Читать книгу Ellen - Melanie Schmitt - Страница 13
Kapitel 10
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Dieses Gefühl, oh Gott sie hasst es. Es versetzt sie in Angst, lässt es nach einer gewissen Zeit nicht nach verwandelt sich die Angst schnell in Panik. Es fühlt sich an, als wären übergroße Augen auf sie gerichtet und saugen alles, jede ihrer Bewegungen auf, als ob genau aufgezeichnet wird in welcher Straße sie sich befindet, ob sie links oder rechts ab biegt, auf wen ihre Augen gerichtet sind. Einfach alles. Immer wieder muss sie die Straße zurück gucken, um sich zu vergewissern, dass niemand merkwürdiges hinter ihr ist, sonder nur stinknormale Leute, die ihre Einkäufe machen. Immer wieder sagt Ellen sich: Beruhig dich. Alles ist gut. Kein Grund um Panik zu schieben. Und schon wieder dreht sie den Kopf zurück, wie ein Uhu. Wieder, wieder und wieder.
„Was ist los? Warum guckst du dauernd zurück?“, reißt Bill Ellen aus ihren Gedanken. Er hat es gemerkt, naja ist ja eigentlich auch nicht zu übersehen. Aber Bill scheint es nicht egal zu sein sonst würde er nicht Fragen. Schon wieder geht es ihr durch den Kopf: Beruhig dich. Alles ist gut. Kein Grund um Panik zu schieben. Doch diesmal rasen ihre Gedanken aus einem ganz anderen Grund. Es fühlt sich gut an Bill die Wahrheit erzählt zu haben. Warum sollte sie dann jetzt lügen, Andrew läuft weiter vorne, er bekommt nichts mit, also sagt sie zu Bill: „ Ich fühl mich irgendwie beobachtet. Und dann läuten bei mir alle Alarmglocken. Ich versuch schon meine Panik zurück zuhalten.“
Aber vielleicht fühlt sie sich auch nur beobachtet, da es nicht alle Tage vor kommt, dass einer wie Bill mit zwei Straßenkindern durch die Stadt spaziert. Bill guckt in alle Richtungen, dann sagt er: „ Ellen, ich sehe nichts Merkwürdiges. Weißt du wie sie aussehen?“
„Nein. Aber bitte Bill glaub mir.“
Andrew bekommt von der ganzen Unterhaltung nichts mit, er scheint so froh zu sein, neue Klamotten zu haben, dass er den Rest der Welt vergessen zu haben scheint. Zumindest macht er den Eindruck so wie er vorne her tapert.
Plötzlich, wie aus dem nichts, hört Ellen ein Krachen. Irgendetwas ist umgefallen. Die scheppernde Geräusche von Flaschen, Dosen und das Rascheln von Papier sind unüberhörbar. Ellen, Bill und Andrew drehen sich um und sehen, dass ein groß gewachsener Mann, im Anzug gekleidet gegen einen Mülleimer gelaufen ist. Natürlich ist der gesamte Abfall auf die Straße gefallen. Ellen atmet durch und möchte sich schulterzuckend umdrehen, als sie bemerkt, dass der Mann den Müll überhaupt nicht beachtet, sondern einfach weiter geht. Sein Laufstil ist nicht gewöhnlich. Irgendwie federt der Mann leicht hoch und runter, während er läuft. In dem Moment, als sich ihre Blicke treffen, verzieht er seinen Mund zu einem hämischen Grinsen. Dass das kein gewöhnliches, freundliches Lächeln ist, welches man eventuell einem Fremden schenkt, weiß Ellen sofort. Bill bemerkt dieses Grinsen ebenfalls. Seine Finger verschränken sich mit denen von Ellen. Bill hält ihre Hand. Ob er weiß dass sie Angst hat und er versucht sie zu beruhigen? Jetzt sieht der Mann, der gegen den Mülleimer gelaufen ist, Bill fragend an. Danach wird Andrew gemustert. Der Mann kommt Ellen unheimlich vor. Hals und Kinn sind im Schal versteckt. Augen und Nase werden durch die Sonnenbrille und den tief ins Gesicht gezogenen Hut getarnt. Er wirkt angsteinflößend. Automatisch geht Ellen einen Schritt zurück. Was ist mit diesem Mann, es hat den Eindruck als wüsste er wer vor ihm steht. Alle anderen Leuten, die das umfallen des Mülleimers nicht überhört haben, drehen sich wieder um und widmen sich wieder ihrem eigenen Kram. Auch der Mann, der im Mittelpunkt stand, setzt sich in Bewegung, jedoch nicht wie alle anderen sondern direkt auf Ellen und die andern zwei zu. Ellen ringt nach Luft, ihr Herz rast. Panik. Was will dieser Mann und wer ist dieser Mann? Die Augen dieses Mannes, sind das die Riesenaugen? Die Beobachteraugen? Was jetzt? Inzwischen hat Bill ihre Hand wieder losgelassen. Leider, jetzt fühlt sie sich noch angreifbarer. Sollen sie warten, ob der Mann sie anspricht oder sollen sie weglaufen? Bill nimmt ihr die Entscheidung ab.
„Kommt wir gehen weiter.“, sagt er. Anfangs laufen sie im normalen Tempo, doch Ellen fühlt sich immer noch beobachtet und wieder schaut sie andauernd zurück. Der Mann läuft ihnen nach. Verfolgt er sie etwa? Ellen bemerkt, dass der Mann sein Tempo beschleunigt. Das Mädchen berührt Bill am Arm und sagt: „Bill, schneller!“ Bill schaut zurück und nickt Ellen zu. Ellen möchte ihren Bruder an der Hand nehmen, doch der schüttelt sie ab.
„Ich kann alleine laufen!“ Was ist bloß los mit ihm? Irgendwie verändert er sich, noch vor ein paar Tagen hat er sich auf den Schoß nehmen lassen und auch ihre Hand nicht abgeschüttelt.
„Okay, aber schneller!“ Wenn sie nur nicht so eine große Angst um ihn hätte! Unbedingt muss sie ihn beschützen. Die drei fangen jetzt an zu Joggen, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Was soll Ellen denn auch sagen? Das sie Angst hat, kann man ihrem Gesicht mühelos ablesen. Sie hat die Vermutung, dass sie wirklich verfolgt werden. Auch ohne sich umzudrehen spürt sie den Blick des Mannes im Rücken. Trotzdem dreht sie sich um und erschrickt. Sie werden eindeutig verfolgt. Ihr Verfolger ist auch schneller geworden und hat so den Abstand zwischen ihnen um einiges kleiner gemacht. Auch Bill schaut sich immer wieder um. Nur zu gern würde sie wieder seine Hand nehmen, doch sie hat Angst, dass sie dann nicht schnell genug rennen kann. Andrew scheint das alles egal zu sein, aber warum? Gerade als er sein Tempo wieder zurück schrauben möchte, biegt Bill in eine kleine Seitengasse ab und für Andrew besteht keine Chance langsamer zu laufen. In dieser Gasse steht Müll übereinander gestapelt. Ellen sind diese Gassen bekannt, schon oft hat sie dort nach Essen gesucht, doch diesmal wünscht sie sich nichts mehr als so schnell wie möglich hier weg zukommen.
„Ist dass der Weg?“, fragt sie Bill.
„Ein Umweg“, sagt Bill und deutet mit dem Kopf nach hinten. Ellen ist sich nicht ganz sicher aber vielleicht versucht er den Mann hinter ihnen abzuschütteln. Eine andere Möglichkeit gibt es eigentlich nicht. Andauernd biegen sie ab. Links, rechts, wieder links und so weiter. Obwohl sie rennen, so schnell sie können, hat Ellen das Gefühl dass der Abstand zwischen dem Mann und ihnen immer kleiner wird.
„Warum? Was ist hier los? Ich mach das nicht, wenn ich nicht auf der Stelle weiß warum!“, beschließt Andrew und bleibt stehen.
„Andrew-“, setzt Ellen an, doch Bill sagt: „Nachher. Es ist sicherer. Vertrau uns einfach?“
„Euch? Seit wann gibt es euch? Gehör ich etwa nicht mehr dazu?“, rastet Andrew aus.
„Sicher doch. Bitte Andrew.“, fleht ihn seine Schwester an. Andrew schweigt und rennt weiter. Nach einer Zeit hört Ellen einen Ruf: „Ihr entkommt mir nicht! Bald ist er gerächt!“
Panisch geworden dreht sie sich um. Ihr Verfolger rennt. Gleich ist er bei ihnen. Was will der bloß, wer ist das? Ellen hat das Gefühl, dass ihr Herz noch nie so schnell wie jetzt gerade, in diesem Moment, geschlagen hat. Eintausend Schläge pro Sekunde falls das überhaupt möglich ist.
„Wir müssen uns trennen.“, sagt Bill etwas aus der Puste, er schaut Ellen direkt in die Augen. Er hat schöne blaue Augen, warum fällt ihr das in so einem Moment wie diesem auf? Sie reißt sich zusammen um nicht ganz in der Schönheit dieser Augen zu versinken.
„Nein! Auf keinen Fall!“, protestiert sie. Es ist gar nicht so leicht im Rennen zu sprechen, vor allem, weil ihre Kondition gleich null ist.
„Es geht aber nicht anders!“, sagt Bill ernst. Leise sagt er: „ Ellen, geh du da vorne Links lang, du kommst auf die Einkaufsstraße, wenn du nicht verfolgst wirst geh zu mir nach Hause. Ellen, verstanden? Dort treffen wir uns. Wenn doch,… dann…dann renn so schnell du kannst! Andrew und ich gehen hier lang.“ Er packt Andrew am Arm und zieht ihn nach rechts. Ellen kann gar nichts dagegen sagen, denn die Zwei rennen weiter.
„Keine Angst!“, ruft Bill noch. Wie soll das gehen? Keine Angst haben? Sie kann nicht mehr auf ihren Bruder aufpassen. Wie angewurzelt bleibt sie stehen, was macht sie hier eigentlich, sie kann doch einfach denselben Weg wie die andern nehmen. Aber Bill wollte es nicht! Ihre Gedanken rasen schneller, als ein Transrapid. Ellen hört die Füße von Bill und Andrew auf den Boden aufschlagen. Das Mädchen dreht sich um und sieht, dass der unheimliche Mann fast bei ihr ist. Ohne nach zudenken rennt sie in die Richtung, die Bill ihr gezeigt hat. So schnell ist das Straßenkind noch nie in ihrem Leben gerannt. Schon nach kurzer Zeit ist sie völlig aus der Puste. Ihr Kopf dreht sich wieder nach hinten. Als Ellen ihren Blick fokussiert hat, wird ihr bewusst, dass niemand hinter ihr ist. Ob sich der Mann nur versteckt, sie wartet kurz, doch es passiert nichts. Das heißt, er ist hinter ihrem Bruder und Bill her. Sie hat keine Ahnung, ob sie sich freuen soll, dass ihr keiner hinter läuft. Oh Bill, pass bloß auf Andrew auf und….und auf dich!!! Ihre Angst hat sich kein bisschen gelegt. Im Laufschritt läuft sie die Gasse entlang. Nach geschätzten zehn Minuten erreicht sie die Einkaufstraße, auf der Bill vor hin so viel Geld für sie und ihren Bruder ausgegeben hat. Was hat Bill nochmal zu ihr gesagt? Geh zu mir nach Hause, dort treffen wir uns. Ellen bleibt stehen um sich zu orientieren und raus zu finden welcher Weg zur Villa von Bill führt. Einige Zeit läuft sie irgendwelche Straßen lang, doch am Ende lässt sie sich auf die Couch im Gartenhaus fallen. Schon von weitem hat sie das tolle und große Haus bewundert. Das Wohnzimmer ist der Wahnsinn und Bills Zimmer ist genauso schön: Ein Schreibtisch steht unter dem Fenster, daneben ist die Tür zu seinem Balkon. In seinem Zimmer befinden sich ein großer Kleiderschrank und eine gemütlich Sitzecke. Aber das Beste was sie gesehen hat war sein Bett, das in der anderen Ecke stand. Ellen weiß noch genau, dass sie sich zusammenreißen musste sich nicht drauf fallen zu lassen. Früher hatte sie selbst in so einem gewohnt. Ob das jemals wieder der Fall sein wird? Ellen hofft es.
Leider sind im Gartenhaus kein Bill und kein Andrew. Ellen blinzelt und unterdrückt ihre Tränen. Ihr bleibt nichts anderes übrig als zu warten. Ellens Augen sind auf die Tür gerichtet, in der Hoffnung, dass sie aufgeht. Wo bleiben die nur? Ellens größter Wunsch in diesem Moment ist, dass alles in Ordnung ist. Minuten, gefühlte Stunden, verstreichen. Ohne dass etwas passiert. Die Tür bewegt sich keine Zentimeter, nicht mal einen Millimeter. Was soll sie bloß machen, wenn sie nicht mehr zurück kommen? Wie soll Ellen, Bill und Andrew in New York wieder finden? Sie fragt sich wie lang es dauern würde zu realisieren, dass die Beiden nicht wieder kommen.
Dann auf einmal, gerade dann wo Ellen überhaupt nicht mit rechnet, geht die Tür auf und Bill steht in der Tür, Schweißperlen laufen ihm über die Stirn. Neben ihm steht Andrew. Er sieht aus als würde er gleich umfallen. Wahrscheinlich sind die zwei viel gerannt. Sofort springt Ellen auf. „Andrew! Alles okay?“, stürmisch umarmt das Mädchen ihren kleine Bruder, umklammert ihn und hält ihn fest.
„Alles okay.“, murmelt Andrew und hält sich nur kurz an ihrem Arm fest. Dann windet er sich aus ihrer Umarmung und lässt sich luftholend auf die Couch fallen. Ellen fällt ein Stein vom Herz, es geht ihnen gut. Doch zugleich ist sie geknickt Andrew hat ihre Umarmung überhaupt nicht erwidert. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht, aber was? Sie verdrängt die Gedanken und widmet sich Bill. Wenn er sich ekelt hat er Pech, denn Ellen fällt ihm um den Hals. Doch Bills Hände fassen Ellen an die Hüfte und er zieht sie an sich.
„Was ist noch passiert? Geht’s dir gut? Oh Gott Bill, ich hatte so Angst!“ Die Fragen prasseln auf ihn ein.
„Hey, alles okay. Du brauchst keine Angst mehr zu haben! Wir sind da.“, sagt er sanft und streichelt mit der einen Hand ihren Rücken und die andere Hand spielt mit ihren Haaren. Ellen fühlt sich so sicher und wohl bei ihm, er ist so lieb.