Читать книгу Burned - Melissa Ratsch - Страница 8
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ОглавлениеEinige Stunden später hielt Luzifer es nicht mehr aus zu warten.
Also versetzte er sich an einen seiner liebsten Orte auf der Welt, wenn er die Menschen beobachten wollte: An einen internationalen Flughafen. Stress war schon immer ein perfekter Druckpunkt gewesen, damit Menschen ihren wahren Kern preisgaben.
Wahlweise, wenn man es etwas martialischer und blutiger haben wollte, ging man in ein Kriegsgebiet. Aber dafür war Lu heute nicht aufgelegt. In seiner Verfassung würde er in einem solchen Umfeld nur in Versuchung geführt werden mitzumischen und das war nicht förderlich.
Amüsant, aber nicht förderlich.
Außerdem war es weit unauffälliger, sich einen Kaffee mit Schuss zu genehmigen, wenn man in einem Café saß, als wenn man sich an einen Panzer lehnte.
Artig stellte er sich in die Schlange im Transitbereich, bestellte bei der Barista freundlich seinen Kaffee und beobachtete, wie sie mit hochroten Wangen seine Bestellung fertig machte. Er schenkte ihr ein träges Lächeln, beobachtete, wie sich ihre Pupillen weiteten, raunte ein Dankeschön und warf ein Trinkgeld in die Kasse.
Oh ja, der Teufel war und wird immer ein Gentleman sein. Aus dem einfachen Grund, dass sich mit Honig weit mehr Fliegen fangen ließen als mit Essig. Und es machte ihm Spaß die Menschen zu locken, sie zu verführen und ihnen zuzusehen, wie sie sich um ihn bemühten.
Mit dem Pappbecher in der Hand ließ sich Lu auf einem strategisch günstigen Stuhl an der Wand nieder, schlug die Beine übereinander und beobachtete die Menschen, die in unterschiedlicher Geschwindigkeit an ihm vorbeikamen.
Manche schlenderten gemütlich, einige hatten einen zackigen Schritt drauf, während ein nicht unerheblicher Anteil so hektisch war, als wäre einer seiner Dämonen hinter ihm oder ihr her. Dazu die Geräuschkulisse aus mal mehr oder weniger aggressiven Stimmen, zusammen mit dem Geschrei von Kindern und den unverständlichen Durchsagen. Es war ein wahrer Hexenkessel.
Und weil Lu nicht die beste Laune hatte und hey, er war immerhin der Teufel persönlich, schnippte er mit dem Finger. Erst passierte nichts. Ungefähr zehn Minuten lang, in denen Lu seelenruhig seinen Kaffee trank und abwartete.
Dann, nach elf Minuten knarzten die Lautsprecher und verkündeten monoton: „Sehr geehrte Fluggäste, aufgrund eines kompletten Systemausfalls in der Abfertigung verspäten sich alle Starts auf unbestimmte Zeit.“
Das Aufstöhnen ging wie eine Welle durch den Transitbereich, gefolgt von geschäftigem Chaos. Zufrieden grinste Lu vor sich hin. Doch das Hochgefühl hielt nur kurz, denn mit solchen Spielchen würde er seinen Laden sicher nicht vor der feindlichen Übernahme schützen können.
Und selbst wenn er so einen Coup landete wie im Mittelalter mit der Hexenverfolgung, dann war noch immer nicht die Ursache für den plötzlichen Abfall an verdorbenen Seelen aus der Welt geräumt. Er konnte nicht die Symptome bekämpfen, aber den Grund weiterhin existieren lassen. Dieses Übel musste mit der Wurzel ausgerissen werden, damit sich die Welt wieder in das bisherige Gleichgewicht begeben konnte.
Nachdenklich trommelte er mit den Fingern an den halbleeren Becher.
War er faul geworden?
Man mochte ihm vieles nachsagen, aber Lu war kein Dummkopf. Ob es ihm gefiel oder nicht, er war nicht so selbstverliebt, einen Teil der Schuld nicht auch bei sich zu suchen.
Aber je länger er nachdachte – mittlerweile beim zweiten Kaffee – desto überzeugter war er, dass er und seine Sieben nichts anders machten als noch vor einhundert, fünfhundert oder tausend Jahren. Im Gegenteil, der Kapitalismus hatte in den vergangenen Jahrzehnten sogar noch dazu beigetragen, dass sich nicht nur Habgier wie ein Kind im Süßigkeitenladen fühlte, sondern auch Vidia als Neid frohlockte.
Keiner wollte mehr einen Schritt zu viel tun und alle frönten sie der Faulheit, was Ace seit den Neunzehnhundertfünfzigern ganz selig machte. So selig eben eine Todsünde sein konnte.
Es war zum Scheiße schreien und Lu konnte nur hoffen, dass seine Sieben und Lil etwas herausfanden. Er mochte seinen Job und hatte nicht vor, sich von der oberen Etage ins Handwerk pfuschen zu lassen, schließlich mischte er sich auch nicht ungefragt in deren spießige Angelegenheiten.
Ein Tumult bildete sich direkt vor dem Café, der seine Aufmerksamkeit wieder auf die Umgebung lenkte. Eine Frau in den Vierzigern schlug ihren Mann mit der Handtasche und schrie: „Das ist alles deine Schuld! Nur weil deine Hexe von Mutter zu blöd ist Auto zu fahren!“
„Ach, fahr doch zur Hölle!“, keifte der Mann zurück und stürmte in die entgegengesetzte Richtung davon, seine Frau auf den Fersen. „Würde ich ja, aber da sitzt sie auf dem Thron!“
„Willst du sie nicht korrigieren?“
Gegen seinen Willen zuckte Lu zusammen und drehte sich um. Gegenüber von ihm an dem kleinen Tisch saß ein großgewachsener Mann, in dessen grauen Augen Belustigung funkelte. Er trug einen maßgeschneiderten Anzug in schlichtem Schwarz mit weißem Hemd, der Kragen war geöffnet, keine einzige Falte zeigte sich auf seiner Kleidung.
Er sah aus wie ein millionenschwerer Geschäftsmann, der noch nie außerhalb des Fitnessstudios körperlich gearbeitet hatte. Die Leute um sie herum, wenn sie denn überhaupt Notiz von ihnen nahmen, wunderten sich sicher, warum sich so ein kultivierter Mann mit einem wie Lu unterhielt: Mit seinen abgetragenen Jeans, Chucks und dem schwarzen Shirt sah er im besten Fall aus wie ein Rockstar, im schlechtesten wie ein gescheiterter Student.
„Uriel“, seufzte Lu und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Wird das nun zur Gewohnheit? Jeden Tag kommt ein anderer aus eurer Clique und geht mir auf den Sack? Weil, ganz ehrlich, dann verkneife ich mir Ausflüge wie diese.“
„Höflich und freundlich wie immer.“
Ein lautstarker Streit an dem wenige Meter entfernten Serviceschalter lenkte sie kurz ab – es sah wirklich so aus, als würde ein junger Mann versuchen, über den Tresen zu springen und den Mitarbeiter des Bodenpersonals attackieren.
„Ich habe immerhin einen Ruf zu pflegen“, erwiderte Lu selbstgefällig, während der Störenfried vom Sicherheitsdienst entfernt wurde.
Ein Lächeln machte sich auf Uriels Gesicht breit, das direkt von einer Reklametafel hätte kommen können. „Das stimmt allerdings.“
„Also, was führt dich her? Neugier, Schadenfreude?“
„Du weißt doch, dass wir so niedere Gefühle nicht hegen“, antwortete Uriel milde, als würde er mit einem kleinen Kind sprechen.
Lu lachte: „Verarschen kann ich mich selbst. Ich weiß, was ihr so alles fühlt und was nicht.“
Die Stille, die sich nach diesem Satz zwischen ihnen auftat, umfasste eine kleine Ewigkeit.
„Samael“, seufzte Uriel schließlich und bescherte Lu damit eine Gänsehaut. Er gestattete nur sehr, sehr wenigen Individuen ihn mit diesem Namen anzusprechen: Lilith, manchmal eine der Todsünden. Aber der dunkle Erzengel war der einzige Himmelsbewohner, der das tun durfte ohne sofort frittiert zu werden.
„Was?“, hakte Lu nach.
„Ich komme nicht um mir anzusehen wie schlecht es dir geht und das solltest du eigentlich wissen.“
„Warum bist du dann hier?“
„Um dir zu sagen, dass das alles Michaels Idee gewesen ist“, fuhr Uriel fort. „Ria hat daraufhin den Plan ausgearbeitet und Michael hat so lange auf Gott eingeredet bis er zugestimmt hat.“
„Fleiß war schon immer ein hyperaktives Miststück“, kommentierte Lu. Er verschränkte die Arme vor der Brust und fragte: „Wie hat Michael es geschafft den Alten zu überzeugen? Er hat sicher nicht einfach nachgegeben, um seine Ruhe vor dem Dummschwätzer zu haben.“
„Ich weiß es nicht.“ Uriel zuckte mit den Schultern und das Verrückte war, dass Lu ihm glaubte. Nicht weil er ein Erzengel war und deswegen vermeintlich nicht lügen konnte, sondern weil es ihm sein Gefühl sagte. Uriel und er… das war fast so kompliziert wie seine Beziehung zu Lilith.
Der dunkle Erzengel beugte sich ein Stück nach vorn und sagte: „Aber es gibt Regeln und Gesetzmäßigkeiten, die nicht einmal Gott umstoßen kann. So funktioniert unser Universum nicht. Es gibt immer Gegensätze: Hell und dunkel, Tod und Leben, gut und böse. Das kann man nicht so einfach aufweichen ohne auf eine handfeste Katastrophe zuzusteuern.“
„Das weiß ich“, erwiderte Lu. „Ich lese die Regeln, bevor ich sie breche.“
Ein kurzes Lächeln von Uriel, das seine schiefergrauen Augen aufleuchten ließ – und eine Frau einen Meter entfernt dazu veranlasste über ihre eigenen Füße zu stolpern. Lu hätte darüber gelacht, wenn da nicht diese Anspannung in ihm gewesen wäre. Er konnte praktisch fühlen, dass Uriel ihm gleich einen entscheidenden Hinweis geben würde.
„Die Waage schlägt vielleicht gerade in eine Richtung aus“, setzte Uriel ernst an, „aber das kann man auch wieder rückgängig machen. Du musst nur entsprechend handeln und die richtigen Entscheidungen treffen – oder besser gesagt, die falschen.“
„Du hast Recht. Ich habe in letzter Zeit wirklich keine schlechten Entscheidungen getroffen“, sagte Lu und neigte den Kopf zur Seite. „Mir wurde schon langweilig.“ Er beugte sich ein Stück nach vorn und fragte seidenweich: „Aber sag mir, Erzengel der Apokalypse, warum gibst du mir diese Informationen? Müsste es nicht in deinem Interesse sein, dem Universum ein Ende zu bereiten? Dann hättest du deinen großen Auftritt, wäre das nicht ein Spaß? Du könntest Feuer auf die Welt werfen und es Regen nennen.“
Etwas huschte durch Uriels Augen, die auf einmal all sein Alter widerspiegelten. Das Gewicht hätte einen gewöhnlichen Sterblichen erdrückt, doch Luzifer trug dasselbe Alter in sich. Er verstand die Abgründe in dem dunklen Engel vielleicht sogar besser als seine geflügelten Brüder.
Als Uriel schließlich antwortete, war seine Stimme leise und rau: „Es ist noch nicht so weit.“
„So so“, murmelte Lu und lächelte vor sich hin.
„Die Zeiten haben sich geändert, mein Freund“, entgegnete Uriel.
„Freunde… das ist lange her, meinst du nicht?“
Ein Lächeln, das dieses Mal seine grauen Augen nicht erreichte. „Ja.“
Lu sparte es sich ihm zu sagen, dass das ihrer beider Schuld war. Es war auch hinfällig, denn Uriel hatte sich in Luft aufgelöst. Zumindest hatte er so viel Anstand nicht in diesem gleißenden Licht zu verschwinden, das Lu jedes Mal in den Augen stach.
Er blieb noch einige Zeit in dem Flughafen sitzen, beobachtete das wilde Getümmel und das Durcheinander um sich, an dem sich seine verkommene Seele wie Nektar labte, und dachte nach. Hätte er Uriel nach dem Grund für die veränderten Seelenwanderungen fragen sollen?
Wahrscheinlich ja, aber der Erzengel der Apokalypse hätte ihm sicher nicht geantwortet. So funktionierte das Spiel einfach nicht. Es war schon ungewöhnlich genug, dass er ihm den Tipp gegeben hatte, dass er das drohende Unheil noch abwenden konnte.
Es war schon spät in der Nacht, als Lu schließlich aufstand und die Transitzone verließ. Unbehelligt von den Menschen spazierte er mit den Händen in den Hosentaschen durch die Sicherheitskontrollen, ehe er sich außerhalb des Gebäudes in dunklen Rauch auflöste.
Er mochte der Teufel sein, aber er war deswegen kein komplettes Arschloch. Einen Feueralarm wollte er nicht auch noch auslösen, nachdem der Flughafen sich gerade einigermaßen von dem Chaos des Systemausfalls erholt hatte.