Читать книгу "... es ist ein zu starker Contrast mit meinem Inneren!" - Meinhard Saremba - Страница 33

Schmerzen und Todessehnsucht

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Sechs Wochen bevor sie 37 Jahre alt wurde, glaubte Robert Schumanns Witwe, ihre Aufgabe erfüllt und ihr Dasein verwirkt zu haben. Sie versank in schwere Depressionen und hätte sich nie vorstellen können, dass die spannendsten vierzig Jahre ihres Lebens erst noch vor ihr lagen. »Wie oft muß ich an den leeren Platz, der noch in seinem Grabe ist, denken, den ich einstens ausfüllen werde, und doch so gern schon jetzt da läge!«, teilte sie einer Freundin mit.196 Und Joseph Joachim ließ sie wissen, wie ihr »der Schmerz im Innersten wühlt« und es immer wieder Stunden gebe, in denen ihr »aller Lebensmuth schwindet«, denn »meine Nerven sind in hohem Grade angegriffen«.197 »Freilich gebe ich Concerte, aber unter welch inneren Qualen?«, schrieb sie noch zwei Jahre nach Roberts Tod. »Meine Gesundheit geht dabei zu Grunde.«198 Monatelang fand sie, es sei ihr »bei meinem Gemüthszustand ganz unmöglich erheiternd anzuregen«.199 Selbst als sie das Rheinland mit den damit verbundenen Erinnerungen hinter sich lassen wollte und im Herbst 1857 endlich nach Berlin zog, durchlebte sie in Gedanken »die ganzen drei Leidensjahre« wieder von Neuem und begann »erschüttert an Leib und Seele« eine neue Lebensphase.200 »Hätte ich meine Kinder erst Alle erwachsen und versorgt, dann dürfte ich mir doch ohne Unrecht den Tod wünschen«, sinnierte sie.201

Erst Johannes Brahms holte sie wieder in die Wirklichkeit zurück. Er erlebte ihre Verzweiflungszustände unmittelbar und reagierte auf Schreiben, von denen nicht mehr alle überliefert sind. »Ich möchte Dir Interessantes von mir mittheilen können, doch kennst Du ja mein Leben«, schilderte sie in einem erhaltenen Brief ihre Lage, »von außen mag es wohl Manchem ein glückliches erscheinen, innen aber ist’s unsäglich traurig oft.«202 Mit Reiseideen und eindringlichen Briefen versuchte Johannes immer wieder, ihr Mut zu machen. »Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als Dich trösten zu können«, schrieb er und versicherte ihr, dass sie in ihm jemanden gefunden habe, dem sie absolut vertrauen könne: »Könntest Du nur fühlen, mit welcher Liebe ich so oft an Dich denke, Du wärest manchmal doch getröstet. Ich liebe Dich unsäglich, meine Clara, wie es mir nur möglich ist.«203

Wer liebt, sorgt sich um den anderen. Und wenn Clara ihm anvertraute, dass ihr jeglicher Lebensmut abhandengekommen sei, musste Johannes reagieren. Als sie dem gemeinsamen Freund Albert Dietrich einen Lorbeerkranz zukommen ließ und ihn bat, ihn zum zweiten Jahrestag von Roberts Tod auf das Grab in Bonn zu legen, meinte sie in einem Begleitschreiben: »Man sagt immer, die Zeit heile Wunden; ich finde das nicht wahr, denn ich fühle den Verlust täglich schmerzlicher und weiß von einer Lebensfreude nichts mehr.«204

Johannes schockierten ihre depressiven Zusammenbrüche. »Liebe Clara, Du mußt ernstlich danach trachten und dafür sorgen, daß Deine trübe Stimmung nicht alles Maß überschreite und nicht ohne Aufhören sei«, mahnte er sie. »Das Leben ist kostbar; gewaltig zerstört solche Geistesstimmung den Körper. Rede Dir nicht ein, daß Dir das Leben wenig wert sei. Das ist nicht wahr, das ist bei ganz wenigen Menschen wahr. Gibst Du Dich ganz solcher Stimmung hin, so genießest Du auch frohere Zeiten nicht, wie Du könntest.«205

Der Ton, den Johannes anschlug, war jener, den nur engste, liebende Vertraute wagen dürfen. »Nimm dies nicht leicht, es ist sehr ernst«, mahnte er sie bei schweren depressiven Anfällen. »Der Körper und die Seele wird verdorben durch solches Nachhängen einer trüben Stimmung, die man durchaus mehr bewältigen oder nicht aufkommen zu lassen braucht. Es ist, als ob man seinem Leib die ungesundesten Speisen zumuten wollte und sich damit trösten wollte, daß man im Sommer die Milchkur gebraucht. Der Körper mag sich für kurze Zeit etwas erholen, aber ist verdorben und geht rasch zugrunde. Solche ungesunde Seelenspeise, wie der immerwährende Trübsinn, verdirbt den Körper und die Seele wie die ärgste Pest. Du mußt Dich ernstlich ändern, meine liebe Clara.« Der Freund mahnte »gleichmütiger (gleichmäßiger)« zu werden, denn »Leidenschaften« seien nichts Natürliches, sondern »immer Ausnahme«: »Bei wem sie das Maß überschreiten, der muß sich als Kranken betrachten und durch Arznei für sein Leben und das seiner Gesundheit sorgen«. Clara muss Johannes stark vertraut haben. Sie ließ zu, dass er ihre absoluten Tiefpunkte miterlebte. Kaum jemand hätte sich sonst getraut, sie zu mahnen: »Betrachte Dich als Kranke, liebe Clara, als ernstlich Kranke, und sorge für Dich, nicht ängstlich, sondern ruhig und immerwährend.« Wenn Leidenschaften nicht bald vergehen, bestand Johannes’ eigenes Rezept darin, sie zu »vertreiben«, wie er auch ihr riet, denn: »Ruhig in der Freude und ruhig im Schmerz und Kummer ist der schöne, wahrhafte Mensch.«206

Clara dürfte verstanden haben, dass sie in Johannes jemanden gefunden hatte, auf den sie sich in der Not absolut verlassen konnte. In jenen Jahren entstand wahrscheinlich auch die in den Liederzyklus Opus 43 eingegangene Vertonung eines Textes von Josef Wenzig, »Von ewiger Liebe«. Thema ist die Liebe in schweren Zeiten. »Dunkel, wie dunkel in Wald und in Feld! / Abend schon ist es, nun schweiget die Welt. / Nirgend noch Licht und nirgend noch Rauch, / Ja, und die Lerche sie schweiget nun auch«, lautet der bildreiche, düstere Beginn. Doch auch die Finsternis kann man gemeinsam durchstehen, wenn die Liebe nur so stark ist wie die härtesten Metalle, ja, »Eisen und Stahl, sie können zergehn, / Unsere Liebe muß ewig bestehn!«. Für Clara und Johannes bedeutete Liebe anderes als sinnliche Erfüllung. »Wozu«, schrieb Johannes an sie, »hat denn der Mensch das himmlische Geschenk, die Hoffnung, empfangen?«207



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