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Mit einem leichten Fingerwisch über den Bildschirm versuchte der Pilot, das Set-up der Digitalkamera zu korrigieren. Äußerlich wirkte er ruhig und gelassen, eben wie ein Mann mittleren Alters, der mit seinem Smartphone aus purer Langeweile ein wenig herumspielte.

Doch innerlich sah es ganz anders aus – die Anspannung drohte ihn aufzufressen. Er zwang sich zu einem Lächeln, während er weiterhin das verpixelte Bild auf seinem Smartphone anstarrte.

Verdammt, so wurde das nichts. Irgendetwas stimmte mit der blöden Kamera nicht. Dabei hatte er sie erst heute Morgen gründlich gecheckt, als er die Drohne für den Einsatz vorbereitet hatte.

Ein weiteres Mal wischte sein rechter Mittelfinger über den fünf Zoll großen Bildschirm. Nicht dass er noch mit einer Veränderung rechnete, aber die Hoffnung starb ja bekanntermaßen zuletzt.

Moment! Jetzt tat sich was. Der Bildschirm flackerte, wurde schwarz, bevor er erneut zu flackern anfing.

Die hochauflösende Digicam an der Unterseite der Drohne schaltete endlich in den Auto-Modus und das Bild auf seinem Smartphone wurde binnen eines Wimpernschlags kristallklar.

Ein wenig verwundert, aber dennoch erleichtert, nahm der Pilot noch ein paar kleinere Veränderungen vor, bis er mit dem Ergebnis ganz offenkundig zufrieden war.

Normalerweise bevorzugte er einen dieser Tablets, wenn er eine Drohne steuerte. Das war einfach komfortabler; man konnte die eingeblendeten Daten auf dem Tablet auch wesentlich besser ablesen.

Dennoch hatte er sich heute für eine andere Möglichkeit entschieden. Er saß in einem belebten Café, da war das Smartphone die unauffälligere Alternative, keine Frage!

Das Lächeln umspielte noch immer seine Mundwinkel, als er von dem kleinen Bildschirm aufblickte und versuchte, die gut aussehende Bedienung – sie hätte seine Tochter sein können – auf sich aufmerksam zu machen.

Er brauchte noch einen Kaffee, und zwar dringend. Der Koffeinschub würde seine Nerven beruhigen und ihm dabei helfen, seine Gedanken auf die bevorstehende Aufgabe zu fokussieren.

Sein Blick checkte den der Bedienung, während er gleichzeitig die anwesenden Personen der Reihe nach scannte: eine reine Vorsichtsmaßnahme, die ihm jedoch seit vielen Jahren in Fleisch und Blut übergegangen war.

Wer nicht auf der Hut war, nicht überall und zu jedem Zeitpunkt mit dem Unmöglichen rechnete, der wurde in seinem Job nicht sehr alt.

Fressen und gefressen werden. Eben war man noch der Jäger und eine Sekunde später fand man sich in der Rolle des Gejagten wieder. Er hatte das selbst schon erlebt – vor vielen Jahren, als er noch ein blutiger Anfänger war.

Sein Blick schweifte weiter. Das trendige Café war gut besucht. Überall saßen Menschen, die sich miteinander unterhielten oder – so wie er – auf ihr Smartphone starrten.

Für einen kurzen Augenblick verharrte sein Zeigefinger über dem Bildschirm, dann tippte er auf einen blauen Knopf, um die Steuerung der Drohne in das Kamerabild zu integrieren. Alles bestens, jetzt konnte es losgehen.

Aus dem Augenwinkel nahm er die junge Bedienung wahr, die sich irgendwie anmutig zwischen den Tischreihen auf ihn zubewegte. Er signalisierte ihr, dass er noch einen Kaffee wünsche, sie nickte nur kurz und steuerte gleich darauf einen anderen Tisch an.

Stressiger Job, dachte er, während sich seine Finger um das Aluminiumgehäuse seines Telefons schmiegten und er beide Daumen auf die Steuereinheit legte. Vorsichtig bewegte er die kleinen Joysticks, die auf seinem Bildschirm als silberne Symbole dargestellt wurden. Erst den linken, dann den rechten. Alles klar!

Langsam hob die Drohne vom Boden ab. Das Bild auf seinem Smartphone veränderte sich, blieb jedoch auch weiterhin gestochen scharf.

Gut so! So konnte es weitergehen.

Sein linker Daumen tarierte die Flugbalance aus, während sein rechter Daumen für den Vortrieb der wendigen Drohne sorgte. Er studierte die eingeblendeten Daten – sie wurden klein, zu klein dargestellt.

Geistige Notiz, dachte er. Das musst du vor der nächsten Mission unbedingt ändern.

Meter um Meter stieg das todbringende Fluggerät in den Himmel. Als es die Fünfzigmetermarke passiert hatte, wagte der Pilot die ersten kleineren Flugmanöver.

Alles in Ordnung! Die Drohne reagierte auf alle Befehle, die er von seinem Platz im Café zu ihr nach oben sandte.

Am oberen Bildschirmrand seines Smartphones wurde ihm das Eintreffen einer Nachricht signalisiert. Der Text war kurz gehalten und bestand eigentlich nur aus wenigen Buchstaben, die ihm jedoch ein freudiges Grunzen entlockten. ›Freigabe‹

Und ab geht die Post!

Er korrigierte den Kurs und steuerte die Drohne ihrem Ziel entgegen.


*


Ich stand da und lauschte dem Nachhall von Briegels Worten. ›Meine Gratulation, Feller. Seit heute sind Sie der neue Leiter dieser fünfköpfigen Sonderkommission‹.

Meine Gedanken überschlugen sich, während mein Verstand versuchte, die Worte des Staatssekretärs zu verarbeiten.

»Ich sehe, Sie sind ein klein wenig überrascht«, sagte Briegel, dessen Mundwinkel sich amüsiert bewegten. »Ich habe das mit Ihren Vorgesetzten bereits alles besprochen, jedoch darum gebeten, Ihnen im Vorfeld nichts davon zu erzählen. Wissen Sie, ich wollte Ihnen die Nachricht selbst überbringen und mir ein eigenes Bild von Ihrem Zustand machen.«

»Von meinem Zustand?«

»Ja, von Ihrem geistigen und körperlichen Zustand«, nickte Briegel. »Sie wirken fit und ausgeruht. Das ist gut. Sie hätten aber genauso gut auch ein Wrack sein können, das vor lauter Selbstmitleid für diesen Posten ungeeignet gewesen wäre.«

»Sie hätten sich den Weg sparen können, wenn Sie die psychologische Beurteilung, von Doktor Pleinfeld gelesen hätten.«

»Das habe ich, Feller, das habe ich. Es ist nur so, dass ich mir lieber mein eigenes Bild von den Dingen mache. In diesem Punkt ticken wir beide wohl ganz ähnlich, denke ich.«

Ich nickte, sagte jedoch nichts.

Meine Gedanken – sie waren noch immer unsortiert.

Eine weitere Windbö fegte über mich hinweg. Die Ulme, unter der ich stand, wiegte sich gemächlich im Wind; ich hörte das Rauschen der Blätter, blickte auf, und sah, dass der Baum sein verfärbtes Laub auf Julias Grab fallen ließ.

Alles ist endlich auf dieser Welt, nichts ist für die Ewigkeit geschaffen, dachte ich, während ich unbewusst meine Schultern straffte.

Briegels Angebot war ein Geschenk des Himmels. Um Julias Mörder zu fassen, brauchte ich wieder freien Zugang zu den Datenbanken des Bundesnachrichtendienstes. Und ein wenig Unterstützung seitens der Kollegen konnte schließlich auch nichts schaden, sagte ich mir.

»Was sagen Sie, haben wir einen Deal?«

Briegels Frage riss mich aus meinen Überlegungen.

»Deal«, sagte ich, den Blick noch immer unverwandt auf Julias herbstbelaubtes Grab gerichtet.

»Gut! Ich hatte gehofft, dass Sie zustimmen, sicher war ich mir allerdings nicht«, sagte der Staatssekretär in meinem Rücken. Er hüstelte kurz, bevor er weitersprach. »Also das mit der Anhörung … und Ihrer anschließenden Freistellung …«

»Was ist damit?«

Briegel hüstelte erneut; er wirkte ein klein wenig verlegen. »Ich muss wohl nicht erst betonen, dass das damals nicht auf meinem Mist gewachsen ist. Ehrlich, Feller, ich war von Anfang an dagegen, aber na ja, Sie wissen ja selbst, wie so was läuft.«

»Geschenkt«, sagte ich und drehte mich zu ihm um. Für einen winzigen Moment glaubte ich, eine flüchtige Bewegung auf Höhe der Baumkronen auszumachen. Doch als ich genauer hinsah, blickte ich nur in den wolkenverhangenen Himmel und zu ein paar Blättern, die der Wind mit sich forttrug.

»Dann wäre das also auch geklärt«, nickte Briegel, nun wieder ganz taffer Staatsmann. Er wirkte erleichtert, geradezu beschwingt. Seine Stimme klang für mich fast eine Spur zu fröhlich, als er mir eröffnete, dass wir noch über ein paar Kleinigkeiten bezüglich des Teams sprechen müssten.

Ich wollte gerade nachfragen, was er meinte, als ich erneut einen Schatten aus dem Augenwinkel sah.

Mein Atem stockte, meine Kopfhaut kribbelte, mein Unterbewusstsein signalisierte ›Gefahr­‹.

Ich hob die Hand und bedeutete Briegel, der gerade etwas zu mir sagen wollte, er solle den Mund halten. Dann deutete ich in den Himmel und gab ihm zu verstehen, dass ich da oben irgendetwas gesehen hatte.

Ein Knirschen war zu hören. Ich wusste, woher es stammte. Briegels Schuhsohlen scharrten über den kiesbedeckten Boden, während seine Augen wie meine den Himmel absuchten. Ich sah ihn kurz an. Sein linkes Lid zuckte – er wirkte angespannt, nervös und beunruhigt.

»Gehen Sie rüber zu Ihren Leuten. Die sollen Sie umgehend von hier fortbringen«, sagte ich, den Blick nun wieder auf die Baumwipfel gerichtet.

Der Staatssekretär reagierte nicht. Sein Gesicht verlor fast augenblicklich an Farbe; er war ein Schreibtischtäter und schien mit der Situation völlig überfordert zu sein.

Ich stieß einen lang gezogenen Pfiff aus, spreizte meinen Zeige- und Mittelfinger zu einem V und deutete damit in den Himmel. Die Personenschützer reagierten sofort. Zwei von ihnen stürmten auf Briegel zu, während die anderen vier ihre Waffen zogen und den Rückzug deckten.

Eine Sorge weniger, dachte ich, und starrte erneut zu der Stelle, an der ich vor wenigen Sekunden den Schemen gesehen hatte. Ich kniff die Lider zusammen und wechselte vorsichtig die Stellung. Irgendwie, ich wusste selbst nicht warum, fühlte ich mich in die schmale Gasse nach Sachsenhausen zurückversetzt.

»Da …«

Briegels Ausruf ließ mich kurz zusammenfahren. Mein Blick folgte seinem ausgestreckten Arm, der anklagend in die Luft zielte. Meine Vorahnung wurde zur bitteren Gewissheit – am Himmel über uns schwebte eine Drohne.

Briegels Leibwächter waren bereits bis auf wenige Meter heran. Sie reagierten sofort und nahmen die Drohne, noch während sie liefen, unter Beschuss.

Ich riss meine Glock nun ebenfalls aus dem Holster und sah die Drohne ein riskantes Ausweichmanöver fliegen. Nur einen Wimpernschlag später, verschwand sie zwischen zwei Bäumen.

Wer auch immer dieses Ding steuerte – er war gut. Richtig gut!

»Los … los … schafft ihn endlich weg! Ich kümmere mich um das Ding«, rief ich Briegels Leibwächtern zu, während ich gleichzeitig den Himmel absuchte. Nichts zu sehen, außer den sich im Wind wiegenden Baumwipfeln.

Zeit zum Handeln, dachte ich. Es war immer besser zu agieren als zu reagieren! Ich hetzte los, rannte auf die Stelle zu, an der ich die Drohne aus den Augen verloren hatte. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, dass der Friedhofsgärtner über eine freie Rasenfläche flitzte; er hatte eine geduckte Haltung eingenommen. Es kümmerte mich nicht.

Weitere Schüsse fielen – aus den Waffen der Leibwächter, die Briegels Rückzug deckten.

Jetzt gab es für die Menschen auf dem Friedhof kein Halten mehr. Wer konnte, rannte um sein Leben.

Ich hetzte weiter, übersprang ein Grab und tauchte zwischen zwei Büschen hindurch. Dornenranken zerrten an meiner Lederjacke, ein dürrer Zweig peitschte mir ins Gesicht. Es schmerzte. Ich riss mich los, wich einem Baum aus und hatte endlich wieder freie Sicht.

Jetzt sah ich die Drohne. Sie jagte im Tiefflug auf Briegel und dessen Leibwächter zu. Ich zögerte keine Sekunde, riss die Glock hoch und drückte ab. Die Distanz betrug fast fünfzig Meter, eigentlich zu weit für eine kurzläufige Handfeuerwaffe.

Ich feuerte trotzdem – ich hoffte insgeheim auf einen Kunstschuss. Auch Briegels Männer schossen jetzt aus allen Rohren, während sie den Staatssekretär gleichzeitig Richtung Ausgang drängten.

Die Drohne flog nun eine weite Kurve, um dem Kugelhagel aufs Neue zu entgehen. Sie griff sofort wieder aus westlicher Richtung an und schnitt den Flüchtenden den Weg ab.

Ich dachte an Sachsenhausen, dachte an die schmale Gasse, und ich dachte an die Explosion, die Julia das Leben geraubt hatte.

Gott, war ich wütend! Ich wollte nur noch eines: das verhasste Ding vom Himmel holen.

Meter um Meter rannte ich der Drohne entgegen. Mein Blick klebte an ihr, sie war grau, verschmolz immer wieder mit der tristen Farbe des Himmels.

Weiter … weiter … Zeit zu verschwenden war keine Option. Ich sprang über drei weitere Gräber, trampelte ein paar Zierrosen nieder und riss mit dem Fuß eine Grableuchte um. Mein Atem flog mit meinen Füßen um die Wette, während ich aus vollem Lauf auf die Drohne schoss.

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass sich Briegels Männer aufgeteilt hatten. Während drei von ihnen den Staatssekretär auf einen kleinen Buchenhain zuschoben, nahmen die anderen drei die Drohne nun gezielt unter Beschuss. Ich schob ein neues Magazin in meine Glock und fragte mich, weshalb der Pilot die Drohne noch nicht zur Explosion gebracht hatte, als sie erneut in den Tiefflug überging und das Feuer erwiderte.

Mir stockte der Atem, während ich mit ansah, wie die Leuchtspurmunition – das Ding verfeuerte wirklich großkalibrige Leuchtspurmunition! – auf die drei Leibwächter niederprasselte.

»Deckung … verdammt geht in Deckung!«, rief ich und brachte meine Glock erneut in Anschlag. Ich atmete drei, vier Mal langsam aus und versuchte, meinen fliegenden Puls ein klein wenig zu beruhigen.

Die Drohne flog jetzt unglaublich schnell; sie näherte sich den drei Leibwächtern aus südlicher Richtung. Ich stand östlich, was bedeutete, dass sich unsere Wege gleich kreuzen würden.

Ich ließ sie jetzt nicht mehr aus den Augen, schätzte ihre Entfernung, Höhe und Geschwindigkeit ein. Zwei, vielleicht auch drei Sekunden, mehr Zeit blieb mir nicht. Ein letztes Mal atmete ich tief aus, dann nahm ich eine Haltung wie auf dem Schießstand ein.

»Komm nur … komm nur, ja komm schon …«, stieß ich hervor.

Als die Drohne sich bis auf vierzig Meter genähert hatte, feuerte ich. Ich weiß nicht mehr genau, wie oft ich abgedrückt habe, aber einer meiner Kugeln muss die Drohne voll erwischt haben.

Sie begann zu trudeln, kippte unvermittelt zur Seite, und prallte mit voller Wucht gegen einen Baum.

Eine Nanosekunde später brach die Hölle los. Ein dumpfes Grollen ließ den Boden unter meinen Füßen erbeben. Splitter sausten umher, Erde und Geröll flog durch die Luft. Ich warf mich herum, war jedoch nicht schnell genug. Die Druckwelle traf mich mit mörderischer Wucht, riss mich von den Füßen, wirbelte mich durch die Luft.

Ich war benommen und orientierungslos. Staub hüllte mich ein; er raubte mir die Sicht und den Atem.

Einen Augenblick später schlug ich hart auf dem Boden auf und um mich herum, wurde alles schwarz.

Mark Feller

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