Читать книгу Ellen - Melanie Schmitt - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеEllen
Ellen schaut sich genauer um. Die Gartengeräte sind ordentlich aufgestellt. Was das Sofa hier soll, ist ihr ein Rätsel. Vielleicht um Partys zu feiern. Partys, wie es dort wohl war? Ellen war noch nie auf einer richtigen gewesen, nur auf diesen Klein- Mädchen- Prinzessinnen- Geburtstagsfeiern. Wie sollte sie denn auch auf coolen Partys sein? Sie hat schließlich keine Freunde, die sie eventuell einladen würden.
Bills Haus sieht von der anderen Seite noch toller und schöner aus. Durch eine große Glasschiebetür kann man ins Wohnzimmer gehen. Außerdem befindet sich im Garten ein Teich um den Palmenartige Pflanzen stehen. Doch das Beste, was Ellen gesehen hat ist der Pool. Zu gern wäre sie einfach rein gesprungen.
Warum sie sich Bill gegenüber so abwehrend verhält, weiß sie selbst nicht. Er ist hilfsbereit und gutaussehend. Das Gefühl, was sich in ihr regt, wenn sie an ihn denkt oder ihn sieht, ist ihr unbekannt.
„Bill ist voll nett zu uns.“, sagt Andrew und kuschelt sich in die Ecke des Sofas. „Jaja.“ Er ist wirklich nett, doch Ellen darf auch nicht vergessen, was für Lasten auf ihren Schultern liegen. Doch vielleicht tut es auch gut zu vergessen. Nein! Nicht vergessen. Aber auf später verschieben. Ihr kleiner Bruder fragt sie zwar immer aus, aber es ist zu schwer, die Wahrheit zu verstehen. Irgendwann wird er alles über seine Eltern erfahren. Mum und Dad. Ellen merkt wie ihre Augen nass werden und kurz vorm Überlaufen sind. Andrew darf es nicht mitkriegen, sonst fängt alles von vorne an. Sie blinzelt die Tränen weg und beschließt netter zu Bill zu sein. Wer weiß, vielleicht tut es gut, mit jemand andrem zu reden. Aber nicht über ihre Eltern, das würde sie nicht übers Herz bringen. Auf jeden Fall noch nicht. Reden über normale, alltägliche Dinge. Alltäglich? Es ist lachhaft. Alltäglich ist für Ellen, dass Hungern und Durstig sein.
Es bleibt keine Zeit sich weiter Gedanken zu machen, denn just in dem Moment kommt Bill zurück. In der Hand hält er zwei Decken und eine Thermoskanne. Dankbar nimmt Ellen die Decken entgegen. Sekunden später ist Andrew in die Decke eingewickelt. Dann legt sie sich selbst die Decke um die Schultern. Sofort durchströmt sie Wärme und ihr geht es direkt besser. Als sie die Decke noch enger um sich legt steigt ihr ein angenehmer Duft in die Nase. Die Decke riecht frisch und sauber. Man kann ruhig sagen, im Prinzip das Gegenteil von ihr. Garantiert stinkt sie und dreckig ist sie auch. Aber dafür kann sie nichts, weil wie soll man sich auf der Straße sauber halten?
„Ich hab noch Tee mitgebracht. Danach ist euch bestimmt wieder warm“, sagt Bill. Ellen hat seit gestern, eineinhalb Tage, nichts mehr getrunken. Die Sprudelflasche hat sie kein einziges Mal angerührt. Jetzt trinkt sie, wie eine bekloppte. Danach reicht sie die Tasse weiter an Andrew, der genießerisch die Augen schließt. Ellen bemerkt Bills Tasche, höchstwahrscheinlich seine Schultasche.
„Musst du nicht zur Schule?“, fragt sie interessiert.
„Doch schon aber mein Bus hab ich jetzt eh verpasst. Lust hab ich sowieso nie, also egal.“ In dem Moment piepst sein Handy. Er zieht es heraus und nach einem kurzen Blick auf das Display zuckt er mit der Schulter. „Mein Kumpel, wo ich bleib.“ Zu Andrews bewundertem Blick auf das Handy fügt er hinzu: „Wenn du willst kannst du mal mit spielen.“ Bill reicht ihm das Handy. Mit strahlendem Gesicht fängt er an zu spielen.
„Pass auf, dass es nicht kaputt geht.“, sagt Ellen.
„Oer Ellen. Keine Angst, ich bin schon groß.“, verteidigt er sich. Bill wirft ein: „Genau Ellen. Andrew ist kein Baby mehr. Jetzt lass ihn doch mal spielen.“ Als er dann noch lächelt, kann sie nicht anders und erwidert sein Lächeln. „Nochmal zur Schule du kannst mich Vokabeln ab hören. Seite 210, du sagst die rechte Spalte ich die linke.“, erklärt Bill und reicht dem Mädchen ein Buch. Eine Zeit lang fragt sie ihn Vokabeln ab. Bill kann die meisten Vokabeln perfekt, nur bei wenigen muss er überlegen oder Ellen ihm helfen. Später schaut Ellens kleiner Bruder auf.
„ Darf ich dich was fragen, Bill?“
„Klar, schieß los kleiner“, antwortet Bill.
„Nenn mich nicht so. Wie ist es in so einem großen und tollem Haus zu wohnen?“ Was fragt Andrew da nur, aber unterbrechen tut Ellen ihn trotzdem nicht. Denn in gewissermaßen interessiert es sie ja selbst. Sie merkt das Bill nur kurz zögert. Ob er sich überlegt zu sagen was das für eine Frage ist oder angemessen zu antworten.
„Äh, wie soll ich das beschreiben. Eigentlich genauso wie in einem anderen, vielleicht kleineren Haus auch. Nur das man mehr Platz hat.“
„ Danke.“, sagt Andrew.
„Kein Problem“, erwidert Bill. Andrew scheint sich wohl zu fühlen, doch immer wieder kehren Ellens Gedanken zu den Eltern zurück.
„Wir waren schon viel zu lang hier. Komm lass uns gehen, Andrew.“
„Das war doch höchstens eine halbe Stunde. Draußen ist es kalt. Bitte Ellen noch ein bisschen, wenn Bill nichts dagegen hat.“, protestiert er prompt.
„Ich hab nichts dagegen und ich biet es euch jetzt auch nur an, wenn ihr wollt könnt ihr die Nacht hier im Schuppen verbringen. Hier kommt eh niemand hin, außer es findet eine Party statt oder der Gärtner kommt, was erst wieder am Montag ist und heute ist Dienstag.“, wirft Bill ein.
„Nein das geht nicht. Aber danke.“, bestimmt Ellen.
„Aber warum Ellen, es ist doch besser hier zu schlafen als auf irgendeiner harten Bank.“ Anscheinend hat Andrew im Moment vergessen, was los ist, aber eigentlich ist es doch gut. Ellen lässt sich drauf ein.
„Also gut.“, sagt sie seufzend.
„Danke, danke, danke.“, sagt ihr kleiner Bruder und wirft sich in ihre Arme. Ellen hält ihn fest. Ihm darf nie etwas passieren sonst ist sie ganz allein, dass würde sie nicht ertragen. Nicht auch noch das. Andrew setzt sich zurück auf seinen Platz und spielt am Handy weiter. Bill, der vor ihr auf dem Boden sitzt, meldet sich zu Wort: „Wie alt seid ihr eigentlich?“
„Ich bin 16 und Andrew ist 8, du?“
„ 17“ Über was sollen sie denn reden. Ellen hat keine Ahnung. Doch dann fällt ihr etwas ein.
„Erzählst du mir was über Schule? Ich war nicht lang in einer.“, bittet Ellen. Die vierte Klasse schloss sie noch erfolgreich.
„Also ich find Schule ziemlich langweilig. Du musst erstens früh aufstehen. In der Schule erzählen dir Lehrer dann irgendwas über den Satz des Pythagoras und der Zusammensetzung von Molekülen. Quälst dich also durch den Unterricht, wo eigentlich hört niemand zu, abgesehen von den Nörds. Mittags, nach der Schule, musst du Hausaufgaben machen und lernen. Nicht so spannend was?“
„Doch! Ich find du kannst froh sein in der Schule zu sein. Ich bin so dumm wie eine 11 Jährige und bin 16. Allein das Wort Molekül hab ich noch nie gehört. Ich würd gern in die Schule gehen, obwohl mich wahrscheinlich alle mit so scheiß Sprüchen beschmeißen würden, weil ich nix kann.“
„Würd drauf ankommen, was für Mitschüler du erwischt.“, gibt Bill zu bedenken.
„Sowieso unnötig, weil ich nie die Chance bekomme in die Schule zu gehen.“ Ellen wirft einen Blick auf Andrew, er ist ganz vertieft in irgendein Spiel auf Bills Handy.
„Ich komm mir voll doof vor, ich sitze hier auf der Couch in deinem Gartenhaus und ich kenn dich nicht mal.“, sagt Ellen.
„Wir können uns ja kennenlernen.“ In diesem Moment steht Bill auf und streckt Ellen die Hand hin. Reflexartig greift sie zu. Seine Hand ist warm und fühlt sich stark an.
„Gestatten, mein Name ist Bill Anderson, wohne in der Vanderbilt Avenue 39. Habe keine Geschwister. Am 11.08 habe ich Geburtstag. Mein Vater ist Börsenmakler und heißt John. Meine Mutter ist Rechtsanwältin und heißt Madison. Und mit wem habe ich die Ehre?“ Ellen kann sich ein Lachen nicht verkneifen. Bill hat seine Eltern erwähnt, was soll sie bloß an dieser Stelle sagen. Nach kurzem Überlegen beschließt sie diese Stelle auszulassen und sagt: „ Mein Name ist Ellen Gilbert und …..-“ Sie bricht ab, dass Andrew ihr Bruder ist, weiß Bill längst. Wohnen tut sie auf der Straße. Verdammt, ihre Augen laufen über und schnell rennt sie aus dem Gartenhaus Richtung Straße.
„Was ist los?“, ruft Bill und läuft ihr nach. Die Anweisung von Bill an Andrew, er solle im Haus bleiben, bekommt sie nur nebenbei mit. Was macht sie eigentlich hier? Das Mädchen lässt sich auf der Bank, auf der sie die letzte Nacht verbracht hatte nieder und lässt ihren Tränen freien Lauf. Bill setzt sich neben sie.
„Warum hast du nicht weiter gesprochen?“, fragt er. Ellen guckt ihn nicht an, sondern weint einfach weiter.
„ Oh. Weil… weil.“, stottert er weiter, findet aber nicht die richtigen Worte. Ihm ist klar geworden warum, doch Ellen hat das Bedürfnis es Bill trotzdem zu erklären.
„Mein Name ist Ellen Gilbert. Ich wohne auf der Straße. Außerdem habe ich einen Bruder. Andrew. Um ehrlich zu sein, weiß ich nur, dass ich am 19.03 Geburtstag habe. Ich weiß ja nicht mal den wievielten wir heute haben.“ Sie schluchzt auf.
„Es tut mir leid, ich wollt doch nur einen Spaß machen. Ich hab nicht richtig nachgedacht.“, gesteht Bill.
„Ist… ist ….schon okay.“, schnieft Ellen.
„Bei deiner Vorstellung hast du deine Eltern nicht erwähnt.“ Es ist ihm aufgefallen und es macht ihm auch nichts aus nach zu fragen. Sprich, schüchtern ist er auf keinen Fall.
„Versprech mir eins frag mich niemals, hörst du niemals, nach meinen Eltern und Andrew schon gar nicht.“ Ihre Stimme klingt schärfer als beabsichtigt. „Okay, ich versprech es.“, sagt Bill und rückt ein Stück von Ellen weg. Danach wühlt er in seiner Tasche und zieht ein Taschentuch raus und hält es Ellen hin.
„Hier. Ist nur verknittert.“, sagt er und zeigt sein Jungenhaftes Grinsen. Das Mädchen putzt sich die Nase und wischt ihre Tränen weg.
„Danke.“ Gemeinsam gehen sie wieder zurück. Ein Blick von Ellen lässt Andrew verstehen, dass er nichts fragen soll.
Abends nachdem Bill gegangen ist sagt Ellen:„ Bleib du auf dem Sofa liegen. Ich schlaf hier unten.“ Andrew geht auf ihren Vorschlag ein und sagt: „Du magst ihn.“
„Wen?“ Eigentlich gibt es nur eine Möglichkeit von wem die Rede sein kann, doch Ellen fragt trotzdem nach.
„Na Bill.“, sagt Andrew.
„Er ist ganz nett und jetzt schlaf gut.“, bringt Ellen dieses Thema schnellst möglich zu Ende.
„Ganz nett, jaja. Gute Nacht.“, kichert Andrew. Das Mädchen ist noch einige Zeit wach und fragt sich, was sie hier eigentlich macht. Einfach bei fremden Leuten im Gartenhaus zu schlafen. Morgen müssen sie und Andrew unbedingt weg. Soviel steht schon fest. Noch dazu hat sie ein schlechtes Gewissen, weil Bill heute wegen ihnen Schule geschwänzt hat. Sie dreht sich von einer Seite auf die andere und versucht ihre Gedanken ab zustellen, was ihr schlussendlich auch gelingt. Kurz darauf ist sie tief und fest eingeschlafen.