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Fremde Teufel
ОглавлениеOstpersische Höhlendörfer • Meschhed • Drei Polizisten warten auf den
Zwischenfall • Helmuth sitzt im Käfig – ein Spaß für alle Beteiligten •
»Und sie haben doch ein Maschinengewehr!«
Die Straße, die jetzt so lange Zeit eintönig gerade verlief, bekommt Kurven, sie steigt und fällt, die Wüste wird hügelig. Wir nähern uns Meschhed, dem großen Pilgerort, dem Mekka der schiitischen Welt.
Auf der letzten Anhöhe zeichnen sich eine Unmenge kleiner Steinpyramiden als Silhouetten gegen den Himmel ab. Was mögen sie bedeuten? Erst als wir oben halten, finden wir die Erklärung dafür: Hier ist die Stelle, wo man Meschhed zum ersten Mal in seiner ganzen Ausdehnung überblickt. Ein Häusermeer, viele Gärten und Bäume dazwischen und alles überragend die vergoldete Kuppel der großen Moschee. Soweit man sehen kann, dehnt sich um die Stadt herum ein Gürtel blühender Felder, Pappelwälder und Dörfer. Kein Wunder, dass dieser Anblick die Pilger trifft wie eine Botschaft aus den Gefilden des Paradieses! Sie haben vielleicht wochenlange Reisen auf dem Rücken der Kamele hinter sich, nichts als Mühsal und Anstrengung, nichts als Hitze, Sand, Staub, eintönige gelbbraune Ebene, trockene Salztümpel. Und nun auf einmal liegt diese strahlende Stadt vor ihren Augen! Dieser Stunde muss ein Gedenkzeichen errichtet werden, hier muss man seinem Gott für die überstandene Mühsal danken. Und so entstehen die kleinen Steinpyramiden und daneben kleine, von niederen Mauern umgebene Plätze, wo der Gebetsteppich ausgebreitet werden kann.
Wie viele mögen nicht nur das Ende einer langen, beschwerlichen Reise hier feiern, sondern den Augenblick, wo in ihr Leben überhaupt zum ersten Mal eine Ahnung von Glanz und Herrlichkeit tritt! Wir denken an die Armseligkeit mancher Behausungen, die wir auf der Fahrt von Teheran nach Meschhed angetroffen haben.
Von ostpersischen Dörfern ist nichts zu erblicken als etwa zwei Meter hohe Kuppeln aus einer Mischung von Lehm und Stroh. Keine Gasse führt durch das Dorf, eng schließt eine Kuppel an die andere an.
Jede hat eine Öffnung in ihrer Mitte, Rauch steigt daraus auf und verrät, dass sich unterirdisch das dörfliche Leben abspielt.
In welchen Formen? Es lässt uns keine Ruhe, wir klettern erst zwischen den Kuppeln herum, dann einen engen Lichtschacht hinunter, in dem kleine Fensteröffnungen ausgespart sind. Die sogenannten Wohnungen, die wir auf diese Art erreichten, waren schrecklich! Finster, dumpf, von Rauch und einem unbeschreiblichen Gestank erfüllt. Zunächst konnten wir überhaupt nichts erkennen, so geblendet waren unsere Augen noch von der grellen Sonne, aber bald sahen wir, dass Frauen, Kinder, junge Hunde da unten auf dem Boden herumtollten und sich nur jetzt vor Staunen alle ganz still verhielten, um uns wie ein Wunder anzustarren.
Ein Mann fand sich, um uns durch dieses eigenartige Höhlendorf zu führen. Raum reihte sich an Raum; in dem einen lagen alte Leute, in Lumpen gehüllt, in dem anderen Werkzeuge und primitive Geräte, der nächste diente einer Familie als Schlaf- und Wohnraum, der vierte als Stall. Ein Fettschwanzschaf stand darin, wahrscheinlich hatte es sein gewichtiges Anhängsel verletzt, denn es trug den Schwanz in einem hölzernen Gestell auf den Rücken gebunden. Dieser Körperteil dient als »Vorratskammer« für magere Zeiten und die Tiere bieten einen grotesken Anblick, wenn sie ihn prall gefüllt hinter sich herschleppen. Die Räume des unterirdischen Dorfes waren alle durch Türlöcher miteinander verbunden, die nur selten mit einem schmutzigen Lappen verhängt wurden. Besonders heiß war es nicht, manche Räume schienen sogar irgendeinen Zugang zu frischer Zugluft zu haben – aber wir kamen uns vor wie in einem Labyrinth. Gerade als die Beklemmung, die sich uns auf die Brust legte, ins Unerträgliche wachsen wollte, stieß unser Führer ein Türchen auf und wir standen plötzlich im Freien. An der Straße, dicht neben unserem Wagen. Wir hatten vorhin absolut nicht bemerkt, dass sich dort ein Eingang befand. Jetzt blickten wir noch einmal zurück – Kuppel an Kuppel, auf einem Fleck von fünfzig Metern im Quadrat zusammengedrängt. Unverständlich, diese Art Siedlung in der heißen, trockenen Steppe.
An ihre Bewohner denken wir hier angesichts der leuchtenden Weite von Meschhed – was müssen erst solche Leute an dieser Stelle empfinden! Langsam rollen wir hinunter und auch uns fällt es nicht schwer, uns wie im Paradies zu fühlen. Gartenanlagen überall, die Straßen feucht und staubfrei, an ihren Seiten mächtige, schattenspendende Bäume.
An einem hübschen, gepflegten Haus lesen wir die Inschrift »British Consulate«. Sehr gut – in der nächsten Karawanserei werden wir uns rasieren und umziehen und dann dem Herrn Konsul unsere Aufwartung machen. Unsere Einreisevisa für Indien müssen ohnehin überprüft werden und außerdem – der englischen Überwachung würden wir ja doch nicht entgehen. Ich muss zugeben, dass sie auf eine außerordentlich diskrete und angenehme Weise durchgeführt wird. Mr. Humber, der Konsul, ist über unsere Reise, über Zweck und Ziel selbstverständlich schon genau unterrichtet. So wie er sie bekommen hat, wird er die Information an seine Kollegen in den nächsten Städten weitergeben. Und genau wie von seinen anderen Kollegen erhalten wir auch von ihm sofort eine Einladung zum Tee, wo man bekanntlich am besten und ganz zwanglos dem Gast auf den Zahn fühlen kann.
Wir wissen schon, dass die vielen offiziellen Einladungen, die wir auf unserer Fahrt von amtlichen Stellen und Konsulaten erhalten, kein Anlass sind, sich besonders geehrt zu fühlen. Manches lichtscheue europäische Gesindel, Abenteurer, auch politische Agenten, treiben sich in Asien herum und es ist daher verständlich, dass jeder Europäer erst einmal gründlich unter die Lupe genommen wird.
Woher? Wohin? Warum? Das interessiert anscheinend nicht nur die Vertreter der europäischen Behörden, sondern auch die Ortsgewaltigen. Denn kaum sind wir mit Mr. Humber bei einer Tasse Tee richtig ins Gespräch gekommen, als ein Polizeibeamter erscheint. Wir haben es unterlassen, uns sofort nach der Ankunft bei der Polizei zu melden – ein arger Verstoß gegen die sehr strikten persischen Vorschriften! Mr. Humber redet uns zu: »Gehen Sie lieber gleich mit, sonst haben Sie nur Schwierigkeiten!«
Ungern unterbrechen wir die gemütliche Teestunde und müssen Mrs. Humber versprechen, morgen wiederzukommen, um das Erlebnis mit den lockenden Früchten bei Abdul Hussein fertig zu erzählen. Auf der Polizei werden wir einem langen Verhör unterzogen und endlich wieder entlassen. Die Pässe behält man zurück.
Im Büro der Anglo-Iranian Oil Company gibt man uns einen Führer zur Besichtigung der Stadt mit. Die berühmte Moschee Imam Risas wollen wir unbedingt sehen und vielleicht auch eine Aufnahme machen. Menschenmassen stauen sich vor den Toren, bunt mischen sich Trachten aus Luristan und Usbekistan, aus Anatolien und Bachtiarien durcheinander. Alles stößt und drängt vorwärts zum Eingang der Moschee.
Ich frage Dschämschid, unseren Führer: »Glaubst du, dass wir hineindürfen?«
»Ausgeschlossen! Selbst in Verkleidung würdet ihr entdeckt werden. Und dann …«
Was dann wäre, wird uns klar, als wir der misstrauischen und bösen Blicke gewahr werden, die uns die Pilger zuwerfen. So richtig unbehaglich fühlen wir diese Blicke, auch von rückwärts scheinen sie uns durchbohren zu wollen, fragend, was wir hier zu suchen haben. Von allen Seiten sind wir umgeben von Gläubigen, die von fern hergekommen sind, um zum großen Gott der Wüste und zu seinem Propheten zu beten.
»Auch wenn ihr unerkannt hineingelangen würdet, so würde euch Mohammed Imam Risa, der Schutzpatron der Moschee, auf seine Art noch prüfen. In der Moschee ist ein Stein, nicht schwer, jeder kann ihn aufheben, wenn er gläubig ist! Da ihr das nicht seid, könntet ihr den Stein nicht heben und wäret verraten …«
Nein, solchen Prüfungen wollen wir uns lieber nicht unterziehen. Aber die große Pilgerschar vor der Moschee im Bild festzuhalten, das kann doch den Zorn des Propheten nicht entflammen?
Dschämschid glaubt, dass wir es wagen können. Wir ziehen uns etwas aus der wogenden Masse zurück bis unter einen der Bäume, die den großen Platz einfassen. Von hier können wir die vielen Menschen und die Moschee übersehen. Mächtig ragen das große Hauptportal und die Minarette gegen den Himmel. Blau und gelb glasierte Kacheln spiegeln das Sonnenlicht. Eine elektrische Uhr von riesigen Ausmaßen ziert das Portal. Sie wirkt wie ein Faustschlag gegen asiatische Zeitlosigkeit.
Helmuth hebt seine Kamera, will abdrücken und fährt erschreckt zusammen: »Aks! Aks!«, brüllt es von allen Seiten. Überall gellen die Rufe: »Bild! Bild!« Die Menge stößt drohend gegen uns vor. Aber schon sind die drei Polizisten zur Stelle, die uns die ganze Zeit beobachteten und scheinbar nur auf einen Zwischenfall gewartet haben. Der erste sagt mit finsterer Miene kurz angebunden »Chavaz«, Helmuth reicht ihm den Ausweis, die unerlässliche Photographiererlaubnis, hin. Der Brave kann aber leider nicht lesen, denn er hält das Schreiben verkehrt und tut nur so, als würde er es durchstudieren. Helmuth dreht freundlich den Chavaz um und zeigt mit dem Finger auf den Anfang der Schrift. Das war ganz falsch, denn jetzt hat er den Polizisten beleidigt! Er packt Helmuth unsanft am Arm und zu dritt machen sie sich daran, ihn abzuführen. Die Menge brüllt vor Begeisterung und zieht in Scharen hinterdrein.
Bis zu dem kleinen Polizeigebäude darf ich Helmuth begleiten, dann wirft man mir die Tür vor der Nase zu und es bleibt mir nichts übrig, als zum englischen Konsul zu fahren. Der Konsul war nicht da, der Konsul spielte Golf.
Weit draußen in der Wüste fand ich ihn. Er war erst beim vierten Loch angelangt, kam aber bereitwillig mit. Helmuth wurde, wie er später erzählte, in einen Hof gebracht, der rings von vergitterten Zellen umsäumt war. Man schob ihn in einen der freien Käfige, schloss ihn ein und er hatte Muße, das üble Gesindel zu betrachten, das in den anderen untergebracht war. Vorher steckte er ganz in orientalischer Ruhe und Manier dem einen Polizisten ein paar Münzen zu und sagte »Tschai«, worauf er promptest mit Tee und Weintrauben versorgt wurde. Als er sich dazu noch eine Zigarette anzündete, erschien auf einmal vor dem Gitter eine Hand – der Nachbar bettelte um Zigaretten. Helmuth machte sich den Spaß, ihm eine ganze Menge in die schmutzigen Finger zu drücken und sah bald, dass es unter den »Verbrechern« gerecht zuging. Zigaretten und Feuer wurden durch die Gitterstäbe weitergereicht, bald rauchten alle, lachten und winkten ihm zu – es war ein Mordsspaß.
Das fand auch der britische Konsul, der das Lachen kaum verbeißen konnte, als er meinen armen Reisegefährten so sitzen sah. Die persischen Polizeioffiziere im Hauptkommando machten viele Verbeugungen und stammelten viele Entschuldigungen. Im Büro bekam Helmuth feierlich seinen Chavaz zurück, dazu wurden Tee und Zigaretten gereicht und man teilte ihm aufs Höflichste mit, überall könne er filmen, nur nicht mehr bei der Moschee.
Nirgends mehr in der Stadt Meschhed hat ein Polizist Helmuth nach seinem Chavaz gefragt, soviel er auch photographierte – sie scheinen auf allen Revieren von dem Vorfall erfahren zu haben.
Dafür sammelten sich immer wieder Scharen von Neugierigen um unseren Wagen und soweit sie englisch oder französisch sprachen, bestürmten sie uns mit Fragen. Ob der Wagen auch schwimmen könne? Selbstredend. Fliegen auch? Na, das ist doch klar. So hatten wir unseren Spaß mit den gläubigen Persern. Einer sagte, das Auto sähe wie ein Panzerwagen aus. Da packte mich der Übermut und ich antwortete: »Ist ja auch einer, hinten steckt unser Maschinengewehr.«
O weh, das hätte ich nicht sagen dürfen! Diesen Scherz benützten die Mollahs, um gegen uns zu hetzen. Sie waren uns gewiss noch gram, dass wir uns in das heilige Geviert der Moschee gewagt hatten. Sie fürchteten für die Schätze von Gold, Silber und Edelsteinen, die dort angesammelt sind. Man hat in Meschhed wohl nicht vergessen, dass noch vor zwanzig Jahren turkmenische Reiter die Moschee stürmten und entheiligten.
Eine höchst aufgeregte Menge umringt uns am nächsten Nachmittag. Sie will das Maschinengewehr sehen! Es hilft nichts, dass wir versichern, wir hätten keins. Es hilft nichts, dass die Polizei die Plache aufhebt und feststellt, wie harmlos der Inhalt unseres Gepäcksraumes ist. Das Volk lässt sich nicht beruhigen. Und die Mollahs tuscheln: »Sie haben doch eins … Und ein Aks, ein Bild von der Moschee, haben sie auch gemacht, die fremden Teufel!«
Es bleibt den fremden Teufeln schließlich nichts übrig, als aus der heiligen – ach, so heiligen! – Stadt schleunigst abzureisen.