Читать книгу Mark Feller - Michael Bardon - Страница 7
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ОглавлениеIch stand vor dem Waschbecken und starrte auf mein Spiegelbild, das nur noch entfernt Ähnlichkeit mit dem zeigte, wie ich mal ausgesehen hatte.
Was soll’s?, dachte ich, während ich mein verschrammtes Gesicht betrachtete und säuerlich grinste. Mein schwarzes Haar wirkte jetzt gräulich, es war dreckig und zerzaust. Ich sah aus, als wäre ich erst vor wenigen Sekunden aus dem Bett gestiegen.
Ich drehte den Hahn auf, spritzte mir kühles Wasser ins Gesicht, wusch mir Hals, Nacken, Unterarme und Hände.
Meine Finger … sie zitterten. Mein gesamter Körper fühlte sich kraftlos und zerschlagen an.
Ich kannte das, ich hatte diesen Zustand totaler Erschöpfung schon mehr als einmal durchlebt. Sobald der Adrenalinrausch nachließ und man zu Ruhe kam, schmerzt plötzlich jeder Knochen, jeder Muskel, jede verdammte Sehne. Mein Körper schien im Zeitraffer zu altern. Mit einem Schlag war ich nicht mehr achtunddreißig, sondern fühlte mich wie ein Sechzigjähriger, der nach einer durchzechten Nacht am Ende seiner Kräfte war.
Ich drehte den Wasserhahn zu, trocknete die Hände ab und fuhr mir mit den Fingern durchs Haar. Dann warf ich noch einen letzten Blick in den Spiegel, zupfte mein Shirt zurecht und knipste ein Lächeln an. Es gelang mir nur mäßig.
»Showdown …«, murmelte ich, zog die Tür auf und betrat den Korridor, der sich im Erdgeschoss des Polizeipräsidiums Direktion Mitte befand.
Der junge Polizist, der mich zur Toilette begleitet hatte, lehnte lässig an der Wand. Er musterte mich unverhohlen; in seinem Blick las ich Neugierde und jugendlichen Übermut.
»Und, geht’s Ihnen jetzt besser?«, schnarrte er und setzte ein schiefes Grinsen auf. Sein Blick flog unstet umher, seine Lässigkeit war nur gespielt, ich konnte seine Unsicherheit förmlich riechen.
»Viel besser, danke.« Ich fing seinen Blick ein. »Zeigen Sie mir jetzt bitte, wo das Meeting stattfindet.«
»Klar, kein Problem. Is oben im Zweiten. Im kleinen Besprechungszimmer.«
»Dann los. Sie gehen vor.«
»Häh …?«
Ich kramte in meinen Erinnerungen und versuchte mich an den Namen des jungen Polizisten zu erinnern. No Chance!
»Okay, Sie könnten mir jetzt zeigen, wo sich das Besprechungszimmer befindet, damit ich nicht das gesamte zweite Stockwerk nach Dr. Briegel absuchen muss«, sagte ich und nickte dem Frischling aufmunternd zu. Ich versuchte, mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. Meine Gedanken kreisten um das bevorstehende Treffen. Ich konnte es kaum noch erwarten, die Suche nach Julias Mörder endlich wiederaufzunehmen.
»Ach so, ja klar. Kommen Sie, ich bring Sie hin. Dafür bin ich ja schließlich da.«
Er stieß sich mit dem Rücken an der Wand ab und flitzte vor mir durch den langen Korridor – ich hatte Mühe, seiner forschen Gangart zu folgen.
Als wir drei Minuten später, er hatte natürlich die Treppen und nicht den Fahrstuhl genommen, vor einer geschlossenen Tür Halt machten, standen mir Schweißperlen auf der Stirn. Ich schaute meinen Begleiter an, er nickte stumm und deutete mit dem Zeigefinger auf die Tür.
Nicht die hellste Leuchte im Saal, aber Kondition hat er, dachte ich, während ich dem jungen Polizisten dankbar zunickte.
Jetzt wird’s ernst, schoss es mir durch den Kopf. Wenn du durch diese Tür trittst, gibt es kein Zurück mehr …
Ich dachte an Julia und an ihr kühles Grab, und ich dachte an den Wahlspruch, der ihren Grabstein zierte. ›Ich wünsche dir, dass du dein Ziel nicht aus den Augen verlierst‹.
Das würde ich nicht! Mein Ziel war klar umrissen, ich wollte Julias Mörder und deren Hintermänner zur Strecke bringen.
Ich starrte die Tür an und lauschte auf das Stimmengemurmel, das aus dem Raum drang. Ich hörte ein Hüsteln, dann wieder eine Stimme, sie gehörte eindeutig zu einem Mann. Ich war mir nicht ganz sicher, glaubte aber, sie Briegel zuordnen zu können. Für zwei, drei Wimpernschläge schwebte meine Hand noch zögernd über dem Griff, dann gab ich mir einen Ruck, drückte die Klinke herunter und stieß die Tür zum Konferenzzimmer auf.
*
Jakos Blick schweifte durch die weitläufige Lagerhalle. Mit bürgerlichen Namen hieß er Jakob Winter, doch bis auf seine Eltern, dem Familienrichter und den Postboten, der ihm hin und wieder ein Einschreiben überbrachte – verdammte Ex-Weiber!, verdammte Unterhaltforderungen! – hatte ihn schon seit vielen Jahren niemand mehr mit seinem richtigen Namen angesprochen.
Warum auch? Jako, war viel kürzer. Jako war viel cooler. Jako passte einfach besser zu einem Kerl wie ihm.
Sein Blick schweifte weiter, glitt die Reihen an Verschlägen entlang, die seine Leute in der ehemaligen Produktionshalle einer insolventen Möbelfabrik errichtet hatten.
Gerade noch rechtzeitig, wie sich herausgestellt hatte. Die erste Lieferung würde zwei Tage früher als geplant bei ihnen eintreffen.
Is in Ordnung, dachte Jako. Je eher die Sache anläuft, desto früher wächst die Kohle rüber. War teuer genug, die ganze Scheiße hier.
Aus dem kleinen Handfunkgerät an seinem Hosengürtel krächzte die Stimme seines Stellvertreters. Sie klang aufgeregt, Tonis Nerven schienen vor Nervosität zu vibrieren. »Der Lkw hat gerade das Südtor passiert«, verkündete er, »in fünf Minuten sind sie da.«
Noch fünf Minuten. Jako schaute unbewusst auf seine Uhr, eine klotzige Rolex, mit der man überall, wirklich überall Eindruck schinden konnte.
Noch fünf Minuten, dachte er erneut, dann fängt meine Investition an, Früchte zu tragen.
»All right«, schnarrte eine zweite Stimme, Annas Stimme, aus dem Funkgerät. »Sie sollen zweimal hupen, wenn sie vor der Halle stehen, dann schieben wir das Tor auf.«
»Okay, ich geb’s weiter. Ist bei euch alles klar?«
»Klar ist alles klar. Könnte nicht besser sein«, drang Annas Stimme aus dem Funkgerät an Jakos Hüfte.
Ihre Stimme entlockte Jako ein Schmunzeln, als er sich vorstellte, wie sie bei ihren letzten Worten genervt die Augen rollte.
Anna hasste unnötige Fragen fast ebenso, wie sie Wichtigtuer hasste. Toni hatte wirklich keinen leichten Stand bei ihr.
Nicht mein Problem, dachte Jako, während er sich eine Pall Mall zwischen die Lippen schob und den ersten Zug, der war immer der beste, genussvoll inhalierte.
Toni war eben Toni. Den änderte niemand mehr.
Bis vor einem viertel Jahr hatten er und Toni noch mit gestohlenen Autos gehandelt. Edelkarossen und Sportwagen, was anderes war für sie nie infrage gekommen. Doch der Markt lief schleppend – Zoll, Polizei, und die verdammten Versicherungsdetektive hatten kräftig aufgerüstet, machten ihnen das Leben schwer und versauten ihnen so ein lukratives Geschäft nach dem anderen.
Jako hatte seine Fühler ausgestreckt, seine Kontakte genutzt und eine neue vielversprechende Einnahmequelle an Land gezogen.
Zugegeben, die Sparte war ihm noch ein wenig fremd, Toni auch, aber seine neuen Geschäftspartner hatten ihnen Anna beratend zur Seite gestellt.
»Nur für den Anfang«, hatten sie gesagt. Nur so lange, bis er und Toni alles unter Kontrolle hatten.
Jakos Blick suchte Anna. Er schürzte die Lippen. Eine tolle Frau. Gegen die sah jeder Sportwagen fad und altbacken aus.
Erneut ging sein Blick zur Uhr. Nur noch zwei Minuten, dann würden die ersten Immigrantinnen, alle jung, bei ihnen eintreffen. Zwischenlager nannten seine neuen Partner das. Von hier aus wurden die Frauen dann an Bordelle und andere Etablissements verkauft. Heilige Scheiße, er mochte sich gar nicht vorstellen, was für Gewinne die mit den Kameltreiber-Fotzen einfuhren.
Das Dröhnen einer Lkw-Fanfare riss ihn aus seinem Gedankenspiel. Jakos Blick flog zum Rolltor, während er genüsslich an seiner Zigarette zog.
Die ersten achtzig waren also da. Morgen würden noch einmal so viele kommen und übermorgen, übermorgen würden dann noch einmal fast zweihundert Frauen, hier eintreffen. Teufel, er konnte das Geld schon riechen, jeder dieser Schlampen brachte ihm einen Tausender ein.
»So habt ihr euch eure Zukunft bestimmt nicht vorgestellt, ihr morgenländischen Närrinnen.« Jako beobachtete gespannt, wie Anna mit zwei seiner Männer das große Rolltor aufschob. Sekunden später rollte der Lastwagen in die Halle. Jakos Herzschlag beschleunigte sich, während er mit ansah, wie die Ladeklappe des Lkw geöffnet wurde und die ersten Frauen – Hammer, sahen die klasse aus! – ängstlich um sich schauend von der Ladefläche kletterten.
»Willkommen im Paradies«, knurrte Jako und lachte leise. Dann schnippte er die halbgerauchte Kippe achtlos zu Boden, holte sein Smartphone hervor und tippte eine Nachricht ein …
*
»Da sind Sie ja …«
Briegels Stuhlbeine schabten über das abgewetzte Holzparkett, als er seinen Stuhl nach hinten schob und sich feierlich erhob. Er eilte auf mich zu, schüttelte mir die Hand, ließ mich dabei wissen, welch ausgebuffter Teufelskerl ich seiner Meinung nach sei.
Ich ließ die Lobhudelei über mich ergehen, ertrug das viel zu lange Händeschütteln und musterte verstohlen die anwesenden Personen.
Zog man den Staatssekretär und mich einmal ab, befanden sich noch sieben weitere Personen im Raum. Zwei davon gehörten zu Briegels Leibgarde, was bedeutete, dass noch fünf übrig blieben, die für mich von Interesse waren.
»So, ich darf Ihnen nun Ihren neuen Teamleiter vorstellen«, sagte Briegel, seine Haltung straffte sich merklich. »Dies ist Oberleutnant Mark Feller.« Seine Rechte klopfte auf meiner Schulter herum, als wären wir beste Kumpels. Auch das ertrug ich stillschweigend.
»Nach seiner aktiven Zeit bei der Bundeswehr, er diente bei den KSK-Truppen, wechselte Oberleutnant Feller zum Bundesnachrichtendienst, wo er seit gut zwei Jahren als Ermittler, Schwerpunkt Terrorismus und länderübergreifende Kriminalität, seinem Land treue Dienste erweist.«
Seinem Land treue Dienste erweist …
Ich konnte es kaum glauben, der Staatssekretär zog hier wirklich die Patriotennummer durch. Unglaublich!
Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch. Natürlich bin ich Patriot. Und natürlich liebe ich mein Land. Sehr sogar! Dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen rieb ich mich an Briegels Worten. Oder anders ausgedrückt: Briegel ging mir in diesem Moment gehörig gegen den Strich.
»Oberleutnant Feller hat darüber hinaus …«
»Danke Doktor Briegel.« Ich unterbrach den Staatssekretär und trat einen Schritt vor. »Ich denke, das reicht. Ich bin mir sicher …«, mein Blick glitt über die anwesenden Personen, »… dass jeder hier im Raum eine grobe Ahnung von meinem Werdegang hat.«
Einhelliges Nicken, hier und da ein verstecktes Schmunzeln.
»Nun, na gut, ääh … wenn Sie meinen. Ich wollte ja nur …« Der Staatssekretär sprach seinen Satz nicht zu Ende, stattdessen glotzte er mich irritiert an.
Ich ignorierte seinen Blick. Mein Interesse galt meinem neuen Team, das in einem Halbkreis vor mir am ovalen Tisch saß. Fünf Augenpaare starrten mir entgegen; ich konnte Neugierde lesen. Zwei Frauen, beide so um die dreißig, und drei Männer, deren Alter ich von Mitte zwanzig bis Ende vierzig, schätzte.
Interessante Mischung, dachte ich, während ich einen nach dem anderen musterte. Ich war gespannt, aus welchen Spezialisten sich die ›Soko Menschhandel‹ zusammensetzte.
Nüchtern betrachtet hängt der Erfolg einer Sonderkommission nämlich vom richtigen Mischungsverhältnis ab. Hat man zu viele Theoretiker im Team, also Analysten, Profiler und Cybercops, steht sich das Team irgendwann selbst im Weg. Die Ermittler kommen mit der Arbeit nicht mehr nach, was bedeutet, dass wichtige Spuren oder verdächtige Personen nicht zeitnah abgearbeitet werden können. Hat man hingegen zu viele Ermittler im Team, na ja, Sie ahnen sicher, auf was ich hinauswill. Logisch oder?
Das richtige Mischungsverhältnis macht also den Unterschied, entscheidet darüber, ob eine Soko erfolgreich arbeitet oder zum Scheitern verurteilt ist.
Scheitern war eine Option, die für mich nicht infrage kam. Ich würde Julias Mörder finden und mit den Hintermännern abrechnen. Außerdem stand da noch immer die Frage im Raum, ob es in Europa wirklich einen florierenden Handel mit Asylanten gab.
Julias Informant zufolge: Ja. Er hatte so etwas angedeutet, als er in der Zeitungsredaktion anrief und um ein konspiratives Treffen bat. Stunden später waren er und Julia tot – für mich ein klares Indiz dafür, dass an seiner Geschichte etwas dran sein musste.
»Auch einen Kaffee?«
Ich schreckte aus meinen Überlegungen hoch, brauchte jedoch zwei, drei Sekunden um in die Realität zurückzufinden. Mein Blick irrte umher und blieb schließlich bei einer Frau hängen, die rechts außen am Tisch saß. Sie sah mich an, ihre Augen, sanfte braunen Augen schienen mich zu fragen – und sie erinnerten mich an Julias.
»Möchten Sie auch einen Kaffee, Herr Feller?«, fragte sie erneut. Ihre Stimme, auch sie war sanft, obwohl sie nun mit ein wenig mehr Nachdruck sprach.
Auch das erinnerte mich an Julia; mir wurde wieder einmal schmerzlich bewusst, wie sehr ich sie vermisste. Hörte das denn niemals auf?
Ich räusperte mich, es geschah aus Verlegenheit. Ich hatte das dumme Gefühl, dass man mir meine Verunsicherung an der Nasenspitze ansah.
»Gerne«, sagte ich daher schnell und rang mir ein Lächeln ab. »Ein Kaffee wäre jetzt genau das Richtige.« Meine Stimme klang noch immer heiser und seltsam fremd. Ich spürte ein Kratzen im Hals. Es fühlte sich an, als hätte ich eine Kehlkopfentzündung. »Und wenn Sie noch einen Schluck Wasser für mich hätten«, krächzte ich weiter, »wäre das ganz toll. Ich habe vorhin wohl ein bisschen viel Staub geschluckt. Das Sprechen fällt mir noch immer schwer.«
»Natürlich. Ein Wasser.« Sie lächelte. In ihrem fein gezeichneten Gesicht, das von einer blonden Kurzhaarfrisur eingerahmt wurde, tanzten keine Sommersprossen. Sie streckte mir ihre Rechte entgegen: »Pia Kirchhofer. Ich bin die Analystin.«
Während wir uns noch herzlich die Hände schüttelten, erhoben sich nun auch die anderen am Tisch. Ich schüttelte weitere Hände und gewann einen ersten Eindruck von meinen neuen Kollegen. Meine Bilanz fiel durch die Bank positiv aus. Ich war überrascht, Briegel hatte allem Anschein nach ein erstklassiges Team zusammengestellt.
Nur das Mischungsverhältnis stimmte noch nicht so ganz. Doch das würde ich mit dem Staatssekretär in einem Vieraugengespräch klären.