Читать книгу Die Tote im Vena-Kanal zu Chioggia : Kriminalfälle aus Venedig - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 14
Оглавление9. Teil: Abschließende Besprechung
Hier endete Giovannis Bericht. Allgemeiner Beifall brandete auf, das uneingeschränkte Lob für seine Vortragskunst. Die junge Commissaria Debora nahm das Wort und sagte:
»Giovanni, bedauere, aber ich finde, deine Geschichte hat kein zufriedenstellendes Ende gefunden. Man wüsste jetzt gerne, wie die Sache mit dieser schwarzen Familientragödie ausgegangen ist. Oh, das arme Mädchen! Wie leide ich mit ihr! Bekam Sie dafür auch noch lebenslang? Oder herrschten mildernde Umstände?«
»Darüber solltest du sie selber befragen«, meinte Giovanni mit süffisant hochgezogener linker Augenbraue.
»Wie soll das gehen? Ich kenne sie doch gar nicht.«
»Dann wird es Zeit, dass ihr sie kennen lernt, du und Sergiu«, meinte unser Volpe kichernd und händereibend, »denn zu jedem schönen Fernsehabend gehört doch der Überraschungsgast. Daher, lieber Giovanni, bitte Vorhang auf!«
Unser Butler war kaum eine halbe Minute aus dem Kaminzimmer gebraust, da kam er auch schon zurück und geleitete formvollendet eine bezaubernde Donna herein.
Sie trug ein ärmelloses Kleid aus schwarzer Seide, das vorne zum Bustier ausgearbeitet war und im gesamten Rücken aus nichts als sich überkreuzenden Schnüren bestand. Ein Klunker, der an einer silbernen Kette baumelte, hing ihr in den Ausschnitt.
Drei schlanke goldene Armreifen klimperten oberhalb ihres linken Handgelenks. An der filigranen linken Hand trug sie einen schlichten goldenen Ring am Ringfinger, der mir wie das Zeichen einer frischen Verlobung dünkte. Ihre zehn Fingernägel waren kurz geschliffen und leuchtend rosa lackiert.
Ihre sehr weiblichen Oberschenkel lagen bis zur Mitte bloß. Die Waden darunter waren feminin geschwungenen und gründlich enthaart. Für mich war ihr Anblick, wie nicht anders zu erwarten, der reinste Augenschmaus.
Ein silbernes Fußkettchen mit angelöteten goldenen Herzchen schmückte übrigens ihre rechte Fessel. Schuhe trug sie keine und kam barfuß daher, gewiss, um ihre wohlgestalteten Füße mit den karmesinrot gehaltenen Nägeln den Blicken der entzückten Betrachter anzubieten. Den Rosenduft, welchen sie reichlich verströmte, spüre ich bis heute in der Nase.
Ja, eine Donna von ungefähr Sechzig mit jugendlicher Ausstrahlung eroberte den Raum. Ihr Gesicht war fein geschnitten und atmete Intelligenz aus, was durch ihre Goldrandbrille noch gefördert wurde. Das kurz geschnittene Haar war brünett gefärbt und umwölkte künstlich gekräuselt ihre Züge. Wäre sie wenigstens zehn Jahre jünger gewesen, hätte mich nichts mehr gehalten.
»Signori«, rief Giovanni, »darf ich vorstellen? Signora Lucilla Amanda Bosoni, la donna nostra bellissima.«
»Buona sera, signori«, sagte Lucilla mir betörend rauer Stimme, während wir eifrig Beifall klatschten.
Giovanni schob ihr einen Korbsessel an den runden Tisch und stellte einen Stiefel, hälftig mit reinem Traubensaft und Acqua Minerale gefüllt, an ihren Platz. Sachte setzte sie sich, fummelte nervös eine vergoldete Blechdose aus der Handtasche und entnahm ihr eine Zigarette. Eilig gab Giovanni ihr Feuer und stellte einen Aschenbecher auf den Tisch, einen winzigen sizilianischen Eselskarren aus Keramik, vorn das niedliche Tierchen, hinten der zweirädrige Wagen für die Asche.
»Signori, wenn Sie mit mir und meinem alkoholfreien Glas anstoßen wollten, wäre es mir eine Freude. Das Morden und das, äh, Saufen habe ich mir abgewöhnt, abgewöhnen müssen. Verzeihen Sie, wenn ich nicht auch noch das Rauchen lasse!«
»Als unser aller Hausherr sage ich, es ist dir von Herzen verziehen, Lucilla cara bella, und nun wollen wir auf Dich und deine Zukunft anstoßen«, entgegnete Volpe mit gewinnendem Lächeln.
Wir erhoben uns alle, auch Lucilla, den schwappenden Ein-Liter-Henkelmann in der rechten, die Zigarette in der linken Hand, und ließen die Gläser klingen.
Brav nahmen wir danach auf Giovannis Wink wieder Platz. Volpe mimte verdammt fuchsig sein oder ein wissendes Gesicht. Auch Ambrosio samt unserem Butler schienen im Bilde zu sein und nickten einander zu. Nur Debora und ich, der Verantwortliche für die künftige Redaktion dieses Falles, verharrten im Tal der Unwissenden und waren gespannt auf das, was da kommen sollte.
Lucilla ließ sich Zeit. Sie blies zunächst noch ein paar blaue Ringe zur Decke, drückte ihre Zigarette danach ganz gemütlich im Eselskarren aus, tat einen tiefen Zug aus dem Trinkstiefel, lehnte sich zurück, schloss die Augen, legte die schlanken weißen Arme auf die Sessellehne, die sie mit den Fingern umfasste, räusperte sich zweimal melodisch und ergriff nun endlich das Wort: