Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!" - Meinhard Saremba - Страница 32

Mündliches nebst Schriftlichem

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Um nie den Kontakt zueinander zu verlieren, nutzten Clara und Johannes ausgiebig einen im Bürgertum neuen Trend ihres Jahrhunderts, indem sie sich mitunter seitenlange Briefe schrieben. Natürlich hatte es schon zuvor Korrespondenzen gegeben, auch Briefromane machten Furore, wobei sich die Absender – wie Jane Austen es an ihre Schwester formulierte – bewusst waren, »auf dem Papier genau das zu äußern, was man der angesprochenen Person mündlich sagen würde«.179

Manche Korrespondenz ist im affektreichen, hohen Ton der damaligen Zeit gehalten. Viele waren sich des edlen Geistes von Novalis bewusst, der meinte, »der wahre Brief« sei »seiner Natur nach poetisch«. Eine Prise Emotion – zuweilen mehr scharfer Pfeffer als Salz in der Suppe – gab dem Ganzen Würze im Sinne von Byron, der von sich behauptete, er sei »kein behutsamer Briefschreiber und sage gewöhnlich, was sich mir im Augenblick gerade aufdrängt«.180 Der Briefwechsel von Clara und Johannes war eine Mischung aus beidem. Als er begann, war das moderne Postwesen gerade kaum mehr als ein Jahrzehnt alt. Erst gegen Ende der 1830er-Jahre waren in Großbritannien und den deutschsprachigen Landen der Regierung Konzepte vorgelegt worden, ein Briefporto und Postwertzeichen einzuführen, damit der Zustellbetrag nicht mehr vom Empfänger, sondern vom Absender entrichtet werden musste. Für die Vorauszahlung wurde die Beförderungssumme gesenkt, sodass nicht nur Wohlhabende das neue Kommunikationsmedium nutzen konnten. Dennoch zeigte sich wieder die Krux der Zeit: Zwar versuchten sich die einzelnen deutschen Regionen in einem Deutsch-Österreichischen Postverein zu organisieren, aber jedes einzelne Herzog- und Königtum musste sich eigene Post- und Beförderungsgesetze geben – ein lästiger Regelungswirrwarr, den Clara und Johannes erlebten, weil sie oft genug auf Reisen waren. Aus Sorge, dass Korrespondenz verlorengehen könnte, ließ Clara anscheinend ihre Briefe bei der Post registrieren, um die korrekte Zustellung zu überprüfen, denn Johannes schrieb ihr eines Tages: »Ich möchte Dich bitten, doch nicht immer Deine Briefe rekommandieren [sic, als Einschreiben zu senden]«, denn »es macht dem Briefträger oft viele Lauferei, und wieviel nutzt es denn?«181

Das Verfassen von Briefen wurde nicht selten zu einem Ventil. Die Jahre des Kennenlernens waren durch Robert Schumanns Erkrankung geprägt von existenziellen Krisen, bei denen gewiss mehr als einmal die Nerven blank lagen. Die in viel stärkerem Maße zu emotionalen Zusammenbrüchen neigende Clara bedurfte eines hohen Grades der Anteilnahme und der Zusicherung von Verlässlichkeit. Ob diese Bedürfnisse jemals durch zärtliche Berührungen oder sexuelle Handlungen erfüllt wurden, ist nicht überliefert. Die Korrespondenz deutet darauf hin, dass es sich eher um eine freundschaftliche bzw. geschwisterliche Zuneigung gehandelt hat, die vielfach an den gängigen schwärmerischen Tonfall aus Briefen und Poemen des 19. Jahrhunderts erinnert. Ebenso charakteristisch für diese Zeit ist der verbreitete Wunsch von Privatleuten, dass das Schreiben niemand anderes zu Gesicht bekommen, ja sogar, dass es am besten den Flammen übergeben werden solle. Johannes äußerte sich skeptisch gegenüber der »in den fünfziger Jahren entstandenen Editions- und Sammelwut« und meinte, nicht jedes Nebenprodukt eines Künstlers müsse – wie in der Schubert-Ausgabe – überliefert werden. »Schumann hat da allerlei hinterlassen, was keineswegs herausgebenswert war«, äußerte er gegenüber Heuberger. »Frau Schumann hat erst vor ein paar Wochen ein Heft Cellostücke von Schumann verbrannt, da sie fürchtete, sie würden nach ihrem Tode herausgegeben werden. Mir hat das sehr imponiert. Auch mit unserem Briefwechsel (Brahms – Clara Schumann), dem einzigen intimen Briefwechsel, den ich führte, machten wir’s ähnlich. Vor ein paar Jahren haben wir unsere Briefe ausgewechselt, ganze Stöße! Sie verbrannte die ihrigen, während ich die meinigen von der Rheinbrücke in Köln aus in den Fluß warf. Von Zeit zu Zeit wechseln wir wieder die Briefe aus.«182 Unter einem »intimen Briefwechsel« verstand man im 19. Jahrhundert eine äußerst vertraute, gesprächsartige Korrespondenz, die keineswegs mit einer körperlichen Beziehung einhergehen musste (Brahms’ Tempobezeichnung »Andante con grazia ed intimissimo sentimento« im Opus 116, Nr. 5, könnte auf ein gemütliches Beisammensein Bezug nehmen). Dass sowohl Clara als auch Johannes später viele ihrer Briefe vernichteten, dürfte nicht an einer »War’s schön letzte Nacht?«-Korrespondenz gelegen haben, sondern an zahlreichen unverblümten Äußerungen über andere Personen. In einem überlieferten Brief, in dem es um Konflikte an verschiedenen Fronten ging, kam Clara bereits Ende 1864 darauf zu sprechen, dass sie »so manches noch zu sagen und zu plaudern« hätte, »doch mündlich tut sich das so viel gemütlicher«; schließlich fügte sie in dem in Düsseldorf verfassten Schreiben noch ein P.S. an mit dem Hinweis: »Ich habe die Briefe mit hierher genommen, und willst Du es nun, so bringe ich Dir alles mit? Oder glaubst Du die Sachen sicherer bei mir in Baden, so nehme ich sie im Frühjahr mit dorthin?«183 Da allein schon die später nur bruchstückhaft veröffentlichte Korrespondenz viele brisante Kommentare über einige Mitbürger enthielt, erscheint es verständlich, dass man den größten Teil dieser Dokumente später vernichtete.

Immerhin befanden die Angehörigen einen vor Zuneigung überfließenden Brief von Johannes des Überlieferns wert, der Ende Mai 1856 geschrieben wurde, also zwei Monate vor Roberts Tod: »Meine geliebte Clara, ich möchte, ich könnte Dir so zärtlich schreiben wie ich Dich liebe und so viel Liebes und Gutes tun, wie ich Dir’s wünsche. Du bist mir so unendlich lieb, dass ich es gar nicht sagen kann. In einem fort möchte ich Dich Liebling und alles mögliche nennen ohne satt zu werden, Dir zu schmeicheln.« Dass diese »Liebe« ein Ausdruck hoher Wertschätzung ist und keine erotische Konnotation hat, zeigt der humorvoll-schäkernde nächste Satz: »Wenn das so fort geht, muß ich Dich später unter Glas setzen oder sparen und in Gold fassen lassen.«184

Ihr Leben lang verwendete Clara Schumann in Briefen an Brahms Wendungen wie »Liebster Johannes«,185 »mein geliebter, verständiger Freund«,186 »in alter Liebe«,187 »in treuer Liebe«,188 »mein Herzens-Freund«189 oder dass sie ihn »liebe und verehre«.190 Und Brahms hoffte: »Möge ich Dir immer Freude machen und Deiner Freundschaft werth werden.«191

Das gelang allerdings nicht immer, denn auch Johannes hatte dunkle Stunden und melancholische Phasen, womit Clara weniger gut umgehen konnte. Trotz gelegentlicher Meinungsverschiedenheiten wussten beide jedoch, dass sie sich im Ernstfall aufeinander verlassen konnten. »In Allem was mich angeht, warst Du und wirst Du sein als wenn ich Dir ganz angehöre«, schrieb Johannes.192 »Vielleicht fügt sich später einmal Alles glücklicher«, glaubte Clara, »vielleicht leben wir doch noch einmal in einer Stadt, und dann wird mir ein ruhigeres Leben Bedürfniß sein – im Zusammenleben mit einem geliebten Freunde könnte ich, glaube ich, noch wieder Ruhe und Heiterkeit finden.«193 Insbesondere über Wien meinte Clara, sie »finde es so übel nicht, möchte schon auch dort leben, fände ich dort, was ich brauchte.«194 Schwierig war letztendlich, einen Ort zu finden, der jedem der beiden das bot, was er benötigte. Claras Stoßseufzer »Was mit uns später wird, der Himmel weiß es! – ich sinne und sinne, in welche Stadt ich mich wenden soll!« sollte sie bis gegen Ende der 1870er-Jahre hinein umtreiben.195



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