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Das Mädchen Gaya und die Zwillinge

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Meine eiligen Schritte führten mich nun zurück durch die Wälder und Wiesen an dem Sumpf vorbei. Es war der gleiche Weg, den der Kutscher genommen hatte. Frost hatte eingesetzt. Der frische Schnee knirschte unter meinen Stiefeln. Ab und an kreuzten Tierspuren meinen Weg. In der Ferne jaulten hungrige Wölfe. Sofort beschleunigte ich das Wandertempo und umklammerte den Spieß fester. So unwirklich erschienen mir plötzlich die Gruselmärchen über Werwölfe nicht mehr. Verschreckt suchten meine Augen die Umgebung ab. Ängstlich vermutete ich hinter jedem Baum und Strauch eine Gefahr.

Nach etwa vier Stunden tauchte die Ansiedlung auf. Man konnte sie fast als eine kleine Stadt bezeichnen. Durch die neue Bahnstation hatte der Ort sich anscheinend in den letzten Jahren rasant vergrößert. Viele Häuser waren erst vor Kurzem errichtet worden. Das sah man an den frischen Holzbalken. Einige Gebäude bestanden sogar aus sauberem Stein. Sie gehörten sicher den wohlhabenden Bewohnern. Der Ort verstrahlte trotzdem noch den eigentümlichen Charme des Wilden Westens. Bei meiner Anreise hatte ich festgestellt, dass einige Bewohner noch demonstrativ ihre Colts trugen. Das war ein Relikt aus der Zeit der frühen Siedler und der Indianerkriege. Wir lebten inzwischen im zwanzigsten Jahrhundert.

Aus einem Seitenweg tauchten urplötzlich zwei grobe Gesellen auf. Es waren Zwillinge und ihre Gesichter sowie ein Teil ihrer Kleidung verrieten, dass sie Lakota-Blut in sich trugen. Sie blickten zu mir wie ich zu ihnen, allerdings viel finsterer. Ihre Augen funkelten regelrecht böswillig. Ich war froh, den beiden nicht schon im Wald begegnet zu sein. Auch sie schlugen den Weg zum Städtchen ein und gingen einige Meter vor mir. Völlig ungeniert, so als wäre ich Luft, unterhielten sie sich miteinander. Sie sprachen ein mit indigenen Slang versetztes Amerikanisch und waren offenbar Nachkommen der früheren Herrscher der Black Hills, die nun zumeist in kleineren oder größeren Reservaten wohnten. Dort hatten sie ihre eigenen Gesetze und sogar eine eigene Indianer-Polizei. Die Lakota durften jedoch inzwischen ihre Reservate verlassen und sich dort ansiedeln, wo wie wollten. Einige Siedler sahen das aber nach wie vor skeptisch.

„Was will dieser Mönch von uns? Das wird ihn aber etwas kosten! Ravenhort soll doch jetzt reich sein!“

Diesen Namen hatte ich schon gehört. So hieß doch der Kerl, der meinen Uropa bedroht hatte.

Ich ging bewusst langsam, um etwas Abstand zwischen mir und den beiden Kerlen zu lassen. Einen Streit konnte ich nicht gebrauchen. Dadurch hörte ich nicht, was sie noch besprachen.

In den Straßen regierte hier der Schlamm. Durch die Regenfälle und die zur Bahnstation holpernden Fuhrwerke hatte sich der Boden in einen braungrauen Brei verwandelt. Der geringe Frost und der wenige Schneefall reichten noch nicht, um ihn zu befestigen. Deswegen hatte man an einigen Stellen Balken und Bretter über die Wege gelegt, worauf man balancieren musste. Nur so konnte man die schwierigsten Stellen einigermaßen glimpflich überqueren.

Genau auf einem solchen Balken kam mir eine junge Einheimische entgegen. Sie war vielleicht dreizehn Jahre alt. Ich erkannte sie. Es handelte sich um genau das hübsche Mädchen, welches ich bei meiner Ankunft an dem Schmuckstand getroffen und der ich den Ring geschenkt hatte. Was für ein eigenwilliger Zufall. Ihr Anblick machte mich merkwürdig unruhig. Wieso schlug mein Herz schneller?

Das süße Kind musste in diesem Dorf wohnen. Einige wenige Sommersprossen zierten die Nase. Ihr unter dem Tuch hervorquellendes Haar glänzte schwarz und bildete einen Gegensatz zu ihrer hellen Haut, die selbst für großstädtische Verhältnisse blass wirkte. Fast bis zum Bauch reichten die in indianischer Manier geflochtenen Zöpfe, welche unter einer Pelzkappe hervorlugten.

Das schmale Brett hatte jedoch nur Trittfläche für einen von uns beiden. Als Mann wollte ich natürlich höflich sein und machte den Weg frei. Dadurch musste ich jedoch den Steg verlassen. Ich stellte mich höflich wie ein Gentleman auf den hier oberflächlich gefrorenen Fuhrwegmatsch. Dieser bot jedoch leider keinerlei Halt. Im Nu versank ich fast einen halben Meter bis unter die Knie in der sumpfigen Masse und blieb darin stecken.

Meine Gesichtszüge entgleisten und ich schrie unwillkürlich so etwas wie: „Oh nein, harr …“

„Was machst du da?“, fragte die Kleine mich erstaunt musternd. Ob sie auch mich erkannte?

Angesichts der eindeutigen Situation war das natürlich eine sehr dumme Frage.

„Ich wollte dir eigentlich nur Platz machen!“, erklärte ich meine unangenehme Position trotzdem.

Meine Antwort verblüffte das Provinzmädchen scheinbar. So viel Höflichkeit war sie in diesem Nest nicht gewohnt.

„Du bist nicht von hier! Bei meiner Mutter, du bist doch der, der mir den Ring geschenkt hat?“, stellte sie mein Gesicht betrachtend fest. Ihre Kulleraugen wurden noch größer, musterten mich neugierig und ihr Gesicht bekam geradezu einen schwärmerisch verträumten Ausdruck. Dann erklärte sie: „Wir halten uns einfach aneinander fest und drehen uns umeinander!“ Sie machte das auch gleich zur Demonstration auf dem Brett vor, wie eine Ballerina. Dabei entblößte sie zwei Reihen perlweißer Zähne und beobachtete mich ungeniert. Ganz langsam versank ich immer tiefer.

Durch die Strampelbewegungen verschlechterte sich meine Situation mehr und mehr. Bei dem Versuch, einen Fuß herauszuziehen, knickten meine Beine vor den Augen des Mädchens nach hinten um und ich ruderte kurz darauf hilflos wie ein Käfer auf dem Rücken in der klebrigen Masse. Ich bekam sogar Furcht, ganz zu versinken und dabei den Tod zu finden. Meine Kleidung saugte sich mit Nässe voll.

Mir war die Situation besonders vor der hübschen Kleinen peinlich und ich schämte mich sogar, während das Mädchen herzhaft zu lachen begann. Nachdem die Lachwellen verebbten, sah sie sich um. Ihr Blick fiel auf meine Waffe, die ebenfalls in dem Sumpf steckte. Sie beugte sich vor und ergriff das obere Ende meines Speeres.

„Halt dich an der anderen Seite fest!“, schlug sie vor.

Auf diese Weise gelang es ihr tatsächlich, mich langsam zu befreien. Wie durch ein Wunder fiel sie nicht auch noch mit hinein. Einer meiner Stiefel steckte noch fest und lief mit dem Erdbrei voll. Es kostete uns einige Mühe, auch diesen mit Hilfe des Spießes zu befreien.

Nach der geglückten Rettung setzte ich mich wortlos auf das Brett und wickelte meine schmutzig nassen Fußlappen auf, um sie etwas zu reinigen. Meine gesamte Kleidung war von oben bis unten beschmiert und teilweise nass.

Das junge Ding lächelte herzlich. Sie hatte offenbar einen netten Charakter und ihre Fröhlichkeit wirkte ansteckend. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich irgendwie mochte und uns etwas verband. Nun ja, man bekommt ja auch nicht alle Tage einen Ring geschenkt.

„Woher kommst du eigentlich?“, fragte sie direkt und schabte mit dem Spieß etwas Dreckschlamm von meinem Pelzmantel.

„Vom Urgroßvater im Wald!“ Ich wies ungefähr in die Richtung, auf das Meer aus Fichten und anderen Nadelbäumen.

„Dem Medizinmann?“ Sie wirkte etwas erstaunt. „Der Einsiedler hat einen Urenkel? Das wird ja immer verrückter.“

Da die Menschen hier abergläubisch waren, wusste ich nicht so recht, ob ich die Wahrheit antworten sollte, und druckste herum: „Wie kommst du darauf, dass er es ist, den du meinst?“

„Ihm gehört dieser Speer“, erwiderte die Hübsche offenherzig. „Ich treffe ihn manchmal. Jeder hier kennt ihn zudem. Er hat vor Kurzem meiner Tante mit seiner Medizin das Leben gerettet.“ Dabei machte sie ein verschwörerisches Gesicht. „Ich wollte aber wissen, woher du wirklich kommst.“

„Aus New York, Manhattan.“

Vor Staunen ließ das Mädchen den Mund einen Spalt offen. Das sah süß aus. Sie wirkte ohnehin äußerst anziehend auf mich. Wäre sie ein paar Jahre älter gewesen, hätte sie mich vielleicht noch mehr beeindruckt. Aber ich suchte ja die Allervollkommenste und keine kesse Teenagerin.

„Du bist ein echter Großstädter? Nimmst du mich dorthin mit?“, fragte sie unverblümt. Dabei sah sie mich bittend mit ihren Schokoladenplätzchenaugen an.

Jetzt schaute wiederum ich wie einer dieser geräucherten Stockfische. Die Kleine hatte seltsame Vorstellungen. Da würde Mama aber staunen, wenn ich mit so einer blutjungen Ureinwohnerin daherkäme. Ein Spaß wäre das schon.

„Wir kennen uns doch gar nicht“, warf ich abwimmelnd ein. „Was werden deine Eltern denken, wenn du mit einem fremden Mann mitgehst, den du gar nicht kennst?“

„Erstens bist du kein richtiger Mann und zweitens sind meine Eltern bereits tot“, protestierte sie altklug. „Ich wohne abwechselnd bei meiner Tante und bei meiner Oma – und ich bin schon sehr selbstständig.“

Sie plusterte sich auf, als wäre sie einige Jahre älter. Das wirkte dadurch jedoch noch kindischer. Irgendetwas hatte es aber. Die Kleine gefiel mir auf eine nicht verständliche Weise. Ich fand sie sogar recht lustig. Hatte der dumme Ring vielleicht doch besondere Kräfte. Sie trug ihn übrigens, wie ich gesehen hatte. Mir wurde mulmig zumute. Begann nun auch ich an mystischen Schwachsinn zu glauben? Die Umgebung beeinflusst eben doch das eigene Denken.

Die beiden grobschlächtigen Männer tauchten wieder auf und spuckten in Richtung des Mädchens, als sie dieses sahen. Sie reckten ihre Schnapsflaschen meiner Bekanntschaft entgegen wie Flinten, dann lachten sie laut: „Dich und deine Großmutter verbrennen wir auch noch! Hexe! Hexe!“ Das Mädchen wurde rot und wirkte etwas eingeschüchtert. Sie sah mich beschämt an.

„Sieh dich vor denen bloß vor“, warnte sie mich mit einem vielsagenden Blick. „Die Burschen dort sind bekannt dafür, dass sie gern Fremde ausrauben. Sie wohnen im Reservat.“

Der eine machte wie zur Verdeutlichung auch eine Geste, als wollte er mir oder dem Mädchen den Hals durchschneiden. Kurz darauf schickte der andere Säufer dieselbe Geste hinterher. Als Nächstes wieherten die Kerle wie Pferde. Ein Mantel aus aufkommender Furcht umschloss uns. Instinktiv traten wir näher zusammen und sahen uns an. Wirst du mir helfen?, stand in ihren Augen. Vertrau mir!, stand in meinen. Ich war sportlicher, als sie es sicher vermutete und auch im Faustkampf erfahren. Außerdem beruhigte mich der Spieß in meiner Hand. Für Menschen brauchte man ihn hier offenbar noch notwendiger als für Wölfe.

„Ach Percy!“, murmelte sie gerührt, als könnte sie meine Gedanken lesen. Ihre Augenwinkel füllte sich ein ganz wenig mit Feuchtigkeit und die Wangen mit Wärme. Fast schüchtern senkte sie die Augen und sah dann erneut prüfend in die meinen. Sie schien irritiert. Eine bedeutungsvolle Stille stand zwischen uns. Wie schön war diese Kleine doch und wie lächerlich meine geheimen Gedanken. Was war mit mir los?

„Die beiden sind offenbar Lakota-Indianer!“, stellte ich fest.

„Magst du Indianer nicht? Ich bin auch eine Lakota!“

„Das ist mir egal“, erwiderte ich. „Außerdem habe ich auch etwas Lakota-Blut.“

Wenn mein Urgroßvater ein waschechter Lakota war, was meine Familie ja vor mir verborgen hatten, dann war ich zu einem Viertel ja auch ein Indianer. Die Zeiten hatten sich geändert. Man brauchte sich dessen nicht zu schämen.

Sie errötete von dieser Wendung. „Ja, das stimmt.“

„Wo bekomme ich Lebensmittel?“, wechselte ich das Thema. Ich wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Die schmutzigen, nassen Sachen ließen mich wie einen Tollpatsch dastehen.

Die süße Zopfdame wies auf ein entferntes größeres Haus: „Dort bekommst du alles, was du so brauchst.“ Sie hätte sich wohl gern länger unterhalten, fand sich aber notgedrungen mit dem Ende des Gesprächs ab. Worüber sollten wie auch schwatzen?

Angewidert zog ich die verdreckten Stiefel wieder an. Das durchnässte Leder quietschte bei jeder Bewegung. Hoffentlich zog ich mir keine Erfrierungen zu.

„Einen schönen Tag noch!“, verabschiedete ich mich.

Sie wirkte jetzt traurig und sah verklärt auf den Ring.

„Er ist wunderschön“, hauchte sie, ohne mich anzusehen.

Scheinbar gleichgültig, so als wäre das Geschenk für mich ohne Bedeutung, zuckte ich mit der Schulter.

„Vielleicht sehen wir uns noch mal Percy!“, rief mir meine Verehrerin hinterher.

Wollte ich das?

„Mal sehen.“

Ich fühlte genau, dass die Kleine mir nachblickte, drehte mich aber bewusst nicht um. Ein New Yorker war hier eine ganz besondere Attraktion. Urplötzlich erstarrte ich. Woher kannte sie überhaupt meinen Namen? Ich hatte ihn ihr niemals mitgeteilt. Wieso nannten die zwei Burschen sie Hexe?

Der kleine Krämerladen befand sich in einer schäbigen Bretterbehausung. Diese überragte die anderen Hütten um eine Kleinigkeit. Nur ein winziges verblichenes Schild mit krakeligen Buchstaben wies überhaupt auf das Geschäft hin. Ansonsten hätte man nicht vermutet, hier überhaupt Handelsgüter zu finden.

Der Besitzer trug einen jüdischen Hut, hatte lange geflochtene Zöpfe und erwartete die Eintretenden hinter einer Brettertheke. Das Bollwerk trennte den Käufer von der Ware und war im Laufe der Jahre durch neue Streben verstärkt worden. Misstrauisch beäugte er meine verschmutzten Sachen.

„Ich bin ausgerutscht!“, erklärte ich den seltsamen Aufzug und holte einige Geldstücke heraus.

Das Gesicht des Mannes wurde sofort freundlicher. „Ja, die Wege hier sind fürchterlich. Womit kann ich denn dienen?“ Er bemühte sich, vornehm zu sprechen. „Vielleicht ein Paar trockene Stiefel?“

„Nur her damit!“ Mein größtes Problem war für damit gelöst. Die Hose war nur unten nass und würde schon trocknen. Der Pelzmantel war nur außen verdreckt.

Ich kaufte noch Trockenfleisch, Mais, Bohnen, Wurst, Fisch, Brot, Kekse, Küchlein, Speck, Gurken, einfach so viel ich zu tragen vermochte. Der Sack war bis oben gefüllt, wie beim heiligen Nikolaus. Der Verkäufer machte heute einen guten Handel.

Zufrieden mit dem Einkauf, besonders darüber, auch Süßigkeiten gefunden zu haben, machte ich mich in den nassen Stiefeln auf den Heimweg. Ein paar Arbeiter, die ihren Lohn beim Bau der Eisenbahn verdienten, betraten kurz nach mir den Laden. Belustigt musterten sie meinen Aufzug und machten ihre Späße.

Draußen stand das Mädchen weiterhin an der gleichen Stelle und sah mir mit großen Augen entgegen. Hatte sie auf mich gewartet? Irgendwie freute es mich, sie nochmals zu sehen. Wir waren inzwischen ja so etwas wie Bekannte.

„Da bist du ja immer noch!“, stellte ich fest. „Woher weißt du eigentlich meinen Namen?“

Sie errötete, lachte dann jedoch. „Was meinst du wohl? Hier flüstert sogar der Wind die Neuigkeiten!“

Es kam mir etwas unwahr vor. Doch nach Hexerei zu fragen erschien mir dann doch zu hinterwäldlerisch und dumm. Vielleicht hatte mein Urgroßvater irgendwem von mir erzählt. Er behandelte doch ihre Tante.

Frohgemut betrat ich den Balken. Hatte ich insgeheim sogar darauf gehofft, sie nochmals zu treffen? Diesmal würde ich das Trittbrett nicht wieder wie ein Dummkopf verlassen.

„Halte dich fest! Ich zeig dir, wie es geht!“

Sie breitete die Arme wie ein Bär aus und wir umschlossen uns wie zwei ringende Bärenkinder. Ehe ich mich versah, drückte sie sich so sehr an mich, dass ich ihre duftende Haut und einen leichten Knoblauchgeruch wahrnehmen konnte. Unter dem Pelz trug sie eine ähnliche Kette wie ich. Am Nacken konnte ich die Bänder sehen.

Ihr schien diese Nähe zu gefallen, während mir die Situation ein wenig peinlich war. Andere konnten schnell sonst etwas denken. Sie war doch mehr ein Kind und ich schon ein junger Mann. Aber vielleicht galt das hier durchaus als normal. Wurden nicht sogar Ehen schon im Kindesalter vermittelt? Hieß es nicht, eine Braut sollte blutjung sein?

„Pass auf!“, hauchte sie warm neben meinem Hals.

Sie stellte nun ein Bein hinter mich.

„Mach es genauso!“

Ich folgte der Anweisung und schon hatten wir uns umeinander gedreht. Ganz zufällig hatten dabei meine Lippen ihre Stirn berührt.

Sie erglühte und sah mir schamhaft in die Augen, als hätte ich das mit Absicht getan und sie erklärte nun im Nachhinein ihr Einverständnis mit dieser Intimität. Mir wurde schwitzig. Hatte sie das vielleicht extra getan und war durchtriebener, als man glaubte?

„Nimmst du mich mit nach Manhattan?“, fragte die Kleine nochmals.

Ich lachte dumm und stammelte so etwas wie: „So toll ist es da auch nicht.“

Doch sie hörte mir gar nicht mehr zu, sondern ging einfach in die andere Richtung davon. Ich spürte einen Nadelstich im Herz. Wie verrückt war das alles? Ich liebte doch schon jemanden.

Nach einigen Schritten drehte sich das rätselhafte Mädchen noch einmal um und freute sich anscheinend darüber, dass ich ihr hinterher gesehen hatte. Ertappt liefen meine Ohren rot an.

„Ich heiße übrigens Gaya!“

Sie winkte mir kurz zu, als wären wir schon lange Freunde. Mechanisch erwiderte ich den Abschiedsgruß.

Konnte es sein, dass die Kleine sich so schnell in mich verknallte? Vielleicht war man hier besonders früh reif.

Ich musste ihr unbedingt diese Illusion nehmen, da ich mich bereits in die Vollkommenste verliebt hatte. Der hübschen Kleinen sollte es nicht auch noch so wie Grace ergehen. Eine unerfüllte Liebe war sehr schmerzhaft und brachte nur neue Probleme. Hätte ich ihr bloß nicht den verhexten Ring geschenkt.

Vielleicht interpretierte ich aber nur zu viel in alles hinein und so viel Freundlichkeit galt an diesem Ort als üblich. Die Menschen mussten in der Wildnis beieinander stehen, um zu überleben. In New York war das anders, man konkurrierte.

Auf dem langen Rückweg lenkte ich mich mit den gekauften Küchlein von meinen widersinnigen Gedanken ab. Doch diese eilten wie zum Hohn nicht zur Allervollkommensten, sondern mal zu Grace und dann zu Gaya. Ich konnte mich nicht entscheiden, welche süßer war. Sie waren so unterschiedlich.

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