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Dichterworte und dichter Staub
ОглавлениеDas Grabmal des Dichters • Ein Kleinod hinter Lehmmauern •
Nächtlicher Sandsturm und eine Reifenpanne • Gastmahl in Nischapur •
Persischer Knigge
»Viele gingen schon den letzten Gang, den schweren,
zurück kam keiner, Wahrheit uns zu lehren.
Hüt dich in dieser Herberg Welt vor dem Begehren,
lass nichts zurück, nie wirst du wiederkehren.«
Aus weiter Ferne schon sahen wir im Dunst der Wüste die Kuppel jenes Bauwerks bläulich schimmern, das dem Besucher diesen Spruch mahnend entgegenhält. Es ist das Grabmal Omar Chajjams, das für mich am schönsten und vollkommensten alles verkörpert, was man sich unter »orientalischem Zauber« nur irgend vorstellen kann. Chaj-jam heißt »Zeltmacher«. Dieser Beiname muss sich auf ein sehr frühes Stadium seines Lebens beziehen, denn später wurde Omar Astrologe, Weiser und vor allem Schöpfer einer blühenden Fülle lyrischer Strophen, die immer noch im persischen Volk lebendig sind und nicht nur für dieses Volk, sondern für alle Menschen eine verständliche, zu Herzen gehende Sprache sprechen.
Seinem großen Sohn hat Persien im 14. Jahrhundert, etwa dreihundert Jahre nach seinem Tod, eine unvergleichliche Gedenkstätte geschaffen. Wir fahren an einer unscheinbaren, aus Lehmziegeln bestehenden Mauer entlang und niemand würde vermuten, welches Kleinod sich dahinter verbirgt. Aber schon das geschmiedete Gittertor, das den ersten Blick in das Innere eines lieblichen Gartens freigibt, ist ein vollendetes Kunstwerk. Es öffnet sich, fünfzig Meter trennen uns von der Hauptfassade des Grabmals und dieser fünfzig Meter lange Weg ist umrahmt von Blumenbeeten in den leuchtendsten Farben, Rosen, Narzissen, Zyklamen, tief goldgelben Dotterblumen, Stiefmütterchen und viele andere Arten, deren Namen mir so fremd sind wie die Blumen selbst. Die Beete formen Ornamente, arabische Schriftzeichen, den Baum des Lebens und in ihrer Mitte spielen Goldfische in einem blau glasierten Wasserbecken. Dieses einzigartige Blau wiederholt sich hundertfach am Bauwerk selbst, das Portal ist ganz aus blau glasierten Kacheln mit Arabesken, Blüten und Blumenmustern, blaue Säulchen teilen die Doppelfenster der beiden Fensterreihen oben und unten und über dem Bau schwebt zierlich und elegant geschwungen die Kuppel, ebenfalls aus glasierten Kacheln. Sie überdacht den großen Hauptraum, dessen Mauern mit Verzierungen aller Art übersät sind, Einlegearbeiten aus zugeschliffenen Steinen in allen Farben. Der Boden ist mit den herrlichsten weichen Teppichen belegt und durch bemalte Fensterscheiben fällt gedämpftes, farbiges Licht gerade auf den mächtigen Sarkophag aus rötlichem Gestein, auf dem in arabischen Lettern die Lebensgeschichte des großen Dichters verzeichnet ist. Andächtige Stille herrscht in diesem Raum, der trotz aller Buntheit, trotz überreicher Verzierung nicht unruhig wirkt und nicht überladen.
Nebenan kann man in kleineren Gemächern prachtvoll in Leder und Metall gebundene Bücher und Schriften bewundern, Sammlungen von Miniaturen, Schmuck und Specksteinschnitzereien.
Ganz benommen noch von dem Gesehenen, lassen wir uns draußen unter einem Aprikosenbaum nieder, dessen Zweige sich unter der Last der Früchte tief herunterbiegen. Der Perser, der uns begleitet, lädt mit einer Handbewegung zum Essen ein. Und sicher war es ganz im Sinn des Dichters, wenn wir angesichts seines zauberhaften Grabmals ein wenig von des Lebens Köstlichkeiten genossen. Er war sich der Vergänglichkeit aller Dinge sehr bewusst, aber gerade darum trachtete er, sie in vollen Zügen auszukosten, und seiner Liebe zum Wein danken die östlichen Sänger so reizende Verse wie diese:
»Ihr wisst, o Freunde, lange schon bedacht,
ward neu ein Hochzeitsfest bei mir gemacht:
Vernunft, die dürre, bannt’ ich aus dem Bett
und hab’ des Weinstocks Tochter hingebracht!«
Die Oase blühender Schönheit bleibt hinter uns und wieder umfängt uns die Wüste in ihrer einzigartigen Öde. Schon seit Tagen ist der Himmel bleiern grau und eine dicke, schwere Nebelschicht scheint sich beklemmend auf die Lungen zu legen. Ist es überhaupt Nebel? Nicht an die Sprüche der Dichter, wohl aber an die Worte der Bibel müssen wir jetzt denken: »Und die Sonne verdunkelte sich …« Genauso geschieht es, als der Nebel sich nun als aufgewirbelter Sand entpuppt, der pfeifend und singend über die Steppe jagt. Urplötzlich ist der Sturm gekommen, wir haben kaum noch Zeit, das Dach überzuziehen und die Seitenteile einzuhängen.
In unregelmäßigen, wirbelnden Stößen umheult der Sturm das einsame Fahrzeug in der weiten Wüste. Böen packen es an und wollen es zur Seite schleudern. Fest müssen die Hände das Lenkrad umklammern. Langsam füllt sich unsere Kabine mit Staub, der durch alle Ritzen dringt. Es gibt keinen Schutz gegen den feinen Wüstensand. Wir sind um die Film- und Photoapparate besorgt. Was wird das wieder für Überraschungen geben! Dem Vergaser wird es zu dumm, er beginnt trotz der Filter zu streiken. Mit viel Gas und gleichzeitigem Auskuppeln versuche ich immer wieder, ihm Leben einzuhauchen. Armer Motor, wie viel Staub bekommst du zu schlucken! Aber wir können die Nacht nicht hier in dieser Einöde verbringen und setzen trotz der tobenden Naturgewalten die Fahrt langsam fort. Noch immer zeigt sich kein Dorf, keine Karawanserei. Nur verlassene Ruinen ehemaliger Unterkünfte, die durch den Autoverkehr überflüssig geworden sind.
An ein Übernachten im Freien ist nicht zu denken. Wir müssen so bald als möglich ein schützendes Dach erreichen, um uns und den Wagen vor dem peitschenden, beißenden Sand zu sichern. Also weiter!
Welche Windstärke unserem Sturm zukommt, kann ich nicht sagen, aber die Windsbraut fasst den Wagen und wirft ihn oft mehrere Meter zur Seite, ohne dass die Hände am Steuer auch nur die leiseste Drehung gemacht hätten.
Sand und Salzstaub prasseln gegen die Scheiben. Im Lichtkegel der Scheinwerfer funkeln Tausende von Salzkristallen, die der wütende Sturm uns entgegenpeitscht. Heftiges Jucken wird durch Salz und Staub hervorgerufen – aber sonst ist es im Wagen ganz gemütlich. Der Rauch süßer persischer Zigaretten erfüllt die Kabine und erzeugt sogar ein gewisses Behagen. Soll doch der Sturm rasen, uns kann kaum etwas geschehen. So schlimm wird es auch mit dem Versanden der Kameras nicht sein. Gelesen hat man ja allerhand über solche Dinge, aber – na ja.
Der Wagen bahnt sich seinen Weg durch Wind und Nacht. Die Gedanken aber eilen zurück: Ich entdecke mich dabei, wie ich eine Hand löse und das Steuerrad tätschle: guter, treuer Weggefährte! Fünftausend Kilometer waren seine Reifen schon über spitzes Geröll und heißen Sand in Asien gelaufen und nicht einmal einen »Plattfuß« verzeichnet das genau geführte Bordbuch.
»Erstaunlich, welches Glück wir haben!«, sage ich zu Helmuth.
Das hätte ich nicht tun sollen. Kaum ist der Satz zu Ende, poltert und stößt es, der Wagen rollt auf der Felge.
»Das ist ja lustig«, meint Helmuth. Wir rauchen die Zigarette noch ruhig zu Ende, auf ein paar Minuten kommt es nicht an. Dann aber heraus! Der Sturm reißt uns fast zu Boden. Schwarze Nacht breitet sich um uns. Zum Überfluss ist der Absuchlampe kein Fünkchen zu entlocken. Ich setze den Wagenheber unter die Achse, schraube und schraube; aber der Wagenheber versinkt im Sand. Helmuth bringt ein Brett, jetzt hebt sich der Wagen, das Rad wird frei. Der salzige Sand peitscht gegen unsere Gesichter, läuft unter dem Hemd den Rücken hinunter. Schweiß mischt sich dazu. Die Augen schmerzen und triefen, als wir nach einer halben Stunde das Rad gewechselt haben und in den Wagen zurückklettern.
Weiter! Mit neuer Kraft stemmt sich der willige Motor gegen die feindliche Natur und spät, spät nachts fahren wir endlich in einen Ort, in eine geschützte Karawanserei ein.
Der nächste Reisetag bringt eine erfreuliche Abwechslung. Wir besuchen mit einer Empfehlung des Hauptbüros der Anglo-Iranian Oil Company in Teheran Abdul Hussein, den Benzinagenten dieser Gesellschaft in Nischapur. Ein Polizist bringt uns zu einem unscheinbaren Haus. Und wieder erleben wir wie bei Omar Chajjams Grabmal das Wunder, dass sich hinter öden, ausgedörrten Lehmmauern ein wahres Paradies verbirgt. Wasser plätschert, Blumen leuchten und duften. Der Hof ist von einer Säulenreihe umsäumt. Wider Erwarten gelangen wir in einen kleinen Palast.
Ein Diener bietet uns Platz an, wir übergeben ihm unsere Karten. Vorsorglich sind sie englisch, französisch und arabisch gedruckt. Es dauert nicht lange und der dienstbare Geist kommt zurück: Abdul Hussein lässt bitten. Wir treten ins Innere des Hauses. Der Hausherr erhebt sich von seinem Sitzkissen hinter dem niedrigen Rauchtisch. Sorgfältig studiert er den an ihn gerichteten Empfehlungsbrief. Das Schreiben ist der Länge nach in zwei Hälften geteilt: Auf der linken steht der englische, auf der rechten der persische Text. Auch dieser ist mit der Schreibmaschine abgefasst.
Abdul Hussein führt uns auf die Terrasse hinaus und wir nehmen in bequemen Stühlen nach westlicher Art Platz. Obwohl wir von stundenlanger Fahrt reichlich verstaubt sind, wagen wir doch nicht, um Wasser zu bitten, denn vorerst muss der unvermeidliche Begrüßungstee getrunken werden, der in winzigen Gläsern dargeboten wird.
Vor uns lockt der große Teich zu einem Bad, kaum können wir der Versuchung widerstehen, uns hineinzustürzen, um den Wüstenstaub vom Körper zu spülen. Herrlich wäre es – aber es ist unmöglich. »Wenn ich mir wenigstens die Hände waschen könnte«, stöhne ich zu Helmuth hinüber. Er blickt auf seine verstaubten Hände und Arme, über die der Schweiß schmutzige Rillen gezogen hat. Das Haar klebt an der Stirne, der Staub juckt auf der Kopfhaut. Körperliches und auch seelisches Unbehagen erfüllt uns, während wir immer neue Schalen Tee in uns hineingießen müssen.
Ein Diener bringt die Wasserpfeife. Verfluchtes Ding, denke ich, während ich den langen Schlauch an die Lippen führe: Waschen, waschen wollen wir uns! Das allein und sonst gar nichts! Sollen wir darum bitten? Nein, das dürfen wir nicht, es wäre vielleicht sehr unhöflich. Ergeben wir uns unserem verstaubten Schicksal!
Neue Gäste kommen: der Polizeikommandant und der Arzt. Der »Hakim« spricht etwas Deutsch, das er aus seinen medizinischen Büchern gelernt hat. »Wir sind sehr glücklich in deinem Haus«, lassen wir Abdul Hussein sagen.
Darauf er, mit verhaltener Befriedigung: »Mein Haus ist nur klein und Allah war ungnädig, dass er mich eure Ankunft nicht eher wissen ließ.« So plätschern die Lobesbeteuerungen und Entschuldigungen von unseren Lippen. Die »Nargileh« kreist, der Rauch gurgelt durch den gläsernen Wasserbehälter, um dann mit tiefen Zügen in die Lunge eingesogen zu werden. Gewaschen sind wir noch immer nicht.
So geht das einige Stunden – rauchen und Tee trinken, Tee trinken und rauchen.
Halt – jetzt tut sich was: Ein Diener bringt ein Kännchen und bleibt abwartend vor mir stehen. Ich begreife, strecke die Hände hin, reibe sie erwartungsvoll: Ein fadendünner Strahl rinnt darüber hin – und schon ist die »Reinigung« vollendet. Ich sehe eben noch, wie Helmuth ein paar Wassertropfen liebevoll in seinen ausgetrockneten Handflächen verreibt, dann hält schon der Hakim seine spitzen Finger hin. Auch er bekommt nicht mehr als einen Teelöffel voll, wie ein Wiesel eilt der Diener weiter zum Polizeioffizier und endlich zu Abdul Hussein. Die Waschung von fünf Personen hat kaum eine Minute gedauert. Doch scheint jedermann sehr zufrieden zu sein – nur wir nicht.
Mit dieser Zeremonie ist der Auftakt zum Abendmahl gegeben. Fruchtschalen werden gebracht. Leider sind wir nicht sattelfest im persischen Knigge, wissen nicht: Dürfen wir anfangen oder sollen wir noch warten. Wir entscheiden uns für das Letztere. Mit uns aber warten alle! Heimlich spähe ich nach der Uhr. Eine geschlagene Stunde sitzt die Gesellschaft vor den Schalen mit lockenden Trauben, Marillen und Granatäpfeln, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Die Unterhaltung beginnt langsam zu stocken. Alles scheint sich nach den Früchten zu sehnen. Der Polizeioffizier hat schon mehrmals danach geblickt, der Hakim rutscht unruhig auf seinem Sessel hin und her. Helmuth und ich tun das schon lange. Verzweifelt sogar. Wie schön war es doch gestern im »Auto-Hotel«, wo man für ein paar Krans tun und lassen konnte, was man wollte.
Abdul Hussein ist der Einzige, der Würde zu wahren versteht, lässig hat er sich zurückgelehnt, raucht aus der Nargileh. Damit aber ist die Unterhaltung ganz versiegt. Die Stimmung scheint gewitterschwül, ja geradezu feindselig zu werden. Bald muss irgendetwas geschehen, der Hakim hat mich so herausfordernd angeblickt.
»Zum Teufel noch einmal«, denke ich – und sage es auch und nicht eben leise. Mit dem Mut eines gequälten Tieres reiße ich mich hoch, greife nach der schönsten Marille und beiße herzhaft hinein.
Alles wartete auf diese befreiende Tat und wie eine Erlösung geht es durch die Reihen. In wenigen Minuten sind die Schalen geleert. In rascher Folge werden nun Reis, Hammelkeulen, Brotfladen, Eier, Hühnerhaschee und Melonen aufgetragen. Abdul Hussein lässt sich stets von mir nötigen zu essen.
So ist das also in Persien! Gewaschen aber sind wir immer noch nicht und das ausgerechnet in jener Stadt, die den Erlös aus dem Lebenswerk des größten aller persischen Dichter auf seinen Wunsch dazu verwendete, großzügige Bewässerungsanlagen zu schaffen.
Erlebt hat Firdusi, der »Paradiesische«, ihre Ausführung allerdings nicht mehr. In 60.000 Doppelversen hatte er in seinem ungeheuren Epos »Schah-name« alle alten persischen Heldensagen zusammengefasst und ihnen die unsterbliche dichterische Form gegeben. Von Sultan Mahmud I. war ihm für jeden Doppelvers ein Goldstück versprochen worden – aber seine Neider wussten den Sultan gegen ihn einzunehmen und der greise Dichter fiel in Ungnade. Spät erst erkannte der Sultan seinen Fehler. Zu spät, denn die Karawane mit den 60.000 Goldstücken, die nach Nischapur, Firdusis Heimat, unterwegs war, begegnete bei ihrem Einzug in die Stadt dem Leichenzug des Dichters. Er selbst allerdings hatte keiner äußeren Ehrung bedurft, um ewigen Ruhmes sicher zu sein, denn das Nachwort zu seinem Epos lautet:
»Wer immer Geist hat, Glauben und Verstand,
von dem werd’ ich mit Lob und Preis genannt,
der ich die Saat des Wortes ausgesät.
Ich sterbe nicht, wenn auch mein Leib vergeht!«