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Bittere Pillen und ein neuer Plan

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Prüfungssorgen • Ein Exposé •

Zwischen Furcht und Hoffnung • Der Herr Generaldirektor lässt bitten

Jetzt war man wer. Man war in der Sahara gewesen und das Jahr darauf in Indien – auf den Spuren Alexander des Großen – als Erster mit einem Motorrad. Eine verkehrsgeographische Pioniertat hatte die Presse vermerkt und Professor Bruno Dietrich, Ordinarius für Verkehrs- und Wirtschaftskunde, war mit den Ergebnissen der beiden Kundfahrten zufrieden.

Der Pedell der Hochschule grüßte sehr freundlich und gab mir so manchen guten Tipp: »Der Professor X ist gut aufgelegt, treten Sie heute an. Diesmal kann es nicht schiefgehen!«

Ja, es ging. Mit Ach und Weh schaffte ich die eine und die andere Prüfung. Eben Glück gehabt. Aber das Glück bleibt auf die Dauer nur dem Tüchtigen treu. Das merkte ich bald.

Was hatte man davon, wenn der Pedell gute Tipps gab, wenn die Mädchen sich bemühten, dem »berühmten Kollegen« einzusagen – aber das Wissen doch so kümmerlich war, dass man trotz aller Hilfen durchfiel …

Ein paar schwere Versager brachten mich aus dem indischen Himmel auf den Boden der Wirklichkeit zurück. Und besonders ein Erlebnis zeigte mir, wie schwer es ist, zwei Herren zu dienen. In der Welt herumfahren und kein Semester verlieren wollen – das vertrug sich nicht.

Die »Warenkunde« war mir besonders unsympathisch und ich hatte kaum jemals eine Vorlesung besucht. Mein bescheidenes Wissen in diesem Fach hatte ich mir beim »Einpauker« im »Cafe Hochschule« erworben. Damit ausgerüstet, meldete ich mich zur Prüfung. Im Vorzimmer des Institutes für Warenkunde stand ein Mann im Arbeitsmantel und ordnete Bücher in einem Regal. Offenbar der Institutsdiener.

»Kann ich bitte den Herrn Professor sprechen?«

»Ja, was wollen Sie?«

»Ich möchte mich zur Prüfung anmelden.«

»So, wie heißen Sie?«

Ich nannte meinen Namen. Mit einem gewissen Selbstbewusstsein, denn man war ja schließlich in der Sahara und Indien gewesen. Und auch mit einem gewissen Ärger, denn was hatte der Diener viel zu fragen. Ich wollte den Professor sprechen.

»So, so, zur Prüfung wollen Sie sich anmelden? Ich will Ihnen was sagen, werter Herr Reisch: Wenn Sie bei mir ein ganzes Semester gehört haben wollen und mich nicht einmal kennen, kann ich Ihnen nur dringend raten, in frühestens einem halben Jahr wiederzukommen.«

Das war ein trauriges Erlebnis. In die Faschingszeitung der Hochschule kam es auch. Alle haben furchtbar gelacht. Nur mir war nicht danach zumute. Um mein seelisches Gleichgewicht wieder herzustellen, beschäftigte ich mich mit einem neuen Reiseprojekt: »Auf dem Motorrad nach China.« Eigentlich ganz naheliegend: Auf der großen Karawanen-Route durch Asien, die südlich des Himalajas vom Mittelmeer zum Chinesischen Meer läuft, hatte ich bisher die Hälfte zurückgelegt: am Landweg nach Indien. Nun war der zweite Teil fällig – von Indien nach China. Professor Dietrich, der meine bisherigen Pläne aus seiner wissenschaftlichen Sicht gefördert hatte, sagte: »Ein verkehrsgeographisch interessantes Projekt! Es gilt, den langen Seeweg um Singapore herum zu vermeiden und stattdessen am Landweg an der Wurzel von Hinterindien eine Verbindung zwischen Vorderindien und China zu suchen.«

Solchermaßen angeregt, arbeitete ich aufgrund der vorhandenen Unterlagen im Institut ein Exposé aus, um der Industrie, die ja das Geld liefern sollte, das Projekt schmackhaft zu machen. Es war eine hübsch gebundene Broschüre mit Landkarten, Diagrammen, Zeit- und Kostenberechnungen. Es galt die Direktoren zu begeistern.

Gerne hätte ich das Projekt persönlich vorgelegt und erläutert. Aber das Sekretariat ließ mich wissen, der Direktor sei verreist, ich möge doch bitte alles schriftlich einreichen. Das schätzte ich gar nicht, denn da kam dann vielleicht ein kurzer, unpersönlicher Brief, man bedaure usw. Das war tatsächlich eine Gefahr, denn es herrschte eine große Wirtschaftskrise just in jener Zeit.

Aber es blieb mir nichts anderes übrig. Ich reichte schriftlich ein. Vorher schrieb ich das ganze Expose noch einmal um. Präziser, schärfer, selbstbewusster und die Kosten setzte ich höher an. Dann wartete ich, ziemlich lange und ich war mit mir, Gott und der Welt, allen Professoren und Direktoren in höchstem Maße unzufrieden. Und mein Gewissen wurde immer schlechter: Hatte ich in den Lichtbildvorträgen oder in einem Zeitungs-Interview etwas Dummes gesagt? Es war mir schon nahegelegt worden, in meinen Stegreifvorträgen vorsichtiger zu sein. Über den Sekretär des Konsulats in Bagdad zum Beispiel hatte ich eine bissige Bemerkung gemacht und der persische Schah hatte durch seine Wiener Gesandtschaft Protest gegen ein Bild eingelegt: eine Kamelkarawane vor dem persischen Justizministerium in Teheran. Welche Unverschämtheit! Wo doch Persien so modern ist und es in den Straßen der persischen Metropole keine Kamele gibt … Hatte ich über meine treue »Indien-Puch« etwas Unrechtes gesagt? Ja, die Speichen waren gerissen, die Sattelfeder gebrochen, das habe ich gesagt! Ein Vierganggetriebe und eine Federung des Hinterrades hatte ich energisch gefordert. Hatte ich sonst noch etwas gesagt, das österreichische Werkmannsarbeit geschmäht haben konnte?

Ich war mir keiner Schuld bewusst. Trotzdem hatte ich ein schlechtes Gewissen.

Schließlich kam die Antwort. Nicht vom Herrn Direktor. Nanu? Ich musste zweimal lesen, bis ich erfasste: »Der Herr Generaldirektor erwartet Sie am 2. Oktober um 15 Uhr zu einer Besprechung.« Das war ein schicksalsschwerer Brief: Sollte ich mich freuen? Oder würde mir von allerhöchster Stelle eine Strafpredigt gehalten werden? Mein Gewissen war infolge der langen Wartezeit immer schlechter geworden.

15.10 Uhr. »Der Herr Generaldirektor lässt bitten.« Wie furchtbar das klang!

Der Weg war endlos lang. Ich glaube, nach China ist er kürzer. Man hat von Diktatoren gelesen, dass sie über ein Arbeitszimmer verfügen, dessen Durchschreitung einem Canossagang gleichkommt. Mir ging es ähnlich. Ich wurde klein und immer kleiner. Ich dachte: Du hättest die Reisekosten nicht erhöhen sollen. Verringern hättest du sie sollen, du Tor!

Dann hörte ich wie aus weiter Ferne eine Stimme: »Die Ergebnisse Ihrer Indienreise haben uns recht befriedigt.«

Ich verbeugte mich stumm.

»Aber nun haben wir genug Werbung für unser Motorrad gehabt.« Der Herr Generaldirektor machte eine Kunstpause, (während der mir das Herz endgültig in die Hose rutschte) und dann fuhr er fort: »Muss es unbedingt ein Motorrad sein? Warum wollen Sie eigentlich keinen Wagen nehmen?«

Das »Eigentlich« des Generaldirektors half mir.

Ja, warum eigentlich nicht? Ich riss mich zusammen und sagte: »Das wäre ein großartiger Plan, kühner als ich ihn je geträumt habe.«

Der Generaldirektor lächelte. »Wir sehen das Problem aus einer größeren Perspektive. Unser neues Modell Steyr 100 liegt uns am Herzen. Es soll sich in der Welt bewähren. Trauen Sie sich zu, unser neues Modell durch China zu steuern?«

»Ja, Herr Generaldirektor.«

»Die von Ihnen genannten Kosten würden sich natürlich für den Wagen entsprechend erhöhen.«

»Ja, Herr Generaldirektor.« (Es war wie im Märchen.)

»Sagen wir das Doppelte des Vorschlages von Ihrem Exposé?«

»Ja, Herr Generaldirektor.« (So etwas kommt eigentlich nur im Kino vor.)

»Wir legen aber größten Wert auf Serienmäßigkeit. Nichts darf mechanisch verändert werden! ›Herr Jedermann‹ muss das Gefühl haben, auch er könne mit einem Steyr 100 nach China fahren.«

»Ja, Herr Generaldirektor.«

»Wann wollen Sie fahren?«

»Im Mai«, sagte ich aufs Geratewohl. Jetzt nur keine Unsicherheit zeigen.

»Gut. Bis dahin erhalten Sie eine Limousine unserer neuen Type, damit Sie sich mit dem Wagen vertraut machen können. Alles Weitere besprechen Sie mit Direktor X, Direktor Y und Ingenieur Z. Viel Glück!«

Die Unterredung hatte etwa zehn Minuten gedauert. Ich wankte aus dem Saal hinaus. Im Kopf schwirrte es: im Auto nach China, Reisekosten zuerst schon erhöht, dann nochmal verdoppelt, Limousine zum Privatgebrauch …

Im Auto vom Mittelmeer zum Gelben Meer!

Ist das leichter oder schwerer als mit dem Motorrad? Ich wusste es selbst nicht.

Im Auto um die Erde

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