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ОглавлениеINTERVIEW MIT MELANIE HÜMMELGEN
»Bitte nur kleine Päckchen packen«
Für die Gesundheit endlich wieder in Schwung kommen? Das ist gar nicht so einfach. Hier verrät Bewegungs-Doc Melanie Hümmelgen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang es am besten gelingt.
Was erwarten Patienten, wenn Sie zu Ihnen als Bewegungs-Doc in die Praxis kommen?
Die wenigsten kommen freiwillig, weil sie sich mehr bewegen wollen und dabei ärztliche Begleitung brauchen. In der Regel haben sie ein Schockerlebnis hinter sich, das sie zum Umdenken bewegt.
Was ist schlimmstenfalls passiert?
Das Schlimmste ist ein Herzinfarkt. Der ist wie ein böses Erwachen. Aber auch hohe Blutdruckwerte, starkes Übergewicht und der Wunsch, ohne oder zumindest mit weniger Medikamenten zu leben, spielen eine Rolle. Manchmal kommt alles zusammen. Herzprobleme, Bluthochdruck und Übergewicht sind dann gemeinsam ausschlaggebend dafür, dass es heißt: Jetzt muss etwas passieren!
Wie geht die Behandlung mit Bewegung los?
Der Patient oder die Patientin und ich entwickeln als Erstes ein Ziel, das unbedingt realistisch sein muss. Was wollen wir erreichen? Gewicht reduzieren? Blutdruck senken? Mit dem Rauchen aufhören? Weniger Pillen nehmen? Jeder Patient muss wissen, was für ihn möglich ist, und dass leider nicht alles auf einmal geht. An dieser Stelle muss ich meine Patienten meistens erst einmal bremsen. Denn viele haben falsche Vorstellungen davon, wie sie durch Bewegung wieder gesund werden können.
Inwiefern?
Sie würden am liebsten sofort raus auf die Rennbahn und loslaufen – nach dem Motto: „Je mehr ich mache, desto schneller bin ich wieder gesund“. Das ist nicht nur gefährlich, sondern auch unrealistisch. Denn selbst wenn man es gesundheitlich überstehen würde, ist es auf die Dauer nicht durchzuhalten. Es geht ja nicht darum, eine Woche lang Sport zu treiben und dann in den alten Lebensstil zurückzufallen. Die Patienten brauchen etwas fürs ganze Leben – und müssen deshalb ehrlich zu sich selbst sein.
Was hat sich in Ihrer Praxis als realistisch erwiesen?
Am Anfang sollte man nur kleine Päckchen packen. Meistens beginnen wir mit dem Schrittezählen. Da zeigt sich bereits, wo jemand steht. Wir empfehlen 10 000 Schritte täglich. Ein Briefträger macht 18 000; der Durchschnitt liegt in Europa bei 4 900. Manche Patienten schaffen aber nur 2 500.
Wie reagieren die Patienten darauf?
Meistens sind sie erschrocken und schuldbewusst. Sie versprechen sich selbst und mir als Ärztin dann viel zu viel – vor allem die Männer. „Ich höre morgen mit dem Rauchen auf. Ich werde heute noch Vegetarier und ab nächster Woche jogge ich jeden Tag zwei Stunden.“ Das ist verständlich, aber übertrieben. Niemand schafft alles auf einmal. Natürlich gehören zu einem gesunden Lebensstil auch Veränderungen bei schlechten Ernährungs- und anderen Gewohnheiten. Doch alles muss in kleinen Etappen nacheinander geschehen.
Was ist zum Start sinnvoll?
Wir fangen mit der Bewegung an und erhöhen langsam die Schrittzahl. Danach wird aus einem Spaziergang vielleicht eine Walkingrunde und aus dem Walken irgendwann Joggen. Wer jahre- oder jahrzehntelang kaum etwas gemacht hat, merkt schon beim Erhöhen der Schrittzahl, dass der eigene Körper ganz schön gefordert ist. Gelenke und Sehnen tun weh. Man gerät aus der Puste. Jetzt ist es wichtig, trotzdem dranzubleiben.
Schaffen ehemalige Sportler das besser?
Nicht unbedingt. Denn sie haben noch im Kopf, was sie mit 20 konnten, und wollen da sofort wieder hin. Dass das nicht mehr geht, frustriert sie natürlich. Aber trotzdem haben ehemalige Sportler einen großen Vorteil. Sie wissen, dass Sport nicht nur Quälerei ist, sondern Spaß machen kann. Ich empfehle deshalb allen Eltern, ihre Kinder in den Sportverein zu schicken. Dort werden oft wichtige Grundlagen fürs Leben bis ins hohe Alter gelegt.
Aber die Kindheit ist lange her, wenn altersbedingte Beschwerden auftreten.
Das spielt keine Rolle. Ich setze an diesem Punkt meist sehr erfolgreich an. Denn wenn ich jemanden frage, welchen Sport er früher mal gemacht hat, sehe ich häufig ein Lächeln im Gesicht. Dann weiß ich, dass die Umstellung auf mehr Bewegung mit hoher Wahrscheinlichkeit gelingt. Wir müssen nur herausfinden, wie jemand sein altes Programm heute schonender machen kann. Ein Tennisspieler wird vielleicht wieder im Doppel und nicht mehr im Einzel auf dem Platz stehen. Ein ehemaliger Leichtathlet kann walken statt joggen. Frühere Turner machen Fitnessübungen. Hauptsache, man ist mit Freude dabei.
Was motiviert Patienten, die nie Sport getrieben haben?
Das Tolle ist, dass man auch bei kleinen Schritten schnell Erfolge sieht. Das Treppensteigen fällt leichter. Man kommt nicht mehr so schnell außer Atem und fühlt sich wieder jünger. Beim Blutdruck und bei der Herzfrequenz lässt sich das messen. Solche „echten“ Belege mit Zahlen sind für die Motivation ungeheuer wichtig. Sportliche Erfolge – und seien sie noch so klein – verstärken ein positives Körpergefühl, das sonst nur Sportler kennen. Diese Gefühle sind auf die Dauer stärker als allein die Vernunft, die jemanden nach draußen zum Laufen treibt.
Was spielt sonst noch eine Rolle?
Ganz entscheidend ist das Umfeld, also die Familie oder die Partnerschaft, in der man lebt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es am besten gelingt, den gesamten Lebensstil zu verändern, wenn die Familie, die Partner oder auch Freunde mitspielen. Ein Paar, das zusammen kocht, isst und gemeinsam Sport treibt, kann sich gegenseitig motivieren – und kontrollieren.
Optimistisch in die Zukunft – auch im höheren Alter kann man prima Sport treiben.