Читать книгу Die Tote im Vena-Kanal zu Chioggia : Kriminalfälle aus Venedig - Meinhard-Wilhelm Schulz - Страница 7
Оглавление2. Teil: Die üblen Ereignisse aus dem Munde der Lucilla A. Bosoni
Signori, betrachtet mich als einen der unglücklichsten Menschen unter der Sonne! Ja, ich bin todunglücklich, obgleich ich eine gebildete und wohlhabende Frau bin und mir ein hübsches Haus in der Cannaregio leisten kann. Möglicherweise wäre ich weniger unglücklich, wenn ich nicht so intelligent wäre, wie ich bin.
Dann könnte ich vielleicht das finstere Geheimnis von mir abschütteln, das schwer wie Blei auf meiner Seele lastet. Ja, dann unternähme ich nicht schon wieder den leidvollen qualvollen Versuch, die grausigen Dinge, die damals geschahen, mit Ihrer Hilfe aufzuklären. Bislang widersteht das düstere Geheimnis nämlich erfolgreich meinen Versuchen, es zu lüften.
Ich heiße Lucilla Amanda, kurz Lucilla und bin das einzige Kind der Eheleute Anna und Ernesto Bosoni aus dem Dörfchen Ca‘ Fontana bei Mestre. Mein Vater war erfolgreicher Avvocato. Meine Mama galt als eines der schönsten Mädchen der Gegend. Vater war ihr in leidenschaftlich heißer Liebe zugetan.
Als sich das Unglück ereignete, war er Fünfundvierzig, Mama erst Zweiunddreißig und ich Vierzehn. Da ich inzwischen, ich will es offen zugeben, Zweiundvierzig bin, sollte das Ereignis, das mein Leben verstörte, inzwischen vor rund dreißig Jahren über die Bühne gegangen sein.
Mein Elternhaus liegt außerhalb von Ca‘ Fontana, auf halber Strecke nach Dogaletto im feuchten, von vielen Kanälen und Gräben durchzogenen Schwemmland. Es wird über eine fünfzig Meter lange eigene Allee aus Kastanien von der ‚Via Foscara‘ aus erreicht und liegt auf einem flachen Hügel in einem baumbestandenen Park. Gehen Sie hin und betrachten Sie es! Andere wohnen nun darin. Dort ist die Zeit stehen geblieben.
Damals war ich, wie gesagt, erst Vierzehn und besuchte eine Internatsschule in Venedig, die ich hasste, denn ich empfand es als unsägliche Qual, in einem Hühnerstall von lauter Mädchen untergebracht zu sein und mich der Hackordnung zu unterwerfen. Mich traf das Mobbing schon deshalb besonders hart, weil meine Figur, die ich von Mama geerbt hatte, den gelben Neid, ja, den Hass der Klassenkameradinnen hervorrief, insbesondere, seit wir zum ersten Mal gemeinsam den Strand der Insel Lido aufgesucht hatten, wo ich mich im neumodischen Tangabikini präsentierte, weshalb mir wildfremde Jungs hinterher pfiffen.
Eines sehr, sehr frühen Morgens riss mich die diensthabende Erzieherin grob aus den Federn und zerrte mich ans Telefon. Mein Onkel war am Apparat, Eugenio Bosoni und sagte, er warte auf mich am Bahnhof ‚Santa Lucia‘. Ich solle mich beeilen. Er werde mit mir nach Hause fahren, denn es habe einen äußerst unangenehmen Vorfall gegeben. Mehr sagte er nicht.
Ich stürzte mich unter die Dusche, schlüpfte ins erstbeste Kleid und rannte zur Vaporetto-Station, um zum Bahnhof zu fahren. Vor dem Eingang stand Onkel Eugenio und harrte meiner.
Nach kurzer Begrüßung befanden wir uns schon im Zug hinüber nach Mestre. Unterwegs wollte er mir berichten, was zuhause geschehen sei. Nachdem er mich dazu aufgefordert hatte, von hysterischen Anfällen abzulassen und mein Kleid als zu kurz, zu tief ausgeschnitten, als wahrhaft billigen Fummel kritisiert hatte, in dem ich wie eine Nutte aussähe, sagte er:
»So leid es mir tut, aber jemand muss es dir ja sagen: Deine Mutter ist letzte Nacht verstorben.«
Ich war geschockt. Der Satz traf mich wie ein Keulenhieb. Ich suchte verzweifelt nach Worten.
»Aber sie war doch noch so jung! So schön und so jung«, entfuhr es mir, »hatte sie einen Herzschlag?«
»Nein, mein Kind! Sie wurde ermordet, auf furchtbare Weise. Wer der Täter war, ist bislang unbekannt. Die Carabinieri haben den Fall übernommen. Aber von den Begleitumständen kann ich dir gerne erzählen. Ich habe sie aus dem Munde deines Vaters vernommen und soll dich in seinem Namen informieren, da er selber vollkommen mit den Nerven herunter ist.«
Ich nickte, aschfahl geworden. Die Tränen strömten mir aus den Augen. Er gab mir ein Papiertaschentuch. Ich wischte die Wangen trocken und schnäuzte mich. Er hingegen zeigte nicht die geringste Regung und fuhr ungerührt fort: