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3. Teil: Der Bericht des Onkels


Lucilla, dein Vater war gestern früh die dreißig Kilometer von Mestre nach Padua gefahren, um mit einem Klienten zu verhandeln. Da es eine größere Sache sei, so er, werde er erst am nächsten Tag wieder zuhause sein. Doch die Chose erwies sich als weniger zäh denn gedacht, so dass er bereits am selben Tag nach Einbruch der Dunkelheit wieder in Mestre zurück war. Er hatte es nicht für nötig befunden, Anna davon in Kenntnis zu setzen, ein arger Fehler, denn so hätte sich das Desaster vermeiden lassen.

Ein Taxi brachte ihn wunschgemäß bis in die ‚Via Romea’. Das restliche Stück von ungefähr einem Kilometer wollte er zu Fuß zurücklegen, denn es war eine sternklare laue Sommernacht. Er zahlte also und machte sich auf die Socken.

Wie üblich hatte er keinen Hausschlüssel dabei, da er ja erst am nächsten Vormittag zurück sein wollte. Als er schließlich endlich vor seinem Landhaus ankam, fand er es in schweigende Finsternis gehüllt vor und ging ums Gebäude herum, in der Hoffnung, die Kellerpforte offen vorzufinden, denn er wollte zu so später Stunde weder Weib noch Zofe aus dem Schlaf reißen.

Schon näherte er sich der Tür auf der Rückseite des Hauses, als er sie in den rostigen Angeln wimmern hörte. Heimlich verließ jemand den Palazzo, kaum noch aus Schemen wahrnehmbar. Ernesto eilte, so rasch ihn seine Füße tragen konnten, in eben diese Richtung, um den Eindringling zu stellen, aber er war bereits zwischen die Bäume im Park geglitten und hatte sich den Blicken des Verfolgers entzogen. Ernesto rannte der unheimlichen Gestalt hinterher, aber vergebens. Sie war und blieb wie vom Erdboden verschluckt. Ob es etwa der Liebhaber der noch jungen Zofe gewesen war, der sich zu einem Renkontre eingeschlichen hatte?

Ernesto beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen und ging durch die klaffende Tür in den Keller seines Hauses hinein, um dort Licht zu machen, aber keine einzige Lampe wollte leuchten. Irgendjemand hatte die Schalter der Sicherungen auf Null umgelegt, wie sich später herausstellte. Spuren konnte die Kripo nicht nachweisen. Der Täter dürfte Handschuhe getragen haben.

Als Nichtraucher hatte mein Bruder weder Streichhölzer noch ein Feuerzeug dabei, um die Finsternis zu erhellen. Für eine noch so kleine Taschenlampe hätte er ein Königreich gegeben. Hin und wieder nur spendete fernes Wetterleuchten einen schwachen Schimmer des Lichtes.

So war er gezwungen, sich aus dem faulig riechenden Keller ins Erdgeschoss zu tasten, wo er wiederholt nach seiner Frau und Maria, der Zofe und einziger Mitbewohnerin des Hauses rief, ohne dass ihm eine Antwort ward. Leises Grummeln ertönte. Von der Adria her zog das Gewitter auf und kam näher.

Von böser Vorahnung erfüllt, schleppte Ernesto sich die knarrende Treppe hinauf ins Obergeschoss, mit den Schlafzimmern für ihn, seine Frau und Maria, die Angestellte.

Als er mit schlotternden Beinen die Stiege bewältigt hatte und auf dem oberen Podest stand, in deren Dunkelheit man die Hand nicht vor Augen sehen konnte, schlug ihm der widerliche Geruch von rostigem Eisen entgegen.

Zwei Schritte noch, und sein Fuß stieß an so etwas wie einen schlaffen Körper, der längelang auf den Dielen ausgebreitet war. Schreien wollte er nun vor Grauen, aber der Schrei blieb ihm im Halse stecken, denn im flimmernden Schein eines immer noch fernen Blitzes gewahrte er Maria tot am Boden liegen. Im Bereich ihrer Brust war eine Blutlache zu sehen. Dann schlug die Nacht wieder über ihm zusammen und verschluckte ihn.

Das Übermaß an Grauen hatte jetzt wilde Entschlusskraft in ihm geweckt, und er tastete sich in Annas Schlafzimmer vor, wo er aufgrund seines Ungestümes über einen zweiten Körper stolperte und längelang hinschlug.

In dieser Sekunde tauchte ein unmittelbar über den Palazzo fegender Blitz, begleitet vom Krachen wie eines soeben abgefeuerten Geschützes, den Raum in grell weißes Licht, und diesmal hinderte Ernesto nichts in der Welt, einen furchtbaren Schrei auszustoßen, denn Anna, seine Frau, lag mit abgeschnittener Kehle mitten in ihren Schafzimmer, mitten in einer Blutlache.

Während das Unwetter mit Macht zu toben begann und Blitz und Donner einander abwechselten, lupfte Ernesto mit zitternden Fingern sein Mobilfon aus der Hosentasche und tätigte den Notruf.

Es war tief in der Nacht und der diensthabende Commissario drüben in Mestre nicht leicht davon zu überzeugen, dass es sich wirklich um einen Notfall handelt, da ihn einige Spaßvögel bereits zum Besten gehalten hatten.

So wurde es gegen 1. 30 Uhr, bis die Kriminalpolizei am Tatort eintraf. Ernesto hatte inzwischen den Weg zum Kasten mit den Sicherungen gefunden und dafür gesorgt, dass aber auch sämtliche Lampen im Hause brannten.

Als Erstes vermutete der Commissario, es könne sich um einen Raubüberfall handeln, aber nichts, gar nichts fehlte. Dann kam die Spurensicherung, und Ernesto berichtete vom unheimlichen Mann, den er verfolgt, aber nicht gestellt hatte.

Die Beamten durchsuchten das ganze Haus, entdeckten aber keinerlei Indizien, die der Täter hinterlassen haben könnte. Insbesondere von der Tatwaffe fehlte jede Spur. So ließen sie die beiden Leichen zudecken und in die Pathologie bringen, ohne vorerst das Verbrechen aufgeklärt zu haben.

Als sie gingen, bat mich dein Vater, dich anzurufen und über das Geschehene zu informieren. Das habe ich hiermit getan, und schon sind wir in Mestre angekommen, mein Kind. Am besten, wir nehmen uns ein Taxi und fahren zu deinem Elternhaus.

Ich denke, dein Vater braucht dich jetzt mehr denn je. Sei nett zu ihm. Der Verlust des liebsten Menschen wirkt verstörend auf ihn. Ich fürchte, er könnte sich etwas antun.

Die Tote im Vena-Kanal zu Chioggia : Kriminalfälle aus Venedig

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