Читать книгу Completely - Gesamtausgabe - Mej Dark - Страница 14
Der Schamanenopa
ОглавлениеIn der Ferne tauchte endlich eine schäbige Hütte auf. Das musste sie der Beschreibung nach sein. Rauch kam aus dem schiefen Schornstein und kämpfte mit dem Regen um seinen Aufstieg. Der graue Dunst verlor. Grünes Moos überzog die Holzbalken, welche vom hohen Alter dieser bescheidenen Unterkunft erzählten. Vielleicht hatte mein Urgroßvater sie in seiner Jugend erbaut. Sicher war sein langer grauer Bart auch schon voller Moos. Ob er noch Zähne hatte? Würde ich ihn verstehen? Womöglich sprach er sogar einen indianischen Dialekt. Inzwischen wusste ich, dass er ein Halbindianer sein. War das der Grund, warum man nie über ihn erzählt hatte.
Unverständlicher Gesang und mystische Trommelklänge drangen aus dem Inneren der heruntergekommenen Kate. Das sollte eine Kur sein?
Dafür würde der Quacksalber, der Mama verführt hatte, büßen! Nochmals gelobte ich Rache und vergoss fast einige Tränen der Verzweiflung. Als junger Mann verbot ich mir jedoch, dieses mädchenhafte Gejammer. Ein paar braune Büffel standen kauend hinter einer Umzäunung und sahen mich missmutig an.
Vor der Behausung reckten einige kahle Sträucher ihre Äste in den Himmel. Sie ächzten unter dem Gewicht von indianischen Schamanengegenständen wie Schlangenhäuten, Perlen, Muscheln, Holzfiguren, Tierschädeln, Knochen und fratzenhaften Masken. Manches war direkt auf die Zweige gespießt, anderes baumelte an Kordeln wie Galgenmännchen. Der gute Mann sah sicher überall Geister. Oje, oje … Wieviel Steinzeit erwartete mich? Wie würde er reagieren, wenn er auf mich, einen Vertreter der modernen Wissenschaft, traf? Dennoch sollte ich diesen Mumpitz aus Dummheit nicht gleich mit der Wahrheit erschlagen. Mein Uropa war schließlich ein alter, gebrechlicher Mann, den nur noch ein Hauch vom Tod trennte.
Der Eingang der Behausung war mit einer angelehnten Brettertür notdürftig verschlossen. Manche der hölzernen Streben hatten das Alter nicht mehr ertragen. Sie waren heraus gefault, sodass man die dahinter herab hängenden Büffelfelle sah. Beim Öffnen der Pforte wehte der Wind diese hin und her. Das war wahrlich ein Vorhang aus dem letzten Jahrhundert. Ich schob ihn zur Seite und kämpfte mich durch das streng müffelnde Hindernis.
Zuerst konnten meine Augen nur Dunkelheit wahrnehmen. Aber langsam lernten sie, im schwachen Licht Hochleistungen zu erbringen. Fenster gab es nicht. Solche Errungenschaften der Architektur hatte mein Urgroßvater für sich noch nicht erfunden. Dafür umso mehr das urzeitliche Trommeln. Die gruselige Musik erscholl so laut, als wollte man mit ihr ein großes dämonisches Publikum unterhalten. An einem offenen Feuer saß ein splitternackter verschwitzter Mann mit einer gehörnten Maske auf dem Kopf. Wild trommelte er auf sein mit Muscheln verziertes Instrument und jaulte wolfshaft in einer merkwürdigen Sprache rhythmisch dazu. Es klang insgesamt, als heulte ein frisch kastrierter Rüde vor Schmerz.
Da sein Körper so vital wie der eines Vierzigjährigen wirkte, konnte der Mann nicht mein Urgroßvater sein. Vielleicht hatte der noch einen Sohn oder Enkel, von dem ich bisher nichts wusste.
Der Sänger war vollkommen in Trance gefallen. Von mir merkte er ungefähr so viel, wie ich von den Geistern. Zwar bezweifelte ich, dass hier die Anstandsregeln von Manhattan galten, trotzdem wollte ich den Fremden nicht aus seiner Beschwörung reißen. Darum setzte ich mich wortlos in eine Ecke.
Es wurde ein fröstelndes Warten. Leider erwärmte das Feuer kaum meine Lagerstelle. Von überall zog es durch die schlecht mit Moos verstopften Ritzen zwischen den Balken. Schließlich deckte ich mich mit einem Bärenfell zu und schlief sofort ein. …
Energisches Gerede drang in mein Bewusstsein und ließ mich langsam erwachen. Benommen lauschte ich.
„Ich brauche mehr von deiner Wundermedizin, Schamane! Der Präsident hat mir telegrafiert, sein Sohn sei erneut schwer erkrankt“, hörte ich eine tiefe Stimme.
Ich lugte vorsichtig unter dem buschigen Fell hervor. Ein kräftiger Mönch in den besten Jahren hatte den nackten Sänger an einem Maskenhorn gepackt und schüttelte dieses bedrohlich.
Der Schamane blieb äußerlich vollkommen ruhig. „Auch der Präsident erhält das Mittel nur, wenn er persönlich zu mir kommt. Schreib ihm das. Die Heilung seines Sohnes beruhte nicht auf deinen Wunderkräften, sondern auf meiner Medizin!“
„Wie stehe ich denn da? Das geht gar nicht! Seine Gemahlin vertraut mir und jetzt auch ihr Mann. Es wäre geradezu dumm, ein langfristiges Geschäft durch vorschnelle Aufklärung zu zerstören!“
„Schreib die Wahrheit!“, erwiderte der Bedrängte hartnäckig. „Und lass endlich mein Horn in Ruhe! Ich habe es gerade mit starkem Insektengift eingerieben, damit es nicht zerfressen wird. Das kann auch dich töten.“
Erschrocken ließ der Angreifer los und rieb die Handflächen eilig an seiner groben Priesterrobe ab. Danach kratzte er sie und schaute die Innenseiten schockiert an. „Die sind ja ganz rot! Hilf mir!“
„Wasch dir die Hände lieber schnell im Fluss!“
„Erst nach dem Geschäft!“ Der Priester zog einen dicken Geldbeutel hervor und warf diesen dem Hausherrn zu. Der fing die klappernden Münzen geschickt. „Das ist für dein Schweigen! Dafür erzählst du niemandem, dass die Medizin von dir stammt!“
„Ich lüge niemals! Sonst verlöre ich die Kraft über die Geister.“ Der Mann blieb standhaft.
Grübelnd lag ich unter dem Fell und überlegte, wer dieser Hausherr sein könnte. Vielleicht bewohnte mein Urgroßvater längst den Sarg und ein Enkel war jetzt der neue Schamane? Der vom Mönch Bedrohte konnte keinesfalls hundert Jahre alt sein.
Sein Widersacher schüttelte wie ein Stier den Kopf, sodass dessen langen Haare hin und her stoben. Wut ließ ihn beben. „Was soll das? Jeder lügt doch. Ich habe mein Leben lang gelogen und bin immer gut damit gefahren. Gerade jetzt läuft alles bestens! Von dem vielen Geld kannst du dir einen Palast anstelle der alten Hütte hier bauen.“
Doch offensichtlich interessierten den Schamanen das Gold nicht.
Als der falsche Wunderarzt merkte, dass seine Strategie nicht aufging, machte er einen weiteren Vorschlag: „Jetzt kommt mein letztes Angebot! Du bekommst zusätzlich noch zehn Prozent von meinem Gewinn, dauerhaft. Ich habe die Mrs. Präsident schon in der Tasche. Wenn ich ihren Sohn für immer heile, herrsche ich bald über ganz Amerika!“
„Ich bezweifle, dass das einen Nutzen bringt“, höhnte der Schamane. „Außerdem hast du die Medizin einer Kranken gestohlen und ohne mein Wissen verwendet. Dieser und nicht dir hatte ich sie verordnet. Das Geld steht mir somit als Ausgleich ohnehin zu!“
Der Hausherr hielt den Beutel fester. Dabei wirkte er nun doch durchaus gierig und verlor für mich einige Sympathiepunkte.
„Du Tattergreis lebst schon ein Jahrhundert und verstehst das nicht“, erwiderte der Priester frech. „Ich liebe die Salons, den Whisky, die Frauen … Das kostet nun einmal etwas!“
Der Mann sollte über hundert Jahre alt sein? Dann musste es doch mein Urgroßvater sein. Wie war das möglich? Bestimmt gab es dafür eine wissenschaftliche Erklärung … ganz sicher. Fleisch und Fisch blieben ja auch in der Kälte länger frisch. Vielleicht konservierte die Bergluft hier Menschen.
„Alter, bist du jetzt einverstanden?“, hakte der Besucher nach.
„Nenn mich nicht Alter! Ravenhort, du hast mich schon einmal hintergangen und ich vertraue dir nicht. Schreib einfach die Wahrheit an den Präsidenten!“
„Dessen Sohn stirbt ohne die Medizin!“ Der Mönch setzte auf Mitleid.
„Schreib dem Präsidenten!“ Murmelte mein sportlicher Urgroßvater.
Ravenhort hob die Faust und drohte.
„Wehe dir, ich kann auch anders! Was wird die Kirche dazu sagen, dass du nicht alterst? Du musst schon weit über hundert sein und siehst jünger aus als ich. Das ist wider Gottes Schöpfung! Man wird dich für diese Hexerei hängen, wenn ich es an der richtigen Stelle erzähle!“
Jetzt hatte ich keine Zweifel mehr. Dieser nackte Medizinmann war doch mein Urgroßvater. Was für eine Sensation. Mir blieb die Spucke weg. Scheinbar boten die Black Hills doch einige Überraschungen.„Pass du lieber vor mir auf!“, drohte der Schamane seinerseits.
„Was willst du denn machen? Ich glaube nicht an deinen Hokuspokus, der hat auf mich keine Wirkung!“
„An die Medizin glaubst du aber schon?“, schlug ihn der junge Alte mit Logik. Er erhob sich zur vollen Größe und nahm seine Maske ab. Ein etwa fünfzigjähriges Gesicht tauchte auf.
Ich betrachtete seinen Körper genauer. Mein Urgroßvater war deutlich kleiner als ich, recht schmutzig und ohne jegliche Kleidung. Das, was da zwischen seinen Beinen hing, war beschämend, außerdem viel zu lang und dick. Ihn schien die unanständige Blöße aber keineswegs zu stören. Auch Ravenhort war das wohl gewohnt.
„Nicht deine Wunderkraft heilt den Jungen, sondern meine Medizin“, beharrte mein Verwandter.
„Ist das dein letztes Wort?“, fragte der aufgebrachte Besuch und schob drohend seinen Oberkörper vor.
„Ja! Und wasch dir endlich deine Hände im Fluss!“, drängte der Hausherr. „Sonst stirbst du schon vor dem Morgengrauen!“
„Du wirst schon sehen, was du davon hast!“, geiferte Ravenhort und spuckte abschätzig auf die Maske.
„Beleidige die Geister nicht!“ Der Schamane stampfte seinerseits wütend mit dem Fuß auf. Die Wurst zwischen seinen Beinen schwang dabei wild hin und her.
„Es gibt nur einen Gott!“, höhnte der Mönch und schupste den vitalen Greis so, dass dieser mit dem nackten Hintern in das Feuer plumpste und vor Schmerz schreiend aufsprang. Dabei entfiel ihm klimpernd der Geldbeutel.
„Du bist also nicht unempfindlich gegen Schmerzen“, stellte sein Angreifer zufrieden fest. Er griff sich schnell so viele Münzen, wie er finden konnte und verließ er den Raum. „Warte nur!“, zischte er dabei wütend. „Wir sehen uns wieder!“
Der Schamane, der offenbar mein Urgroßvater war, humpelte jammernd in eine Ecke des Zimmers. Wollte er seine Brandwunden versorgen? Dort schob er eine Truhe beiseite und kroch durch ein großes Loch in der Wand hinaus. Ein geheimer Raum musste sich dort befinden. Was verbarg sich in diesem?
„Das tut verflucht weh!“, hörte ich ihn jammern.
Nach einer Weile kehrte er zurück und blickte verblüfft, geradezu fassungslos zu mir. Er hatte mich entdeckt.
„Hallo Uropa!“, rief ich inzwischen sitzend von meinem Lager aus.
Verschreckt sprang der alte Mann hoch, als wäre er urplötzlich auf einen Stachel getreten. Die Stimme blieb ihm im Hals stecken. Mein Urgroßvater zitterte an allen Gliedern, wirklich an allen. Er rechnete vielleicht mit dem Besuch vom Teufel oder von indianischen Dämonen, aber mit mir hatte er nicht gerechnet.
„Wer bist denn du?“, stieß er um Fassung ringend keuchend hervor. Er griff sich ein Tomahawk.
„Ich bin dein Urenkel!“ Mein Oberkörper verbeugte sich höflich, aber die nassen Stiefel quietschten spöttisch dazu.
Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Was willst du hier?“
„Nun ja“, begann ich zu erklären. „Mama schickt mich. Schöne Grüße auch. Ich soll hier eine Kur machen.“
„Eine Kur? Was ist denn das für ein Unsinn? Niemand kurt hier.“
Da hatte er sicher Recht.
Ich reichte ihm spöttisch den Brief, den Mutter mir mitgegeben hatte.
„Da sind wir sicher einer Meinung!“
Uropa öffnete ihn. Ein dickes Bündel Geldscheine und ein Blatt Papier steckten darin. Die Sprache von Ersterem schien er durchaus zu verstehen, die schriftlichen Zeichen von Letzterem brachten jedoch ein rätselndes Runzeln auf seine Stirn.
„Soll ich vorlesen?“, fragte ich hilfsbereit.
Uropa sah mich erstaunt an. Die Falten über seinen Brauen wurden noch tiefer. „Vorlesen?“
„Ja, genau! Ich kenne das Alphabet.“
„Du bist wohl das Wunderkind aus Manhattan?“, stellte er nachdenklich fest.
Offenbar wusste er doch etwas von mir.
Er lachte nun. „Na dann lies ruhig vor!“
Der Dummkopf war also, wie ich vermutet hatte, ein Analphabet. Konnte es schlimmer kommen? In dem Schreiben bat Mama ihn, mich mit dem ganz einfachen Leben vertraut zu machen und mich unbedingt von der Mathematik fernzuhalten. Ich änderte natürlich beim Vortragen den Inhalt des Briefes flugs so, dass mein Gastgeber mich verwöhnen und besonders die Beschäftigung mit der Wissenschaft unterstützen sollte. Die Stelle, an der sie über meine angebliche Verrücktheit schrieb, ließ ich ganz aus. Zufrieden mit der Verdrehung gab ich ihm den Brief zurück. Mich erwartete vielleicht doch eine erträgliche Zeit. Bald würde ich alles über die Allervollkommenste wissen. Mein liebendes Herz pochte erneut aufgeregt gegen die Brust.
Mein Großvater besah sich das Blatt interessiert. Man konnte fast denken, er lese. Der naive Halbindianer staunte wohl, was man mit Buchstaben alles aufschreiben konnte. Plötzlich gab mir seine Hand eine schallende Ohrfeige. Vor Erstaunen spürte ich nicht einmal den Schmerz.
„Unterschätze nie den anderen! Heißt es nicht: Du sollst nicht lügen?“
Ich errötete vor Scham. Der gerissene Fuchs hatte mich hereingelegt. Er konnte lesen. Zurückschlagen durfte ich nicht, er war ja mein Urgroßvater. Zumindest verbot es mir die eigene Moral. Irgendwie hatte er mich auch gut über den Tisch gezogen. Das hätte von mir stammen können.
„Wieso siehst du so jung aus?“, ging ich von meiner Verfehlung ablenkend in die Offensive.
„Das Leben in den Black Hills ist vielleicht gesünder als die Großstadtluft“, gab er schelmisch zurück und lenkte mit einer anderen Frage geschickt von der eigentlichen Sache ab: „Wie alt bist du eigentlich? Ich hätte nie gedacht, dass du schon so groß bist.“
Wir waren also gleichermaßen gerissen und mussten verwandt sein.
„Ich bin gerade achtzehn Jahre alt geworden. Wie alt bist du?“, übernahm ich wieder das Zepter. Unser erstes Gespräch verlief so, als kreuzten zwei Fechter die Degen.
Mein Urgroßvater antwortete nicht und rieb sich eine Salbe auf die Blasen an seinem Hintern. „Hast du den ganzen Streit belauscht?“, fragte er nach und beäugte mich nachdenklich.
„Zumindest den Schluss. Hat deine Medizin dem Präsidentensohn wirklich geholfen?“
„Es scheint so. Ravenhort hat sie heimlich einer kranken Frau gestohlen, die sie von mir hatte. Richtig eingesetzt kann sie zwar heilen, aber wenn man sie zu hoch dosiert, ist sie äußerst gefährlich. Deswegen darf das Mittel keinesfalls in falsche Hände gelangen!“
„Das ist doch immer so“, erwiderte ich.
Der Uropa lachte. „Du bist mir ein Besserwisser! Hier ticken die Uhren anders. Der Stand der Sonne bestimmt die Zeit. Manchmal sieht man sie nicht einmal. Du musst vieles neu erlernen. Wenn du dich als klug erweist, bekommst du vielleicht mein Erbe!“
„Ist es wertvoll?“, spottete ich und blickte mich in der Stube um. Reich an Pelzen, Totenschädeln und Hörnern war er ja …
Uropa musterte mich von oben bis unten.
Eine schwarze Ziege steckte ihren Kopf durch ein Gatter in den Raum. Ich hatte diese bisher nicht bemerkt. Sie hatte wohl die ganze Zeit über geschlafen oder still im Stroh gelegen. Misstrauisch beäugte sie den neuen Gast.
„Äußerst wertvoll!“, verkündete er gewichtig und kratzte sich die Haare an einer Stelle, die ich lieber nicht beschreiben möchte. Dann ging er zur Ziege und kraulte dieser ihren kleinen schwarzen Bart.
„Woraus besteht es denn?“, hakte ich neugierig nach. Waren es die dürren Büffel, die vor dem Haus weideten oder diese grandiose Immobilie?
Der Greis begann mich zu amüsieren. Wohlhabend sah der nun wahrlich nicht aus.
„Aus Wissen!“, murmelte er geheimnisvoll und gab der Ziege einen Kuss auf den Mund. Diese leckte ihm genüsslich mit ihrer spitzen langen Zunge das Gesicht ab.
Jetzt könnte ich vor Lachen auf seine Trommeln schlagen. Wenn hier einer über Wissen verfügte, dann ich. Millionen von Buchseiten waren in meinem Gedächtnis abgespeichert.
Eine neuerliche schallende Backpfeife beendete meinen Hochmut. Sie schmerzte schon. Ich wollte sie ihm fast zurückzahlen.
„Jeder Schamane gibt sein Erbe nur an den einzigen Geeigneten weiter. Unsere Kenntnisse liegen jenseits dieser Welt und gehen über jede Wissenschaft hinaus. Ich weiß nicht, ob du was taugst. Du wirkst eingebildeter als jeder Ziegenbock in der Brunst.“
„Oh!“, hauchte ich äußerlich erstaunt, aber in meinem Bauch kollerten Lachsalven über meinen Urahnen. Da er mit mir verwandt und zudem alt war, gab ich mich jedoch höflich. Es war unser erstes Beisammensein.
„Man schlägt übrigens seine Kinder heutzutage nicht mehr!“, versuchte ich weiteren Schlägen vorzubeugen.
„Entschuldige, aber ich dachte, man lügt auch nicht mehr seine Familienangehörigen an!“
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass irgendein gebildeter Amerikaner dieses angebliche Schamanenhokuspokus ernst nahm. Der Kerl war sicher vollkommen verrückt, redete sich vielerlei Schwachsinn ein und glaubte an das unsinnige Zeug, was er hier machte. Womöglich sprang er eines Tages in der Gewissheit von einer Klippe, dass ein Windgeist ihn auffangen würde. Mein Gott, wir lebten im 20. Jahrhundert, dem Zeitalter der Wissenschaft! Ich würde der Welt in kurzer Zeit sogar beweisen, dass jeder mit Hilfe der Mathematik und Logik seine große Liebe finden kann. Meine Gleichung würde das Ergebnis liefern. Dann brauchte man nur noch zu der jeweiligen Person hingehen und schwups, das war es, das große Glück. Dieses ungewisse Gesuche und Durchprobieren verschiedener Kandidatinnen gehörte dann der Vergangenheit an. Meine Vollkommene wäre der erste lebende Beweis.
Das behielt ich natürlich vorerst alles für mich. Ich wollte ihn nicht kränken und auch keine weiteren Schläge einstecken. Außerdem waren die Wirkung seiner Wundermedizin und sein jugendlicher Körper schon verwunderlich. Das musste noch genauer untersucht werden. War er wirklich mein Urgroßvater und nicht dessen Sohn?