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Als ich das Büro betrat, zeigte die Uhr bereits Mittagszeit. Mein Magen knurrte. Ich hatte – abgesehen von einem Schoko-Donut mitten in der Nacht – seit gestern Mittag nichts Anständiges mehr gegessen.

»Er kommt genau richtig. Sie wollten gerade Pizza bestellen.«

Ich nickte, sagte jedoch nichts. Alleine der Gedanke an eine Pizza ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

»Braucht er die Karte?«

Ich schüttelte erneut den Kopf. »Nein, bestellt mir einfach ’ne Calzone mit. Eine extra große! Mit Thunfisch und Zwiebeln.«

»Calzone mit Thunfisch und Zwiebeln. Extra groß. Is gebongt.« Pia Kirchhofer notierte sich meine Bestellung. »Was ist mit Fabi?«, fragte sie. »Die schiebt doch bestimmt auch Kohldampf.«

»Was für eine Frage!« Arno Strobel lachte und lugte hinter seinem Monitor hervor. »Fabi hat doch eigentlich immer Hunger«, sagte er. »Bestell ihr einfach ’ne Frutti di Mare mit.«

Ich blickte zu Arno, der grinste breit. »Hey, schau mich nicht so an, Chef. Fabi futtert wirklich wie ein Stier. Wenn ich so viel essen würde …«, er blies die Backen auf und formte mit den Händen eine Kugel vor seinem Bauch, »… würde ich wie ein Hefekloß auseinandergehen.«

»Wahrscheinlich bewegt sie sich an einem Tag mehr als er in der gesamten Woche. Könnte es vielleicht daran liegen, dass er Probleme mit seinem Bauchspeck hat?«, fragte Sebastian Petermann mit bierernstem Gesicht.

Arno grinste. Er war mit sechsundzwanzig das jüngste Mitglied unserer Soko, ein Ass am Computer. Sein Spezialgebiet: Cyberkriminalität.

»Fariba kommt nicht«, sagte ich. »Sie ist ins Sankt-Katharinen-Krankenhaus gefahren, um die beiden Frauen zu vernehmen. Außerdem wollten wir Jussuf Alkbari nicht aus den Augen lassen. Er ist unser wichtigster Zeuge und braucht rund um die Uhr Personenschutz.«

Ich schaute Pia Kirchhofer an. »Mindestens zwei Beamte, Pia. Drei wären besser. Organisier das bitte gleich!«

»Mach ich.«

»Habt ihr was über die vier aus dem Haus herausgefunden?«

»Ich bin dran. Dauert aber noch«, brummte eine Stimme aus dem Hintergrund.

Mein Blick glitt zu Helmut Bräutigam. Laut Personalakte war er dreiundfünfzig, Hauptkommissar beim LKA, verheiratet, kinderlos und ein echter Stinkstiefel. Er hatte vier Disziplinarverfahren wegen gewalttätiger Übergriffe in der Dienstakte vermerkt, eine Entziehungskur, Alkohol, hinter sich und galt als nicht gerade zimperlich, wenn es sich bei seinen Gesprächspartnern um Tatverdächtige handelte. Er passte nicht in dieses Team. Das wusste er genauso gut, wie es der Rest des Teams wusste.

»Wie lange brauchst du noch«, fragte ich und schaute demonstrativ auf die Uhr.

Bräutigam furchte die Stirn und zuckte kurz mit den Schultern. »Was weiß ich?«, grunzte er. »Ne Stunde, ’nen Tag … ich kann’s nicht sagen. Diese Asis sehen doch alle gleich aus mit ihren Scheiß-Bärten und den schwarzen Augen.« Er war voller Verachtung. »Das Gesichtserkennungsprogramm arbeitet seit Stunden auf Hochtouren. Wahrscheinlich kann es die Hackfressen aber auch nicht voneinander unterscheiden. Elendes Pack, verdammtes. Sollen ihren bescheuerten Krieg doch bei sich zuhause führen und uns mit diesem Allah-Scheißdreck-Gedöns in Ruhe lassen.«

»Er mag wohl keine Moslems, wie?«

Bräutigams Kopf ruckte zu Sebastian Petermann herum.

»Wie kommst du denn auf das schmale Brett?«

»Es erweckt den Anschein. Und das sehr nachhaltig!«

»Ach, leck mich doch!« Bräutigam machte eine abfällige Bewegung, die eindeutig Petermann galt. »Analysier von mir aus, wen du willst, aber verschon mich mit deiner bescheuerten Psychokacke. Das haben schon ganz andere versucht und sind dabei kläglich gescheitert.«

»Das langt jetzt, Helmut!«, sagte ich. »Es hat hier jeder verstanden, dass du kein Freund des moslemischen Glaubens bist.«

Ich trat einen Schritt auf den Ermittler zu. »Das steht aber auch nicht zur Diskussion. Alles, was zählt, sind die Ergebnisse, die du liefern sollst. Deine Meinung kannst du zukünftig gerne für dich behalten.«

Bräutigams Blick wurde glasig, als er mir in die Augen starrte. Er schürzte die Lippen, versuchte sich an einem Grinsen – es wirkte hinterfotzig und gemein.

»Wie gesagt, Chef, ich bin dran. Sobald ich einen Treffer lande, bist du der Erste, der’s erfährt. Ehrenwort!«

Ich nickte erneut, verkniff mir jedoch eine Antwort. Wir starrten uns weiterhin an, maßen unsere Willensstärke, bis Helmut Bräutigam schließlich nachgab und seinen Blick auf den Schreibtisch senkte.

Ich schaute auf, ließ meinen Blick durch das Großraumbüro wandern. »Was ist? Habt ihr nichts zu tun?«

»Ääh … Ich organisiere dann mal den Personenschutz für Jussuf Alkbari«, sagte Pia Kirchhofer schnell; ihr Gesichtsausdruck zeigte noch immer Bestürzung.

»Ja, und ich kümmere mich um die Pizzen«, versicherte Arno. »Schmeiß mir mal den Zettel rüber, Pia, ich hab schon wieder vergessen, was die anderen wollten.«

Mein Blick fiel auf Sebastian Petermann. Ich hatte noch keine Gelegenheit gefunden, mit dem Profiler über seine Eindrücke aus dem Alkbari-Haus zu sprechen.

Ich war gespannt, ob er annähernd so genial war, wie allgemein angenommen. Falls die Legenden über Petermann wirklich zutrafen und er Dinge an Tatorten sah, die anderen verborgen blieben, musste er jetzt mit eins, zwei Überraschungen aufwarten.

Ich platzte fast vor Neugierde, als ich auf seinen Schreibtisch zu humpelte. Der war penibel aufgeräumt, alles schien seinen angestammten Platz zu haben.

Unsere Blicke trafen sich. Petermann nickte leicht, als gewähre er mir Audienz.

»Er hat noch immer Probleme mit dem Knie? Vielleicht sollte er einen Arzt aufsuchen und sich gründlich untersuchen lassen.«

»Später vielleicht«, sagte ich, während ich mich auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch plumpsen ließ.

Er nickte erneut, schob die Unterlippe vor und klopfte mit seinem Zeigefinger darauf herum. »Ein turbulenter Vormittag«, sagte er. Er hat ganz schön Bewegung in die Fälle gebracht.

»Fälle? Wieso Fälle?«

Lippenklopfen …

»Erklär mir, wie du das meinst.« Ich rutschte leicht unruhig auf meinem Stuhl hin und her.

Mehrere Fälle, Mann! Mann! Wie kommt der auf die Idee?

Immer noch dieses Lippenklopfen, gefolgt von einem wissenden Nicken. »Er zählt zwei Fälle«, murmelte der Profiler. Sein Blick ging ins Leere, er schien mehr zu sich als zu mir zu sprechen.

Ich schwieg, wartete darauf, dass er weitersprach, obwohl mir tausend Fragen auf der Zunge brannten.

»Fall eins«, sagte Petermann und reckte seinen Daumen in die Höhe. »Hierzu zählen der tragische Tod seiner Lebensgefährtin Julia Fischer, das Ableben von Hasan Alkbari, der Anschlag auf Doktor Briegel und Jussuf Alkbari sowie das Gerücht, dass weibliche Asylanten, sofern sie jung und hübsch sind, spurlos von der Bildfläche verschwinden.«

Ich schwieg weiter, starrte wie gebannt auf Petermanns Zeigefinger, der jetzt wie ein abgefeuertes Katapult nach oben schoss.

»Fall zwei«, sagte er, während die Finger seiner linken Hand nun den Ansatz seines Scheitels kontrollierten. »Hier bringt er die vier Männer aus der Alkbari-Wohnung ins Spiel. Er hat sie sich genau angesehen. Ihre Kleidung war neu, er schätzt nicht älter als ein paar Stunden.«

»Nicht älter als ein paar Stunden? Woher willst du das so genau wissen?«, fragte ich.

»Er hat an der Kleidung gerochen. Sie hatte noch diesen typischen Insektizid-Geruch, der neuen Textilien nun einmal anhaftet«, sagte der Profiler. »Über die Fabrikate der Klamotten kann er nichts sagen. Die Etiketten, die darüber Auskunft geben könnten, wurden sauber herausgetrennt. Dennoch wagt er bezüglich der Herkunft und der Qualität der Bekleidung eine vorsichtige Prognose. Er denkt, es handelt sich um Massenware. Billig produziert und von minderer Qualität.«

Kurze Pause, Petermann streckte seine beiden Zeigefinger in die Luft, murmelte leise vor sich hin und begann imaginäre Gegenstände – ich denke, es waren Worte – zu sortieren. Es sah aus, als säße er vor einem Monitor mit Touchscreen-Funktion.

Ich biss mir auf die Zunge und fragte mich, wann Genie und Wahnsinn miteinander verschmolzen?

»So … jetzt zu den Schuhen«, sagte Petermann, nachdem er eine ganze Weile seinen Fingertanz aufgeführt hatte. »Auch diese weisen keinerlei Gebrauchsspuren auf. Die Marke war jedoch gut zu erkennen. Doggers. Und zwar bei allen vieren.« Petermann lächelte kurz, machte dann erneut seine Luftfingerübungen und murmelte wieder ein paar unverständliche Worte.

»Jetzt kommt er zum interessanten Teil«, sagte er, nachdem er fast eine Minute lang irgendetwas, das nur er sehen konnte, wild hin und her geschoben hatte. »Bei zwei von den Tätern waren die Stirn und der Nasenrücken noch leicht gerötet, was bedeuten könnte, dass sie vor Kurzem noch einer starken Sonnenbelastung ausgesetzt waren. Er tippt auf die Wüste, da die Hände, die Unterarme und die restliche Gesichtshaut, ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogenen waren.«

»Du meinst, sie kamen direkt aus einem Trainingscamp in Syrien oder so?«

»Möglich.« Petermanns Blick klärte sich, er schaute mir jetzt direkt ins Gesicht. »Pia checkt bereits die Passagierlisten der einzelnen Fluglinien, während Arno die Überwachungskameras auf den Bahnhöfen und den U-Bahn Stationen mit dem Gesichtserkennungsprogramm abgleicht. Wir haben uns auf ein Sechsunddreißig-Stunden-Zeitfenster festgelegt. Hoffe, es findet seine Zustimmung.«

Ich nickte. »Tut es. Sonst noch was?«

»Ja! Auf dem Tisch im Wohnzimmer lag ein Zettel mit arabischen Schriftzeichen. Wir lassen sie gerade übersetzen. Unter den Schriftzeichen stand in ungelenken Buchstaben, die Anschrift der Alkbaris. Er kann sich des Eindruckes nicht erwehren, dass jemand diese Buchstaben einfach abgemalt hat.«

»Einfach abgemalt hat?«

»Ja, einfach abgemalt hat. So wie es ein Kind tun würde, das noch nie oder wenigstens sehr selten etwas mit den lateinischen Schriftzeichen zu tun hatte. Er versteht, wie er das meint?«

Ich nickte. »Ja! Meine Nichte ist gerade fünf geworden. Sie malt auch ständig irgendwelche Buchstaben ab, die ihr ihre Mutter auf ein Stück Papier vorschreibt.«

»Genau! Diese Männer sprachen vermutlich kein Wort Deutsch. Ihr Ziel waren die Alkbaris. Sie kamen nur aus einem Grund: Sie wollten Informationen.«

Irgendwo klingelte ein Telefon – ich beachtete es nicht. Petermann schien jedoch aus dem Konzept zu geraten. Er stoppte seine Ausführungen und schaute mich nachdenklich an.

»Hast du eine Vermutung, was sie von den Alkbaris wollten?«, fragte ich.

Lippenklopfen …

Ich wartete.

»Mark!«

Petermann klopfte weiter auf seiner Unterlippe herum.

»Maarrk …«

Ich wartete …

»Maaarrk …«

Pias Stimme drang zu meinem Bewusstsein vor. Sie rief meinen Namen und hielt den Hörer ihres Telefons in die Luft. »Telefon für dich. Ein gewisser Beck vom Verfassungsschutz.«

»Jetzt nicht!«

»Er sagt, es sei wichtig. Er müsse dich unbedingt sprechen. Es ginge um die Männer, die aus dem Auto heraus auf euch geschossen haben.«

Die Härchen an meinen Unterarmen stellten sich auf, während mir meine innere Stimme ein ›Pass auf!‹ zuraunte.

»Er soll seinen vollständigen Namen, seinen Dienstgrad und seine ID-Nummer hinterlassen. Und notier dir bitte auch, wo wir ihn erreichen können. Sag ihm, ich rufe ihn in einer Minute zurück. Ich will nur erst seinen Background checken und überprüfen, ob er der ist, der er vorgibt zu sein.«

Pia nickte knapp und widmete sich dann wieder dem Anrufer. Ich sah, wie sie sich ein paar Notizen machte und noch während des Telefonats etwas in ihren Computer eintippte.

»Interessant …«, murmelte Petermann. »Der Verfassungsschutz buddelt also im selben Dreckloch wie unsereins. Das wird Fariba überhaupt nicht schmecken.«

»Ja, ich weiß. Sie hat schon damit gedroht, dass sie aussteigt, sobald die in die Ermittlung mit einsteigen«, sagte ich.

»Hat sie das? Soso … Na dann sollte er versuchen, den Staatsschutz aus der Geschichte herauszuhalten. Fariba ist eine gute Ermittlerin. Er wird sie noch brauchen, um die Fälle zu knacken.«

»Wir reden später weiter«, sagte ich, während ich aufstand und mein lädiertes Bein vorsichtig ausstreckte.

Mein Blick fiel auf Helmut Bräutigam, der zusammengesunken hinter seinem Schreibtisch saß. Es sah aus, als schliefe er, doch sein Blick folgte mir, als ich zu Pias Schreibtisch ging.

»Und?«

»Er ist sauber, ich hab’s gecheckt.«

»Okay! Schick mir alles, was du über diesen Beck hast auf meinen Rechner. Ich will mir erst ein Bild von dem Typ machen, bevor ich mit ihm telefoniere«, sagte ich und wandte mich ab.

Ich war gespannt, welche Wendung der Fall – oder sollte ich besser ›die Fälle‹ sagen? – nun wieder nehmen würden. Immerhin bekam man nicht jeden Tag einen Anruf von den Kollegen des Staatsschutzes. Die kochten für gewöhnlich nämlich ihr eigenes Süppchen und hielten andere aus ihren Ermittlungen heraus.

Mark Feller

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