Читать книгу Mark Feller - Michael Bardon - Страница 6
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ОглавлениеMit einem stillen Fluch auf den Lippen schob der Pilot das Smartphone in die rechte Innentasche seines grauen Sakkos. Sein Blick schweifte durch das Café, während er sich erneut zu einem freundlichen Lächeln zwang.
Nur nichts anmerken lassen, dachte er. Bleib schön cool, alles ist easy. Am besten bestellst du dir jetzt ein Stück Schwarzwälder Torte und trinkst dazu noch einen Kaffee. Nein, besser einen Espresso, du brauch jetzt was Starkes …
Er schloss für einen kurzen Moment die Augen und ließ die vergangenen Minuten noch einmal Revue passieren.
Teufel aber auch! Dass der Auftrag schwierig werden würde, war klar, aber mit so einem Fiasko habe ich nun wirklich nicht gerechnet.
Er hob die Hand und signalisierte der hübschen Bedienung, dass er noch einen Wunsch hatte. Dann holte er ein zweites Telefon hervor, tippte eine kurze Nachricht und legte das Smartphone gut sichtbar, jedoch mit dem Bildschirm nach unten, vor sich auf den Tisch.
Seine Gedanken kreisten um das missglückte Attentat und um die Konsequenzen, die sein Versagen mit sich führen würden.
Zum einen war da die zerstörte Drohne: Sie würde keine verwertbaren Spuren hinterlassen. Dafür hatte er gesorgt. Die Sprengkraft war so bemessen, dass die Drohne nach der Zündung buchstäblich pulverisiert wurde. Und die Leuchtspurmunition von Kaliber 12,7 ließ sich auch nicht bis zu ihm zurückverfolgen. Die Geschosse aus ehemaligen NATO-Beständen waren clean – sie wurden nirgendwo vermisst, dafür hatte sein Auftraggeber gesorgt.
Er atmete einmal tief durch: Von dieser Seite gab es demnach keine Probleme. Das war die Habenseite!
Auf der Sollseite stand der Staatssekretär. Der aufgeblasene Wichtigtuer hatte den Anschlag überlebt, was seinem Auftraggeber überhaupt nicht schmecken dürfte. Da musste er noch einmal ran, das konnte er so nicht auf sich sitzen lassen.
Herrje, was für ein gebrauchter Tag …
Sein Blick scannte erneut die Anwesenden. Das Café war gut besucht – er hatte Mühe, den Überblick zu behalten. Ständig ging die gläserne Tür auf und spuckte neue Gäste herein. Es war ein Kommen und Gehen, das Café glich einem Bienenstock.
Das Ding ist eine Goldgrube, dachte der Pilot, während er einem attraktiven Jüngling ins Visier nahm. Der Kerl war schwul, so wie er, das sah er auf den ersten Blick.
Für einen kurzen Moment gab er sich seinen Fantasien hin, malte sich aus, wie viel Spaß sie beide miteinander haben würden. Himmel, alleine der Gedanken daran ließ seine Lenden pochen.
Der Pilot lächelte verschmitzt, als er sah, dass der junge Kerl – er mochte Anfang zwanzig sein – ihn ebenfalls interessiert musterte.
Von seinem Streifzug durch das Viertel wusste er, dass es eine Querstraße weiter ein kleines Hotel gab. Nichts Besonderes, nein, eher gutbürgerlich, bieder, langweilig, aber für ein paar nette Stunden zu zweit gewiss mehr als ausreichend.
Seine innere Stimme meldete sich zu Wort. Sie bestand darauf, seinen ursprünglichen Plan beizubehalten. Sie forderte ihn auf, an seinen Auftrag zu denken und nicht an sein schwanzgesteuertes Vergnügen.
Das Vibrieren seines Smartphones riss ihn aus seinem Zwiespalt. Er blickte auf und schrak zusammen, als die hübsche Bedienung auf der anderen Seite des Tisches stand. Sie musterte ihn aus schmalen Augen – sie wirkte gehetzt, müde, der Stress stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Zahlen, bitte«, sagte der Pilot. Er rang sich ein Lächeln ab, zog seine Geldbörse aus der Hosentasche und fischte einen Zwanziger heraus. Seine Entscheidung war gefallen; es wurde Zeit, von hier zu verschwinden …
*
Das Erste, was ich wieder bewusst wahrnahm, war das Heulen der Sirenen. Ich lag bäuchlings auf dem Boden, war reichlich benommen und versuchte, meine Erinnerungen zu sortieren.
Das Sirenengeheul rückte näher, ich hörte Stimmen – sie klangen heiser, aufgeregt, sprudelten wild durcheinander.
Für zwei, drei Atemzüge verharrte ich in meiner liegenden Position, dann begann ich ganz vorsichtig, erst die Arme, dann den Kopf und schließlich die Beine zu bewegen.
Okay! Alles schien an seinem angestammten Platz zu sein. Das war gut! Ich hob den Kopf, öffnete die Augen und musste mich übergeben.
»Ja … gut so, Kumpel. Spuck alles aus, was keine Miete zahlt«, schnarrte eine Stimme über mir. Hände tasteten mich ab, es geschah schnell und professionell.
»Bist du okay? Is jedenfalls noch alles dran an dir, wie’s aussieht.«
Witzbold! Ich hob den Kopf noch etwas weiter an. Ich blickte – ich gebe zu, mein Blick war noch verschwommen – in das aufmunternde Gesicht eines Mannes. Der Kerl grinste.
»Er ist okay«, donnerte Grinsebackes Stimme nun über mir. Er reckte seinen Daumen in die Höhe, während ich mich, nach Luft ringend, auf den Rücken wälzte. Gott war mir übel!
»Kannst du aufstehen oder willst du auf die Sanis warten?«
»Aufstehen.«
»Dann komm!« Er streckte mir seine Linke entgegen, da er in der rechten Hand eine Pistole hielt. Eine mattschwarze Glock 17 mit verlängertem Magazin, wie ich unschwer erkennen konnte. Sie war eine Spezialanfertigung, so wie meine eigene Waffe.
Apropos Waffe. Ich schaute mich um. Wo zum Teufel war meine Pistole? Ich hatte sie doch in den Händen gehalten, als das Inferno über mich hereingebrochen war.
»Falls du deine Knarre suchst, Kumpel, die liegt da vorne«, sagte der Grinser, während er mir mit einem »Und los geht’s!«, auf die Füße half.
Ich stand. Noch ein wenig wacklig, aber ich stand. Während ich mich mit den Händen auf den Oberschenkeln abstützte, ließ ich meinen Blick über den Friedhof wandern.
Ich sah Briegel oder besser seinen Schemen. Er schlüpfte gerade durch das schmiedeeiserne Tor auf die Straße hinaus, umringt von vier Leibwächtern, die ihn nach allen Seiten abschirmten. Mein Blick glitt weiter, flog über die einst so gepflegte Rasenfläche, die jetzt einem umgepflügten Acker glich. In der Mitte des Rasens ragten zwei Baumstümpfe in den Himmel, die dazugehörigen Bäume, ich glaube, es waren Erlen, hatten gut ein Dutzend Gräber unter sich begraben. Überall lagen Trümmerteile herum. Ich sah die Überreste einer Bank, sie waren schwarz, sahen verbrannt aus. Mein Blick wanderte weiter zu einer Hecke. Sie wirkte ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen – ich sah vereinzelte Flammennester, die munter vor sich hin züngelten.
Großer Gott! Die Sprengkraft der Bombe muss wirklich enorm gewesen sein.
»Klasse Schuss, hast einen gut bei mir«, schnarrte Briegels fünfter Leibwächter nun neben mir.
Ich nickte kurz, sagte jedoch nichts. Mein Blick fing den sechsten Personenschützer ein. Er kniete neben einer jungen Frau, die mit verrenkten Gliedmaßen auf dem Boden lag. Das sah nicht gut aus. Verdammt!
»Was für eine Scheiße, was? Hier sieht’s aus, als wäre eine Horde Taliban über uns hergefallen. Ehrlich, Mann, als ich so was das letzte Mal gesehen habe, war das in einem Wüstendorf bei Kundus.«
Ich nickte erneut, sagte jedoch noch immer nichts. Mein letztes Mal war gerade zweieinhalb Monate her. Und es war nicht in Afghanistan, sondern in einer schmalen Seitengasse, mitten in Frankfurt-Sachsenhausen.
Mein Blick wanderte zu Julias Grab, das gut hundert Meter von uns entfernt lag. Gott, wie gerne wüsste ich sie jetzt an meiner Seite …
»Ich bin Peter. Peter Schuller.«
Eine Hand schob sich in mein Blickfeld. Ich ergriff sie – Schullers Händedruck war fest, ich spürte die Schwielen von unzähligen Trainingsstunden mit Hanteln auf der Innenseite seiner Handfläche.
»Mark Feller«, sagte ich. Meine Stimme klang rau, sie war mir selbst fremd. »Was ist mit Briegel?«
»Ist mit ’nem Kratzer am Arm davongekommen. Wir hatten wirklich mehr Glück als Verstand«, knurrte Schuller. Sein Blick heftete sich an meinen, er hatte grüne Augen.
»Meine Güte, Mark, wer rechnet denn schon mit ’ner Kampfdrohne, wenn er auf den Friedhof geht? Das ist doch total irre. Ehrlich jetzt.«
»Wer hat gewusst, dass Briegel hierher kommt?«
»Keine Ahnung, kann ich dir nicht sagen. Es hieß nur, dass wir einen gewissen Mark Feller aufsuchen und danach weiter zu einer Besprechung ins Polizeipräsidium Frankfurt, Direktion Mitte, fahren. Mehr weiß ich nicht.«
Ich nickte erneut, das Sprechen fiel mir schwer. Wasser … ich brauchte unbedingt einen Schluck Wasser.
Schuller wollte zu sprechen ansetzen, schloss aber sofort wieder den Mund. Er wirkte mit einem Mal abgelenkt, sein Blick schien ins Nichts zu gehen.
»Alles klar …«, sagte er unvermittelt, »… Franco und ich bleiben hier und warten auf die Jungs vom BKA.«
Schullers Blick wanderte zu seinem Kollegen, der nach wie vor neben der Frau ausharrte. Dann nickte er – jetzt sah ich das Headset in seinem linken Ohr. »Wir kommen dann nach, sobald hier alles geklärt ist«, sagte er.
»Ja, ich sag’s ihm.« Sein Blick wanderte wieder zu mir. »Okay, mach ich. Geht in Ordnung. Ja, schick mir die Adresse einfach aufs Smartphone. Alles klar, wir sehen uns dann später. Bis dann …«
Ich richtete mich vorsichtig auf. Meine rechte Kniescheibe schmerzte, mein Nacken und der rechte Ellbogen taten ebenfalls höllisch weh.
»Du sollst in die Gutleutstraße 112 kommen. Briegel wartet dort auf dich. Dein neues Team wohl auch.«
»Aha …«
»Hast du ein Auto? Wenn nicht, sollst du unseres nehmen.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte einen Wagen. Julias indigoblauen Mini Cooper S. Wir hatten ihn nach dem Kauf auf mich zugelassen, wegen der Prozente, und ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen, Julias Traumauto wieder zu verkaufen.
Sagen Sie jetzt nichts, ich weiß selbst, dass das sentimentaler Quatsch war.
»Nein danke!«, sagte ich und fügte dann noch hinzu: »Mein Wagen steht direkt um die Ecke.«
»Na gut. Deine Pistole muss allerdings hierbleiben, lässt Briegel dir ausrichten. Du weißt schon, wegen der ballistischen Untersuchung und so … Ich soll dich zum Auto begleiten und dir meine Ersatzwaffe aushändigen. Briegel meint, sicher ist sicher.«
Ein neuerliches Grinsen huschte über Schullers Gesicht – es wirkte sympathisch, irgendwie spitzbübisch. »Die Drohne scheint ihn echt beeindruckt zu haben. Der ist total paranoid, sagt mein Kollege. Er starrt wohl nur noch in den Himmel und wittert hinter jeder Ecke eine Gefahr.«
»Wenn man dem Tod ins Auge blickt, verändert sich die Sichtweise«, sagte ich. »Das geht an uns doch auch nicht spurlos vorbei, obwohl wir für das Kämpfen jahrelang trainiert wurden.«
»Das stimmt! Die Erfahrung hat wohl jeder von uns schon gemacht«, sagte der Leibwächter. »Weißt du, nach meinem ersten Kampfeinsatz, Scheiße … ich hätte am liebsten alles hingeschmissen. Ich wollte nur noch weg, wollte mich am liebsten in ein Erdloch verkriechen. Das war echt übel.«
Ich nickte. Auch mir war es nicht viel anders ergangen.
Schnee von gestern …
Mit diesen Erinnerungen wollte ich mich erst gar nicht belasten. Ich musste nach vorne schauen und endlich in die Puschen kommen.
Alles, was jetzt zählte, war Julias Mörder zu finden.
Ich war zurück im Spiel und es wurde Zeit, dass ich mich endlich an die Arbeit machte.