Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!" - Meinhard Saremba - Страница 22

Liebe auf den ersten Ton

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Brahms brauchte Hartnäckigkeit. Zunächst klopfte er im falschen Augenblick bei der Wohnung der Schumanns an. Eine der Töchter ließ ihn wissen, die Eltern seien gerade ausgegangen und er würde am nächsten Tag gegen Mittag mehr Glück haben. Robert Schumann verzeichnete in seinen Tagebüchern statistisch nüchtern das Aufsuchen und das Kennenlernen mit einem kurzen Erinnerungsvermerk:

»30. Sept. Hr. Brahms a. Hamburg.«

»1. Oct. Das Concert für Violine beendigt. Brahms zum Besuch (ein Genius).«104

Clara Schumanns private Eintragungen fielen erheblich enthusiastischer aus. »Dieser Monat brachte uns eine wunderbare Erscheinung in dem 20jährigen Komponisten Brahms aus Hamburg«, schrieb sie. »Das ist wieder einmal einer der kommt wie eigens von Gott gesandt!«105 Wieder einer? Clara begeisterte sich für jeden, der den Ideen ihres Mannes offen gegenüberstand. Und Robert Schumann war als Gründer und ehemaliger Herausgeber einer Musikzeitschrift sowie als leitender Dirigent der Ansprechpartner für viele junge Talente. Die meisten der von ihm protegierten Künstler konnten die in sie gesetzten Erwartungen auf Dauer nicht erfüllen. Doch bei Johannes Brahms lag eine ganz andere Chemie in der Luft. »Er spielte uns Sonaten, Scherzos etc. von sich, alles voll überschwänglicher Phantasie, Innigkeit der Empfindung und meisterhaft in der Form«, erinnerte sich Clara. Ihr war, als hätte ihn »der liebe Gott gleich so fertig auf die Welt gesetzt«. Selbst »Robert meint, er wüßte ihm nichts zu sagen, das er hinweg- oder hinzutun solle«. Für Clara war es »wirklich rührend, wenn man diesen Menschen am Klavier sieht mit seinem interessant jugendlichen Gesichte, das sich beim Spielen ganz verklärt, seine schöne Hand, die mit der größten Leichtigkeit die größten Schwierigkeiten besiegt (seine Sachen sind sehr schwer), und dazu nun diese merkwürdigen Kompositionen«. Die Musik, die Johannes im Gepäck und im Kopf mit sich führte, hatte sich größtenteils schon in Hannover, Weimar und im Rheinland bewährt: Klaviersonaten in C-Dur und fis-Moll sowie Lieder auf Texte von Hoffmann von Fallersleben und Eichendorff. Claras Einschätzung: »Eine schöne Zukunft steht Dem bevor, denn wenn er erst für Orchester schreiben wird, dann wird er erst das rechte Feld für seine Phantasie gefunden haben!«106 deckte sich mit Roberts Eindruck, dass Brahms’ Sonaten »mehr verschleierte Symphonien« seien.107

In den folgenden Tagen traf man sich spätestens ab »Nachmittags um 5« regelmäßig zum Gedankenaustausch und zum Musizieren. Gemeinsam wurden einander Märchen und Gedichte vorgelesen, darunter zeitgenössische Poeten wie Christian Friedrich Scherenberg und Titus Ullrich. Johannes lernte Werke der Schumanns kennen, aber wenn »Musik bei uns« auf dem Programm stand, spielte man gemeinsam Bach, lauschte aber auch gerne, wenn der Gast, so Clara, »sehr eigentümliche ungarische Volkslieder« sowie seine eigenen Ideen zum Besten gab: Darunter neben den Sonaten und einem Scherzo auch eine Fantasie für Klavier, Violine und Violoncello – für Clara »ein merkwürdiges jugendlich wildes Stück« –, Lieder, ein Quartett sowie eine Sonate für Violine und Pianoforte. Zwar sei der Klang der Instrumente »hier und da nicht immer ganz ihrem Charakter angemessen«, meinte Clara, »doch das sind eben Kleinigkeiten im Vergleich zu seiner reichen Phantasie und Gemüt«.108

Robert Schumann bedankte sich bei Joachim, dass er Johannes ermutigt hatte, zu ihm zu kommen. Dieser Brahms sei jemand, der »die größeste Bewegung in der musikalischen Welt hervorrufen wird«, schrieb er ihm.109 Souverän entgegnete der Dirigent und Stargeiger, er »liebe Brahms zu sehr, um ihn zu beneiden«.110 Wenige Tage später nutzte er eine Gelegenheit, um selbst in Düsseldorf vorbeizuschauen, zumal Robert Schumann gerade ein für Clara lediglich »höchst interessantes« Violinkonzert fertiggestellt hatte, das er unverzüglich kennenlernen wollte.

Johannes musste nicht nur die Erwachsenen von sich überzeugen. Clara und Robert hatten sechs Kinder zwischen zwei und zwölf Jahren. Den Älteren konnte er mit seinen intellektuellen Scharaden und den Anspielungen auf »Kreisler« Respekt abnötigen. Die Jugend beeindruckte er mit seinem Schabernack und seiner Akrobatik. Claras Tochter Eugenie berichtete, dass man im Flur der Düsseldorfer Wohnung staunend beobachtete, wie Johannes alle mit »halsbrecherischsten Turnübungen« verblüffte: Er »schwingt sich von rechts nach links, hinauf, hinab; schließlich stemmt er beide Arme fest auf, streckt die Beine hoch in die Luft und springt mit einem Satze hinunter, mitten hinein in die bewundernde Kinderschar«.111 Er neckte, stichelte, spöttelte, reizte. Doch sobald seine Eulenspiegeleien, und sei es beim Herumalbern, persönlich wurden, ließen viele, mitunter auch Clara, den erforderlichen Humor vermissen. Von einem charakteristischen spontanen Brahms-Kommentar berichtete sein späterer Freund Richard Heuberger, selbst Komponist einer von Hans Richter uraufgeführten Sinfonie und mehrerer Opern: Als er erfuhr, dass die Gattinnen des Autors Kalbeck und des Pianisten Epstein am Vortag in einen heftigen Streit geraten waren, fragte Brahms Amélie Epstein: »Ich höre, Sie haben gestern Bruderschaft mit Frau Kalbeck getrunken.«112 Bei den Erwachsenen stießen seine Tollereien mitunter auf Missbilligung. Allerdings war alles vergeben und vergessen, sobald sich Johannes ans Klavier setzte. »Brahms spielt besonders schön«, notierte Robert Schumann und Clara präzisierte, er »ergriff uns alle (ich hatte es einigen Schülerinnen und Frl. Leser gesagt) aufs Tiefste«.113



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