sachlage, dann schleppen sie Stäbe, Balken, Bretter herbei und bauen eine Rampe vom Ufer zum Boot, bedächtig und schlampig. Ich weiß bestimmt, dass der ganze Zauber zusammenbricht, wenn erst einmal die Vorderräder des Wagens auffahren. Doch es scheint Wunder zu geben in den Landen des Islam, sogar technische Wunder: Unter mir höre ich Ächzen, Krachen, fühle ein Schwanken, gebe Vollgas, der Wagen springt auf die Fähre, zurück bleiben zersplitterte Bretter und geknickte Balken.

Rasend treibt die Strömung den Kahn abwärts. Die Fährleute zucken mit keiner Wimper, liegen mit ruhiger Sachlichkeit in den Rudern, während zwei Knaben das eingedrungene Wasser ausschöpfen.

Etwa zehn Minuten dauert die Überfahrt, bis wir viele hundert Meter stromabwärts das andere Ufer erreichen. Allah war unserer Reise gnädig!

Das zweite Empfehlungsschreiben war für den Siemens-Schuckert-Vertreter in Kandahar bestimmt. »Den müssen Sie unbedingt aufsuchen«, hatte der Ungar gesagt, »ein urgemütliches Haus, ein echter Bayer!«

Durch ein furchtbares Winkelwerk fragten wir uns bis zu seinem Haus durch – die Adresse stand gottlob in afghanischen Zeichen auf dem Brief –, fanden dort aber nicht ihn, sondern nur seinen afghanischen Diener, der in sehr gebrochenem Deutsch sagte: »Ingenieur nicht hier, kommen in zwei Stunden.« Offenbar war er aber unerwartete Gäste gewohnt, denn er brachte uns gleich Tisch und Stühle, Brot, saure Milch, Obst und das Koffergrammophon seines Herrn mit einem Stoß Platten und als wir ihn nach einem Friseur fragten, wies er auf sich und stutzte uns sehr manierlich die Haare. In dem Kauderwelsch, das er von sich gab, kam häufig das Wort »Schafskopf« vor. Zuerst hatten wir Bedenken, dass er uns wie einen Schafskopf scheren würde, kamen aber bald darauf, dass der biedere Bayer seinem Diener diesen schönen Namen zu geben pflegte.

Als uns ein menschliches Rühren packte, probierten wir es aus und riefen: »Schafskopf!«

Prompt erschien er. Wir erkundigten uns fein und manierlich nach dem Klosett. Er grinste: »Nicht verstehen.«

Weil die Sache dringlich wurde, versuchten wir es anders und fragten: »Wo ist Abort?«

»Ich Schafskopf nicht verstehen.«

Jetzt riss Helmuth die Geduld. Auf gut Münchnerisch begann er zu fluchen und rief, halb lachend, halb verzweifelt: »Ja, habt ihr kein Sch … haus hier?«

»Ich verstehen«, strahlte Schafskopf und wir waren gerettet.

Im Auto um die Erde

Подняться наверх