Читать книгу Mark Feller - Michael Bardon - Страница 12
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ОглавлениеIch hetzte die Straße entlang und wich einem weißen Toyota aus, dessen Fahrer ein wildes Hupkonzert abzog. Ich rannte weiter, mobilisierte alle Reserven und versuchte, den stechenden Schmerz in meiner Kniescheibe zu ignorieren. Es gelang mir nur mäßig, doch ich hielt mein Tempo, auch wenn es schwerfiel.
Zehn Meter vor mir spurtete Fariba den Gehweg entlang. Ihr Laufstil war locker und kraftvoll, sie war eindeutig die Schnellere von uns beiden. Ich schob es auf mein lädiertes Knie, war mir aber nicht sicher, ob ich mit einem gesunden ihr Tempo hätte mitgehen können.
Jussufs Vorsprung schmolz, seine Schritte wurden kürzer; ich sah an seiner Art zu rennen, dass er kein geübter Läufer war.
Ich zog das Tempo noch ein wenig mehr an, wechselte auf den Bürgersteig und versuchte, den Abstand zu Fariba nicht noch größer werden zu lassen. Doch er wuchs. Schritt um Schritt ein kleines Stück.
Jussuf Alkbari bog unterdessen in eine Seitenstraße ein und entzog sich so unseren Blicken. Sein Vorsprung betrug etwa zwanzig Meter, aus Faribas Sicht. Vielleicht waren es auch fünfundzwanzig.
Ich wich einer Frau mit Kinderwagen aus, umkurvte einen älteren Herrn und übersprang einen Hund, der erschrocken nach mir schnappte, mich zum Glück jedoch verfehlte.
Fariba bog nun ebenfalls ab, während ich noch ein paar Meter hatte, um ebenfalls die Seitenstraße zu erreichen.
Gott, wie angepisst!
Fünf Atemzüge später bog auch ich in die Straße ein. Ich humpelte jetzt stärker, mein rechtes Knie war ein einziges Flammenmeer.
Fariba hatten ihren Abstand auf Jussuf weiter verkürzt. Ihr fehlten nur noch wenige Meter, um den Flüchtenden zu stellen. Ich blieb hartnäckig, biss die Zähne zusammen und humpelte weiter.
Nur nicht aufgeben … bleib dran!
Ein schwarzer Mercedes der V-Klasse flog an mir vorbei. Der Fahrer des Vans gab kräftig Gas, der Sechszylinder orgelte im oberen Drehzahlbereich. Mein Blick streifte den schwarzen Kastenwagen. Die hintere Tür, es war eine zum Aufschieben, stand ein paar Zentimeter weit offen. Ich fluchte in mich hinein, ließ den schwarzen Mercedes aber nicht mehr aus den Augen. Das sah nach Ärger aus …
Fariba hatte unterdessen einen kleinen Zwischenspurt eingelegt und weitere Meter auf Jussuf gut gemacht. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis sie ihn sich schnappen würde.
Ich nahm etwas Tempo heraus, umkurvte einen Skater und wich einer Gruppe Jugendlicher aus. Mein Blick folgte dem schwarzen Van weiterhin, der fuhr nun auf Höhe von Fariba und Jussuf.
Was zum Teufel …?
Ich kam nicht mehr dazu, meinen Gedanken zu vervollständigen. Die Schiebetür des Vans wurde aufgerissen, und das dumpfe Bellen von Schüssen hallte von den Hauswänden zurück. Passanten schrien erschrocken auf. Manche sprangen zur Seite oder warfen sich in Deckung. Die meisten blieben jedoch einfach stehen und starrten entsetzt auf den Mann, der jetzt halb aus dem Van heraushing und seine Waffe abfeuerte. Ich riss meine Glock aus dem Holster, gab jedoch keinen Schuss ab – zu viele Zivilisten um uns herum.
Ich rannte weiter, stieß mit einem Mann zusammen, ging zu Boden, rappelte mich wieder auf und humpelte auf den schwarzen Mercedes zu, der jetzt mitten auf der Straße stand. Der Mann im Van – eindeutig ein Europäer – feuerte gnadenlos weiter. Uns trennten noch knapp zwanzig Meter und ich hatte noch immer kein freies Schussfeld.
Meine Angst galt Fariba, die nach wie vor hinter Jussuf herjagte, als würde sie das alles nichts angehen. Sie war ihm jetzt ganz dicht auf den Fersen, ihr ausgestreckter Arm, berührte beinahe die Kapuze seiner Windjacke.
Weitere Schüsse peitschten auf. Ich sah, wie Jussuf ins Straucheln geriet, keine Sekunde später schien auch Fariba ins Stolpern zu geraten.
Ich reckte meine Waffenhand in die Luft und gab zwei Warnschüsse ab. Die Menschen um mich herum stoben schreiend auseinander. Ich hatte endlich freie Schussbahn und nahm den Schützen ins Visier. Unterschwellig nahm ich noch wahr, wie Fariba und Jussuf zu Boden gingen.
Ich konzentrierte mich jetzt ganz auf den Schützen, dessen Oberkörper noch immer halb aus der Schiebetür des Vans hing. Ich zog durch, zwei Mal, zielte jedoch ein klein wenig zu hoch. Shit! Mein Atem flog mit meinem Puls um die Wette, ich versuchte verzweifelt, das Zittern meiner Finger auszugleichen, um einen gezielten Schuss abzugeben. Vergeblich!
Vor mir tat sich was. Der Kerl verschwand von der Tür und die Bremslichter des Vans erloschen. Ich hielt den Atem an und jagte zwei weitere Schüsse in das Fahrzeuginnere; Glas zersplitterte, ein Fluchen war zu hören.
Eine Sekunde später heulte ein Motor auf und der schwarze Van schoss mit durchdrehenden Hinterrädern davon.
*
»Nicht schlecht! Du bist gut, wirklich gut …«, murmelte der Pilot, während er die Überwachungsdrohne auf einem Hausdach landete. Er korrigierte die Einstellung der Kamera und zoomte das Bild noch etwas näher heran. Perfekt! Besser konnte es gar nicht laufen. Er hatte jetzt freie Sicht auf das Geschehen – der Winkel vom Dach war wie geschaffen, um die Straße und den Bürgersteig im Auge zu behalten.
Der Pilot nahm noch ein paar kleinere Verbesserungen vor, dann verband er das Tablet mit dem Acht-Zoll-Navigationsgerät, seines Wagens.
»Wie im Kino«, prustete er, »während du dir einen abzappelst, sitze ich hier und schaue gemütlich zu.«
Er lachte erneut, als er das enttäuschte Gesicht von Mark Feller sah, nachdem der schwarze Mercedes das Weite gesucht hatte. Feller war noch ein paar Schritte hinter dem Van hergelaufen, hatte dann jedoch eingesehen, dass er mit seinem Hinkebein keine Chance hatte, an dem Fluchtwagen dranzubleiben.
»So ein Pech aber auch!« Der Pilot grinste und notierte sich das Kennzeichen des Fluchtwagens. Es war immer gut zu wissen, mit wem man es bei einem Auftrag zu tun hatte oder vielleicht irgendwann zu tun bekam. Eine gute Vorbereitung war der Schlüssel zum Erfolg. Nur Amateure und Idioten gingen unnötige Risiken ein.
Sein Blick klebte weiter an Feller, der jetzt über die Straße humpelte, um nach seiner Kollegin zu schauen.
»Du hast mächtige Feinde, mein Freund«, murmelte er, während er beobachtete, wie sich Feller über die Polizistin beugte und etwas zu ihr sagte.
Er griff neben sich und angelte vom Beifahrersitz den schmalen Pappschnellhefter.
»Fariba Sedate«, las er leise, »vierunddreißig, ledig, Hauptkommissarin beim Landeskriminalamt. Gebürtige Iranerin, soso … Also, wenn ich du wäre, Mark, würde ich niemanden trauen. Auch nicht ihr.«
Der Pilot legte den Schnellhefter zurück und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Normalerweise war es ihm egal, wer ihn für welchen Auftrag engagierte. Er tat seinen Job und verschwand danach wieder von der Bildfläche.
Doch in diesem Fall lagen die Dinge ein klein wenig anders. Er hegte den Verdacht, dass die Informationen, die er heute Morgen erhalten hatte, von staatlicher Stelle stammten. Was bedeutete, dass sein Auftraggeber entweder einen Maulwurf beim BND hatte oder – und das bereitete ihm wirklich Kopfzerbrechen – ein anderer Geheimdienst hinter der Sache steckte. Anders konnte er sich nicht erklären, woher sein Auftraggeber wusste, was Feller für den heutigen Morgen auf der To-do-Liste stehen hatte.
So oder so, dachte der Pilot, während er in die Spiegel schaute und die Umgebung checkte. Du musst aufpassen, dass du nicht zwischen die Mühlsteine gerätst. Das Letzte, was du jetzt brauchst, sind selbstverliebte Geheimdienstarschlöcher, die dich nach getaner Arbeit zum Abschuss freigeben.
*
Faizah lag ganz still; sie wagte kaum zu atmen. Keinen Meter von ihrem Versteck entfernt, standen der Mann und die Frau, vor denen Tahire und sie geflüchtet waren. Die beiden unterhielten sich, doch das bisschen Deutsch, das sie bislang erlernt hatte, reichte nicht aus, um sie zu verstehen.
Die Frau redete mehr als der Mann; was für eine verkehrte Welt, dachte Faizah, als ihr bewusst wurde, dass die Frau das Sagen hatte.
Vorsichtig zog sie die Luft ein und spähte durch das Loch in der dünnen Blechwand.
Nur einen Blick, dachte sie.
Sie hatte die Schüsse gehört und Tahires gequälten Aufschrei – man brauchte nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, was geschehen war.
Nur einen Blick, dachte sie erneut, einen winzigen Blick. Du musst wissen, wie die Mörder aussehen, wenn du Tahire rächen willst.
*
»Deinen Gürtel, schnell gib mir deinen Gürtel, Mark. Wir müssen sein Bein abbinden, er verliert zu viel Blut.«
Ich riss den Ledergürtel aus den Schlaufen meiner Jeans und hielt ihn meiner Kollegin hin.
»Nein, nein, mach du. Ich kann die Hände nicht von der Wunde nehmen, er verblutet uns sonst.«
Ich schlang den Gürtel um Jussufs rechten Oberschenkel und zog kräftig zu; er stöhnte leise, schien jedoch nicht bei Bewusstsein zu sein.
»Lassen Sie mich mal, ich bin Arzt.«
Ich schaute auf und richtete meine Waffe auf den Mann, der aus dem Kreis der Schaulustigen herausgetreten war. »Bundesagent … bleiben Sie stehen.«
»Hey, ich will nur helfen.«
»Zeigen Sie mir Ihren Ausweis. Aber schön langsam!«
Der Mann, ungefähr in meinem Alter, griff mit spitzen Fingern in die Innentasche seines Sakkos und fischte eine braune Geldbörse hervor. Ich ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.
»Mark!« In Faribas Stimme schwang Verärgerung mit. »Wir haben für so was jetzt keine Zeit. Ich krieg die Blutung nicht gestoppt. Lass den Mann machen, er hat gesagt, er ist Arzt.«
Mein Blick zuckte zu Fariba, die verzweifelt versuchte, Jussufs stark blutende Schusswunde mit den Fingern abzudrücken.
»Lassen Sie mich zu ihm. Noch kann ich helfen …«
Freund oder Feind? Ich konnte den Mann, der von sich behauptete, ein Arzt zu sein, nicht recht einordnen. Er sah sympathisch aus, trug einen Anzug, teure Schuhe und ein blütenweißes Hemd. Er hatte jenen Lifestyle, der den anderen Menschen in seinem Umfeld signalisierte: Schaut her, ich habe es zu was gebracht!
»Mark!«
Andererseits … Jussufs Alkbari war ein wichtiger Zeuge. Sein Leben zu schützen, stand für mich an erster Stelle. Ich traute dem Kerl nicht, wollte ihn nicht in Jussufs Nähe lassen.
»Maaark …«
Faribas Verzweiflung gab den Ausschlag. Ich trat wortlos zur Seite und gab den Weg frei. Mister Ich-hab-es-zu-was-Gebracht trat vor, meine Waffenhand folgte seiner Bewegung. Ich war auf alles gefasst, als er neben Fariba auf die Knie sank und sofort begann, Jussufs verletztes Bein zu untersuchen. Es geschah schnell und professionell. Er erteilte Fariba ein paar Anweisungen und zeigte ihr, wie sie das Bein mit dem ledernen Gürtel richtig abzubinden hatte.
Sirenengeheul in der Ferne. Ich nahm es als sicheres Indiz dafür, dass die Kavallerie am Anrücken war. In ein paar Minuten würde es hier vor Polizisten nur so wimmeln. Bei einem Schusswechsel im Stadtgebiet wurde ganz automatisch Großalarm ausgelöst.
Ich behielt die Schaulustigen weiter im Auge, während ich in Gedanken die letzten Minuten noch einmal Revue passieren ließ. Wir hatten heute Morgen – ungewollt – für eine Menge Wirbel gesorgt, was im Umkehrschluss bedeutete, dass wir uns auf der richtigen Fährte befanden.
Wer auch immer unsere Gegner waren, sie gingen hart und kompromisslos vor, das hatte der Anschlag eben recht eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Mein Blick ging zu Jussuf Alkbari, dessen Gesicht eine wächserne Farbe angenommen hatte. Von seinem Überleben hing jetzt alles ab. Sein Wissen konnte der Schlüssel sein, der uns in diesem Fall voranbrachte.