Читать книгу Ellen - Melanie Schmitt - Страница 7
Kapitel 4
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Bill schläft gerne mit geöffnetem Fenster und dies ist auch der Grund warum er jetzt wach wird. Bill hört jemanden Husten. Doch es ist nicht nur so ein leichtes Hüsteln, sondern richtig Husten. Warum ausgerechnet jetzt? Ein Blick auf den Wecker sagt ihm das es viertel vor zwei ist .Mitten in der Nacht. Naja, wahrscheinlich kann der oder diejenige nichts für den Hustenanfall. Seufzend schwingt er die Beine aus dem Bett und geht zum Fenster. Auf der Bank sitzen zwei Gestalten. Erst als er genauer hinsieht wird ihm bewusst, dass es sich bei den zwei Gestalten um die Straßenkinder handelt. Draußen muss es doch verdammt kalt sein. Warum gehen sie nicht rein? Weil sie STRAßENkinder sind ruft er sich ins Gedächtnis. Das Mädchen sitzt gekrümmt auf der Bank und hustet wie verrückt, als ob sie nicht mehr lange lebt. Was hast du für Gedanken? fragt sich Bill. Doch im Prinzip liegt die Antwort auf der Hand. Seit sein Opa, der für ihn eine große Bedeutung hatte, Anfang des Jahres gestorben ist, denkt er viel an den Tod. Er kann sie doch nicht einfach da sitzen lassen, schon allein wegen der Kälte. Aber es gibt ein Problem, wenn er durch die Haustür geht, werden seine Eltern wach. Die würden nur Fragen stellen. Zum Glück hat er einen eigenen Balkon an dem ein Gitter ist. Um dieses Gitter wickeln sich Blumen, doch er hat es schon oft als Leiter genommen um sich heimlisch weg zu schleichen. Bill schmeißt sich schnell in Pulli und Jogginghosen. Mühelos klettert er das Gitter runter und läuft Richtung Bank. Kurz vor den Zwei bleibt er stehen und fragt: „Alles in Ordnung? Mein Fenster war offen und ich hab dich Husten hören.“ Das Husten ist weniger geworden, doch weg ist es noch nicht. Ellen schüttelt den Kopf, doch Bill versteht nicht was sie damit sagen will.
„Wir haben den ganzen Tag nichts getrunken. Ich hab zwar keine Ahnung aber vielleicht kommt der Husten daher.“, sagt ihr Bruder. Müsste Bill auf der Straße leben würde er wenigstens Wasser aus dem Fluss trinken, doch diesen Gedanken behält er für sich.
„Wartet ich komm gleich wieder!“, entgegnet Bill schnell. Er macht sich wieder auf den Weg nach oben. Den ganzen Tag nichts getrunken?! Das muss doch eine Qual sein, anderseits sie werden es gewohnt sein. Leise schleicht er sich zum Kühlschrank. Wasser wird wohl am besten sein. Mit einer Flasche Sprudel kehrt er zur Bank zurück. Bill will Ellen die Flasche geben doch sie nimmt sie nicht. Ihr Bruder sagt: „Ellen er hat dir Wasser gebracht. Trink was.“ Sie schluckt und kriegt ihren Husten völlig unter Kontrolle dann sagt sie: „Ich weiß. Aber ich brauch nichts zum Trinken. Ich komm auch ohne dich und dein Scheiß Geld klar!“
„Habs verstanden. Wollt doch nur helfen!“, entschuldigend hebt er beide Hände.
„Darf ich was trinken?“, fragt der kleine Junge und nickt zur Sprudelflasche. „Sicher. Wie heißt du?“
„Andrew und du?“ Andrew trinkt gierig und strahlt dabei.
„Bill. Deine Schwester heißt Ellen, oder?“ Ohne die Flasche abzusetzen nickt Andrew. An Ellen gewandt fragt Bill: „Geht’s dir wieder gut?“
„Ja und wie du siehst ganz ohne deine Hilfe.“
„Ich glaub ich geh mal wieder. Wer weiß sonst merken meine Eltern noch was.“, beschließt er.
„Tschüss Bill.“, ruft Andrew, Ellen hingegen bleibt stumm. Das Trinken lässt Bill stehen, jetzt würde er davon ohnehin nichts mehr trinken.
Wieder im Bett überlegt er, ob er ihnen vielleicht eine Decke hätte bringen soll. Einerseits hatte Ellen noch nichts von ihm genommen, aber Andrew schon und seine Schwester hat diese schreckliche Gänsehaut. Nochmal steht er auf und geht zum Fenster. Die beiden sind halb liegend, halb sitzend auf der Bank aneinander gekuschelt. Sie sehen süß aus.
Bill weiß, dass er jetzt eh nicht einschläft, also geht er noch kurz in Facebook. Wie zu erwarten war um diese Zeit niemand mehr von seinen engsten Freunden online. Natürlich kennt er mehr wie nur seine Klassenkameraden aber im Moment hat er einfach keine Lust. Er loggt sich wieder aus, legt sich ins Bett, doch anstatt zu schlafen wälzt er sich hin und her und überlegt ob die Geschwister morgen immer noch da sind. Überraschenderweise schläft Bill doch nochmal ein. In dieser Nacht träumt er zum ersten Mal davon, wie es ist ein Straßenkind zu sein.
Er sitzt auf dem Bürgersteig sein Magen knurrt und der Hals ist trocken. Als er an sich runter schaut bemerkt er, dass seine Hose total zerrissen ist, genauso wie sein T-Shirt. Eine Jacke hat er überhaupt nicht. Leute laufen an ihm vorbei, Leute die ihn auslachen, mit dem Finger auf ihn zeigen oder einfach nur angewidert wegschauen. Es ist verdammt einschüchternd, die Leute so zu sehen. Man hat das Gefühl man ist nichts. Er wird zwar nicht wie Luft behandelt aber Anerkennung erhält er auch keine. Um Geld zu betteln traut er sich nicht, aus Angst dass die Leute ihm nichts geben. Aus Angst zu begreifen, dass er verloren ist, kein Leben hat. Er lehnt sich an eine Mauer und dann sieht er sie. Er sieht Ellen, die gegenüber von ihm aus dem Haus schwebt. Wie ein Geist. Zuerst hängt sie nur in der Luft und schaut Bill an. Danach schwebt sie auf Bill zu, durch die anderen hinzu und den Blick immer noch auf ihn gerichtet. Sie grinst und dann lacht sie. Ein hämisches, schadenfrohes Lachen. Bill drückt sich gegen die Wand. Ellen hat ein rotes Sommerkleid an und sieht aus als würde sie Milliarden besitzen. „Bill.“ Sie lässt den Namen auf der Zunge zergehen. „Hast du vielleicht jetzt eine Ahnung, wie es ist so zu leben wie wir. Wie man sich fühlt und was für eine Überwindung es kostet zu betteln. Dieses Gefühl von nichts. Man nimmt nichts an, weil man doch einen gewissen Stolz besitzen will.“ Von ihr geht eine Drohung aus. Bill weiß nur nicht wie sie gemeint ist. Pfeifend geht sie zurück. Schweißnass wacht Bill auf und realisiert dass das Pfeifen sein Wecker ist. Er schaltet ihn aus, dreht sich um und denkt es war doch gut gemeint, ich wollte nur helfen. Nimmt Ellen seine Sachen nicht an, weil sie Stolz besitzen will?
Dienstag, noch nicht mal die Hälfte der Woche ist rum. Schule ist doch so langweilig. Vor seinem Kleiderschrank überlegt er was er anziehen soll. Gerade als er in seinem Hollister T-Shirt und den Versage Hosen die Treppe runter gehen möchte, denkt er an Andrew und Ellen. In diesem Moment erscheinen ihm seine Klamotten unpassend oder unangenehm.
Schließlich verlässt er das Haus, mit einer anderen Hose und anderem T-Shirt, diesmal keine besonderen Marken. Seine Schultasche hängt lässig über der rechten Schulter. Nach einem Blick auf die Bank stellt er fest, dass die Beiden immer noch da sind. Es ist ja auch erst sieben Uhr ruft er sich ins Gedächtnis. Doch beidem Anblick von Ellen und Andrew erschrickt er. Ihre Gesichter sind blass, wenn Bill sich nicht täuscht ist sogar ein tick Blau mit drin. Kälte gar keine Frage. Eine Decke. Decke. Decke. Ohne zu überlegen geht er schnellen Schrittes auf die Bank zu. Er hätte in der Nacht doch noch eine Decke bringen sollen. „Andrew? Ellen?“, sagt er und berührt den kleinen Jungen vorsichtig am Arm. Es widert ihn an, so dreckig, wie er ist. Jedoch verschwindet das Gefühl sofort wieder, als Bill durch die Jacke merkt, dass Andrew total durchgefroren ist. „Ellen. Bill ist da. Ellen mir ist so kalt.“, sagt Andrew. Es war Anfang Sommer, doch der Regen gestern, dem sie ausgeliefert waren, hat Kälte mit gebracht. „Ich hab´s bemerkt. Bevor du was sagst, mir ist es recht.“, sagt sie und ihre Stimme zittert. Bill grinst mir ist es recht. Das er da war? Ellen blickt ihn an, dann sagt sie: „Was grinst du so? Mir ist es recht, dass Andrew dich fragt, ob wir eine Decke kriegen. Sonst. Gar. Nichts. Verstanden?“ Mit einem Mal ist sein Lachen verschwunden, wieder sieht er sich selbst auf der Straße sitzen. Ist es der eigene Stolz oder warum verhält sie sich so? Bill weiß es nicht. „Ja, ich geb euch eine Decke. Moment ich hab eine Idee. Ihr seid total durchgefroren. Eh, also… meine Eltern sind schon auf der Arbeit ihr könnt ins Gartenhäuschen. Zum aufwärmen. Kommt.“ Abwartend schaut er sie an. Andrew steht sofort auf, ihm fällt es wesentlich leichter Sachen anzunehmen. Was wahrscheinlich daran liegt, dass er jünger ist. Ellen zögert doch schließlich gewinnt die Kälte überhand und sie steht auf. Bill führt sie durch den Garten. Komischer Weise, ist es ihm Peinlich. Peinlich, dass es für ihn eine Selbstverständlichkeit ist Geld zu Besitzen und was für einen Eindruck haben die Geschwister jetzt wohl von ihm. Werden sie ihn einfach nur beneiden? Neid kann sich aber auch negativ auswirken. Bill hält ihnen die Tür auf und sieht zu wie sie Strahlend eintreten. Das Gartenhaus ist irgend so ein Designerbau. Größer als ein normales. Im hinteren Eck stehen einige Gartengeräte, doch ein kleines, altes Sofa steht auch drin. Noch bevor er drauf zeigen kann, setzten sich Ellen und Andrew. Ellen macht den Mund auf, schließt ihn wieder, schluckt und sagt schließlich: „Danke. Das ist lieb von dir.“
„Ach, keine Ursache. Wartet hier ich hol schnell Decken.“ Er läuft über die Wiese zurück. Der selbstfahrende Rasenmäher, fährt seine Runden. Bill freut sich darüber, dass Ellen nicht schon wieder abgelehnt hat.