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Film und Bühne

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Der Film wandte sich mit bewegten Bildern und Ton an das Publikum. Worin bestand der Wesensunterschied zum Radio? Das Produkt – der vermarktbare Film – war raumzeitlich auf Zelluloid gebannt und konnte mehr als einmal gezeigt werden. Weil er eine Geschichte erzählte, war er, wie es schien, von höherem Unterhaltungswert als die Propaganda, die dahinter zurückstand. So ausschließlich galt das jedoch nicht, weil ein Film auch dann propagandistische Wirkung zeitigen konnte, wenn er ideologisch ausgerichtete Bilder präsentierte und auf hinterhältige Weise verdeckte politische oder soziale Botschaften als Nebenprodukte der Haupthandlung vermittelte. Kracauer behauptete also 1947 zu Recht, dass »alle Nazifilme mehr oder weniger Propagandafilme waren – sogar die reinen Unterhaltungsfilme, die mit Politik anscheinend nichts zu tun haben«.153

In den ersten Monaten nach der Machtergreifung versuchte Goebbels, den in der Krise steckenden deutschen Film organisatorisch und finanziell in den Griff zu bekommen, von den seiner Auffassung nach vorhandenen ästhetischen und ideologischen Mängeln gar nicht zu reden. Ökonomisch war die Filmindustrie infolge der anhaltenden Wirtschaftskrise und dem zum Ende der Weimarer Republik hin erlittenen Qualitätsverlust im Januar 1933 so gut wie bankrott. Goebbels nahm institutionelle Veränderungen vor, die im Herbst 1933 in der Schaffung einer Reichsfilmkammer innerhalb der RKK gipfelten. Begleitet wurde die Zentralisierung von einer finanziellen Stabilisierung, wozu auch die Erhöhung der Eintrittspreise von bisher 10 auf 60 Pfennig, dann einer Mark gehörte, sodass Kinobesitzer wieder die Gewinnzone erreichten. Immerhin konnte die Filmindustrie von 1932 bis 1936 einen Gewinn von 90 Millionen Mark realisieren; fast 28 Millionen davon erhielten die Verleiher.154 Ferner wuchs die Zahl der Kinobesucher zwischen 1933 und 1939 von 245 auf 624 Millionen und entsprechend die Zahl der Kinos von etwa 5000 auf 7000.155

Weil etwas Revolutionäres so schnell nicht zu haben war, folgte der Film in der Anfangszeit der NS-Diktatur in Form und Inhalt Mustern, die sich bereits in der Weimarer Republik bewährt hatten; harmlose Filme aus dieser Zeit, die nach der Machtergreifung fertiggestellt worden waren, durften gezeigt werden, während die problematischen verboten wurden. Die bewährten Genres jedoch – große Kostümfilme, historische Filme, Operetten, Melodramen und Komödien – wurden weiterhin von der 1917 gegründeten Ufa produziert, die seit 1927 dem Medienkonzern Alfred Hugenbergs angehörte. Sie besaß ein Quasi-Monopol, bis unter der Schirmherrschaft von Goebbels neuere oder kleinere Firmen Fuß gefasst hatten: Tobis, Berlin-Film, Wien-Film, Bavaria und Terra. 1933 produzierte die Ufa den Film Viktor und Viktoria, eine Komödie mit Renate Müller in der weiblichen Titelrolle. Sie wurde Hitlers Lieblingsschauspielerin, starb jedoch schon 1937, angeblich durch Suizid, weil die Gestapo Behauptungen zufolge sie und ihren jüdischen Liebhaber verfolgt hatte. Eine weitere Produktion war Ein Lied für Dich (1933), ein Operettenfilm mit dem (»halb-jüdischen«) Tenor Jan Kiepura in der Hauptrolle. Regie führte Joe May, ein Jude, der danach Deutschland verließ und nach Hollywood ging, wo seine Karriere jedoch im Misserfolg endete. 1934 kam Maskerade in die Kinos, ein reich ausgestatteter österreichischer Kostümfilm unter der Regie von Willi Forst. Die weibliche Hauptrolle spielte Olga Tschechowa, und die Kostüme entwarf Oskar Strnad (ebenfalls Jude).156 Die meisten Schauspielerinnen und Schauspieler, die zwischen 1933 und 1939 in deutschen Filmen auftraten, hatten ihre Karriere in der Weimarer Republik begonnen, und nur wenige von ihnen bekannten sich zum Nationalsozialismus.157 Zu diesen gehörte Jenny Jugo, die Hauptdarstellerin in Ein Lied für Dich; sie war häufig zu Gast bei Familie Goebbels und auch bei Hitler, ebenso wie Olga Tschechowa, eine Nichte Anton Tschechows. Zu denen, die schon vor der Machtergreifung Nationalsozialisten gewesen waren, gehörten der junge Schauspieler Veit Harlan und höchstwahrscheinlich Luise Ullrich, Mathias Wieman und Paul Hartmann.

Nach der Machtergreifung gehören viele zum engeren Bekanntenkreis von Goebbels und Hitler, wie etwa Anny Ondra, die Ehefrau von Max Schmeling. Die beiden wohnten neben den Goebbels auf der Halbinsel Schwanenwerder im Wannsee. Heute liegen die wahren Überzeugungen der Stars, wie sich den detaillierten Eintragungen in des Propagandaministers Tagebüchern entnehmen lässt, offen zutage, während die jeweiligen Memoiren mindestens apologetisch gefärbt sind. Nach dem Zweiten Weltkrieg behaupteten sie, als Künstler das Privileg des Unpolitischen gehabt zu haben oder, wichtiger noch, als Künstler zwangsläufig neutral geblieben zu sein, um besser in die Rolle eines Heiligen oder Schurken, eines Kommunisten oder Nationalsozialisten schlüpfen zu können.158

Das war eine lahme Ausrede angesichts der Tatsache, dass viele Schauspieler sich bereits in der Weimarer Republik politisch exponiert hatten und dies auf die eine oder andere Weise auch im sogenannten Dritten Reich tun würden. Exemplarisch dafür ist Heinrich George, der im ersten wirklich bemerkenswerten Nazifilm, Hitlerjunge Quex (1933), einen kommunistischen Vater spielte, der allmählich seinen Weg zum Nationalsozialismus findet, den sein Sohn Rudi schon seit Längerem beschreitet. In der Weimarer Zeit war George überzeugter Marxist gewesen und hatte auf der schwarzen Liste der Nationalsozialisten gestanden; unter Hitler setzte er seine Karriere als in der Wolle gefärbter Nationalsozialist fort.159

Während die Partei nach der Machtergreifung ihre rituellen Botschaften über die Ätherwellen dröhnen ließ, beeilte sich die Filmindustrie, dem mit Filmen nachzueifern. Schließlich wollte man sich loyal zeigen. Nach zumindest einem misslungenen Versuch war das erste bemerkenswerte Beispiel für eine Reihe von Filmen über die NSDAP SA-Mann Brand, der am 14. Juni im Berliner Ufa-Palast Premiere hatte; Hitler war in der zweiten Vorstellung zugegen. Der Film bediente ein Muster, das bereits aus Romanen über die »Kampfzeit« der Partei bekannt war: Vor der Machtergreifung kämpften Nationalsozialisten, zumeist SA-Männer, heldenhaft in der großen Stadt gegen Rotfront-Angehörige, wobei Juden, häufig in der Uniform sowjetischer, von Moskau ausgesandter Kommissare als schurkische Drahtzieher hinter den Kulissen wirkten. Immerhin konnten einzelne Marxisten, da sie über innere Werte verfügten und nur verführt worden waren, auf die richtige – Hitlers – Seite gezogen werden, häufig im Rahmen einer Liebesgeschichte oder eines Generationenkonflikts. Letzteres war ein Motiv, das die HJ in den Vordergrund rückte. Für den Film SA-Mann Brand griff man auf Schauspieler zurück, die schon in der Weimarer Republik aktiv gewesen waren: Heinz Klingenberg hatte mit der linksgerichteten Hertha Thiele zusammengearbeitet, Otto Wernicke und Wera Liessem hatten im – mittlerweile verbotenen – Film Das Testament des Dr. Mabuse von Fritz Lang mitgewirkt. Wernicke war in der Rolle des sozialdemokratischen Vaters von Brand zu sehen, der sich, wie dessen künftige Geliebte, gespielt von Wera Liessem, den Nationalsozialisten anschließt. Wie in all diesen Filmen spielt ein Hitlerjunge eine tragende Rolle; entweder er oder der SA-Mann wird den Opfertod für die nationalsozialistische Sache sterben.160

Die literarische Vorlage für Hitlerjunge Quex war ein erfolgreicher Roman von Karl Aloys Schenzinger, der gerade rechtzeitig, 1932, erschienen war.161 Er feierte den Märtyrertod von Herbert Norkus, den Rotfrontkämpfer im Januar 1932 in Berlin umgebracht hatten. Der Film wurde im September 1933 in München in Anwesenheit des Führers uraufgeführt.162 Auch hier spielte neben dem Generationenkonflikt das Konversionsmotiv eine wichtige Rolle: Ehemalige Kommunisten konnten also im Dritten Reich, sofern sie nicht in einem KZ landeten, durchaus auf die nationalsozialistische Seite, ehemals kommunistische Jugendliche in Baldur von Schirachs HJ eine Heimat finden.163 Auch das Motiv »Land vs. Stadt« wurde hervorgehoben, außerdem, wie in SA-Mann Brand, das Thema »politische Erziehung«. Die Wirkung beider Filme wurde 1934 an einer zufällig zusammengestellten Gruppe von Jugendlichen getestet. Nicht zufällig erwiesen sich Brand und Heini Völker (»Quex« war sein Spitzname) als beispielhaft für Jungen wie für Mädchen, bei jenen, um den Kampfesmut zu stärken, bei diesen, um junge Frauen zu willigen Helferinnen des Mannes zu erziehen – ein Thema auch vieler NS-Romane. Eine 16 Jahre alte Verkäuferin reagierte mit den Worten, es sei schwierig, diese Filme zu vergessen, »weil wir bestrebt sind, den deutschen Männern das gleich zu tun«.164 An einem Sonntagmorgen in Berlin bekamen 70 000 Mitglieder der HJ, Jungen und Mädchen, den Film zu sehen.165

Der Film Hans Westmar, im Dezember 1933 in den Kinos, erwies sich als kompletter Misserfolg. Insgesamt betrachtete Goebbels die SA-Filme nicht als Musterbeispiele für weitere Nazi-Geschichten auf Zelluloid; seine Einstellung dazu war so negativ wie zu den frühen Radioprogrammen. Zwar lobte Rosenbergs Völkischer Beobachter, der Film SA-Mann Brand sei »ein gelungener Versuch«, die Sympathien der Bevölkerung zu gewinnen, Goebbels aber fürchtete, dass andere NS-Institutionen in solchen Produktionen eine naive und grobschlächtige Aufarbeitung der »Kampfzeit« der Bewegung ohne wirklichen Bezug zur Realität sehen würden.166 Schlimmer noch, das ganze Genre sei »Konjunkturkitsch«. Zwar forderte er auch weiterhin die filmische Darstellung politischer Botschaften, aber auf kinematographisch höherem Niveau.167 SA-Männer sollten, wie er 1933 bemerkte, nicht im Film oder auf der Bühne marschieren, sondern auf der Straße.168 Einige Monate später sprach er sich erneut gegen »Kitsch« in der Filmindustrie aus und forderte »mehr Kunst«.169

Ende 1934 wurde ein Film fertiggestellt, der ästhetische Qualität mit wirkungsvoller Propaganda für das Regime verband. Allerdings kam Triumph des Willens, der 1935 in den Kinos gezeigt wurde, nicht aus Goebbels’ Haus. Es war kein Spiel-, sondern ein Dokumentarfilm, der einzig durch seine Bilder und die Hintergrundmusik wirkte. Regie führte, im Auftrag Hitlers, die ehemalige Tänzerin und Schauspielerin Leni Riefenstahl, damals 32 Jahre alt. Die NS-Presse lobte den Film in höchsten Tönen, und Goebbels musste eingestehen, dass es sich in jeder Hinsicht um ein Meisterwerk handelte. Wie seine Tagebücher zeigen, bedauerte er sehr, Leni Riefenstahl nicht in seinem Machtbereich zu haben.170 Der Film feierte Hitlers Aufstieg zur Macht und, zwischen den Zeilen, die erfolgreiche Unterdrückung eines angeblich geplanten Putsches von Hitlers langjährigem Kampfkomplizen, dem SA-Führer Ernst Röhm.171 Aufgrund diverser Eigenheiten ist der Film bis heute ein Klassiker geblieben, nicht zuletzt durch die einfallsreiche Weise, mit der Wagner-Themen in die vom begabten Komponisten Herbert Windt komponierte Hintergrundmusik eingearbeitet sind.172 Die amerikanische Medienkritikerin Susan Sontag hielt sich zwar 1975 mit einer Gesamtwürdigung für Riefenstahl zurück, äußerte sich aber zu der brillanten Kameraführung: »In Triumph des Willens ist das Dokument (das Bild) nicht mehr nur einfach die Aufzeichnung der Realität, vielmehr wird ›Realität‹ konstruiert, um dem Bild zu dienen.«173 Auch in ihrem Film über die Olympischen Spiele in Berlin war Riefenstahl innovativ, und Goebbels konnte erkennen, was »Kunst« im Film bedeuten konnte. Gleichwohl blieb Olympia (1938) hinter dem Erfolg des Vorgängers zurück.174

Der Schlag gegen Röhm entzog weiteren SA-Filmen den Boden und gab Goebbels so die Gelegenheit, sich von reinen Parteiinhalten abzuwenden, um andere Themen zu finden, in denen sich, wenn auch nicht wie bei Riefenstahl, Popularität mit politischer Propaganda und gelungener Ästhetik (in jeweils wechselnder Gewichtung) verbinden ließ. Der in allen drei Bereichen erfolgreichste Film dürfte zweifellos Der Herrscher von 1937, unter der Regie von Veit Harlan und mit Emil Jannings in der Titelrolle, gewesen sein. Allein schon durch Jannings war der Erfolg gesichert. Anlässlich eines kurzzeitigen Engagements in Hollywood hatte er 1928 als erster Schauspieler überhaupt den Oscar erhalten und war 1929, als sein deutscher Akzent mit dem neu entstehenden Tonfilm nicht vereinbar war, nach Deutschland zurückgekehrt, um im Dritten Reich als hellster Stern am Zelluloidhimmel zu strahlen. Der Herrscher beruhte auf Motiven eines Stücks von Gerhart Hauptmann und war ein Lobgesang auf einen Industriemagnaten, der als Witwer seine Familie tyrannisiert, welche nach seinem Tod – oder bei vorheriger Entmündigung – ein Vermögen zu erben hofft. Der Industrielle aber verliebt sich in seine Sekretärin und vermacht seine Fabrik dem Staat.175 Die Parallelen zwischen ihm und Hitler sind augenfällig: Schließlich haben beide, so hat es den Anschein, nur das Wohl der Gemeinschaft im Auge.176 Hatten die für den Film Verantwortlichen hier im vorauseilenden Gehorsam gehandelt? Goebbels jedenfalls bekannte bei der Endabnahme, er bewundere den Film sehr, und fühlte sich erwartbar geschmeichelt, als Hitler das genauso sah.177

Es gab noch einige weitere Filme mit propagandistischem Inhalt. Der Herrscher beschäftigte sich mit innerdeutschen Verhältnissen, andere Streifen widmeten sich, was ebenso wichtig war, dem äußeren Feind. Bereits 1933 war Flüchtlinge in die Kinos gekommen, der das Elend der Wolgadeutschen in der Sowjetunion dramatisierte. Derartiger Unterdrückung, so wollten die Nazis damit beweisen, sehe sich eine reine ethnische Minderheit – die Deutschen – durch die Sowjetführer ausgesetzt; zudem gab der durch und durch »arische« Hans Albers, wie Jannings im Herrscher, eine charismatische Führungsfigur ab.178 Um die Botschaft in den Köpfen zu verankern, folgte Anfang 1935 der Film Friesennot, der ebenfalls die Wolgadeutschen als Opfer thematisierte. Während des Zweiten Weltkriegs, als zu den Wolgadeutschen neue deutsche Siedler auf der Krim stoßen sollten, wurde dem Film »eine durchgreifende politische und erzieherische Wirkung« bescheinigt.179 1935 hatte Hitler die Wiederbewaffnung verkündet, und 1938 wurde Pour le mérite fertiggestellt, ein Film über desillusionierte Piloten des Ersten Weltkriegs, die nach der Machtergreifung sehnsüchtig die Wiedergeburt der Luftwaffe erwarten, um die deutschen Grenzen verteidigen zu können.180

Gerade gegen Ende der Friedensperiode kamen einige Filme in die Kinos, bei denen sich Propaganda in einer scheinbar harmlosen Handlung verbarg – eine Kunst, welche die deutschen Filmemacher damals offenbar zu beherrschen gelernt hatten. Dieser Trend fiel mit dem Aufstieg der schwedischen Schauspielerin Zarah Leander zusammen, die der neue Stern am deutschen Filmhimmel wurde, ein Ersatz für Marlene Dietrich, die sich weigerte, aus den USA nach Deutschland zurückzukehren. In einer Zeit zunehmender internationaler Spannungen musste die Unterhaltungsindustrie selbst attraktiven und privilegierten Frauen einen verantwortlichen Platz in der Volksgemeinschaft zuweisen, um ihnen zu bedeuten, dass Emanzipation oder Privatvergnügen à la Weimar der Vergangenheit angehörten. In physischer Hinsicht hatte Zarah Leander, eine Brünette, gewisse Ähnlichkeit mit der erfolgreichen Filmschaffenden Leni Riefenstahl, die seit 1936 allerdings in den Hintergrund rückte.181

In den neuen Filmen agierten die Frauen zunehmend als Helferinnen des Mannes, als Sexualpartnerinnen einzig mit dem Ziel der Mutterschaft und als Hausfrauen am heimischen Herd – nicht als Berufstätige oder als Gespielinnen. 1937 nahm Zarah Leander in Babelsberg ihre Arbeit auf. In La Habanera, dem ersten von drei Filmen, in denen sie auftrat, spielte sie eine junge Schwedin, die Don Pedro, den Gouverneur von Puerto Rico, heiratet, die Insel aber nach dessen Tod mit ihrem kleinen Sohn und dem schwedischen Liebhaber wieder verlässt. Der Liebhaber, ein Arzt, erinnert sie an ihre Heimat im schneereichen europäischen Norden. Dort gehört sie samt Sohn hin, nicht in die schwüle Karibik.182 Ähnlich geht es zu in Heimat (1938). Hier spielt Zarah Leander eine berühmte Sängerin, die aus den USA in die deutsche Provinz zurückkehrt, um in einer Kirche Bachs Matthäus-Passion zu singen und sich hinterher mit ihrem Vater, einem Oberst a. D., zu versöhnen. Sie hat ein Kind, eine außereheliche Tochter, gezeugt von einem deutschen Vater vor langer Zeit, die nun auch ins Vaterland zurückkehrt. Der Film beschwört zum einen, ganz nach NS-Geschmack, den vermeintlichen »Ruf des Blutes«, zum anderen die Überlegenheit der deutschen Musik – Bach ist zu wertvoll für das kulturlose Amerika.183

1938 gab es noch zwei weitere Filme, in denen Frauen auf ihren Platz verwiesen wurden. In Die vier Gesellen spielt Ingrid Bergman – ihre einzige Rolle in einem deutschen Film – eine Geschäftsfrau, die gerade noch rechtzeitig erkennt, dass ihre wahre Bestimmung nicht in einem Büro, sondern an der Seite des entschlossenen Mannes zu finden ist, den sie liebt. Kompromisse werden lächerlich gemacht.184 In Die Frau am Scheidewege ergibt sich eine Ärztin in jeder Hinsicht einem männlichen Kollegen als Assistentin und Ehefrau.185 Und in Frau am Steuer werden 1939 die ehelichen Beziehungen dergestalt geradegerückt, dass Mann und Ehefrau erwiesenermaßen nicht miteinander in einem Büro arbeiten können, sondern die Frau in den Haushalt gehört.186 Während des Krieges sollte Hitler die Frauen auch dann noch zu Hause lassen, als Albert Speer und Goebbels es für angeraten hielten, sie in der Rüstungsindustrie zu beschäftigen.

Der für seine erotischen Eskapaden berüchtigte Propagandaminister war der autokratische Herrscher über die Filmwelt, in der er die Gunst von rollenversessenen Schauspielerinnen auf der »Besetzungscouch« zu erlangen suchte. Im Dezember 1938, als Hitler Goebbels’ Affäre mit der tschechischen Filmschauspielerin Lída Baarová beendet hatte, verglich der ewig neiderfüllte Alfred Rosenberg Goebbels’ Verhalten mit dem von jüdischen Filmmagnaten der Vergangenheit, »die ihre Angestellten sexuell zwangen«.187 Es dürfte ein geringer Trost für den prüden Parteiideologen gewesen sein zu erfahren, dass Goebbels in seiner Funktion als oberster Bühnenwächter sexuell weniger Erfolg beschieden war. Hier wurde konventioneller gearbeitet als am Filmset, und die Darsteller, darunter einige Filmschauspieler, waren teils längst etabliert und daher nicht so leicht zu korrumpieren. Goebbels’ Herrschaft stieß in diesem Bereich ohnehin an Grenzen; Theater, die dem Preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring unterstanden – allen voran das Staatstheater in Berlin –, sowie einige weitere unter Rosenbergs Ägide waren seinem Zugriff entzogen.

Auch wenn die Theaterbühnen für Goebbels daher weniger interessant waren, mussten auch sie sich den neuen Vorgaben fügen. Wie die Filmindustrie und besonders das Kinowesen waren sie 1933 in schlechter finanzieller Verfassung. In den letzten Jahren der Weimarer Republik hatte die Regierung Brüning die Subventionen für die Staatstheater zusammengestrichen, sodass diese – wie die privaten Bühnen – aufgrund der Weltwirtschaftskrise ihr Personal nicht mehr bezahlen konnten. Auch die Lizenzzahlungen von Verlagen blieben aus, und so litten Schauspieler, Intendanten und Bühnenarbeiter unter kargen Entlohnungen oder wurden entlassen. Diese Misere währte, wie die allgemeine Arbeitslosigkeit, weit über 1933 hinaus.188

Nach der Machtergreifung besserte sich gleichwohl die Lage. Eingedenk der Versprechungen zur Wertschätzung deutscher Kultur und in Übereinstimmung mit Goebbels’ Propagandazielen erhielten die Theater mehr Geld. Zudem wurden neue Bühnen gebaut und Reichstheatertage und -wochen eingeführt, um in der Öffentlichkeit (zum Beispiel bei der HJ) größeres Interesse zu wecken.189 Auch insolvente Privattheater wurden konsolidiert und mit Staatsgeldern refinanziert, wobei hier und da jüdische Besitzer vertrieben wurden; so musste etwa Max Reinhardt seine fünf Berliner Theater aufgeben.190 In der Hauptstadt wurden vier prominente Theater unter ebenso prominenter Leitung als tonangebend auserkoren, darunter Görings Preußisches Staatstheater.191 Darüber hinaus benutzten Parteiführer ihre eigenen Organisationen, um die Theater mit neuen Besucherströmen zu füllen. Rosenberg setzte dafür seinen Kampfbund für deutsche Kultur und dessen Nachfolgerin, die Nationalsozialistische Kulturgemeinde ein, Robert Ley die vom Staat subventionierte Freizeiteinrichtung Kraft durch Freude der Deutschen Arbeitsfront. 1934 konnte Ley anderthalb Millionen Besucher (auf freiwilliger Basis oder nicht) mobilisieren, 1938 waren es bereits siebeneinhalb Millionen.192

Wie im Falle der Literatur entstammten viele Schauspiele, die nun als der neuen Zeit angemessen empfunden wurden, der »Kampfzeit« und hatten damals praktisch keine Chance, aufgeführt zu werden. Als sie nun von ihren Autoren – arm an Talent, aber reich an Bekenntnisfreude – angeboten wurden, hielten Theaterdirektoren und -kritiker bis hinauf zu Goebbels die Sachen noch immer für überflüssig und ignorierten sie.193 Eine ganze Reihe wurde trotzdem aufgeführt, häufig durch neu berufene NS-Gläubige, weil der Autor Beziehungen oder das Stück eine nützliche politische Botschaft hatte oder weil das Propagandaministerium die breite Masse via Unterhaltung bei der Stange halten wollte.194 Auch drängten bislang unbekannte Schauspieler ins Rampenlicht, und die Korruption blühte: Kaum war der drittklassige Schauspieler Otto Laubinger im Herbst 1933 zum Präsidenten der neuen Reichstheaterkammer in der RKK aufgestiegen, bestand er auch schon darauf, dass eine seiner jungen Freundinnen eine Rolle erhielt.195

Die erwähnten Theaterstücke – Komödien wie Tragödien – waren allesamt mittelmäßig, dafür aber propagandistisch-hinterhältig, weil sie, wie die Romane und die meisten Filme, nationalsozialistische Klischees bedienten: Der Mythos von der bäuerlichen Scholle fand Ausdruck in Bauern, die ihr Land und Erntegut gegen plündernde Soldaten (etwa im Dreißigjährigen Krieg) verteidigen, in einer norddeutschen Deichgemeinschaft, die den heldenhaft-todgeweihten Kampf gegen eine Sturmflut führt, oder im Widerstand gegen einen ausbeuterischen Grafen (in vorindustrieller Zeit). Unerlässlich für diese Mikrogemeinschaften war das Eingreifen eines starken Führers.196

Die Tapferkeit deutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg wurde am Beispiel des Todes studentischer Freiwilliger bei Langemarck 1914 gewürdigt, Sowjetrevolutionäre und schwarze Soldaten aus den Kolonien dagegen waren des Teufels. Dasselbe galt für Kriegsgewinnler, den Waffenstillstand vom November 1918 und den Versailler Vertrag vom Sommer 1919.197 Deutsche in ostpreußischen Gebieten, die seit 1918 Polen begehrte, wurden gefeiert, die Polen verächtlich gemacht.

Ebenso verfuhr man mit der Tschechoslowakei.198 Die Stadt wurde ab-, das Landleben aufgewertet; Ahnenverehrung stand hoch im Kurs.199 Moderne Entwicklungen wie Frauenrechte wurden bespöttelt, die »rassisch« und sozial homogene »Volksgemeinschaft« dagegen mit Beifall bedacht.200 Antisemitische Ausfälle und solche gegen Sinti und Roma durchzogen viele dieser Stücke.201 Die Verlage zeigten sie zwar unter eher langweilig erscheinenden Titeln an, doch ist dem heutigen Beobachter klar, dass die Schauspiele keineswegs harmlos waren.202

Einige Schauspiele waren inhaltlich nicht nationalsozialistisch, konnten aber ungehindert aufgeführt werden, weil die Autoren Nationalsozialisten waren. Insbesondere galt dies für Goebbels’ Drama Der Wanderer von 1927, das im Mai 1933 in Leipzig aufgeführt wurde. Sein Protagonist, der »Wanderer« ist »ein hellsichtiger Deuter alles Geschehens« (also ein Doppelgänger Hitlers), der von »dem Dichter« begleitet wird. Die Leipziger Neuesten Nachrichten (eine gleichgeschaltete Zeitung) wies auf die »politischen und propagandistischen Absichten« hin, über den Erfolg ist nichts bekannt.203 Ein früher Parteigänger Hitlers war dessen väterlicher Freund Dietrich Eckart, der kurz nach dem Münchner Putschversuch von 1923 an den Folgen seines Alkoholismus starb. Von ihm verfasste Dramen wurden bald nach der Machtergreifung aufgeführt, einige davon zum ersten Mal. Sein bekanntestes und noch vor dem Ersten Weltkrieg sehr erfolgreiches Stück Peer Gynt (1912, nach Henrik Ibsen) trug expressionistische Züge und wurde nach 1933 häufig von regimeeigenen Bühnen gespielt, wozu insbesondere der ihm innewohnende Antisemitismus beitrug.204 Ein eher zweitrangiger Parteitroll war Rosenbergs Adjutant Thilo von Trotha, einer der Hoffnungsträger der Bewegung, der seine Machtposition dazu nutzte, seine Stücke – Engelbrecht, Gudrun und Princess Plumpudding – zur Aufführung zu bringen. Von Trotha entstammte einer baltischen Baronatsfamilie und war von der Thematik des Nordischen besessen. In diesem Zusammenhang hatte er Richtlinien für die neue deutsche Bühne formuliert: »Die Auswahl der Schauspieler wird nach rassischen und weltanschaulichen Grundsätzen getroffen.« Die Schauspieler sollten eine eugenisch beeinflusste Haltung zu ihren Rollen haben, gutaussehend sowie jung und gesund sein.205 1938 starb Trotha im Alter von 34 Jahren bei einem Autounfall.

Ein paar waschechte nationalsozialistische Dramatiker waren nicht ohne Talent und hätten vielleicht auch unter anderen Bedingungen reüssiert. An vorderster Stelle ist dabei Hanns Johst zu nennen, der sich in der Weimarer Republik mit expressionistischen Dichtungen einen Namen gemacht hatte. Sein Schauspiel Schlageter von 1933 zeugte immer noch von diesem Einfluss. »Wenn ich Kultur höre … entsichere ich meinen Browning!« – dieser Satz wird häufig Göring zugeschrieben, stammt aber aus Schlageter und wird dort von dem Freund des Protagonisten, dem Freikorpskämpfer Friedrich Thiemann, gerufen. Es ist ein zutiefst expressionistischer Satz!206 Neben dem Hitler gewidmeten Schlageter wurde nur noch ein weiteres Johst-Stück im Dritten Reich aufgeführt, Thomas Paine. Es war häufig auf der Bühne zu sehen und wurde von erstklassigen Künstlern wie Gründgens, Minetti und Fehling gespielt. Johsts Beziehung zum Regime verbesserte sich dadurch weiter.207 Es war nicht von Bedeutung, dass die ursprüngliche Fassung, sehr expressionistisch gehalten und einen Führer feiernd, bereits 1927 veröffentlicht worden war und Johst sie nur den neuen Umständen entsprechend angepasst hatte. Schon bald war er gut Freund mit Goebbels, Himmler und Hitler (wenn nicht mit Göring) und schrieb fortan nichts Ernstzunehmendes mehr außer ein paar Gedichten und Traktaten, die seinem Ego und dem seiner Wohltäter schmeichelten. Schon bald zum SS-Gruppenführer befördert, wurde aus dem Dichter ein Pamphleteschreiber.208

Einer von Johsts Bewunderern war Josef Magnus Wehner, der wie Gerhard Schumann und Eberhard Wolfgang Möller als Hoffnungsträger einer nationalsozialistisch inspirierten Dichtung galt. Alle drei gehörten der NSDAP an, die beiden Letzteren zudem der SS. Wehner, Jahrgang 1891 und Kriegsveteran, hatte mit seinem anti-pazifistischen Roman Sieben vor Verdun (1930) Ruhm geerntet. Es war ein Buch im Geiste des kriegsverherrlichenden Werks von Heinrich Zerkaulen und erlebte im Dritten Reich viele Auflagen. In München war Wehner als Theaterkritiker und Theoretiker nicht ohne Einfluss.209 Gerhard Schumann (geb. 1911), ein junges Talent, das bereits 1936 einen Staatspreis erhielt, zeichnete zwei Jahre darauf in seinem Schauspiel Die Entscheidung die Moral von Freikorpskämpfern als Antithese zur angeblichen Intrigenwirtschaft in der Weimarer Republik. Sein Protagonist, ein ehemaliger kaiserlicher Oberst, wird 1920 von kommunistischen Aufständischen umgebracht.210 Wie der fünf Jahre ältere Eberhard Wolfgang Möller war Schumann im Propagandaministerium tätig. Möller, Gewinner des Nationalen Buchpreises, verfasste u. a. das Schauspiel Der Untergang Karthagos (1938). Das mit expressionistischen Anklängen durchsetzte Stück schildert die Phönizier im Moment der Bereitschaft, sich den römischen Invasoren zu ergeben. Die Phönizier tragen »jüdische« Züge, und ihr Stadtstaat soll als Korruptionsnest an Weimar erinnern.211

Besonderes Lob erhielt Möller als Autor des Thingspiels Das Frankenburger Würfelspiel, das 1936 auf der Dietrich-Eckart-Freilichtbühne Premiere feierte. Diese Bühne war der letzte Außenposten der 1934 gegründeten Thingspielbewegung, die das Ziel hatte, bei ihren Aufführungen das Publikum als »Volksgemeinschaft« in nuce in die Handlung mit einzubeziehen. Das Thingspiel enthielt Elemente des altgriechischen Theaters und besaß Wurzeln in der deutschen Jugendbewegung, vor allem aber in einer älteren nationalistischen Theaterreform durch die völkischen Dramenschreiber Adolf Bartels, Ernst Wachler und Friedrich Lienhard, die schon in der wilhelminischen Epoche mit Bühnenexperimenten anhand von klassischen Stücken, aufgeführt unter freiem Himmel, begonnen, damit jedoch keine dauerhaften Erfolge erzielt hatten.212 Thingstätten waren altgermanische Gerichtsstätten; die Nationalsozialisten nahmen an, dass dort auch gemeinschaftliche Theateraufführungen stattgefunden hatten.213

Für 1934 hatten überzeugte Nationalsozialisten deutschlandweit Thingspiele vorgesehen, als theatralische Reminiszenzen an die frühe Bewegung, unter Beteiligung des Publikums und in naturnaher Umgebung, am Stadtrand oder außerhalb, wie auf Heidelbergs Heiligem Berg. Thingspiele waren als nordisches chorisches Theater konzipiert; es sollte hymnisch, mythisch und kultisch zugehen. Großgruppen von Schauspielern sangen, dirigiert von Chorleitern, einstimmig. SA- und HJ-Angehörige zogen, begleitet von Fanfarenmusik, in großer Zahl auf und sollten so an die offiziellen Parteiveranstaltungen wie den jährlich im September stattfindenden Parteitag erinnern oder an die Partei- und Olympiafilme von Leni Riefenstahl, wenn auch in kleinerem Maßstab und schlechter choreographiert.214 Diese Großveranstaltungen eröffneten arbeitslosen Schauspielern, die nun vor Zehntausenden Zuschauern auftreten konnten, neue Beschäftigungschancen.215

Das letzte – und wahrscheinlich erfolgreichste – der offiziell veranstalteten Thingspiele, das Frankenburger Würfelspiel, fand im Sommer 1936 in Berlin statt.216 Möller beschwor eine mittelalterliche Gerichtsverhandlung gegen verräterische Bauern in Süddeutschland herauf, denen man schließlich erlaubt, um ihr Leben zu würfeln. Am Ende taucht ein schwarzer Ritter auf, der nicht die Bauern für schuldig erklärt, sondern ihre Feudalherren. Die »Volksgenossen« konnten in dem Ritter unschwer eine Inkarnation des »Führers« ausmachen.217

Als im Sommer 1936 ausländisches Publikum die Olympischen Spiele besuchte, aber mit einem Thing-Spektakel nichts anfangen konnte, hatte Goebbels bereits das Ende der Bewegung verkündet, und zwar schon im September 1935, ein gutes Jahr nach dem »Röhm-Putsch«, den Hitler zum Anlass nahm, jeder weiteren Revolution von unten eine Absage zu erteilen. Insofern hatte das Thingspiel ausgedient. Tatsächlich hatte es die Zustände in der Weimarer Republik kritisiert, und diese galten ja nun als erledigt.218 Außerdem hatte es hier und da Kritik aus der Partei gegeben. So wurde moniert, dass die Handlungen nicht originär entwickelt worden seien, sondern auf Hörspielfassungen beruhten. Offensichtlich wusste niemand, wie für dieses neue, ideologische Genre ein Stück zu schreiben sei. Dann wieder war bei Aufführungen die Hintergrundmusik zu laut, sodass der Chor unterging, oder die riesigen Lautsprecher waren nicht richtig eingestellt.219 Auch das Wetter hatte nicht immer gute Miene zum Thingspiel gemacht. So war es kein Wunder, dass die Deutschen, sofern sie nicht zum massenhaften Erscheinen gezwungen waren, die Lust an diesen Spielen mit ihrer »statischen und deklamatorischen Handlung« verloren. Der Bau von Spielstätten kam auch nicht recht voran. Hatte man Anfang 1934 noch 400 Stätten geplant, so standen zwei Jahre später gerade mal 14.220 Alles in allem hatte sich das Thingspiel als Fehlschlag erwiesen, und nach seinem Ableben sprach kein Mensch mehr davon.

Wie erging es im Vergleich dazu dem traditionellen Theater? Im Juni 1935 erklärte Goebbels öffentlich, es sei manchmal besser, »das gute und anerkannte Alte zu pflegen, als sich dem schlechten Neuen zu widmen, nur weil das Neue neu ist«.221 Im Theater brauchte Goebbels auch weiterhin die Klassiker, um einen wichtigen Teil der Bevölkerung – das Bildungsbürgertum – dauerhaft zu binden. Mittels der Klassiker konnte er das tun, was der berühmte Schauspieler Bernhard Minetti später bestritt: »Wir hätten«, formulierte er den Vorwurf, »die Diktatur durch Kunst legitimiert und verklärt, hätten der politischen Unkultur ein kulturelles Gesicht gegeben«.222 Goebbels selbst mag vielleicht populäre Schriftsteller wie Ludwig Thoma, dessen Komödie Moral er Ende 1936 an der Berliner Volksbühne inszenieren ließ, geschätzt haben, doch wusste er um die Notwendigkeit, die deutschen Klassiker, vor allem Schiller und Goethe, aber gelegentlich auch Naturalisten wie Hauptmann und Max Halbe nicht zu vernachlässigen. Immer möglich war natürlich Shakespeare, dessen Beliebtheit so groß war, dass selbst im 19. Jahrhundert die deutsche Elite ihn als »germanisch« für sich beanspruchte.223 Außerdem war es, gerade zu Beginn der NS-Diktatur, notwendig, wichtige ausländische Regierungen, vor allem in London und Paris, zu beeindrucken.

Und so wollte das Propagandaministerium die Klassiker zwar aufgeführt wissen, jedoch in neuem Geist und Stil. Wie das zu erreichen sein sollte, war nicht ganz klar, aber auf jeden Fall mussten naturalistische und expressionistische Inszenierungen à la Weimar vermieden werden, und auf der Bühne durfte das »Führerprinzip« nicht infrage gestellt werden. Dramaturgen und Regisseure waren also angehalten, eine überzeugende Version des »Führers« auf die Bühne zu bringen. Zudem sollte eine Aufpolierung des Starsystems das Ensemble als Miniaturausgabe der »Volksgemeinschaft« sichtbar werden lassen.224

Die Klassiker kamen mithin weiter zur Aufführung, und zwar fast so häufig wie in der Weimarer Republik. Etwa 20 Prozent der Stücke stammten entweder aus Schillers Feder – der die Liste anführte – oder aus jener Shakespeares und Goethes, dessen Kosmopolitentum führenden Nationalsozialisten indes ein Dorn im Auge war.225 Theater in Berlin, Dresden, Weimar und Koblenz demonstrierten die dauerhafte Bedeutung von Dramatikern der präfaschistischen Zeit, indem sie die Klassiker würdigten.226 Die Werke der neuen Generation von NS-Autoren fristeten lediglich ein Schattendasein, was für die erwiesene Qualität der Tradition ebenso sprach wie gegen die vor Ideologie triefenden Eiferer.

Kultur unterm Hakenkreuz

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