Читать книгу Burned - Melissa Ratsch - Страница 6
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ОглавлениеDieser Geruch…
Dieser süßlich-herbe, widerwärtige Gestank. Das war eindeutig Weihrauch. Er würde ihn überall wiedererkennen!
„Oh bitte nicht“, flehte Lu, doch wer sollte ihn schon erhören?
Natürlich war es zu viel verlangt, dass er einmal seine Ruhe hatte. Er hatte nur eine Flasche wirklich guten Scotch hier genießen wollen, am Rand eines Vulkankraters, weil er allein sein musste um nicht ein Massaker anzurichten. Das war das letzte Mal nicht schön gewesen, sie hatten einen Monat gebraucht um die Sauerei aufzuräumen.
Jetzt war er kurz davor es zu wiederholen, denn Ava und Vidia lagen sich mal wieder in den Haaren und das Gekreische konnte niemand länger ertragen, der nicht taub war. Den beiden war langweilig, was es nicht besser machte und so war ein Ende der Zankerei nicht in Sicht. Lu war gegangen ehe ihm der Schädel platzte und das erwähnte Gemetzel ausbrach.
Doch wenn er daran dachte wer ihm gleich den Tag endgültig versauen würde, hätte er sich lieber weiterhin den Streit der beiden angehört.
Aber dafür war es jetzt zu spät und es kam wie es kommen musste: Einen Meter von ihm entfernt schälte sich die Gestalt vor ihm aus reinem Licht, das ihm in den Augen stach.
Königsblaue Augen sahen ihn aus einem Gesicht an, das zu schön war um wahr zu sein – und in das er jedes Mal am liebsten seine Faust versenken würde. Mehrfach. So lange, bis die gerade Nase nur noch ein unansehnlicher Brei wäre, zusammen mit den hohen Wangenknochen und Blut wie ein Wasserfall über die geschwungenen Lippen lief.
„Guten Tag Lu“, sagte der Mann mit einem Lächeln. Der verlogene Drecksack.
„Lass die vertrauliche Anrede Michael“, schnaubte er und verschränkte die Arme vor der Brust, damit er nicht doch noch die Hände, um den Hals des anderen legte. „Du hast mich mit ‚Fürst der Finsternis‘ anzureden oder ‚Herrscher über die Sünder‘. Aber ganz sicher nicht Lu.“
Ein mildes Lächeln. „Bist du heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?“
„Gibt es einen bestimmten Grund, warum du hier bist oder willst du dich nur wie ein Arschloch benehmen? So wie sonst eben auch?“
Ein Blitzen in dem überirdischen Blau seiner Augen, aber das Lächeln blieb.
Shit, dachte Lu und seine Laune sank weiter. Sonst waren solche Beleidigungen immer ein Garant dafür, dass Michael in die Luft ging. Manchmal sogar wortwörtlich. Dass Michael heute so ruhig blieb konnte nur bedeuten, dass er richtig beschissene Nachrichten für Lu hatte.
„Ich habe einen Brief für dich“, sagte Michael gelassen, beinah sanft. Er hielt ihm ein schlichtes Kuvert entgegen. Widerwillig griff Lu danach und riss es auf.
„Euch ist schon klar, dass es mittlerweile einfachere und schnellere Methoden gibt?“, fragte Lu mit einem halben Grinsen. „Telefone, E-Mails oder-“ Weiter kam er nicht, denn mittlerweile hatte er den eigentlichen Brief aus dem Umschlag gezogen und ihm sprangen die Worte geradezu ins Gesicht: Sie sind insolvent.
„Was soll das heißen?“ Er hob den Blick von dem Brief und starrte Michael an, dessen Lächeln sich sogar noch vertieft hatte. „Soll das ein schlechter Scherz sein? Ihr wart da oben ja schon immer humorlos, aber das ist selbst für euch zu schräg.“
„Über so etwas macht man keine Witze“, informierte ihn Michael. „Du kennst doch die Regel: Keine Seelen, kein Guthaben, keine Energie.“
„Ja und?“
„In deiner allgemeinen Unordnung mag es dir vielleicht nicht aufgefallen sein, aber dein Zuwachs an Seelen hat sich in den letzten Jahren dramatisch verringert. Wie viele sind es noch pro Tag? Knapp Tausend?“
Übelkeit stieg in Lu auf. „Und wenn es so wäre?“
„Dann reicht das bei weitem nicht mehr aus dein kleines Etablissement am Laufen zu halten. Nun, zumindest nicht mehr ohne Aufsicht.“
„Warte mal!“, herrschte Lu ihn an, denn er wusste ganz genau auf was Michael hinauswollte. „Du bist hier um mir zu sagen, dass ihr euch in meine Angelegenheiten einmischen wollt?“
„So ist es“, antwortete Michael gelassen. „Du und deine… kleinen Helfer sind offensichtlich nicht mehr nötig, da es kaum noch genug Sünder gibt um eure Existenz zu rechtfertigen. Im Kosmos wird überflüssiges abgeschafft, das weißt du doch.“
„Ich bin nicht überflüssig“, zischte Lu. „Und ich werde garantiert nicht zulassen, dass ihr geflügelten Bastarde euch in meinem Revier breitmacht. Das könnt ihr euch schön in die Haare schmieren!“
„Nur zu schade, dass du das nicht mehr zu entscheiden hast, Lu“, fügte Michael mit sichtlicher Genugtuung hinzu. „In dem Brief stehen die genauen Klauseln bezüglich der Übernahme der Unterwelt durch uns. Wir lassen euch noch genügend Zeit um zu packen.“
Mit einem wütenden Knurren senkte Lu den Blick auf den Brief in seinen Händen – er war an den Rändern schon leicht angesengt – und fand die entsprechenden Absätze.
„Ein Jahr? Ernsthaft?!“ Er sah hoch und fixierte Michael. „Die Frist läuft nur ein Jahr? Das ist ja quasi nichts! Was ist los mit dem alten Mann, hat er es eilig? Sonst hat er sich doch auch immer Jahrhunderte Zeit gelassen, bis er sich mal entscheiden konnte. Warum jetzt auf einmal die Hektik?“
Michael zuckte mit den breiten Schultern und antwortete gelangweilt: „Er ist eurer eben überdrüssig und das schon seit geraumer Zeit.“
„Aber dein hochgestochenes Gelaber kann er ertragen“, zischte Lu. „Hat dir noch jemand einen zweiten Stock zu dem ersten in den Arsch geschoben?“
„Komm schon, sei kein schlechter Verlierer.“ Lu warf einen Feuerball, doch der andere Mann war schon längst verschwunden.
„Fick dich Michael!“, schrie er gen Himmel und meinte ein leises Lachen zu hören.
Lu ließ den Brief fallen und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Das war schlecht. Richtig, richtig schlecht. Der Vulkan unter ihm begann zu rumoren.
„Scheiße!“
„Lil!“, rief Lu als er zurück in sein Zuhause kam. Er hatte sich einige Minuten abregen müssen. Er brauchte Lil mit wachem Verstand – wenn er sich direkt nach Michaels Verschwinden mit ihr unterhalten hätte, wäre sie wahrscheinlich in Flammen aufgegangen und das wäre nicht gut für die Situation.
Also, noch beschissener als ohnehin schon.
„Lil, wo steckst du?“
Ein Rascheln aus dem Wohnzimmer, dem er nachging. Dort saß, auf dem überdimensionalen Sofa, eine exotische Frau mit schwarzen Locken in einem gewagten Cocktailkleid, funkelnde Diamanten auf ihrem Dekolleté. Es sah aus als, würde sie jeden Moment auf eine Gala entschwinden.
„Was ist denn?“, fragte sie und ließ ihr Smartphone sinken. Ihre Stimme klang weich wie Seide. „Wolltest du nicht eine Weile von hier verschwinden?“
„Das hat sich erledigt“, knurrte Lu, baute sich vor ihr auf und sah sie unzufrieden an. „Wir stecken mächtig in der Scheiße.“
„Warum?“, fragte sie lauernd.
„Nimm die Maske ab wenn ich mit dir spreche, bitte.“ Das letzte Wort drückte sich wie Glasscherben aus seiner Kehle, aber Lu zwang sich dazu, denn es war extrem wichtig, dass Lil jetzt nicht anfing zickig zu werden. Und außerdem hasste er es, wenn sie wie jetzt nicht ihr wahres Gesicht zeigte.
Smaragdgrüne Augen musterten ihn unzufrieden, doch dann seufzte sie und murmelte: „Na schön.“
Erleichtert atmete Lu aus und sah dabei zu, wie die Frau vor ihm zu einer ganz anderen Person wurde: Kleiner, kurviger, die Augen nahmen ein intensives Azurblau an und stellten sich leicht schräg, so wie bei einer Katze. Aus schwarzen Locken wurden braune, die ihr knapp über die Schulter reichten und auf der linken Seite raspelkurz zu einem Undercut geschnitten waren. Wie immer bedeckte das weiche Haar das rechte Ohr und die rechte Halsseite.
Aus gutem Grund.
„Zufrieden?“, fragte sie und lächelte ihn an. Ein echtes Lächeln zur Abwechslung. Lil hatte viele in ihrem Repertoire: Verlogen, verführerisch, hämisch, neckend, feixend, grausam. Aber jetzt gewährte sie ihm einen Einblick auf das, was sich hinter ihren tausend Maskeraden verbarg, auf ihr wahres Gesicht.
Lu hatte fast das Gefühl wieder richtig atmen zu können.
„Ja, danke“, erwiderte er rau.
„Kannst du mir jetzt sagen was passiert ist? Warum stecken wir in der Scheiße?“ Ein Lodern trat in ihre Augen, als sie hinzufügte: „Hat eine der sieben Plagen wieder etwas angestellt?“
„Welche meinst du? Unsere sieben oder die von oben?“ Lu schnaubte und schüttelte gleich darauf den Kopf. „Ist ja auch egal, es war keiner von ihnen.“
Er reichte Lil den Brief und erzählte ihr detailliert von seinem Treffen mit Michael, dem kleinkarierten Drecksack.
Wie zu erwarten war fiel ihre Reaktion ähnlich aus wie seine: Sie sprang auf, schrie wie eine Furie in höchster Raserei und Energie knisterte in der Luft. Er konnte es auf seiner Haut fühlen, es war angenehm und verstörend zugleich. Zusätzlich dazu, dass es seinen eigenen Energiepegel wieder ansteigen ließ.
Zum Glück war im Loft alles aus feuerfestem Material, inklusive der Stoffe.
„Wie können sie nur?!“, kreischte Lil und fluchte gleich darauf in ungefähr sieben Sprachen. Zumindest hatte Lu so viele erkannt. „Sie wollen uns rauswerfen? Und die Kontrolle übernehmen? Das ist doch Bullshit!“
Lu verschränkte die Arme vor der Brust. „Sehe ich auch so, aber scheinbar hat sich das Seelengleichgewicht massiv zu unserem Nachteil verschoben.“
„Einmal, in wie viel tausend Jahren? Das ist eine Phase, die geht vorbei. Ganz sicher.“
„Wie auch immer sich das entwickelt, die oben wollen die aktuelle Lage gleich zu ihrem Vorteil ausnutzen.“ Es rumorte tief in seinem Inneren, als er widerwillig zugab: „Und das Recht ist auf ihrer Seite.“
„Scheiße“, zischte Lil. Sie hatte ihre Wanderung durch das Wohnzimmer beendet und stand nun vor den bodentiefen Fenstern, die zur Dachterrasse führten. Dahinter erstreckte sich in scheinbarer Unendlichkeit goldgelber Wüstensand. Nichts störte die Makellosigkeit, kein Busch, kein Fels. So weit das Auge reichte, alles Sand.
Langsam ging Lu zu ihr, stellte sich hinter sie und riskierte es seine Arme um ihre Taille zu legen. Sie war so viel kleiner als er, dass er bequem sein Kinn auf ihren Scheitel legen konnte. Man konnte ihre geringe Größe fast vergessen, da sie so viel Energie und Macht in sich vereinte.
Lil kam nicht an ihn heran, bei weitem nicht, aber sie war stark genug um ihm Probleme zu bereiten. Zum Beispiel, wenn sie nicht von ihm angefasst werden wollte. Ungefähr vor eintausend Jahren hatte sie ihm den rechten Arm ausgerissen, als er sie wie jetzt umfangen hatte.
Ein anderes Mal hatte sie ihm die Augen ausgekratzt, dann die komplette Haut versengt, die Zähne ausgeschlagen oder ihn mit Taubheit bestraft.
Im Gegensatz dazu hatte Lu ihr einen Vogelschnabel verpasst, ihr ein Bein zertrümmert, mehr als einmal ihre Stimme verschwinden lassen, hatte sie in einen Lavasee geworfen und in einen pockennarbigen Greis verwandelt.
Und das war nur die Spitze des Eisbergs, was sie einander angetan hatten. Die andere Zeit waren sie unzertrennlich gewesen.
Ja, man konnte die Beziehung zwischen ihnen als kompliziert bezeichnen.
Jetzt allerdings kam kein wie auch immer gearteter Vergeltungsschlag, sondern Lil ließ sich mit einem tiefen Seufzen gegen ihn sinken, die Hände auf seinen Unterarmen. Warm und weich schmiegte sich ihr kurviger Leib an ihn.
„Luzifer, was machen wir jetzt?“
„Ich habe keine Ahnung Lilith.“