Читать книгу Burned - Melissa Ratsch - Страница 9
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Оглавление„Ruhe!“, verlangte Lu und schlug auf den Tisch. Sofort verstummten die Diskussionen, Streitereien und kleinen Handgreiflichkeiten unter den Todsünden. Auseinandersetzungen gehörten in der Hölle zum guten Ton, aber heute hatte Lu keine Zeit für diese Art von Mätzchen.
Sie hatten sich wieder in dem großen Konferenzsaal eingefunden, die Stimmung war aufgekratzt und nervös.
Weil er nicht die Nerven hatte, lange um den heißen Brei herum zu reden, fragte Lu gerade heraus: „Hat irgendwer etwas herausgefunden?
„Hier, ich.“ Gul, der zu seiner Linken saß, ereiferte sich: „Ich war gerade in einem Ort in der Nähe von Athen. Ein kleines Fischerdorf an der Steilküste, sie machen dort einen ganz hervorragenden Tintenfisch in Olivenöl und Knoblauch – aber der wahre Star ist das Fladenbrot dieser alten Frau. Wenn ich nur herausfinden könnte, welche geheime Zutat sie verwendet! Aber sie ist so gläubig wie ein verdammter Apostel und will sich nicht einwickeln lassen. Dabei habe ich-“
„Gula“, unterbrach Lu ihn langsam und sah, wie die schwarzen Augen des Mannes sich erschrocken weiteten als er ihn ansah. Es war selten, dass er seine Todsünden mit vollem Namen ansprach. „Du verlierst mein Interesse und das ist sehr gefährlich.“
„Entschuldige“, murmelte er und strich sich durch die kurzen, dunklen Haare. Wer glaubte, dass Völlerei zwangsläufig fettleibig war, der wurde eines Besseren belehrt, wenn Gul den Raum betrat. Seine liebste Erscheinungsform war ein schlanker, fast androgyn anmutender Mann Anfang dreißig, mit hohen Wangenknochen und gepflegten Händen.
Er trug auf den ersten Blick legere Kleidung, doch auf den zweiten konnte man sehen, dass sowohl Jeans und T-Shirt von Valentino waren und die Schuhe von Prada. Neben der Fresssucht stellte er auch die Selbstsucht dar und konnte fast so eitel sein wie Bia.
„Was hast du herausgefunden?“, versuchte es Lu erneut.
Man sah wie Gul durchatmete, ehe er sich aufrechter hinsetzte und mit dem Finger schnippte. Sofort erschien vor jedem Anwesenden ein Blatt Papier.
„Während ich dort war, kamen immer wieder Leute in das Restaurant. Es sah aus, als brächten sie Geschenke und ich dachte erst, dass die Besitzer Geburtstag hätten, aber daran lag es nicht. Es fiel immer wieder das Wort „Initiative“.“
Lu nahm sich den Zettel und studierte die Zeilen. Scheinbar hatte es einen Wasserrohrbruch in dem Restaurant gegeben, der das halbe Inventar beschädigt hatte. Die Menschen hatten eigenes Geschirr und Tischwäsche vorbeigebracht und den Besitzern geschenkt.
„Okay, da hatte wohl Cari ihre Finger im Spiel“, sagte Lu und spielte damit auf Mildtätigkeit an. „Was hat das mit unserem Problem zu tun?“
„Ich dachte auch erst, dass es eine der verdammten Tugenden wäre“, meldete sich Ira zu Wort. „Aber ich war in einem Gerichtssaal in London und habe beobachtet, wie sich ein Ehepaar bei der Scheidung einigermaßen gesittet verhalten hat – dabei hat sie ihn regelmäßig geschlagen, während er eine Haushaltshilfe nach der anderen gevögelt hat. Also die perfekte Vorlage für eine Schlammschlacht.“ Als Rachsucht hielt sich die schwarzhaarige Frau mit den blutroten Augen gerne dort auf, wo viel und erbittert gestritten wurde. Und die Situation, die sie beschrieb, war eigentlich aus dem Bilderbuch für heftige Wutausbrüche - aber was Ira da sagte, hörte sich gar nicht nach einem typischen Verlauf an.
„Bist du sicher, dass Mani nicht in der Nähe war?“, fragte Vidia neben ihr, woraufhin Ira den Kopf schüttelte. „Ganz sicher, kein Wohlwollen weit und breit. Außerdem fiel auch da das Wort „Initiative“.“
Lu trommelte mit den Fingern rhythmisch auf die Tischplatte. „Ist sonst noch jemandem dieser Begriff untergekommen?“
Sofort hoben Ava und Ace die Hände, während Lil vor sich hinlächelte. Das weckte nun wirklich Lus Interesse und er fragte die Königin der Dämonen nach dem Grund für ihren heiteren Gesichtsausdruck.
„Ich war in einem Obdachlosenheim in Washington“, setzte Lil an, während sie sich durch die goldenen Locken strich. „Einem leeren Obdachlosenheim.“
„Wurde es geschlossen?“, fragte Ace interessiert.
„Ja, aber nicht weswegen du denkst. Und es war nicht das einzige. An der gesamten Ostküste der Staaten gibt es nur noch ein einziges offenes Heim dieser Art und das auch nur, weil die Behörden es zur Sicherheit offenlassen.“
„Lilith, meine Nerven“, verlangte Lu, was das verfluchte Weib zum Lachen brachte.
Sie warf ihm rotzfrech eine Kusshand zu – etwas, das nur sie allein sich trauen konnte – ehe sie fortfuhr: „Auf jeden Fall klebte dort ein Plakat an der Wand.“ Sie schnippte und vor allen materialisierte sich eine kleinere Version davon auf dem Tisch. Schlichtes Design, grüne Lettern auf weißem Grund, doch die mangelnde Kreativität war nicht das, was Lu die sprichwörtliche Galle hochkommen ließ.
Viel mehr lag es daran, dass darauf zur Teilnahme an einer Initiative geworben wurde, die unter dem Motto „Du bist Ich“ dafür warb, sich dadurch Punkte zu verdienen, indem man den Obdachlosen half. Darunter war eine Abbildung, die ähnlich einer Skala darstellte, für welche Hilfeleistungen es wie viele Punkte gab.
„Nach dem Obdachlosenheim bin ich zur Wohlfahrt, in eine Suppenküche, ein Kinderheim und ein Krankenhaus – überall dasselbe.“ Wieder ein Schnippen und es ergoss sich eine wahre Flut an Plakaten, jedes einzelne warb für eine andere der sieben Tugenden und versprach mit den getanen Wohltaten eine bestimmte Punktegutschrift.
„Scheinbar sind diese Punkte für irgendetwas da“, murmelte Bia, einen Flyer in der Hand.
„Es ist wie mit Rabattmarken“, ergänzte Lux, der neben Lil saß. „Wenn man genug zusammen hat, bekommt man Belohnungen, wer zu wenige hat, wird sanktioniert.“
„Was?!“, explodierte Lu und sprang von seinem Stuhl auf. Unvermittelt standen die Wände in Flammen, der Geruch nach Ruß und Schwefel erfüllte den Raum, der sich aufheizte wie die Hölle selbst. „Warum verfickte Scheiße nochmal ist uns das nicht aufgefallen?!“
Die Temperatur schoss weiter in die Höhe, bis es anfing nach verbrannten Haaren zu riechen.
„Luzifer“, sagte Lilith und klang sowohl tadelnd als auch aufgewühlt. Es kam selten vor, dass sie eine Schwäche zugab. Lu wollte sich an ihrer Verunsicherung laben, würde sich darin einhüllen wie in teuren Pelz und es genießen, doch er zwang sich die Flammen ersterben zu lassen.
Von Flammen umgeben sein war Liliths persönliche Hölle, was nicht einer gewissen Ironie entbehrte.
Also zwang er sich seinen maßlosen Zorn soweit zu bezwingen, dass das Feuer erstarb und nur noch der beißende Gestank den Raum erfüllte. Unruhig tigerte er um den langen Tisch herum, registrierte wie die Sieben sich möglichst klein auf ihren Stühlen machten, wenn er an ihnen vorbei kam.
„Warum hat das niemand bemerkt?“, verlangte er wieder zu wissen. „Seit fünf Jahren läuft dieses Spielchen schon, vielleicht sogar länger und keiner von euch hat auch nur etwas davon mitbekommen? Ihr hängt doch alle ständig dort oben rum!“
„Keine Ahnung“, traute sich Ira zu sagen. „Die Plakate sind so unscheinbar.“
„Sie sehen aus wie alle anderen Anzeigen für Hilfsorganisationen auch“, murmelte Ace, der neben Faulheit auch die Ignoranz verkörperte. Er zuckte mit den breiten Schultern und ergänzte: „Die Menschen haben sie Jahrzehnte lang nicht beachtet und sich nur um sich selbst gekümmert. Keiner von uns wäre darauf gekommen sich darum zu scheren.“
„Nun, aber ganz offensichtlich ist diese Initiative anders“, knurrte Lu und deutete auf die Papiere auf dem Tisch. „Die Belohnungen und die Strafen, wie funktioniert das?“
Geraschel und Gemurmel von seinen Sieben und Lil, während jeder von ihnen sich gleich mehrere Flyer schnappte. Lu hatte sich mittlerweile wieder soweit beruhigt, dass er sich setzen konnte ohne gleich etwas in Flammen aufgehen zu lassen. Noch immer rumorten und brodelten das Feuer und die Schwärze in ihm, aber er konnte wieder stillhalten.
Für einen kurzen Moment erheiterte ihn sogar der Gedanke, dass in den unteren Stockwerken nicht nur die Sünder, sondern auch seine Dämonen einen ordentlichen Schrecken bekommen haben mussten.
Ava war die erste, die das Schweigen brach. „Das Punktesystem scheint direkt an bestimmte Leistungen geknüpft zu sein. Wenn man sich daran nicht beteiligt, dann wird einem der Internetzugang oder die Kreditwürdigkeit entzogen.“ Die Todsünde des Neids verengte die grünen Augen. „Es kann einem aber auch der Kabelanschluss gekappt werden.“
„Verdammt!“, ereiferte sich Ace, der eine ausgeprägte Schwäche für Fernsehserien hatte.
„Und wie sieht es aus, wenn man mehr Punkte sammelt?“, hakte Lu nach, woraufhin sich Lil zu Wort meldete und sagte: „Wenn man eine bestimmte Grenze überschritten hat winken Vergünstigungen: Rabatte für öffentliche Verkehrsmittel, Freiminuten beim Telefonieren, Gutscheine für diverse Geschäfte.“
Ira ließ die Papiere sinken und sah skeptisch in die Runde. „Und das allein reicht, um die Menschen umzuerziehen?“
„Scheinbar“, sagte Gul mit einem Schulterzucken.
„Zuckerbrot und Peitsche“, murmelte Lu und musste widerwillig eingestehen, dass das Prinzip so alt wie genial war. Entweder man lockte jemanden mit Geschenken oder drohte ihm mit Strafe. Lu drehte sich auf seinem Stuhl um und öffnete auf der großen Leinwand eine Suchmaske. Schon der erste Eintrag bescherte ihm die Information, die er gesucht hatte.
Mit deutlichem Widerwillen verkündete er: „Der Gründer ist ein Mann namens Nicholas Hammond.“
„Welcher der gefühlt viertausend?“, schnaubte Vidia. Sie verdrehte die gelb-braunen Augen. „Der Name ist so furchtbar durchschnittlich.“
Lil schüttelte den Kopf und erwiderte: „Das hat ihn ganz offensichtlich nicht davon abgehalten sich anderweitig einen Namen zu machen.“
„Er wird schon jetzt als Legende gefeiert.“ Bia schnippte und die Anzeige veränderte sich. Unzählige Zeitungsartikel, Videoclips und Fotos erschienen. Sie runzelte die hellen Brauen über den goldenen Augen und neigte den Kopf zur Seite, so dass die vielen Perlen in ihren hellen Haaren klimperten. „Warum ist der mir noch nicht aufgefallen? So viel Erfolg und dann kein Stolz? Kein Hochmut? Warum ist er nicht eitel?“
„Grund dazu hätte er“, schnurrte Lux, ein träges Lächeln auf den für einen Mann fast zu schönen Lippen. „Der sieht verdammt lecker aus.“
„Um eine Legende zu werden, musst du jung sterben, also…“
„Nein“, sagte Lil und unterbrach Guls Überlegungen. „Das würde ihn zu einem Märtyrer machen und wir säßen noch tiefer in der Scheiße.“
Lu grinste vor sich hin. Warum war es nur so heiß, wenn schöne Frauen fluchten?
„Lilith hat recht, so können wir uns nicht von diesem lästigen Samariter befreien. Die Menschen würden ihn glorifizieren und versuchen sein Vermächtnis zu ehren.“
Stille senkte sich über den Konferenzraum, die tiefer reichte als bloßes Schweigen. Man hätte meinen können das Höllenfeuer tief unter ihnen prasseln zu hören. Dabei war das unmöglich, durch die Tore der Hölle drang nichts nach außen. Nicht einmal Geräusche.
„Und jetzt? Was sollen wir tun Gebieter?“, fragte Lux langsam.
Ah, wie lange er von seinen Sieben diese respektvolle Anrede nicht mehr gehört hatte.
Lächelnd stand Lu auf, ging zu den großen Fenstern und blickte auf die verdorrte Ebene hinaus. Die Arme vor der Brust verschränkt besah er sich das Gebiet, das ihm gehörte. Ihm allein und das würde auch so bleiben.
„Alles zu zerstören erscheint mir die beste Option, meint ihr nicht?“
„Wie willst du das anstellen?“, erkundigte sich Lil interessiert. Man könnte schon fast sagen eifrig.
„Wir werden diesen Menschen verderben. Wir werden seine Seele so tief in den dunklen Morast ziehen, dass er selbst in hundert Leben nicht mehr rein werden kann. Und wenn alle anderen Menschen sehen, was aus ihm geworden ist, wie verkommen ihr strahlendes Vorbild ist, dann werden sie sich abkehren und das ganze Konstrukt wird in sich zusammenstürzen.“
Luzifer lachte bösartig vor sich hin. „Du willst dreckig spielen, Michael? Sehr schön, dann lass uns dreckig spielen.“